«Als sie dies gesagt hatte, wandte sie sich zurück und sieht Jesus dastehen; und sie wusste nicht, dass es Jesus war. Jesus spricht zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du?» (Verse 14.15).
Maria richtet ihre Blicke nicht mehr auf die Gruft, den Aufenthaltsort der Toten; sie wendet sie zu den Lebenden zurück. Richten wir nicht oft unsere Blicke nach der Seite, wo der Tod ist, anstatt, wie Maria, auf den lebenden Christus, mit dem doch unsere Heimgegangenen jetzt vereint sind?
Jesus war in der Gruft gewesen, nun aber ist Er nicht mehr dort. Als Maria sich zurückwendet, sieht sie Ihn; doch meint sie immer noch, Er sei im Tod; sie erkennt Ihn nicht und meint, es sei der Gärtner. Ohne im Geringsten zu denken, dass es ein Herz geben könnte, das dem, was sie sucht, fremd gegenübersteht, sagt sie unvermittelt zu Ihm: «Wenn du ihn weggetragen hast, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast, und ich werde ihn holen.» Sie will den Leib ihres Herrn in keinen anderen Händen lassen. «Jesus spricht zu ihr: Maria! Sie wendet sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni! – das heisst Lehrer» (Vers 16).
Wenn Maria den Herrn suchte, so suchte anderseits auch der Herr, der gute Hirte, sein Schaf, wohl wissend, was sich in dessen Herz abspielte. Er war es ja, der diese brennende Zuneigung der Maria zu Ihm in ihr Herz gelegt hatte und Er wusste, dass niemand anders als Er selbst ihr Herz befriedigen konnte.
Wenn wir den Herrn suchen, wenn unsere Herzen in der Welt, die Ihn verworfen hat, nicht ohne Ihn sein können, so wird Er sich uns in seiner ganzen Liebe offenbaren. Es muss bei uns der Wunsch vorhanden sein, dass Er das Herz erfüllt. Manchmal wünschen wir das wohl, aber möchten dabei gleichzeitig noch andere Gegenstände festhalten. Wenn es so steht mit uns, dann ist unsere ohnehin geteilte Freude in Gefahr, ganz zu verschwinden. Bei Maria war es nicht so; ihr Herz gehörte völlig ihrem Herrn. Sobald sie den guten Hirten hört, wie Er sie beim Namen nennt, zuckt ihr Herz in freudigem Schreck zusammen. Sie antwortet: «Rabbuni». Der Herr war da, um ihr alles mitzuteilen, was sie nötig hatte!
«Jesus spricht zu ihr: Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott. Maria Magdalene kommt und verkündet den Jüngern, dass sie den Herrn gesehen und er dies zu ihr gesagt habe» (Verse 17.18).
In ihrer Freude wirft sie sich ihrem Herrn entgegen. Er aber unterbricht das Tun eines Herzens, das im Begriff war, mit Ihm auf dem alten jüdischen Boden wieder Beziehungen anzuknüpfen. Er spricht zu ihr: «Rühre mich nicht an.» Marias Erwartungen gingen nicht über die Hoffnungen Israels hinaus; sie sollten aber weit übertroffen und ihr Glaube auf den Himmel gelenkt werden, auf den Ort, wo ihr Herr nun bald sein würde. Er macht ihr klar, in welch ein neues Verhältnis seine Geliebten durch seinen Tod und seine Auferstehung eingeführt sind. Im Evangelium Matthäus sehen wir, wie die Frauen Jesu Füsse ergriffen, als sie Ihm begegneten; in jenem Evangelium nimmt der Herr nach seiner Auferstehung seinen Platz inmitten des jüdischen Überrestes wieder ein und verheisst diesem seine Gegenwart bis an das Ende des Zeitalters; das alles hängt mit dem Charakter jenes Evangeliums zusammen, das uns Jesus als Messias beschreibt.
Im Johannes-Evangelium dagegen ist alles beiseite gesetzt, was den natürlichen Menschen und die Juden betrifft; die Begegnung des Herrn mit seinem irdischen Volk wird bei seiner Wiederkunft stattfinden. Inzwischen werden die Jünger, statt Untertanen des Reiches des Sohnes Davids zu werden, in eine neue und himmlische Stellung versetzt und in eine Beziehung zu Gott eingeführt, die dem Verhältnis des Herrn zu seinem Gott und Vater entspricht.
Vor seinem Tod hatte der Herr von seinem Vater geredet, dessen Namen Er offenbart hatte. Aber niemals hatte Er irgendeinem der Seinen gesagt, Gott sei ihr Gott und ihr Vater; denn Gott konnte nicht mit dem Menschen in Adam in Verbindung sein. Das Werk der Erlösung musste vollbracht und damit das Gericht über den natürlichen Menschen vollstreckt werden. Um den Gläubigen in die gleiche Beziehung zu seinem Gott und Vater zu bringen, in der Er selbst stand, musste Christus auferstehen.
Bis dahin war der Herr der einzige Mensch, der in Naturbeziehung zu Gott gestanden hatte. Er hatte den Heiligen Geist empfangen, weil Er Sohn Gottes und gleichzeitig Mensch war. Dieser Mensch, dieses einzigartige Weizenkorn musste in die Erde fallen, um Frucht zu bringen: Es sollte nun Menschen geben, die Ihm ähnlich und in die gleiche Beziehung versetzt sind wie Er; sein Vater wird ihr Vater und sein Gott ihr Gott sein.
In Psalm 22,23 sagt Er nach seiner Befreiung von den Hörnern der Büffel: «Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern; inmitten der Versammlung will ich dich loben.» Das ist es, was der Herr sofort nach seiner Auferstehung vollführt. Maria hat das Vorrecht, diese Botschaft den Jüngern zu verkünden und sie davon in Kenntnis zu setzen, «dass sie den Herrn gesehen, und er dies zu ihr gesagt habe».
Hätten unsere Herzen ein grösseres Bedürfnis nach Gemeinschaft mit dem Herrn, so würde Er sich uns in vermehrtem Mass offenbaren, und wir hätten dann auch eine Botschaft von Ihm für andere. Dieses Teil war Maria beschieden als Ergebnis ihres Ausharrens auf der Suche nach ihrem Herrn. Möge Er uns allen schenken, Maria nachzuahmen; denn was wir in dieser Welt von Jesus empfangen, wird ewig unser persönliches Teil bleiben!