Die Quaste mit dem blauen Purpur

4. Mose 15,37-41; 5. Mose 22,12

Die Vorschrift des Gesetzes

Das Obergewand der Israeliten bestand meist aus einem grossen, viereckigen Stück Stoff, das man um die Schultern warf (vgl. 2. Mose 12,34 Anmerkung). Im Gesetz wurde ihnen geboten, an den vier Zipfeln dieser Hülle «Quasten» anzubringen (5. Mo 22,12). An die Quaste schliesslich, die sie beim Gehen, Stehen und Sitzen vor Augen hatten, mussten sie eine Schnur von blauem Purpur setzen.

Wozu sollte ihnen diese Quaste dienen? Darüber gibt 4. Mose 15,37-41 Auskunft: «Es soll euch zu einer Quaste sein, dass ihr, wenn ihr sie anseht, euch an alle Gebote des HERRN erinnert und sie tut, und dass ihr nicht umherspäht eurem Herzen und euren Augen nach, denen ihr nachhurt; damit ihr euch an alle meine Gebote erinnert und sie tut und eurem Gott heilig seid.»

Hatte der HERR nicht ein Anrecht auf ihr ganzes Herz, auf ihren völligen Gehorsam? Hatte Er sie nicht aus Ägypten, aus dem Haus der Knechtschaft befreit, damit sie Ihm für  immer heilig und zum Eigentumsvolk seien? Beim Lesen des Alten Testaments fällt uns auf, wie gern der HERR seine Beziehungen zu Israel mit dem Verhältnis der Liebe vergleicht, das zwischen einem Bräutigam und seiner Braut, zwischen einem Mann und seiner Frau bestehen soll.

Aber Israel war untreu. Immer wieder klagte Gott darüber, dass das Volk mit den Nationen und deren Göttern «Hurerei» und «Ehebruch» getrieben habe. Damit wollte Er vor allem zum Ausdruck bringen, wie das Herz des Volkes, das Ihm ganz hätte gehören sollen, sich Ihm entfremdet, seine Gebote missachtet, bei anderen Völkern und Göttern Hilfe gesucht und ihnen willig gedient habe.

Bei der Mehrzahl des Volkes hat also die Quaste mit der blauen Schnur – wenn sie diese überhaupt trugen – ihren Zweck verfehlt. Ach, was nützt ein äusseres Erinnerungszeichen den Menschen, die noch nicht von neuem geboren und folglich noch «im Fleisch» sind? «Die Gesinnung des Fleisches … ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht» (Römer 8,7).

Jesus Christus

Als der Herr unter seinem Volk war, machten die Schriftgelehrten und Pharisäer «ihre Gebetsriemen breit und ihre Quasten gross» (Mt 23,5), um bei dem Volk den trügerischen Schein zu erwecken, als seien sie Vorbilder in der Erfüllung des Gesetzes; aber das alles war nur Heuchelei.

Als der Sohn Gottes als Mensch auf die Erde kam, «geboren von einer Frau, geboren unter Gesetz», da hat auch Er der Verordnung gemäss diese Quaste getragen. Aber während sie bei den anderen ihre Untreue hervorhob und unterstrich, war sie bei Ihm das Symbol seines Gehorsams gegenüber Gott, seinem Vater. Als Hilfsmittel hatte Er sie nicht nötig. Er musste nicht an die Gebote Gottes erinnert werden. Er war nie in Gefahr, in der Welt «umherzuspähen» und von seinem Gott, dem Mittelpunkt seines Lebens, abgelenkt zu werden. Er, «der zweite Mensch vom Himmel», hatte ein anderes Leben, eine ganz andere Gesinnung: Er hat sich selbst zu nichts gemacht und die Gestalt eines Knechts angenommen, der in allem von seinem Herrn abhängig ist. Er hat sich selbst erniedrigt, indem Er gehorsam wurde bis zum Tod am Kreuz. Gehorsam war für Ihn kein Zwang, gegen den Er sich sträubte; als Er herabkam, rief Er vielmehr aus: «Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust; und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens» (Ps 40,9). Und: «Meine Speise ist, dass ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat» (Joh 4,34). So tat Er allezeit «das ihm (dem Vater) Wohlgefällige» (Joh 8,29). Ja, selbst den Kelch der Leiden des Kreuzes nahm Er aus der Hand des Vaters und gab schliesslich sein eigenes Leben freiwillig für uns dahin.

Diese Quaste, das Symbol des vollkommenen Gehorsams Jesu gegenüber den Geboten Gottes, wurde von vielen Kranken im Glauben angerührt, und sie fanden dadurch Heilung (Lk 8,44; Mk 6,56): Sein Gehorsam war Gott zur Verherrlichung und den Menschen zum Heil und Segen.

Die Glaubenden der Gnadenzeit

Nun wollen wir uns aber fragen: Hat diese Quaste mit der Schnur von blauem Purpur auch uns etwas zu sagen?

Auch wir, die Gläubigen der Jetztzeit, die zum himmlischen Volk gehören, haben vieles im Gedächtnis zu behalten, das wir nicht vergessen dürfen. Es sei hier nur an ein paar Punkte erinnert:

1. Nicht von dieser Welt

Wir sind nach dem Willen unseres Gottes und Vaters aus der gegenwärtigen bösen Welt herausgenommen worden (Gal 1,4). Der Herr sagt von uns: «Sie sind nicht von der Welt, wie ich nicht von der Welt bin» (Joh 17,14.16). Wir sollen uns daher von ihr absondern zu Gott hin (2. Kor 6,17-18).

2. Erkauft

«Wir sind um einen Preis erkauft» (1. Kor 6,20). Wir gehören daher dem, der uns erkauft hat, und sind nicht mehr «Sklaven von Menschen» (1. Kor 7,23). Dass Christus für alle gestorben ist, soll auch zur Folge haben, dass die, die leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben, aber auferweckt worden ist (2. Kor 5,15).

3. Gott gehorsam

Wir sind berufen «zum Gehorsam … Jesu Christi» (1. Pet 1,2), zu dem rückhaltlosen, sich selbst aufopfernden Gehorsam, den Jesus als Mensch auf der Erde an den Tag gelegt hat. Als «Kinder des Gehorsams» leben wir jetzt «dem Willen Gottes» (1. Pet 1,14; 4,2). Dass wir nicht mehr unter Gesetz, sondern unter Gnade sind, ist ja kein Freipass für Bequemlichkeit oder für Konzessionen an das Fleisch, sondern ist gerade die göttliche Kraft, die uns zum Gehorsam befähigt (vgl. Tit 2,11-14).

4. Ein himmlisches Volk

Im Gegensatz zu Israel, das irdische Verheissungen besitzt, sind wir in Christus mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern gesegnet, und in Ihm hat uns Gott in diesen himmlischen Örtern auch mitsitzen lassen (Eph 1,3 und 2,6). Diese uns geschenkte hohe Stellung zu verwirklichen, ist von grösster Wichtigkeit. Mit Christus in der Herrlichkeit beschäftigt sein und uns da aufhalten, wo Er jetzt ist, löst uns von der Erde, auf der wir uns sonst so leicht heimisch machen. – Auch im Kolosserbrief, worin dieselbe Sache von einer anderen Seite her betrachtet wird, ruft uns der Apostel in Kapitel 3,1-4 zu: «Wenn ihr nun mit dem Christus auferweckt worden seid, so sucht, was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Sinnt auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist; denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott. Wenn der Christus, unser Leben, offenbart werden wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbart werden in Herrlichkeit.»

Unser Mahner

Diese Liste der Dinge, an die wir bei jedem Schritt erinnert werden sollten, liesse sich um vieles verlängern und wir mögen uns fragen: Wäre jene Quaste mit der blauen Schnur für uns nicht auch von Nutzen?

Nein, wir haben einen besseren, einen lebendigen und wachsamen Mahner – den Heiligen Geist, der in unserem Herzen wohnt. Er ist immerfort in uns wirksam. Wir, die wir «durch den Geist leben», dürfen ständig auch «durch den Geist wandeln» (Gal 5,25). Er, der dem Fleisch «entgegengesetzt» ist und gegen dieses Fleisch «begehrt», zeigt uns jede fleischliche Regung des Herzens an, damit wir nicht das tun, was wir wollen (Vers 17), sondern was Gott will. Haben wir praktisch «das Fleisch samt den Leidenschaften und Begierden gekreuzigt» und alles Hindernde abgelegt, dann kann Er uns begierig machen nach der vernünftigen, unverfälschten Milch (1. Pet 2,1.2) – nach dem Wort Gottes, das uns unermüdlich an alles mahnt, dessen wir uns erinnern sollen.

Merken wir wenig von dieser Tätigkeit des Geistes in uns, dann ist es deshalb, weil wir uns nicht gewohnt sind, auf seine feinen Impulse zu reagieren. Üben wir uns aber, durch den Geist zu wandeln, dann sind wir in glücklicher Verbindung mit dem, was droben ist, und alle, die mit uns in Berührung kommen, empfangen etwas von dem Segen, den wir geniessen.