Dieses Kapitel behandelt das grosse Opfer, das einmal im Jahr für das Volk Israel dargebracht wurde. Es ist ein Bild des Sühnungswerks, das Christus ein für alle Mal vollbracht hat (Heb 9,11-14). Die Gegenwart Gottes war bei der Darbringung der Opfer unabdingbar. Ohne diese Gegenwart konnte es für das Volk keine Gemeinschaft geben.
Wenn der Hohepriester ins Allerheiligste ging, trat er allein vor Gott hin. Er begann seinen Dienst damit, für sich und für seine Familie Sühnung zu tun. Anschliessend tat er Sühnung für das Volk. Aaron und seine Söhne stellen immer die Versammlung dar, nicht unter dem Aspekt des einen Leibes, sondern als priesterliche Familie. Im Weiteren haben wir hier Jesus Christus vorgebildet, wie Er am Kreuz vor Gott für sein irdisches Volk eingestanden ist. Er befindet sich immer noch in der Gegenwart Gottes, denn Er ist noch nicht aus dem Heiligtum herausgetreten, um Israel die Zusicherung zu geben, dass sein Opfer angenommen worden ist. Wir, die wir geglaubt haben, haben zuvor auf Christus gehofft (Eph 1,12). Die Juden werden erst glauben, wenn sie sehen werden. Wir glauben, ohne gesehen zu haben. Darin besteht der Segen der Versammlung. Sie hat jetzt schon teil an den Verheissungen und der Berufung Gottes und an der ganzen Wirksamkeit des Opfers.
Es gab zwei Böcke, einen für den HERRN und einen für Asasel. Der erste wurde geschlachtet, um sein Blut dem HERRN darzubringen – ein Bild vom Blut des Herrn Jesus, das vor Gott Sühnung getan hat. Der zweite Bock wurde mit den Übertretungen des Volkes beladen und lebend in die Wüste fortgeschickt.
Damit Gott völlig verherrlicht wurde und nun in Liebe den Sündern begegnen kann, musste mit dem Blut eines Opfers vor Ihm Sühnung getan werden. Wenn Gott die Sünde tolerieren würde, wäre das nicht Liebe zum Sünder, sondern eine Gleichgültigkeit im Blick auf das Böse. Das würde seinen Charakter verunehren. Es wäre die Liebe Gottes, wie die Ungläubigen sie verstehen. Wer jedoch geistliches Verständnis hat, begreift, dass Gott das Böse in seiner Gegenwart nicht dulden kann. Es geziemte Ihm, den Urheber unserer Errettung durch Leiden vollkommen zu machen. Der Sohn des Menschen musste erhöht werden. Das Wesen Gottes musste völlig verherrlicht und unsere Sünden vollständig von uns entfernt werden, damit wir ewige Gemeinschaft mit Gott haben können.
Seit das Blut zur Sühnung dargebracht worden ist, kann die Liebe vom Thron Gottes frei ausfliessen und den Sündern Gnade verkündigt werden. Das ist die Bedeutung des ersten Bockes.
Die Tatsache, dass alle unsere Sünden auf den Erlöser gelegt worden sind und Er sie vor Gott bekannt hat, bringt unser Gewissen im Blick auf unsere Sünden zur Ruhe. Das ist die Bedeutung des zweiten Bockes. Christus ist das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt.
Wir finden in diesem Kapitel drei grosse Tatsachen, die wir noch etwas eingehender betrachten möchten:
1) Die Darbringung des Blutes vor Gott
Jesus Christus ist in den Himmel eingetreten, in das Allerheiligste, wo Gott ein unzugängliches Licht bewohnt. Der Weg in die Gegenwart Gottes war noch nicht offenbart worden – solange die erste Hütte bestand. Dieser Weg ist heute bekannt: Der Vorhang ist zerrissen und wir betrachten die Herrlichkeit Gottes mit aufgedecktem Angesicht. Dadurch wird ein grosser Kontrast zwischen den Juden und uns geschaffen. Die Juden konnten gemäss ihrer Erkenntnis Dinge tun, die für uns grosse Sünden wären. Was unsere Beziehung zu Gott betrifft, so sind wir in seine unmittelbare Gegenwart versetzt worden, ohne trennenden Vorhang. Es gibt nichts Trennendes mehr zwischen Gott und uns. Da der Vorhang zerrissen ist, stehen Gott in seiner Heiligkeit und die Welt in ihrer ganzen Sündhaftigkeit einander unmittelbar gegenüber. Wie kann es da sein, dass Gott die Welt nicht vernichtet? Weil Jesus Christus die Sünde auf sich genommen und vor dem Angesicht Gottes weggetan hat.
Alle Mittel, die Gott bis zum Tod des Erlösers eingesetzt hatte, erfüllten ihren Zweck nicht. Das war das Ergebnis der Erprobung, die Gott mit dem Menschen während 4000 Jahren gemacht hatte. Dann zeigte sich die Gnade, d.h. das Handeln Gottes in Liebe zum verurteilten Sünder. Sie offenbart sich heute noch, denn jetzt ist die wohlangenehme Zeit und der Tag des Heils. Zugleich steht die Welt unter dem Gerichtsurteil, das bis heute noch nicht ausgeführt worden ist. Das ist die gegenwärtige Heilszeit. Das Blut des Herrn Jesus, das Er Gott dargebracht hat, ermöglicht es dem heiligen Gott, den Sündern gegenüber in Liebe zu handeln. Dieses Blut ist der Weg der Liebe Gottes.
Bei Gott gibt es keine Inkonsequenz, denn sonst könnten wir nicht in Ihm ruhen. Das Blut ist nicht auf uns, es ist vor den Augen Gottes. Es wurde auf den Thron Gottes gesprengt, der dadurch zum Thron der Gnade geworden ist. Wenn ich das ewige Leben besitze, sehe ich, wie kostbar dieses Blut ist. Es ist jedoch nicht das Mass meiner Gedanken und Empfindungen, das mir Sicherheit verleiht. Aus Glauben verstehe ich die Gedanken Gottes und weiss, dass Er den wahren Wert des Blutes richtig einschätzt.
Gott blickt immer mit den gleichen Augen auf das Blut. Er erklärt: «Sehe ich das Blut, so werde ich an euch vorübergehen.» Das ist die Gewissheit des Glaubens und unsere Sicherheit. Nichts hat den Abscheu Gottes gegen die Sünde so deutlich gemacht wie die Erlösung. Um sicher zu sein, dass ich immer in Gottes Gegenwart treten darf und meine Beziehung zu Ihm völlig geordnet ist, muss ich nur auf das Blut Christi blicken, das Gott angenommen hat. Gott hat diese Sühnung angenommen und als vollgültig erklärt. Darum gibt es zwischen Gott und mir als Glaubendem keine Frage der Sünde mehr.
Wenn ich auf mich schaue, so habe ich notwendigerweise ein Bewusstsein von Sünden. Wenn ich aber auf Gott blicke, so bin ich mir keiner Sünde bewusst, denn ich darf wissen, dass das Blut des Erlösers vor Gott ist. Wäre die Sünde nicht vollständig gesühnt, so hätte das Blut keinen Wert. Das Blut Jesu Christi ist Gottes Antwort auf jede Anklage Satans gegen mich. So fallen diese Beschuldigungen dahin. Das ist eine Quelle beständigen Friedens für mich.
Es gibt eine vollkommene Ausdrucksweise der Liebe Gottes zu uns: Gott hat uns geliebt, als wir noch in unseren Sünden waren. Anstatt uns wegen unserer Übertretungen, mit denen wir Ihn ermüdet haben, zu beseitigen, hat Er unsere Sünden durch das Opfer des Herrn Jesus weggetan. So sehr hat Gott uns geliebt, dass Er seinen Sohn gegeben hat. Am Kreuz hat Er seine Liebe offenbart: Er hat seinen Sohn nicht verschont, sondern Ihn für uns hingegeben. Das Wertvollste, was der Himmel besitzt, hat Er für uns geopfert. Das Kreuz lehrt und offenbart uns die Liebe Gottes und die Sühnung für den Menschen. Das Gewissen erwacht angesichts des Kreuzes, findet aber in Christus vollkommene Ruhe.
2) Die Reinigung des Heiligtums durch das Blut
Die damalige Reinigung des Heiligtums stellt die Reinigung der ganzen Schöpfung in ihrer Beziehung zu Gott dar. Christus hat in dieser Welt gelitten. Damit Er in der Zukunft sein Erbe antreten kann, muss dieses zuerst gereinigt werden, denn die Sünde hat alles beschmutzt. Es braucht eine Versöhnung aller Dinge durch das Blut Christi, wie es der Apostel erklärt: «Es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in ihm zu wohnen und durch ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen – indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes –, durch ihn, es seien die Dinge auf der Erde oder die Dinge in den Himmeln» (Kol 1,19.20). Davon spricht die Reinigung des Heiligtums am grossen Sühnungstag.
3) Das Bekenntnis der Sünden des Volkes
Der Bock Asasel zeigt Christus, der unsere Stelle eingenommen hat, als ob Er unsere Sünden getan hätte. Sie wurden alle auf Ihn gelegt und Er hat sie vor Gott bekannt, denn Er war zugleich Opfer und Hoherpriester. Es ist eine grosse Erleichterung für uns zu wissen, dass alle unsere Sünden bereits vor Gott bekannt worden sind. Das veranlasst uns, sie zu bekennen. Wenn wir befürchten müssten, dabei verurteilt zu werden, wäre es uns nicht möglich, dieses Bekenntnis abzulegen. Doch Christus hat alle unsere Sünden auf sich genommen und die Strafe dafür getragen. Weil Gottes Zorn bereits auf Ihn gefallen ist, können wir unsere Sünden bekennen, ohne befürchten zu müssen, dafür verurteilt zu werden. Dieses Bekenntnis entfernt den Trug aus dem Herzen (Ps 32,2).
Ich weiss, dass ich auf ewig errettet bin, sonst wäre Christus umsonst gestorben. Gott wäre ungerecht, wenn Er mir meine Sünden zurechnen würde, da Christus bereits die Strafe dafür auf sich genommen hat. Sie sind alle auf den Bock Asasel gelegt worden. Vom gerechten Knecht Gottes heisst es: «Ihre Ungerechtigkeiten wird er auf sich laden» (Jes 53,11). Es ist unmöglich, diese Liebe des Erlösers zu ergründen. Er war so heilig, dass das Gewicht unserer Sünden umso schwerer auf Ihm lastete. Sein Wissen um die Heiligkeit Gottes rief in Ihm einen desto grösseren Abscheu vor der Sünde hervor. Er erkannte, wie gross die Liebe Gottes ist, darum litt Er umso mehr unter seinem Zorn.
Meine Sünden sind mit dem Bock Asasel in ein ödes Land gebracht worden. Sie sind im Grab des Herrn Jesus geblieben. Im gleichen Moment, als der Vorhang zerrissen wurde, sind auch alle meine Sünden vor dem Angesicht Gottes entfernt worden.