Gott wird häufig «der Gott Jakobs» genannt. Immer wieder finden wir Ihn in ganz besonderer Weise mit diesem Mann beschäftigt, um ihn dahin zu bringen, die bevorzugte Stellung, die Er ihm gegeben hatte, auch wirklich einzunehmen – hatte Er ihn doch vor seinem Bruder Esau zum Patriarchen seines Volkes erwählt. Er war ihm schon in Pniel begegnet, um ihn zu belehren, dass die notwendige Kraft in Gott lag und nicht in seiner unabhängigen, ränkevollen Natur. Und dann war Jakob nach Sukkot gekommen, wo er sich ein Haus baute und auf dem Glaubensweg stillzustehen schien, anstatt dem Ziel zuzustreben, wohin Gott ihn führen wollte (1. Mo 28,15).
Hier in Sukkot, wo Jakob in seinem eigenen Haus die Folgen seiner Untreue erkennen musste, kommt Gott und sagt zu ihm: «Mach dich auf, zieh hinauf nach Bethel und wohne dort, und mache dort einen Altar dem Gott, der dir erschienen ist, als du vor deinem Bruder Esau flohest» (1. Mo 35,1). Jakob sollte nicht nur an Bethel vorbeiziehen, nein, er sollte dort wohnen und einen Altar, das Symbol des Gottesdienstes, errichten.
Diese Aufforderung ist für uns Christen von vorbildlicher Bedeutung. Gott hat alles getan, was nötig ist, damit wir in seiner Gegenwart weilen und Ihm den Gottesdienst in der von Ihm gewünschten Weise darbringen können, da Er Anbeter sucht, die Ihn in Geist und Wahrheit anbeten. Das Werk von Christus hat uns in Gottes Gegenwart versetzt, hat uns ins Licht gebracht wie Er selbst im Licht ist. Am Tag unserer Bekehrung sind wir für ewig dort eingetreten. Leben wir nun im Bewusstsein dieser Gegenwart, so ist das Herz von Dankbarkeit erfüllt, und ein ununterbrochener Gottesdienst kann aus unseren Herzen zu Gott emporsteigen – nicht nur, wenn wir Ihm als Versammlung gemeinsam Anbetung darbringen, sondern ununterbrochen, wie geschrieben steht: «Durch Ihn nun lasst uns Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen» (Heb 13,15).
Im Genuss der Gegenwart Gottes verstehen wir die Unermesslichkeit seiner Liebe am besten. Wir vergessen dann uns selbst, um uns der wunderbaren Gnade zu erfreuen, deren Gegenstände wir sind. Wären unsere Herzen allezeit für diese Gnade Gottes empfänglich, so wäre unser ganzes Leben ein Dankopfer für seine grosse Liebe. So ermahnt uns ja der Apostel, «durch die Erbarmungen Gottes, unsere Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer» (Röm 12,1). Mit welcher Inbrunst würden wir auch bei unseren Zusammenkünften Gott Lob und Anbetung darbringen, wenn unsere Herzen gewohnheitsmässig mit Dank erfüllt wären gegen Den, der Urheber, Quelle und einzige Ursache unseres ewigen Glückes ist!
In den folgenden Versen (1. Mo 35,2-5) sehen wir, wie die von Gott gegebene Aufforderung bei Jakob das Verständnis für eine andere grosse und wichtige, aber bis dahin vernachlässigte oder ausser Acht gelassene Wahrheit bewirkte, eine Wahrheit, die ebenfalls für uns von Wichtigkeit ist. In Kapitel 32,24, als Gott mit Jakob rang, blieb er allein. Da handelte es sich um seine persönliche Erziehung vonseiten Gottes. Hier dagegen nehmen wir ein Verantwortungsgefühl seinem Haus gegenüber wahr, das, soweit es sich um das Zeugnis handelte, mit ihm in gleicher Stellung war, und das infolgedessen praktisch in einem Zustand hätte sein sollen, der einer solchen Stellung vor Gott entsprach. Ein Familienvater soll nicht allein in der Gegenwart Gottes wandeln; er befindet sich mit all den Seinen dort. Josua hatte diese Tatsache verstanden, als er sprach: «Ich aber und mein Haus, wir wollen dem HERRN dienen!» (Jos 24,15).
Ohne eine dahingehende Weisung empfangen zu haben, befiehlt Jakob ohne Zögern seinem Haus und allen, die bei ihm waren: «Tut die fremden Götter weg, die in eurer Mitte sind, und reinigt euch, und wechselt eure Kleidung; und wir wollen uns aufmachen und nach Bethel hinaufziehen, und ich werde dort einen Altar machen dem Gott, der mir geantwortet hat am Tag meiner Drangsal und mit mir gewesen ist auf dem Weg, den ich gegangen bin.» Mögen nun seine Kinder in dem Zustand gewesen sein, die Beweggründe ihres Vaters für diese Massnahme zu verstehen oder nicht, jedenfalls war es an ihnen, zu gehorchen, und Jakobs eigenes Verhalten musste der göttlichen Aufforderung entsprechend sein.
Wahrscheinlich hatte er es bis dahin versäumt, mit seinen Kindern über seine Beziehungen zu Gott zu reden, weil er sich ihrer eben selbst nicht so erfreute, wie es hätte sein sollen. Jetzt aber, nachdem Gott in seinem Herzen gewirkt hatte, vermochte er ihnen einiges darüber mitzuteilen, was dieser Gott für ihn auf seinem Weg gewesen war. Er kann ihnen zwar nicht sagen, dass er mit Gott gewandelt sei, wie Henoch und Abraham; aber er kann ihnen bezeugen, dass Gott auf seinem ganzen Weg über ihn gewacht habe.
All das lässt uns verstehen, wie wichtig es für einen Familienvater ist, seine Beziehungen zu Gott im praktischen Leben zu verwirklichen und in Unterordnung unter sein Wort zu wandeln. Denn nur so kann er seine Kinder in Gottesfurcht erziehen und durch sein eigenes Verhalten die Erkenntnis in ihnen wecken, dass Gott sie allezeit sieht. Leider versagen wir in dieser Hinsicht oft! Aber so traurig es ist, wenn dies geschieht, bleibt uns doch jederzeit die Möglichkeit, wie Jakob auf Gottes Aufforderung «Zieh hinauf nach Bethel!» zu hören und unseren Wohnsitz dort aufzuschlagen, indem wir zuallererst richten, was nicht in Gottes Gegenwart passt, um dann des Herrn würdig zu wandeln und Ihm in jeder Hinsicht wohlzugefallen. Auf diese Weise werden wir auch den Segen empfangen, der sich an den Gehorsam knüpft.
In der Familie des Patriarchen gab es fremde Götter. Sie sind ein Sinnbild all jener Dinge, die in unseren Herzen den Platz einnehmen, der Gott allein zukommt. Hier kann nur ein schonungsloses Gericht Abhilfe schaffen. Wer und was diese fremden Götter bei uns sind, darüber muss sich ein jeder selbst Rechenschaft geben. Das, was sozusagen alle Götzen in sich birgt, dem wir auch am leichtesten die Herrschaft über uns einräumen, ist unser Ich.
Nachdem Jakob gesagt hat: «Tut die fremden Götter weg, die in eurer Mitte sind», fährt er fort: «und reinigt euch, und wechselt eure Kleidung!» Zunächst mussten sie sich von allem Schmutz reinigen. Dann musste die ganze Veränderung, die in ihnen vorgegangen war, in ihrem Verhalten ans Licht treten: Die Kleidung musste gewechselt werden. Sie ist das Symbol des Bekenntnisses, d.h. dessen, was nach aussen hin in Erscheinung tritt und einem guten Seelenzustand entsprechen muss, wenn das Bekenntnis vor Gott nicht wertlos sein soll.
All die fremden Götter samt den Gegenständen, mit denen das Fleisch sich zu schmücken pflegt, wurden unter der Terebinthe in Sichem vergraben. An Ort und Stelle, noch auf dem der Welt gehörenden Gebiet, vergrub Jakob alle diese Dinge. Dann erst brachen sie auf. Und nun, als sie in dieser Weise ihren Gehorsam bewiesen hatten, liess Gott seinen Schrecken auf die Städte rings um sie her fallen, so dass niemand den Söhnen Jakobs nachjagte. Wenn wir Gott gehorsam sind, mit dem Wunsch, treu in seiner Gegenwart zu wandeln, werden wir Ihn zu unseren Gunsten handeln sehen, selbst bei solchen, denen wir Anlass gegeben haben, uns Böses zu tun.
Wie immer bei einem Wandel in Gehorsam, sehen wir auch hier Jakob Fortschritte machen. In Bethel angekommen, baute er einen Altar und gab dem Ort den Namen El-Bethel, auf Deutsch: Gott des Gotteshauses; denn hier hatte sich Gott ihm offenbart, als er vor seinem Bruder Esau floh. Wie viel Zeit und wie viele Segnungen würde er gewonnen haben, wenn er Gott vertraut hätte, als Er ihm zum ersten Mal an diesem Ort erschien! Aber der Gott, der ihm auf seinem Weg gefolgt war, brachte ihn in seiner Güte an diesen Ausgangspunkt zurück, und von nun an sollte er für Jakob der Beginn eines Wandels in Gemeinschaft mit Gott werden, bis zu dem Augenblick, wo er diese Welt für immer verliess.
Mit dem Fortschritt im Geniessen der göttlichen Gemeinschaft gibt es auch einen Fortschritt im Selbstgericht. Das lehrt uns der Tod und das Begräbnis der Amme Rebekkas. Es gilt nicht nur, grobe Dinge unter der Terebinthe bei Sichem zurückzulassen, es gibt auch mancherlei Gewohnheiten und Gepflogenheiten, vielleicht Folgen unserer Erziehung oder empfangener Unterweisung, die wir ablegen müssen, koste es was es wolle. Wir haben diese Dinge, bildlich gesprochen, unter der Eiche des Weinens (Allon Bakuth) zu begraben. Jakob war der Schüler seiner Mutter gewesen, mit der er lang im Zelt zusammengelebt hatte (1. Mo 25,27). Debora ihrerseits war die Amme Rebekkas gewesen. Beide Frauen waren aus dem Land Labans gekommen und hatten dessen Gewohnheiten mitgebracht. So haben auch wir vieles dergleichen abzulegen, damit unsere Gewohnheiten und unsere ganze Art, uns zu geben, nicht der Belehrung unserer Natur, sondern der des Wortes Gottes entspringen. Man versteht gut, dass es für Jakob schmerzlich war, mit allem zu brechen, was ihn an seine Mutter erinnerte. Aber so schmerzlich es auch sein mag, mit Dingen aufzuräumen, die mit Gottes Gegenwart unvereinbar sind, wir müssen sie verurteilen und begraben, müssen sie in dem Grab zurücklassen, in dem Christus alles zurückgelassen hat, was irgend unseren alten Menschen kennzeichnet.
In einem heiligen Wandel treten noch weitere Fortschritte zutage. Gott erschien Jakob wiederum und segnete ihn (V. 9-15). Er erneuert die Namensänderung, die Er bereits in Pniel vorgenommen hatte, denn jetzt kann Jakob diesen Namen in der vollen Erkenntnis seiner Bedeutung tragen: Israel = Kämpfer Gottes, statt Jakob = Überlister. So sollte auch unser Verhalten unserem Namen Christ entsprechen, einem Namen, der von Christus abgeleitet, nun an die Stelle unseres Namens in Adam getreten ist.
Weiter offenbart ihm Gott seinen eigenen Namen: «Ich bin Gott, der Allmächtige», eine Offenbarung, die er in Pniel noch nicht empfangen konnte, als er zu dem Engel sagte: «Tu doch deinen Namen kund!» Jetzt kennt er Gott, wie Abraham Ihn kannte (Kap. 17), Ihn, der allmächtig ist, um alle gegebenen Verheissungen zu ihrer Zeit zu erfüllen. Von nun an wird Jakob in den Fussstapfen Abrahams wandeln, bis sein Lauf endet.
Die Geschichte Jakobs ist ermunternd. Wir sehen in ihr die Güte und Treue Gottes einem der Seinen gegenüber, dem wir nur allzu sehr gleichen; denn wie oft haben wir Ursache, uns mit den Worten des 84. Psalms an Gott zu wenden: «Nimm zu Ohren, du Gott Jakobs!» – in dem Bewusstsein, dass Gott das, was Er für Jakob war, auch für uns sein will! Wir gehen zuweilen als Folge unserer Untreue durch schmerzliche, entmutigende Umstände. Aber anstatt es dann uns zu überlassen, uns mit ihnen herumzuschlagen, ruft Gott uns zu: «Zieh hinauf nach Bethel und wohne dort!» Das will sagen: Kehre zu mir zurück und geniesse meine Gegenwart! Wir werden dann vielleicht antworten, dazu seien wir nicht imstande. Aber das stimmt nicht. Nur müssen wir es wie Jakob machen: die falschen Götter wegtun, uns reinigen, das Böse verurteilen, oft auch aus weiter Ferne zurückkehren, um von neuem die Gemeinschaft mit Gott zu geniessen. So werden wir nicht nur immer mehr und besser erkennen, was wir sind, was die Gnade aus uns gemacht hat, sondern auch, was Er für uns ist, nicht nur als der allmächtige Gott, sondern auch als unser Vater.
Nur zu oft kommt es leider vor, dass wir, anstatt nach Bethel hinaufzuziehen und alles zu richten, was es in uns selbst und in unseren Häusern zu verurteilen gibt, lieber abseits stehen bleiben, ohne Freude, ohne Frieden, in Gefahr, uns noch weiter von dem Segensweg zu entfernen. Auch in einem solchen Fall redet Jakobs Geschichte eindringlich zu uns. Was wäre aus diesem Mann geworden, wenn in den traurigen Umständen, in die seine eigene und seiner Söhne Schuld ihn bei Sichem gebracht hatte, Gott nicht an ihn herangetreten wäre und ihm gesagt hätte: «Zieh hinauf nach Bethel und wohne dort!»? So tritt der treue Gott auch immer wieder an uns heran. Möchten wir auf seine Stimme hören, sooft Er uns zuruft: «Zieh hinauf nach Bethel und wohne dort!»