«Als aber Jesus es hörte, verwunderte er sich und sprach zu denen, die nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch, selbst nicht in Israel habe ich so grossen Glauben gefunden» (Mt 8,10).
Der Glaube ist Gott wohlgefällig
In einer Welt des Misstrauens und der Feindschaft gegenüber Gott ist Ihm der Glaube überaus kostbar. In den bösen Tagen vor der Flut hatte Henoch das göttliche Zeugnis erlangt, dass er durch Glauben Gott wohlgefallen habe. In der Tat, «ohne Glauben … ist es unmöglich, ihm wohlzugefallen» (Heb 11,6); mit Glauben hingegen ist dies leicht; denn «durch Glauben leben» liegt in der Reichweite eines Kindes. Und als der Herr Jesus auf der Erde war, fand Er, der von Gott ausgegangen ist, sein Gefallen an den Menschen, «die an seinen Namen glauben». Als Er in Fürbitte für seine Jünger vor den Vater trat, gab Er ihnen das Zeugnis: «Sie haben geglaubt, dass du mich gesandt hast.» Und als Er ihnen Trost zusprach, sagte Er: «Denn der Vater selbst hat euch lieb, weil ihr mich lieb gehabt und geglaubt habt, dass ich von Gott ausgegangen bin» (Joh 17,8; 16,27). Die kleine Gruppe seiner gläubigen Nachfolger waren für den Herrn «die Herrlichen» auf der Erde; an ihnen war all sein Gefallen (Ps 16,3). Der Glaube machte aus ihnen ein auserwähltes Geschlecht, ein Volk zu seinem ausschliesslichen Besitztum.
Noch heute ist es ermunternd zu sehen, wie der Glaube in den Herzen der Menschen dem Mann der Schmerzen Freude brachte. Unser Herr kam zum Haus Israels, um Glauben, die wahre Frucht des «Feigenbaumes» zu suchen, aber Er fand keinen. Die Führer des Volkes fragten entrüstet und voller Verachtung: «Hat wohl jemand von den Obersten an ihn geglaubt, oder von den Pharisäern?» (Joh 7,48). Doch entdeckte der himmlische Sucher mit Freuden da und dort bei Einzelnen Glauben, vielleicht so schwach wie ein Senfkorn, aber kostbar für Ihn, denn der Glaube jedes Gläubigen war ein wertvoller Schatz, verborgen in einem Feld, eine Freude für den Finder.
Glaube im Herzen eines Menschen wurde von unserem Herrn deswegen so hoch eingeschätzt, weil er Ihm Gelegenheit gab, die Quellen der himmlischen Gnade über ihn auszugiessen. War aber kein Glaube vorhanden, so war Jesus in seiner Tätigkeit eingeschränkt und in den mächtigen Werken seiner Liebe und Gnade gehindert. In diesem Fall musste Er sich über den Unglauben des Menschen, der seine Hand zum Stillstand brachte, verwundern (Mk 6,5.6).
Trägen Herzens zu glauben
Sogar die eigenen Nachfolger des Herrn waren träge im Glauben. Zu den erschreckten Jüngern im Sturm sagte Er: «Habt ihr noch keinen Glauben?» (Mk 4,40). Er stillte trotzdem den Sturm für sie; aber wie traurig war Er, in ihren Herzen nicht einen kindlichen, vertrauensvollen Glauben zu finden!
Kleiner Glaube und grosser Glaube
Der Herr stellte nicht nur das Vorhandensein von Glauben fest; Er sah auch auf dessen Qualität. Mehr als einmal mass Er den Glauben seiner Jünger und beschrieb ihn als «Kleinglauben».
Bei einer Gelegenheit jedoch fand Er Glauben, über den Er sich verwunderte, und Er nannte ihn einen «grossen Glauben». Diese Entdeckung machte Er nicht unter seinen Nachfolgern, die beständig bei Ihm waren, noch auch unter den Nachkommen Abrahams, den begünstigten Gegenständen seines Dienstes. Er fand ihn im Herzen eines römischen Hauptmanns, der in Kapernaum stationiert war. Als Jesus dessen Glaubensbekenntnis hörte, «verwunderte er sich und sprach zu denen, die nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch, selbst nicht in Israel habe ich so grossen Glauben gefunden» (Mt 8,10).
Inwiefern war sein Glaube gross?
Als römischer Hauptmann hatte er kein Teil an den Vorrechten der Juden, die das Volk Gottes waren. Aber sein Glaube erhob sich über diese Schranken, und er nahm den Platz der Syro-Phönizierin ein, die zum Herrn gesagt hatte: «Und doch fressen die Hunde von den Brotkrumen, die von dem Tisch ihrer Herren fallen» (Mt 15,27).
Sein Glaube erkannte in diesem erniedrigten und verachteten Jesus den, der über die Krankheit gebieten konnte, so wie er, der Zenturio, den Befehl seiner Obersten ausführen musste, oder wie seine Soldaten ihm zu gehorchen hatten.
Im Gegensatz zum Volk der Juden, das nach Lukas 7,1 «alle seine Worte» gehört hatte, ohne dass sein Zustand dadurch geändert worden wäre, und das bald darauf ausrief: «Kreuzige, kreuzige ihn!», hatte das Wort des Herrn für den Hauptmann seine ganze Gewalt, seine ganze Kraft. Er liess ihm sagen «Sprich ein Wort, und mein Knecht wird geheilt werden.» Mochten auch andere Herzen verhärtet und mit Unglauben erfüllt sein, was sie unfähig machte, aus den Unterweisungen dessen Nutzen zu ziehen, der geredet hat wie niemals sonst ein Mensch – der Hauptmann kannte durch die Gnade die ganze Kraft dieses Wortes. Er wusste, dass Jesus seinen Knecht durch ein Wort heilen konnte, sei es von weitem oder von nahem.
Sein Glaube war begleitet von einer Demut, die wohl dazu angetan ist, dass auch wir uns verwundern. Die Ältesten der Juden sagten von ihm: «Er ist würdig, dass du ihm dies gewährst; denn er liebt unsere Nation, und er selbst hat uns die Synagoge erbaut.» Er aber sagte von sich selbst: «Ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach trittst» (Lk 7,4-6). Trotz seiner gehobenen Stellung wusste er, dass er keinerlei Anspruch hatte auf die Segnungen Israels, trotz seiner finanziellen Opfer, die er aus Liebe dargebracht hatte, um den HERRN, den wahren Gott, zu ehren, den er unter dem Volk Israel kennengelernt hatte.
Gibt es auch heute noch grossen Glauben?
Geliebte, sucht der Herr nicht auch heute noch Glauben an Ihn, wie Er es damals tat? Er sah voraus, dass ein materialistisches Zeitalter kommen würde, denn Er sagte: «Doch wird wohl der Sohn des Menschen, wenn er kommt, den Glauben finden auf der Erde?» (Lk 18,8). Wie oft findet Er im Schreiber und im Leser einen grossen Glauben, über den Er sich wegen seiner Seltenheit und Schönheit verwundern kann? Ach, wie wenig!
Wir sind oft so beschäftigt mit der Beschaffung der Notwendigkeiten des Lebens für morgen – Nahrung, Kleidung, und so weiter –, dass wir die liebende Fürsorge unseres Vaters vergessen und vom Herrn unter die «Kleingläubigen» eingereiht werden müssen (Mt 6,30; Lk 12,28). In den Stürmen des Lebens wenden wir uns wohl ängstlich zum Herrn, weil wir das «Wassergrab» fürchten; aber es ist ein «kleiner Glaube», der uns zum Herrn bringt; er genügt nicht, um uns ruhig und vertrauensvoll durch den Sturm hindurchzutragen (Mt 8,26). Unser Glaube mag uns auch auf den Wellen zum Herrn führen; aber wenn die Wellen ungestüm werden, beginnen wir zu sinken, weil unser Glaube so «klein» ist (Mt 14,31). Haben wir nur einen «kleinen Glauben», so zittern wir, wenn der Vorrat an Brot aufgebraucht ist, weil wir die Körbe mit den übriggebliebenen Brocken der vergangenen Tage vergessen, die von der göttlichen Fülle des Meisters geredet haben (Mt 16.8).
Möchte es denn unser Streben sein, dass unser «kleiner Glaube» in den Augen des Herrn «gross» werde. Möchten wir mehr unserer eigenen Unwürdigkeit bewusst werden und mehr der Würde und Grösse unseres Herrn. Paulus dankte Gott für jene, deren «Glaube überaus wuchs» (2. Thes 1,3). Unser Glaube wird in dem Mass wachsen, wie wir die Vortrefflichkeit des verherrlichten Herrn und auch unsere Bedeutungslosigkeit erkennen. Dann werden wir ohne Vorbehalt auf der Liebe Christi ruhen, dem alle Dinge möglich sind. So allein wird unser Glaube wachsen, bis ihn der Herr eines Tages «gross» nennen wird, wie den des römischen Hauptmanns.
Erprobter Glaube ist gestärkter Glaube. Es bedeutet, die eigene Schwachheit kennengelernt zu haben, aber auch Gottes Treue, seine zarte Fürsorge selbst im Senden von Schwierigkeiten, damit wir mit ihm durch sie hindurch gehen möchten.