Erinnerung

2. Petrus 1,12-15

Deshalb will ich Sorge tragen, euch immer an diese Dinge zu erinnern, obwohl ihr sie wisst und in der gegenwärtigen Wahrheit befestigt seid. Ich halte es aber für recht, solange ich in dieser Hütte bin, euch durch Erinnerung aufzuwecken, da ich weiss, dass das Ablegen meiner Hütte bald geschieht, wie auch unser Herr Jesus Christus mir kundgetan hat. Ich will mich aber befleissigen, dass ihr auch zu jeder Zeit nach meinem Abschied imstande seid, euch diese Dinge ins Gedächtnis zu rufen (2. Petrus 1,12-15).

Sorge tragen, um zu erinnern

Die zitierten Verse zeigen, dass der Apostel Petrus ein guter Hirte der Herde Gottes war. Er führte den Auftrag aus, den der Herr ihm gegeben hatte. Es lag ihm am Herzen, für die Gläubigen Sorge zu tragen. Das beweist sein lebendiges Interesse an ihnen. Petrus war kein Hirte, der die Herde vernachlässigte und dem der geistliche Zustand der Gläubigen gleichgültig war. Er vergass die Schafe des guten Hirten nicht, sondern wollte sie durch Erinnerung aufwecken.

Wir lernen für uns, wie gross der Wert geistlicher Wiederholung und Erinnerung ist. Es geht Petrus in seinen Briefen nicht so sehr darum, etwas «Neues» zu schreiben, sondern zu erinnern. In der obigen Stelle geht es vor allem um «diese Dinge», d.h. um die acht Merkmale des praktischen Glaubenslebens, die er in den Versen 5-7 aufgezählt hat.

Erinnerung und Wiederholung sind wichtige biblische Prinzipien. Vom Heiligen Geist wird gesagt, dass eine seiner Aufgaben darin besteht, die Jünger an das zu erinnern, was der Herr Jesus gesagt hatte (Joh 14,26). Die Erinnerung erfolgt heute primär durch das Wort Gottes, wobei Gott durchaus auch Menschen benutzt, um das Wort reden zu lassen. Wie notwendig dies ist, erkennen wir z.B. bei den Hebräern, die ausdrücklich ermahnt wurden, weil sie etwas vergessen hatten (Heb 12,5).

Befestigt in der gegenwärtigen Wahrheit

Die Erinnerung war wichtig, obwohl Petrus den Briefempfängern ein doppeltes Zeugnis ausstellen konnte:

  1. Sie wussten um diese Dinge: Was Petrus ihnen schrieb, war ihnen nicht unbekannt oder fremd, sondern sie wussten es. Etwas zu wissen oder zu verstehen bedeutet nicht, dass man etwas nur ahnt oder vermutet, sondern dass man etwas wirklich kennt. Von den Korinthern lesen wir, dass sie einerseits viel «wussten», anderseits muss Paulus sie in seinem ersten Brief insgesamt zehnmal fragen: «Wisst ihr nicht?» Sie hatten die Wahrheit im Kopf, doch sie war ihnen nicht wirklich geläufig und hatte keinen Einfluss auf ihre Lebensführung. Diese Gefahr ist bis heute gross. Wir mögen viel wissen, doch die Frage ist, ob unser Leben davon geprägt wird.
  2. Sie waren in der gegenwärtigen Wahrheit befestigt: Die gegenwärtige Wahrheit ist die christliche Wahrheit. Befestigt zu sein bedeutet, einen festen Standpunkt und befestigte Herzen zu haben (vgl. 1. Thes 3,13; Jak 5,8). Der weitere Verlauf des zweiten Briefs von Petrus zeigt, dass es äusserst gefährlich ist, nicht in der Wahrheit befestigt zu sein. Kapitel 2,14 spricht von «unbefestigten Seelen», die durch verführerische Menschen angelockt werden. Kapitel 3,17 warnt davor, durch den Irrwahn frevlerischer Menschen fortgerissen zu werden und aus der eigenen Festigkeit zu fallen. Man muss die Wahrheit kennen, um vor dem Irrtum bewahrt zu bleiben. Dennoch müssen selbst befestigte Gläubige immer wieder erinnert werden.

Um als Christ wirklich zur Ehre Gottes zu leben, muss uns die christliche Wahrheit präsent sein. Wir müssen sie glauben und kennen und darin wachsen, vor allem aber muss sie in die Praxis umgesetzt werden. Deshalb ist die ständige Erinnerung wichtig, weil wir so vergesslich sind. Wir leben in einer Zeit, in der man gerne etwas «Neues» hört – sei es nun wahr oder nicht. Die Wahrheit Gottes ist jedoch nicht «neu». Es ist eine alte und zugleich zeitlose Wahrheit. Sie ist nicht verstaubt und trocken, sondern immer hochaktuell. Wenn man uns heute eine Wahrheit als «neu» anbietet, können wir ziemlich sicher sein, dass sie nicht von Gott kommt.

Für recht halten

Petrus war ein alter Mann und wusste, dass seine verbleibende Lebenszeit begrenzt war. Die «Hütte», von der er spricht, ist ein Symbol für den vergänglichen Körper des Menschen, der – so lange wir leben – unser «Wohnort» ist. Es ist eine vorübergehende Zeit und doch ist es die Zeit, in der wir für unseren Herrn arbeiten können. Jeder Diener Gottes hat eine bestimmte, abgemessene Zeit, und die wollte Petrus nutzen. Solange er noch lebte, hielt er es deshalb für richtig, die Gläubigen durch Erinnerung aufzuwecken.

Etwas «für recht halten» bedeutet, dass es gerecht und richtig ist, sich gerade so zu verhalten. Paulus wollte ein Gewissen ohne Anstoss haben, und zwar vor Gott und den Menschen (Apg 24,16). An diese beiden Seiten mag Petrus ebenfalls gedacht haben. Es war recht vor seinem Herrn, der ihm in Johannes 21 den Auftrag gegeben hatte, sich um die Herde zu kümmern. Es war ebenfalls recht vor den Glaubensgeschwistern, sie zu erinnern, denn sonst hätten sie geistlich Schaden erleiden können. Es war eine doppelte «Schuldigkeit», der Petrus nachkam, solange er noch lebte. Wir vergleichen uns nicht mit dem Apostel Petrus. Dennoch wollen wir von ihm lernen, dass es gut und richtig ist, andere zu erinnern. Es geht da vor allem um solche, an denen Gott uns eine Aufgabe gibt (z.B. an unseren Kindern, Freunden oder Glaubensgeschwistern).

Durch Erinnerung aufwecken

Petrus gibt jetzt einen konkreten Grund an, warum er die Gläubigen «erinnern» wollte. Sie sollten aufgeweckt werden. Dieses Wort beschreibt ein völliges (gründliches) Aufwecken oder Wachhalten. Sich zu erinnern hilft einerseits, etwas nicht zu vergessen. Sich zu erinnern schützt anderseits davor, nicht einzuschlafen. Wer aufgeweckt werden muss, ist entweder bereits eingeschlafen oder steht in Gefahr einzuschlafen. Die Briefempfänger damals waren ganz sicher keine schlafenden Christen. Doch die Gefahr, träge und schläfrig zu werden, ist jederzeit vorhanden. Petrus hatte das selbst erlebt. Sowohl auf dem Berg der Verklärung – angesichts der Herrlichkeit des Herrn Jesus – als auch in Gethsemane – angesichts der bevorstehenden Leiden des Herrn Jesus – waren er und die beiden anderen Jünger eingeschlafen. Gerade in einer Zeit, wo es um uns her immer dunkler wird, können wir im Blick auf die Wahrheit leicht schläfrig oder teilnahmslos werden. Wenn das der Fall ist, hat der Feind mit falscher Lehre ein leichtes Spiel. Deshalb müssen wir geistlich wach und aufmerksam sein.

Das Ablegen der Hütte

Petrus war noch in der «Hütte», doch er wusste, dass seine Zeit begrenzt war. Er spricht von seinem Tod, mit dem er bald konfrontiert werden würde. Tod bedeutet «Trennung». Er trennt den Körper des Menschen vom Geist und der Seele. Petrus war durch den Herrn selbst darüber informiert worden, dass er Gott durch einen Märtyrertod verherrlichen sollte (Joh 21,19). Es würde also ein gewaltsamer und plötzlicher Tod sein. Dennoch bezeichnet Petrus es als ein «Ablegen», wie Paulus es ein «Entkleiden» (2. Kor 5,4) nennt, so als ob man ein Kleidungsstück auszieht, das man getragen hat. Der Tod – selbst unter diesen Umständen – hatte offensichtlich für Petrus seinen Schrecken verloren. Er kannte die Worte von Paulus: «Wo ist, o Tod, dein Sieg? Wo ist, o Tod, dein Stachel?» (1. Kor 15,55). Der Tod würde ihn ins Paradies bringen. Doch davon spricht Petrus nicht. Er ist vielmehr mit denen beschäftigt, die er zurücklassen würde. Ihr Wohl lag ihm am Herzen. Deshalb wollte er in ihrem Interesse solange Fleiss anwenden und sie erinnern, wie er noch lebte.

Fleiss anwenden

Petrus fordert seine Briefempfänger mehrfach auf, ihrerseits fleissig zu sein (2. Pet 1,5.10; 3,14). Hier ist er selbst ein Vorbild und will sich befleissigen, d.h. eifrig bestrebt sein, sie zu erinnern. Als Hirte trug er Sorge für die Herde und bemühte sich um sie. Petrus lebte das vor, wozu er andere aufforderte. Ein guter Lehrer wird immer mit gutem Beispiel vorangehen und ein Vorbild im Verhalten und im Reden sein. Das gilt in der Versammlung Gottes ebenso wie in unseren Familien. Petrus dachte an seinen Abschied, und genau das liess ihn nicht müde werden, sondern motivierte ihn, bis zu diesem Tag für den Herrn zu arbeiten und sich um die Herde zu kümmern.

Petrus schreibt diese Worte als ein älterer und gereifter Mann. Weder das Alter noch die geistliche Reife sind ein Argument, im Fleiss nachzulassen. Abraham wurde selbst im hohen Alter dadurch gekennzeichnet, dass er «lief» (1. Mo 18,2.7). Kaleb sagte im hohen Alter: «Ich bin heute noch so stark wie an dem Tag, als Mose mich aussandte; wie meine Kraft damals, so ist meine Kraft jetzt zum Kampf und um aus- und einzuziehen» (Jos 14,11). Im Dienst für unseren Herrn gibt es keinen «Ruhestand». Wir wollen bis zum Ende – so wie es die Kraft erlaubt – fleissig sein und uns selbst und andere erinnern. Ausruhen können wir uns – wie jemand einmal treffend bemerkt hat – im Himmel.

Die Zeit nach dem Abschied

Petrus war sich bewusst, dass es eine Zeit «nach seinem Abschied» geben würde. Bei Paulus war es ähnlich (vgl. Apg 20,29). Beide wussten um die Gefahren für die Gläubigen. Doch es fällt auf, dass beide Apostel mit keinem Wort über eine – wie auch immer geartete – Nachfolge sprachen. Beide verwiesen vielmehr – obwohl in unterschiedlicher Art und Weise – auf die grosse Hilfsquelle der Gläubigen: das Wort Gottes. Paulus sagte: «Nun befehle ich euch Gott und dem Wort seiner Gnade an, das vermag, aufzuerbauen und das Erbe zu geben unter allen Geheiligten» (Apg 20,32). Petrus verweist ebenfalls auf das geschriebene Wort, das den Gläubigen als Erinnerung zur Verfügung stand (2. Pet 3,2). Das genügt uns bis zum Ende (vgl. 2. Tim 3,15-17). Die Grundlage für das christliche Leben findet sich in Gottes Wort. Ein alttestamentliches Beispiel ist Josua. In seiner beeindruckenden Abschiedsrede verweist er ebenfalls nicht auf einen möglichen Nachfolger, sondern erinnert das Volk an die Worte, die Gott zu ihnen gesprochen hatte und die im Gesetz niedergelegt waren (Jos 24).

Solange Petrus noch lebte, konnte und wollte er die Gläubigen erinnern. Zugleich lag es ihm am Herzen, ihnen die Verantwortung vorzustellen, die sie selbst hatten. Sie sollten imstande sein, sich selbst zu erinnern. Genau das ist heute unsere Verantwortung. Gott hat uns in seinem Wort alles gegeben, was wir «zum Leben und zur Gottseligkeit» nötig haben (2. Pet 1,3). Es liegt an uns, die Erinnerung daran wach zu halten, in der gegenwärtigen Wahrheit befestigt zu sein und das zu tun, was Gott von uns erwartet.