Was ist Wahrheit?
Vor Jahrhunderten schon hat Pilatus, der römische Richter, diese Frage in Gleichgültigkeit ausgesprochen. Soviel wir wissen, ist er nie zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt, obschon der vor ihm stand, der in sich selbst die Wahrheit ist und durch seine Worte die Wahrheit ans Licht brachte.
Es ist nicht einfach, den Begriff Wahrheit zu umschreiben. Wir verstehen ihn wohl am besten, wenn wir ihn der Lüge, der Unwahrhaftigkeit und dem Betrug gegenüberstellen. Der Herr Jesus stellte das Wort auch in Gegensatz zum «Bösen» (Joh 3,19-21). Satan kam mit einem Gemisch von Wahrheit und Lüge zu Eva. Sie und Adam fielen in seine Schlinge und wurden die Opfer des Teufels, der ein Lügner und der Vater der Lüge ist (Joh 8,44). Sie verloren dadurch die Einsicht in die Wahrheit.
Mit dem Kommen des Herrn Jesus wurde nicht allein Gnade offenbart, sondern auch Wahrheit (Joh 1,14.17). Er konnte von sich selbst bezeugen, dass Er die Wahrheit ist und dass seine Worte Wahrheit sind.
Wie erlangt man die Wahrheit?
Wir lesen in der Bibel, dass die Menschen auf die Wahrheit sehr verschieden reagierten, und auch heute noch ist es so. Tausende von Menschen sind dazu gelangt, das Wort der Wahrheit anzunehmen; sie sind dadurch befreit worden, haben ewiges Leben empfangen, freuen sich nun in der Wahrheit und haben die sichere Hoffnung auf die ewige Herrlichkeit. Andere schliessen ihr Herz davor zu, weisen ihre Botschaft ab und gehen ewig verloren, weil sie die Liebe zur Wahrheit, wodurch sie hätten errettet werden können, abgewiesen haben.
Der Zweck dieses Artikels ist der, den Ursachen dieses Widerstandes nachzuspüren und auch darzulegen, was die Wahrheit bedeutet für die, die dadurch zum Glauben kommen.
Ursachen des Widerstandes gegen die Wahrheit
1. Hass gegen das Licht der Wahrheit
Die durch den Herrn Jesus gebrachte Wahrheit ist ein alles durchdringendes Licht. Menschen, die in ihrem Leben das Böse verbergen, und damit nicht brechen wollen, hassen das Licht und bleiben lieber in der Finsternis. Dies führt zum Verwerfen der Wahrheit (Joh 3,19-21).
2. Ablehnung des Schöpfers
In Römer 1 spricht Paulus von Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen. Es geht hier nicht so sehr um die durch Christus offenbarte Wahrheit, sondern in erster Linie um die durch Gott in der Schöpfung allen Menschen kundgegebene Wahrheit. Sie sind dafür verantwortlich. Aber die Menschen haben die Wahrheit verwandelt oder durch Lügen ersetzt, um ihren eigenen Willen tun und nach ihren eigenen Begierden leben zu können. Sie lieben die Lüge mehr als die Wahrheit, und die Folgen davon sind in ihrer Abgötterei und in ihren unreinen Begierden zu Tage getreten.
3. Widerstand gegen die Wahrheit
In 2. Timotheus 3 weist Paulus auf die natürliche Feindschaft der Menschen hin gegen die von oben offenbarte Wahrheit. Als Beispiele nennt er Jannes und Jambres, die sich der Wahrheit bewusst entgegengestellt hatten und sagte voraus, dass in den letzten Tagen der Widerstand gegen die Wahrheit zunehmen werde. Die Menschen haben wohl noch eine Form der Gottseligkeit, verleugnen aber ihre Kraft. Sie widerstehen nicht nur für sich selbst der Wahrheit, sondern suchen auch andere abzuhalten, sie anzunehmen. Als Ermunterung für die Gläubigen kann Paulus hinzufügen, dass es diesen Menschen nicht besser gehen werde als jenen beiden in Ägypten. Die Menschen vermögen nun einmal nichts gegen die Wahrheit (2. Kor 13,8).
4. Verstrickung in die Sünde
Zum Schluss wird noch von einer bestimmten Gruppe von Menschen gesprochen, die nicht zur Erkenntnis der Wahrheit kommen können (2. Tim 3,7). Das sind solche, die in ihren Sünden verstrickt sind, die sie auf ihre Weise so geniessen, dass sie die Kraft nicht aufbringen, um damit zu brechen. Wir könnten dies eine Form von selbstverschuldeter Ohnmacht nennen. Sie haben sich diesen Zustand selbst zuzuschreiben.
Ohne zu behaupten, dass wir mit diesen vier Punkten die in der Schrift genannten Ursachen des Widerstandes gegen die Wahrheit erschöpft haben, wollen wir nun eine Anzahl Schriftstellen besprechen, die von bestimmten Gesichtspunkten der Wahrheit handeln und die wir darum unter verschiedene Abschnitte sammeln wollen.
Die Wahrheit kennen lernen
Unter Wahrheit verstehen wir das Wort der Wahrheit des Evangeliums, wie sie durch Christus offenbart und durch seine Apostel verkündigt worden ist. Es ist klar, dass keine einzige kirchliche Gemeinschaft oder Gruppe den ausschliesslichen Besitz der Wahrheit für sich beanspruchen kann. Es ist auch nicht so, dass, wie ich unlängst las, es nach Gottes Sinn sei, den verschiedenen Gemeinschaften nur gewisse Stücke der alles umfassenden Wahrheit anzuvertrauen, so dass also kein einziger Kreis alles erfassen könne. Das Wort des Herrn ist in seinem vollen Umfang die Wahrheit und ist für alle zugänglich und massgebend.
Wie kann ein Mensch die Wahrheit kennen lernen? Keineswegs mit seinem natürlichen Verstand. Das kann allein durch die Wirksamkeit des Geistes Gottes geschehen, den Er allen denen gibt, die an das vollbrachte Werk Jesu Christi glauben.
Nur der Heilige Geist, den der Herr Jesus den «Geist der Wahrheit» nennt, der bei ihnen und in ihnen bleiben wird (Joh 14,17), wird sie in die ganze Wahrheit leiten (Joh 16,13).
In 1. Timotheus 2,4 lesen wir, dass Gott will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Diese beiden Dinge gehören unbedingt zusammen, man kann nicht das eine besitzen ohne das andere. Um die Gewissheit der Errettung zu erlangen, muss man die Wahrheit kennen, weil nur sie allein frei macht. Und ohne errettet zu sein, kann man den Geist nicht besitzen, um in die Wahrheit geleitet zu werden. Diese Dinge sind wohl zu unterscheiden, aber nicht voneinander zu trennen. Die enge Verbindung zwischen «Evangelium» und «Wahrheit» ist auch aus Galater 2,5 und 14 ersichtlich; und in Kolosser 1,5 lesen wir den Ausdruck: «das Wort der Wahrheit des Evangeliums». In Titus 1,1 werden Glaube und Erkenntnis der Wahrheit wieder nacheinander genannt, während in Epheser 1,13 «das Evangelium eures Heils» als eine andere Umschreibung des «Wortes der Wahrheit» angeführt wird.
Die Wahrheit, die frei macht
Der Herr hat von sich selbst bezeugt, dass Er die Menschen frei machen könne, so dass sie wirklich frei seien (Joh 8,36), und dass die Wahrheit sie frei machen werde (Joh 8,32). Auch da wieder wird es deutlich, wie eng die Person und das Wort des Herrn miteinander verbunden sind und einander gleichgesetzt werden können: Ich bin «durchaus das, was ich auch zu euch rede» (Joh 8,25).
Die Juden wollten nicht einsehen, dass sie Sklaven der Sünde waren und Befreiung von dieser Knechtschaft nötig hatten. Sie verwarfen Ihn, der ihnen Freiheit anbot. Seinen Jüngern aber gab Er die Zusicherung, dass sie die Wahrheit verstehen würden und dass die Wahrheit sie frei machen werde. Welch ein Gegensatz!
Es ist ein grosses Vorrecht, wenn wir die Lehre der Befreiung verstanden und gelernt haben, uns der Freiheit der Kinder Gottes zu rühmen. So wollen wir denn in der Freiheit stehen und sie uns nicht rauben lassen. Aber lasst uns die Freiheit nicht zu einem Anlass für das Fleisch gebrauchen (Gal 5,1.13)!
Der Heiland hat gebetet, dass wir durch die Wahrheit geheiligt, d.h. abgesondert werden möchten.
Der Wahrheit gehorchen
Beim Vergleichen der Schriftstellen, die vom Gehorsam gegen die Wahrheit reden, erkennen wir auch wieder, dass «Evangelium» und «Wahrheit» als Synonyme (sinnverwandte Wörter) gebraucht werden. Es kommt für den Menschen darauf an, ihrem Inhalt entsprechend gehorsam zu werden. Dadurch wird er dann gereinigt und gerettet. In 1. Petrus 1,22 wird hierüber gesprochen und gesagt, dass sich als sichtbare Folge dieser Reinigung ungeheuchelte Bruderliebe zeigen müsse (siehe auch 2. Joh 1).
Die Folgen des Ungehorsams gegenüber der Wahrheit finden wir u.a. in Römer 2,8: «Denen aber, … die der Wahrheit ungehorsam sind, der Ungerechtigkeit aber gehorsam, Zorn und Grimm», sowie auch in 2. Thessalonicher 1,8.9: «Wenn er Vergeltung gibt denen, die Gott nicht kennen, und denen, die dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen; die Strafe erleiden werden, ewiges Verderben vom Angesicht des Herrn und von der Herrlichkeit seiner Stärke.»
Für die Gläubigen ist es sehr wichtig, von der Tatsache durchdrungen zu sein, dass wir nicht allein durch das Annehmen der Wahrheit errettet sind, sondern dass es auch nötig ist, im Gehorsam gegen die Wahrheit auszuharren.
Die Galater hatten dem Evangelium gehorcht und aufgrund dieses Gehorsams den Heiligen Geist empfangen. Dann aber waren verkehrte Lehrer gekommen, und sie waren geneigt, auf sie zu hören. Das musste zu Ungehorsam gegenüber der Wahrheit führen und zu allen Folgen, die daraus entstehen. Galater 5,7-10 ist in dieser Beziehung sehr wichtig. Montgomery1 soll in Tagen schwerer Niederlagen zu seinen Offizieren gesagt haben: Bedenken Sie, meine Herren, dass Befehle nicht erteilt werden, um diskutiert, sondern um befolgt zu werden.
Ach, unter uns kommt es nur allzu viel vor, dass das Wort der Wahrheit wohl ein Gegenstand von Diskussionen ist, aber der Gehorsam, die Verwirklichung der Wahrheit in der Praxis, bleibt im Rückstand. Nur im Gehorsam wird die Kraft offenbar, nicht im Reden von diesen Dingen.
- 1Bernard Law Montgomery, 1887-1976, britischer Heerführer im 1. und 2. Weltkrieg.