Timotheus (1)

Es ist immer voller Belehrung, mit Hilfe des Wortes die Grundzüge herauszustellen, die die Persönlichkeit eines Mannes Gottes ausmachen, und die Erweisungen der göttlichen Gnade ihm gegenüber zu betrachten. Wir werden dabei feststellen, mit welcher Vollkommenheit sich diese Gnade den besonderen Bedürfnissen des einzelnen anpasst, ob es sich um Ermahnungen, um Warnungen, um Ermunterungen oder Tröstungen handelt. Gott beschränkt sich in den Unterweisungen seines Wortes nicht darauf, Grundsätze darzulegen, sondern Er trägt Sorge, sie durch Tatsachen zu illustrieren uns Beispiele zum Nachdenken zu geben. Auch darin erweist sich die ganze Schrift «nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werk völlig geschickt» (2. Tim 3,16.17)

Timotheus ist, besonders für die jungen Gläubigen, eines dieser Beispiele, aus denen wir nützliche Belehrungen ziehen können. Wir wollen zunächst den Menschen zu erkennen suchen und dann einige der persönlichen Ermahnungen betrachten, die der Apostel Paulus ihm gibt.

Timotheus, Sohn eines griechischen Vaters und einer jüdischen Mutter, genannt Eunike, wohnte in Lystra in Lykaonien. Von Jugend an durch seine Grossmutter und Mutter in den Heiligen Schriften, das heisst im Alten Testament, unterwiesen, war er vermutlich gleichzeitig mit ihnen zur Erkenntnis des Herrn Jesus geführt worden, und zwar bei der ersten Reise des Apostels Paulus (Apg 14,6-23). In der Tat, der Apostel nennt ihn in den an ihn gerichteten Briefen: «mein echtes Kind» – «mein Kind im Glauben» – «mein geliebtes Kind», und in 1. Korinther 4,17: «mein geliebtes und treues Kind im Herrn.»

Im Verlauf seiner zweiten Reise, als er wieder durch Lystra zog, nahm der Apostel Timotheus mit (Apg 16,1-3). Es ist schwierig, das Alter festzustellen, das er in diesem Zeitpunkt hatte, aber er war zweifellos noch sehr jung. Übrigens war es nicht der Apostel, der ihn auserwählt hatte, sondern Gott selbst. Paulus erinnert ihn in seinem ersten Brief daran, dass Weissagungen über hin vorangegangen seien (1. Tim 1,18). Da zeigt sich eine gewisse Übereinstimmung mit der Berufung des jungen Jeremia, den Gott schon vor seiner Geburt zum Propheten an die Nationen bestellt hatte (Jer 1,4-8). Anderseits hatte ihm Gott durch das Auflegen der Hände des Apostels eine Gnadengabe mitgeteilt (2. Tim 1,6). Schliesslich hatten sich auch die Ältesten der Versammlung in Lystra durch das Auflegen der Hände mit dem Dienst eins gemacht, den Timotheus ausüben würde (1. Tim 4,14).

Dieser junge Diener ging also aus als von Gott berufen und begabt, um zunächst ein Mitarbeiter des Apostels Paulus zu sein und dann allein zu dienen. Niemand darf sich in den Dienst des Herrn stellen, ohne persönlich durch Ihn berufen zu sein. Anderseits wird der Herr keinen Dienst anvertrauen, ohne dem Betreffenden Gaben und die nötigen Hilfsquellen zu verleihen.

Nach diesem Bericht der Apostelgeschichte entfaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Dienst des Apostels anfänglich in ziemlich günstigen Umständen. Aber die Begegnung mit der Macht Satans sollte bald, in Philippi, stattfinden, in der Person jener Magd, die einen Wahrsagegeist hatte. Paulus und Silas wurden mit Ruten geschlagen und dann in den Kerker geworfen, während Lukas und Timotheus, wie es scheint, von diesem Los verschont blieben (Apg 16,16 ff.). Diese erste Erfahrung der Bosheit und Feindschaft Satans, aber auch die wunderbare Befreiung, die der Herr zugunsten von Paulus und Silas bewirkte, haben auf Timotheus gewiss einen tiefen Eindruck gemacht und haben zur Festigung seines Glaubens beigetragen.

Im Lauf der Zeit vertraute ihm der Apostel besondere Aufträge an, bei deren Ausführung er oft allein den Gefahren gegenüberstand, die diese mit sich brachten. So sandte er ihn nach Korinth, um die Versammlung an seine Belehrungen zu erinnern (1. Kor 4,17). Bei dieser Gelegenheit legte Paulus den Korinthern nahe, dafür zu sorgen, dass Timotheus ohne Furcht bei ihnen sei, «denn», so sagte er, «er arbeitet am Werk des Herrn wie auch ich. Es verachte ihn nun niemand» (1. Kor 16,10-11). Kurz bevor er Ephesus verliess, sandte Paulus Timotheus und Erastus nach Mazedonien (Apg 19,22). Wir finden auch seinen Namen neben dem des Paulus in beiden Briefen an die Thessalonicher angeführt, wie auch am Schluss des Römer-Briefes, wo ihn Paulus «seinen Mitarbeiter» nennt (16,21), was zum Ausdruck bringt, welchen Wert er seinem Dienst beimass. Endlich war Timotheus auch unter den Begleitern des Apostels auf seiner dritten Reise (Apg 20,4). Er begleitete Paulus bis zu dessen erster Gefangenschaft in Rom, wie dies aus dem Anfang der Briefe an die Philipper, Kolosser und an Philemon hervorgeht. Alle diese Tatsachen beweisen, dass Timotheus ein Mitarbeiter des Apostels geworden war, der sich mit ihm eins machte und ihm den schönen Titel des «Knechtes Jesu Christi» zuerkannte (Phil 1,1).

Sehr wahrscheinlich hat Paulus nach seiner ersten Gefangenschaft Timotheus gebeten, in Ephesus zu bleiben – während er selbst eine Reise nach Mazedonien unternahm – wobei er ihm auftrug, in dieser Versammlung Älteste einzusetzen und zu lehren, wie man sich im Haus Gottes verhalten soll (1. Tim 1,3; 3,15). Dorthin hatte er ihm seinen ersten Brief zugestellt (64 oder 65 n. Chr.). Dann wurde der Apostel ein zweites Mal gefangen genommen und ins Gefängnis in Rom gebracht. Das Wort berichtet uns jedoch nicht, unter welchen Umständen dies geschah. Am Ende dieser viel strengeren zweiten Gefangenschaft schrieb Paulus seinen zweiten Brief an Timotheus (66 oder 67 n. Chr.), kurz vor seinem Märtyrertod.

Wir finden noch eine Stelle in Hebräer 13,23, wo der Verfasser dieses Briefes mitteilt, dass Timotheus wieder freigelassen worden sei; daraus geht hervor, dass er gefangen war, doch wird kein Datum genannt. Einige meinen, dass dies zu dem Zeitpunkt war, als er sich nach Rom zum Apostel begab, der ihm in seinem zweiten Brief zweimal empfahl, sich zu befleissigen, bald zu ihm zu kommen, weil er voll Verlangen war, ihn zu sehen (2. Tim 4,9.21). Man weiss übrigens nicht, ob dieser Wunsch erfüllt worden ist.

Das Wort enthält keinerlei Andeutung über die Tätigkeit des Timotheus nach dem Tod des Paulus. Eine sehr alte Überlieferung, die zu bezweifeln man keinen Grund hat, berichtet, dass er sein Leben in Ephesus beschlossen habe, wo er am Ende des ersten Jahrhunderts den Märtyrertod erlitten haben soll.

Was das moralische Charakterbild des Timotheus anbetrifft, so kann es mit Hilfe gewisser, auf ihn bezogener Bibelstellen skizziert werden. Treu und ganz dem Dienst des Herrn hingegeben (1. Kor 4,17; 16,10.11; Phil 1,1), hatte er dabei ein empfindsames, liebevolles und vielleicht schüchternes Naturell. Der Apostel erwähnt am Anfang seines zweiten Briefes die Tränen, die Timotheus vergossen hatte, wahrscheinlich im Augenblick, als er sich bei der zweiten Gefangennahme des Paulus von seinem Meister trennen musste. Die Empfindsamkeit des Timotheus geht auch aus den Ermunterungen hervor, die der Apostel an ihn richtet. In seinem ersten Brief ermahnt er ihn, die Gnadengabe in ihm nicht zu vernachlässigen (1. Tim 4,14). Im zweiten erinnert er ihn, diese Gnadengabe anzufachen (2. Tim 1,6). Vielleicht empfand Timotheus im Blick auf die Hindernisse, denen er bei der Erfüllung seines Dienstes begegnete, eine gewisse Verlegenheit. «Vollführe deinen Dienst» schreibt ihm der Apostel (2. Tim 4,5). Er muss ihn daran erinnern, dass uns Gott «nicht einen Geist der Furchtsamkeit gegeben hat, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit» (2. Tim 1,7), was zu bestätigen scheint, dass Timotheus nötig hatte, aufgemuntert zu werden. Das war zweifellos auch der Grund, weshalb ihn Paulus mit einer väterlichen Bestimmtheit ermahnte, nicht vor den mit seinem Dienst zusammenhängenden Leiden zurückzuschrecken. «Leide Trübsal mit dem Evangelium … Nimm teil an den Trübsalen als ein guter Streiter Christi Jesu … Leide Trübsal» (2. Tim 1,8; 2,3; 4,5). Wir finden keine derartigen Ermahnungen im Brief an Titus, dessen Persönlichkeit offenbar gefestigter war als die des Timotheus. Vielleicht war Titus auch älter als er.

Eine Einzelheit des ersten Briefes bringt jedenfalls ans Licht, mit welcher Unnachgiebigkeit Timotheus darüber wachte, «nicht Vorsorge für das Fleisch zu treiben zur Befriedigung seiner Begierden» (Röm 13,14): Er hatte ganz darauf verzichtet, Wein zu trinken. Der Apostel selbst war es, der ihm empfahl, nicht nur Wasser zu trinken, sondern auch ein wenig Wein zu gebrauchen, wegen seines Magens und seines häufigen Unwohlseins (1. Tim 5,23). Welch zarte Fürsorge des grossen Apostels gegenüber seinem Kind im Glauben, aber auch welche Treue des letzteren!

Um ihn zu ermuntern und in seinem Dienst zu stärken schrieb ihm Paulus auch: «Niemand verachte deine Jugend.» Die sittliche Autorität eines Dieners des Herrn hängt nicht von seinem Alter ab, sondern gründet sich auf die sichtbaren Früchte eines treuen Wandels, der völlig den Interessen des Meisters hingegeben ist.

Obwohl von empfindsamem und ein wenig ängstlichem Naturell, hat Timotheus durch die Gnade Gottes nichtsdestoweniger seinen Dienst mit Eifer erfüllt und seinen Herrn verherrlicht, trotz der Hindernisse und der Prüfungen, denen er begegnet ist. Er hat weder Verfolgung, noch Gefängnis noch den Tod selbst gefürchtet.