Ein zentrales Thema im ersten Brief des Apostels Paulus an Timotheus ist das Haus Gottes und wie der Gläubige sich darin verhalten soll. Paulus schreibt in 1. Timotheus 3,15: «Damit du weisst, wie man sich verhalten soll im Haus Gottes, das die Versammlung des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit.»
Das Wohnen Gottes in seinem Haus
Die Versammlung wird im Neuen Testament nicht nur mit einem Leib und einer Braut, sondern auch mit einem Haus verglichen. Das Kennzeichnende eines Hauses ist, dass man darin wohnt. So ist der Hauptgedanke, der sich mit dem Haus Gottes verbindet, das Wohnen Gottes in der Mitte seines Volkes. Das war schon im Alten Testament so. Im Neuen Testament ist es nicht anders. Im Alten Testament war der Wohnort Gottes ein materielles Haus (die Stiftshütte, der Tempel). Im Neuen Testament ist es ein geistliches Haus (die Versammlung Gottes). Sie besteht aus allen Menschen, die in der Zeit der Gnade das Evangelium des Heils im Glauben annehmen und mit dem Heiligen Geist versiegelt sind.
Das Wohnen Gottes hat zwei wichtige Seiten:
1) Gott offenbart sich in seinem Haus
Da, wo jemand wohnt, gibt er etwas von sich zu erkennen. So erfahren wir im Haus Gottes etwas über seine Herrlichkeit. Das ist eines der wesentlichen Kennzeichen seines Hauses. «In seinem Tempel spricht alles: Herrlichkeit!» (Ps 29,9). Wir lernen im Haus Gottes, wer Gott ist, nämlich Licht und Liebe. Wäre Er nur Licht, würden wir sofort verzehrt werden. Deshalb offenbart Gott seine Herrlichkeit in Gnade und Barmherzigkeit.
Ein weiteres Kennzeichen dieses Hauses ist Heiligkeit, denn Gott ist heilig. Deshalb verbindet sich das Wohnen Gottes in seinem Haus mit der Aufforderung zur praktischen Heiligkeit. Jeder, der sich im Haus Gottes bewegt, muss der Heiligkeit dieses Hauses entsprechen. «Deinem Haus geziemt Heiligkeit, HERR, auf immerdar» (Ps 93,5). Das weist direkt auf unser tägliches Verhalten hin.
Beide Elemente – Herrlichkeit und Heiligkeit – werden in 3. Mose 10,3 miteinander verbunden. Dort sagt Gott in einem sehr ernsten Augenblick zu Aaron: «In denen, die mir nahen, will ich geheiligt, und vor dem ganzen Volk will ich verherrlicht werden.»
2) Gott fordert Menschen auf, Ihm zu nahen
Im Haus Gottes können die Gläubigen als Priester hinzutreten, um Gott anzubeten. Er möchte, dass sie Ihm mit Lob, Dank und Anbetung nahen. Das war schon im Alten Testament so, wo es jedoch eine besondere Priesterklasse gab, die Opfer darbrachte. Im Neuen Testament sehen wir, dass alle Erlösten Priester sind. Sie können Gott in seinem Haus freimütig nahen und Ihn anbeten.
Petrus denkt auch an diese beiden Seiten, wenn er von der heiligen und der königlichen Priesterschaft spricht (1. Pet 2,5.9). Die heilige Priesterschaft zeigt uns, dass wir als Gläubige Gott nahen, um Ihn anzubeten. Die königliche Priesterschaft stellt unsere Aufgabe dar, den Menschen gegenüber Zeugen zu sein. In Übereinstimmung damit finden wir Gott im ersten Brief an Timotheus und im Brief an Titus mehrfach als Heiland-Gott vorgestellt, der die Menschen zu sich ziehen möchte.
Unser tägliches Verhalten im Haus Gottes soll somit eine Einladung an die Menschen sein, Gott kennen zu lernen.
Das Haus Gottes – drei verschiedene Blickwinkel
Als der Herr Jesus selbst zum ersten Mal von der Versammlung sprach, erklärte Er, dass Er seine Versammlung bauen würde (Mt 16,18). Paulus spricht an mehreren Stellen vom Haus Gottes. Petrus erwähnt es auch, und Johannes nennt es am Ende der Offenbarung «die Hütte Gottes» (Off 21,3).
Dennoch hat der Ausdruck «Haus Gottes» nicht an allen Stellen die gleiche Bedeutung. Ich möchte gerne drei Blickwinkel zeigen, die wir – ohne sie zu trennen – doch unterscheiden müssen.
1) Die Gläubigen bilden das Haus Gottes
Die Erlösten sind lebendige Steine, die in das Haus eingefügt werden. Als der Herr Jesus vom Bauen seiner Versammlung sprach, hatte Er diesen Aspekt vor Augen. Petrus greift diesen Gedanken in seinem ersten Brief auf, wenn er die Gläubigen als ein geistliches Haus beschreibt (1. Pet 2,5). Unter diesem Blickwinkel betrachtet, wird das Haus Gottes vom Herrn gebaut und besteht aus allen Erlösten der Gnadenzeit.
2) Die Gläubigen bauen am Haus Gottes
Das spricht unsere Verantwortung an. Es ist einerseits unsere Aufgabe, durch das Evangelium Menschen herbeizubringen, damit sie Teil des Hauses Gottes werden. Anderseits umfasst unser Bauen an diesem Haus auch die Unterweisung derer, die dieses Haus bilden. Von unserer Verantwortung beim Bauen spricht besonders der Apostel Paulus in 1. Korinther 3,9-14. Gleichzeitig sollen wir die Grundsätze des Hauses Gottes praktisch verwirklichen, wenn wir als Versammlung zusammenkommen. Auch dafür sind wir verantwortlich.
3) Die Gläubigen leben im Haus Gottes
Dieser Punkt bringt uns zu unserem Verhalten. Es wird uns gezeigt, dass wir uns ständig im Haus Gottes bewegen. Wir bilden nicht nur das Haus Gottes, wir bauen nicht nur am Haus Gottes, sondern wir leben auch im Haus Gottes. Erneut wird unsere Verantwortung angesprochen. Dieses Haus ist Gottes Haus. Es gehört Ihm. Er ist der Hausherr. Somit kann Er die Regeln festlegen, nach denen wir uns darin verhalten sollen. Das Verhalten im Haus Gottes steht nicht in unserem Belieben. Es muss vielmehr der Heiligkeit und der Würde Gottes entsprechen, dem es gehört. Es gibt in diesem Haus eine «Hausordnung». Diese Ordnung gilt es einzuhalten.
Das Verhalten im Haus Gottes
Weiter Anwendungsbereich
Erstens sollte uns klar sein, dass es nicht einfach um das Verhalten in einem materiellen Gebäude geht. In vielen Religionen wird den so genannten «Gotteshäusern» eine grosse Bedeutung beigemessen. Oft gibt es klare Regeln, die man beim Betreten dieser Häuser beachten muss. Darum geht es hier sicher nicht. Die Räume, in denen sich die Gläubigen versammeln, sind keine «heiligen Stätten», sondern ganz gewöhnliche Räumlichkeiten. Es sollte selbstverständlich sein, dass wir uns in den Zusammenkünften als Versammlung angemessen kleiden und benehmen, denn wir sind dann in der Gegenwart des Herrn. Doch das Verhalten im Haus Gottes beschränkt sich nicht auf die Zeit, in der wir im Namen des Herrn versammelt sind.
Zweitens wollen wir bedenken, dass die Anordnungen im ersten Brief an Timotheus über das Zusammenkommen der örtlichen Versammlung hinausgehen. Der Rahmen ist weiter gefasst. Der erste Korinther-Brief zeigt uns mehr die innere Ordnung im Haus Gottes. Einige Passagen beziehen sich ausdrücklich auf das Zusammenkommen als Versammlung (z.B. in 1. Korinther 10, 11 und 14). Das ist im ersten Brief an Timotheus anders. Dort finden wir mehr die äussere Ordnung im Haus Gottes vorgestellt. Unter diesem Blickwinkel betrachtet, sind wir immer im Haus Gottes. Mit Recht ist gesagt worden, dass sich der Gläubige 24 Stunden am Tag im Haus Gottes befindet. Dementsprechend soll unser Verhalten sein.
Beachtenswerte Punkte
- Es ist wichtig zu sehen, dass die Aufforderung, uns im Haus Gottes angemessen zu verhalten, ganz praktisch zu verstehen ist. Der erste Brief an Timotheus ist kein typischer Lehrbrief, sondern ein praktischer Brief. Die Art und Weise, wie wir uns als Christen benehmen, spielt eine grosse Rolle. Es gibt Gläubige, die legen Wert auf die innere Glaubensbeziehung, die wir als Christen zu unserem Gott haben. Sie haben recht. Es gibt andere Gläubige, die betonen das praktische Verhalten des Christen im Alltag. Sie haben ebenfalls recht.
Beide Aspekte gehören untrennbar zusammen. Sie widersprechen sich nicht. Sie ergänzen einander. Gefährlich wird es dann, wenn wir den einen Aspekt gegen den anderen ausspielen. Die innere Glaubensbeziehung – das verborgene Leben des Christen mit Gott – muss intakt sein, sonst ist das, was nach aussen hin sichtbar wird, nicht echt. Wenn allerdings die innere Glaubensverbindung äusserlich nicht sichtbar wird, stimmt auch etwas nicht. Beide Seiten sind wichtig. - Das Verhalten im Haus Gottes ist zunächst eine überwiegend persönliche Sache. Das macht die persönliche Ausdrucksweise deutlich. Immer wieder gebraucht Paulus die Worte «du», «dich» und «dir». Doch es geht nicht nur um Timotheus. Im Leitvers (1. Tim 3,15) ist die Ansprache zwar zunächst an Timotheus gerichtet: «... damit du weisst».
Doch dann weitet sich der Gesichtskreis. Paulus schreibt nicht: «... wie du dich verhalten sollst», sondern er sagt: «... wie man sich verhalten soll». Das schliesst jeden Leser des Briefs ein. Die Grundsätze über das Verhalten im Haus Gottes ändern sich nicht. Sie gelten heute, wie sie damals verbindlich waren. Sie sind für jeden von uns persönlich gültig. Sie zu beachten, ist zunächst eine individuelle Verantwortung. Wir sollten nicht zuerst von unseren Mitgeschwistern erwarten, dass sie dieser Aufforderung nachkommen. Wir müssen als Erstes an uns selbst denken. - Dennoch ist der gemeinschaftliche und öffentliche Gedanke unbedingt vorhanden. Wir werden zwar persönlich angesprochen, allerdings nicht in unserem Charakter als Kinder Gottes. Kindschaft ist eine persönliche Segnung, die mit einer persönlichen Verantwortung verbunden ist. Wenn es jedoch um das Haus Gottes geht, ist der kollektive und öffentliche Aspekt nicht zu übersehen. Wir sind nicht allein in diesem Haus.
Das hilft uns, den ersten Timotheus-Brief besser zu verstehen. Er gibt uns persönliche Hinweise für das gemeinschaftliche Leben im Haus Gottes. Über die Zusammenkünfte hinaus haben wir bei vielen Gelegenheiten mit unseren Glaubensgeschwistern zu tun und sind mit ihnen zusammen. Welchen Einfluss hat mein persönliches Verhalten auf meine Geschwister, mit denen ich mich treffe? Das ist eine der Fragen, um die es bei unserem Verhalten im Haus Gottes geht. Es handelt sich in diesem Brief nicht so sehr um das «Privatleben» des Christen, sondern mehr um das, was «öffentlich» ist. - Die Aufforderung, uns im Haus Gottes angemessen zu verhalten, wird uns nicht ohne Grund gegeben. Unser Verhalten im Haus Gottes hat ein doppeltes Ziel. Erstens möchte Gott durch unser Verhalten verherrlicht werden. Es ist sein Haus. Er sieht uns. Er möchte durch unser Verhalten geehrt werden und Freude an uns haben. Dazu hat Er ein Recht.
Zweitens hat Gott uns zu einem Zeugnis für die Welt zurückgelassen. Die Versammlung ist der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit. Gerade der erste Brief an Timotheus spricht von der Wahrheit, dass Gott ein Heiland-Gott ist, der will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Woran können die Menschen das erkennen? An unserem Verhalten! Sie beobachten uns. Sie sehen uns. Sie hören uns. Sie registrieren, wie wir uns im täglichen Leben benehmen. Sehen sie darin etwas von unserem Heiland-Gott?
Das grosse Haus
Obwohl der zweite Brief an Timotheus nicht mehr direkt über das «Haus Gottes» spricht, wird das Thema des Hauses und unseres Verhaltens dennoch fortgesetzt. Allerdings ist der Blickwinkel anders. In Kapitel 2,20 benutzt Paulus die Illustration eines «grossen Hauses», um zu zeigen, wohin sich die bekennende Christenheit entwickeln wird – und entwickelt hat. In diesem Haus gibt es unterschiedliche Gefässe (Menschen). Sie werden nach ihrem Material (Gold, Silber, Holz, Ton) und nach ihrer Brauchbarkeit (zur Ehre, zur Unehre) unterschieden. So gibt es heute in der Christenheit echte Christen (Gold, Silber) und solche, die kein Leben aus Gott haben (Holz, Ton). Der Herr allein kann in jedem Fall wahre Gläubige von blossen Bekennern unterscheiden (2. Tim 2,19). Für jeden von uns stellt sich jedoch die Frage, ob wir zur Ehre oder zur Unehre des Hausherrn leben. Voraussetzung für ein Verhalten zur Ehre Gottes ist, von der Ungerechtigkeit abzustehen und sich von denen zu trennen, die zur Unehre des Herrn leben (2. Tim 2,19-21).
Der zweite Brief an Timotheus zeigt uns, wie wir uns gerade in den letzten Tagen des christlichen Bekenntnisses verhalten sollen. Gott hat immer einen Weg für diejenigen, die treu zu Ihm stehen und den Glauben, d.h. die biblische Wahrheit oder das Glaubensgut, nicht aufgeben wollen. Dieser Weg wird uns im zweiten Brief gezeigt.
Nach dem Ratschluss Gottes besteht die Versammlung aus lebendigen Steinen. Christus baut diese Versammlung, und die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen (Mt 16,18). Diese Sichtweise Gottes finden wir im Neuen Testament mehrfach vorgestellt. Es ist gut, wenn wir dies für uns im Auge behalten. Die Versammlung ist und bleibt Gottes Haus. Allerdings ist es ebenso wahr, dass Gott uns gleichzeitig wiederholt die Seite unserer Verantwortung vor Augen führt und die Folgen vom Versagen aufzeigt. Wir waren nicht wachsam genug. Wir haben es an Hingabe und Treue fehlen lassen. Deshalb ist – unter dem Blickwinkel der Verantwortung von uns Menschen – vieles ins christliche Zeugnis hineingekommen, was nicht hineingehört. Die Christenheit gleicht einem grossen Haus, in dem es neben echten Gläubigen andere Menschen gibt, die zwar ein christliches Bekenntnis haben, jedoch kein Leben aus Gott besitzen. Zudem ist lehrmässig viel Verkehrtes eingedrungen. Das ist der Zustand der Christenheit, wie wir ihn heute vorfinden.
In dieser Situation stellt sich für jeden, der seinem Herrn treu folgen möchte, die Frage, wie er sich persönlich verhalten soll. Was ist der Wille und der Weg des Herrn für uns? Bei der Beantwortung dieser Frage hilft uns der zweite Timotheus-Brief. Wir lernen, wie wir uns als Menschen Gottes in dieser schweren Zeit richtig verhalten können. Dazu gehört, dass wir die Wahrheit kennen, schätzen und festhalten, was auch die praktische Umsetzung einschliesst. Wir müssen die christliche Wahrheit hochhalten und gleichzeitig nicht nachlassen, das Evangelium zu verbreiten. Wir erkennen beim Lesen des ganzen Briefs, wie dem Apostel Paulus gerade diese beiden Seiten besonders am Herzen lagen. Wiederholt forderte er Timotheus dazu auf.
Wie wichtig ist es für jeden von neuem geborenen Christen, dass er weiss, wie man sich im Haus Gottes verhalten soll! Dieses Wissen darf keine graue Theorie sein, sondern soll sich täglich in einem Verhalten zeigen, das Gott ehrt und von Ihm zeugt.