Maria und Martha waren zwei leibliche Schwestern aus Bethanien und sind vielen Bibellesern gut bekannt. Sie werden in den Evangelien einige Male zusammen genannt (Lk 10; Joh 11; Joh 12). Insgesamt bekommen wir das Bild von zwei sehr unterschiedlichen Personen mit unterschiedlichen Charakteren, die jedoch beide den Herrn Jesus liebten.
Ich möchte unser Augenmerk auf eine Szene richten, in der die beiden nicht unterschiedlich, sondern gemeinsam handeln. Davon berichtet Johannes in Kapitel 11 seines Evangeliums. Ihr Bruder Lazarus ist krank geworden und die Schwestern senden zum Herrn mit der Botschaft: «Herr, siehe, der, den du lieb hast, ist krank» (Joh 11,3). Von diesem gemeinsamen Handeln der beiden können wir viel lernen.
Lazarus ist krank
Gläubige Menschen werden ebenso krank wie ungläubige. Die Gnade Gottes, die uns errettet hat, befreit uns nicht von einer möglichen Krankheit. Im Gegenteil, Krankheiten können ein Werkzeug in der Hand Gottes sein, um daraus Frucht für Ihn hervorgehen zu lassen. Das Beispiel Hiobs zeigt das deutlich. Ebenso die Krankheit von Lazarus.
Gott kann Krankheiten aus verschiedenen Gründen zulassen. Auf jeden Fall sind sie niemals ein Beweis dafür, dass ein Kind Gottes nicht von Ihm geliebt, bewahrt und umsorgt wird. Das reinste Gold ist am meisten im Feuer gewesen. In 1. Petrus 1,7 heisst es: «Damit die Bewährung eures Glaubens, viel kostbarer als die des Goldes, das vergeht, aber durch Feuer erprobt wird, befunden werde zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi.» Die nützlichsten Werkzeuge sind oft jene, die am meisten geschliffen wurden. Epaphroditus und Timotheus sind zwei Beispiele aus der Zeit der ersten Christen. Beide waren im Dienst für den Herrn sehr nützlich. Trotzdem wurden sie krank oder hatten mit körperlichem Unwohlsein zu kämpfen.
Die Schwestern senden zum Herrn
Beide Schwestern müssen eine gute geschwisterliche Beziehung zu ihrem Bruder gehabt haben. Darin gab es keinen Unterschied zwischen ihnen. Es wird weder von Martha noch von Maria gesagt, dass sie die Initiative einseitig ergriffen hätten. Sie handelten gemeinsam. Es wird ebenfalls nichts davon gesagt, dass sie vorher andere Massnahmen ergriffen hätten (vielleicht natürliche Heilmittel angewandt oder einen Arzt gefragt, obwohl es nicht verkehrt ist, wenn Gläubige Heilmittel gebrauchen oder einen Arzt aufsuchen). Das Wesentliche ist, dass die Schwestern Boten zum Herrn schickten.
Martha und Maria wussten sehr genau, an wen sie sich wenden konnten. Wir denken an Psalm 121,1.2: «Ich erhebe meine Augen zu den Bergen: Woher wird meine Hilfe kommen? Meine Hilfe kommt von dem HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat.»
Sie wussten auch, wo der Herr sich aufhielt. Sie mussten keine Fragen stellen (vgl. Joh 1,38), sondern schickten Boten dorthin, wo sich Jesus aufhielt. Wir wollen davon lernen, dass wir mit jeder Not – auch mit einer Krankheit –, uns in erster Linie im Gebet an den Herrn wenden können. Wir wissen, wo Er ist und wo Er sich für uns verwendet – am Thron der Gnade (Heb 4,16).
Der Inhalt der Botschaft
Die Botschaft der Schwestern ist kurz und präzise. Sie enthält keinen Vorwurf. Sie ist bemerkenswerterweise auch keine Bitte, sondern eine Feststellung: «Herr, siehe, der, den du lieb hast, ist krank.»
Vier Punkte fallen auf:
- Die Schwestern adressieren den Empfänger der Botschaft nicht einfach als Jesus oder Christus oder Rabbi (Meister), sondern als Herrn. Obwohl es ein Band der Liebe ist, das sie mit Ihm verbindet, reden sie Ihn respektvoll als ihren Herrn an. Das zeigt ihre Demut Ihm gegenüber. Liebe und Respekt gehen Hand in Hand und widersprechen sich nicht. Volle Freimütigkeit zu haben bedeutet nicht, unangemessen freundschaftlich oder kameradschaftlich aufzutreten. Der Unterschied zwischen Ihm und uns bleibt bei aller Vertrautheit bestehen.
- Mit dem Wörtchen «siehe» wecken sie seine Aufmerksamkeit. Sie wünschen, dass Er Ohren, Augen und Herz für ihre kurze Botschaft öffnet. Obwohl wir wissen, dass die Augen unseres Herrn immer offen sind, dürfen wir Ihn dennoch auf eine besondere Schwierigkeit im Leben aufmerksam machen. «Siehe, der Hüter Israels, er schlummert nicht und schläft nicht» (Ps 121,4).
- Sie sprechen nicht von «unserem Bruder» oder von «Lazarus» oder von «deinem Jünger». Nein, sie bezeichnen Lazarus als den, den Jesus lieb hat und den Er gnädig und freundlich wie einen geliebten Freund behandelt hat. Sie sprechen nicht von der Liebe (Zuneigung) ihres Bruders zu Ihm, sondern von der Liebe des Herrn Jesus zu Lazarus. Sie sind sich bewusst, dass Jesus ihn lieb hat. Gerade in diesem Bewusstsein dürfen wir zu unserem Herrn beten – sei es für eigene Schwierigkeiten oder für die Not anderer.
- Sie machen den Herrn darauf aufmerksam, dass Lazarus krank ist. Keine Bitte um Heilung, sondern einfach ein Hinweis und eine Beschreibung des Problems. Dabei können wir davon ausgehen, dass die Not ihres Bruders gross war. Es ist unwahrscheinlich, dass die beiden Schwestern Boten zum Herrn geschickt hätten, wenn das Leben ihres Bruders nicht in Gefahr gewesen wäre.
Gerade der letzte Punkt spricht besonders in unser Leben. Maria und Martha verhielten sich nicht so, wie wir es oft tun, wenn wir meinen, wegen unserer vielen Worte erhört zu werden. Wir dürfen zwar dem Herrn konkrete Bitten vorstellen (Lk 11,5-8). Aber wissen wir immer, was das Beste ist, wenn wir dem Herrn ziemlich genau sagen, was Er tun soll? Wir vergessen dabei leicht, dass Gott in Jesaja 55,8.9 sagt: «Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR. Denn wie der Himmel höher ist als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.»
Ohne Frage hatten die beiden Schwestern den Gedanken, der Herr würde kommen und Lazarus heilen. Das erkennen wir im weiteren Verlauf des Kapitels. Doch sie überliessen die Lösung des Problems Ihm. Sie vertrauten darauf, dass die Kenntnis von ihrem Schmerz ausreichen würde, den göttlichen Freund zu veranlassen, nach Bethanien zu kommen und den zu heilen, den Er liebte. Sie vertrauten Ihm und legten sich ganz in seine Hand, nachdem sie Ihm die Not gesagt und sich auf seine Liebe berufen hatten. Ihr Vertrauen wurde nicht beschämt. Zugleich sollten sie lernen, dass der Herr Höheres im Sinn hatte. Er wollte Lazarus aus den Toten auferwecken und ihn auf diese Weise mit sich und seinen Schwestern vereinen.
Nun ist es zweifellos so, dass wir nicht wissen, «was wir bitten sollen, wie es sich gebührt» (Röm 8,26). Der Geist Gottes verwendet sich deshalb für uns. So können wir sicher sein, dass der Herr uns versteht, auch wenn wir bestimmte Lösungen vor Augen haben und sie sogar vor Ihm aussprechen. Dennoch ehrt es Ihn, wenn wir die Lösung des Problems ganz Ihm überlassen, weil Er es besser weiss als wir.
Es ist ein besonderes Privileg, mit jeder Not – ob sie uns oder andere betrifft – im Gebet zu unserem Herrn zu gehen und die Sache Ihm vorzulegen. Wir können das tun, was Mose tat, als das Volk gegen ihn murrte. Er schrie zum HERRN (2. Mo 15,25). Wir können das tun, was Hiskia tat, als er den Brief Sanheribs bekam. Er ging in das Haus des HERRN und breitete den Brief vor dem HERRN aus (2. Kön 19,14). Als Johannes der Täufer enthauptet wurde, gingen seine Jünger zu Jesus und berichteten es Ihm (Mt 14,12).
Echter und tiefer Glaube fordert nicht, sondern legt dem Herrn das Problem vor und wartet gespannt darauf, wann und wie Er handelt. Gottes Wort ermuntert uns dazu: «Seid um nichts besorgt, sondern in allem lasst durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden; und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christus Jesus» (Phil 4,6.7). «All eure Sorge werft auf ihn; denn er ist besorgt für euch» (1. Pet 5,7).
Achten wir darauf, dem Herrn Jesus im Gebet nicht etwas «abringen» zu wollen. Unser Herr ist nicht unser Diener, der das tut, was wir wollen. Das Gebet ist nicht dazu gedacht, dass wir uns auf den Thron setzen, sondern vor Ihm auf die Knie gehen und Ihm unsere Anliegen sagen. Freimütig und kühn vor den Thron der Gnade zu treten, bedeutet nicht, unverschämt oder unverfroren zu bitten. Gnade kann nicht gefordert werden, sonst ist es keine Gnade mehr.
Das wollen wir von Maria und Martha lernen.