Auch für einen Gläubigen ist das Gewissen kein sicherer Führer, es sei denn, dass es mit dem in der Heiligen Schrift offenbarten Willen Gottes in Übereinstimmung steht. Das Gewissen ist die innere Fähigkeit der Seele, zwischen dem Richtigen und dem Falschen zu unterscheiden. Aber es braucht das untrügliche Wort Gottes, damit es anzeigen kann, was recht ist. Ohne diese Führung durch die Schrift könnte das Gewissen Böses für gut heissen und Gutes für böse, wie der Prophet sich ausdrückt (Jes 5,20).
Der Mensch hat das Gewissen bei seinem Fall erworben, wie Gott von Adam gesagt hat: «Siehe, der Mensch ist geworden wie einer von uns, zu erkennen Gutes und Böses» (1. Mo 3,22). Die Nachkommenschaft Adams hat es von ihm geerbt. Folglich haben sogar auch die Heiden ein Gewissen, das mitzeugt, und Gedanken, die sie anklagen oder entschuldigen (Röm 2,14.15), ein Gewissen jedoch, das ihnen keine Kraft verleiht, dem Bösen zu widerstehen. Es kann nur den, der die Sünde ausübt, verurteilen.
Das Wort Gottes allein gibt volles Licht der Wahrheit zur Beurteilung der Wege des Menschen, so dass durch seine Verkündigung das Gewissen selbst da böse Begierden im Herzen entdeckt, wo sie bisher nicht vermutet wurde. So schrieb Paulus: «Von der Begierde hätte ich nichts gewusst, wenn nicht das Gesetz gesagt hätte: ‹Du sollst nicht begehren›» (Röm 7,7). Aber das Wort Gottes muss in seinem wahren Charakter als Zeuge Christi gebraucht werden, sonst würde das Gewissen irreleiten und zum Bösestun führen, statt zum Gutestun. So war Saulus von Tarsus, der eine grössere Kenntnis der Schrift besass als die meisten seiner Zeitgenossen, einer von denen, die meinten, durch die Verfolgung der Christen Gott einen Dienst zu erweisen (Joh 16,2; Apg 26,9). So sagte er vor dem Synedrium: «Ich habe mit allem guten Gewissen mein Leben vor Gott geführt bis auf diesen Tag», das heisst, sowohl vor als auch nach seiner Bekehrung (Apg 23,1; siehe auch Kap. 24,16).
Obwohl das Gewissen eine wichtige Funktion ausübt, ist es also auch für die Gläubigen kein unfehlbarer Führer. Es ist eine weit verbreitete irrige Auffassung, dass, wenn das Gewissen unbeschwert sei, alles gut sein müsse. Paulus sagte im Hinblick auf sein eigenes Betragen: «Ich bin mir selbst nichts bewusst.» Doch fügte er sogleich hinzu: «aber dadurch bin ich nicht gerechtfertigt» (1. Kor 4,4). Das Verborgene der Finsternis und alle geheimen Überlegungen der Herzen werden am Tag Christi ans Licht gebracht und offenbart. Daher, wenn wir auch stets danach trachten, «ein gutes Gewissen» zu haben (1. Pet 3,16), so sollten wir doch beachten, dass wir unbewusst durch irgendwelche selbstsüchtigen Einflüsse von innen her geblendet werden können, die uns veranlassen, Gutes böse und Böses gut, Licht Finsternis und Finsternis Licht zu nennen.
Angesichts der Möglichkeit einer solch gefährlichen Täuschung sollte jeder Gläubige danach streben, dass sein Herz und seine Wege durch das Wort Gottes beherrscht werden. Sein Flehen sollte sein: «Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne meine Gedanken! Und sieh, ob ein Weg der Mühsal bei mir ist, und leite mich auf ewigem Weg!» (Ps 139,23.24). Das Wort Gottes ist das Schwert des Geistes gegenüber unseren Feinden; es ist aber auch ein zweischneidiges Schwert für unser Inneres (vgl. Eph 6,17; Heb 4,12.13).
Es gibt solche, die bewusst ihr eigenes Gewissen zu ihrem Führer erkoren haben. Sie achten es höher als das Wort Gottes und legen die Schrift nach diesem inneren Licht aus. Demzufolge tun sie unter der Führung des «Gewissens» manche Dinge, die Gott verunehren und die sein Wort nicht gutheisst. Was «geschrieben» steht, ist immer die richtige Leitung. Das Gewissen allein ist nicht verlässlich und gar oft ein Irrlicht, das die Seele in Gefahr und sogar ins Verderben bringen kann.
Es bleibt aber bestehen, dass der Gläubige «ein gutes Gewissen», «ein Gewissen ohne Anstoss vor Gott und Menschen» bewahren soll (1. Tim 1,5.19; Apg 24,16).