Einleitung
Das zweite Buch Mose stellt einen Neuanfang im Handeln Gottes mit dem Menschen dar. Am Anfang der Menschheitsgeschichte beschäftigt sich Gott vor allem mit Einzelpersonen. Im zweiten Buch Mose ändert sich sein Handeln insofern, als Er sich nun einem ganzen Volk zuwendet. Hier beginnt die Geschichte des Volkes Israel.
Die Israeliten befanden sich im Land Ägypten, wo sie eigentlich nicht hingehörten, denn Gott hatte Abraham und seinen Nachkommen das Land Kanaan als Besitztum verheissen. Mit Jakob, ihrem Vater, war seine Nachkommenschaft unter Gottes Vorsehung allerdings nach Ägypten gekommen. Dort waren sie unter der Regentschaft eines späteren Pharaos, der Joseph nicht kannte, zu Knechten geworden. Seither dienten sie dem König von Ägypten als Sklaven.
Aus dieser Knechtschaft führte Gott sein Volk heraus. Er befreite es aus Ägypten, um es zu sich zu bringen (2. Mo 19,4). Die Israeliten waren das erwählte Eigentumsvolk des HERRN (2. Mo 19,5; 5. Mo 7,6.7). Er wollte in ihrer Mitte wohnen (2. Mo 29,45.46), und sie sollten Ihm dienen (2. Mo 3,12; 7,16.26; 8,16). Das ist das grosse Thema des zweiten Buches Mose.
Die geschichtlichen Ereignisse im Alten Testament haben eine symbolische oder vorbildliche Bedeutung für uns und sind zu unserer Belehrung geschrieben worden (1. Kor 10,6; Röm 15,4). Sie illustrieren Wahrheiten, die uns im Neuen Testament entfaltet werden, und weisen auf das hin, was uns betrifft. Das gilt auch für die Befreiung Israels aus Ägypten und aus der Knechtschaft des Pharaos: Sie ist ein Bild der Erlösung, die Gott uns im Herrn Jesus geschenkt hat. Gott hat uns aus der Knechtschaft eines viel ärgeren Feindes befreit als Israel: aus der Sklaverei der Sünde und des Teufels. Wie diese Errettung stattfinden konnte und welche «Mittel» Gott einsetzte – das wird durch die Ereignisse vorgeschattet, die Israel erlebte.
Die Ausgangslage
Am Anfang des zweiten Buches Mose schildert der Heilige Geist die Situation, in der sich das Volk Israel befand. Bevor die Erlösung beschrieben wird, wird uns vor Augen geführt, weshalb die Israeliten überhaupt erlöst werden mussten. Sie befanden sich in Ägypten. Dort waren sie Sklaven des Pharaos, der ihnen das Leben durch einen harten Dienst bitter machte (2. Mo 1,13.14; 3,7-10). Unmöglich konnten sie sich aus dieser Knechtschaft selbst befreien.
Ägypten
Das damalige Ägypten als kulturelle Hochburg mit seinen geografischen Merkmalen ist ein treffendes Bild der Welt. Als vom Nil bewässertes und daher fruchtbares Land war es nicht so sehr auf den Regen des Himmels angewiesen. Das weist auf die Welt in ihrer Unabhängigkeit von Gott hin. Mit seiner Kultur und Zivilisation stellt dieses vom Pharao regierte Land ein System dar, das eine grosse Anziehungskraft auf den natürlichen Menschen ausübt. Darin können die Menschen unabhängig von Gott nach eigenem Gutdünken und in vermeintlicher Freiheit ihr Leben gestalten.
In Wirklichkeit ist die Welt jedoch der Machtbereich Satans, den die Bibel auch als Gott und Fürsten dieser Welt bezeichnet (2. Kor 4,4; Joh 12,31; 14,30). Er ist es, der die Menschen durch Todesfurcht in Sklaverei hält (Heb 2,15). Der Fürst der Welt ist auch der Menschenmörder von Anfang an, was die dramatische Geschichte in 2. Mose 1 eindrücklich illustriert (Joh 8,44).
Zu dieser Welt mit ihrem von Gott unabhängigen Streben, zu diesem Machtbereich Satans gehörten auch wir. Jeder Mensch, der noch nicht zur Familie Gottes gehört, gehört zur Welt und zur Familie des Teufels (1. Joh 3,10). Er ist ein Sklave des Teufels und der Sünde (Joh 8,34).
Das Land Hams
Im Blick auf unseren natürlichen Zustand ist der Ursprung Ägyptens bemerkenswert. Der hebräische Name Ägyptens ist Mizraim. Mizraim war ein Nachkomme Hams (1. Mo 10,6). Es verwundert daher nicht, dass Ägypten in mehreren Psalmen als das Land Hams bezeichnet wird (Ps 105,23.27; 106,22; vgl. Ps 78,51). In geistlicher Hinsicht trägt Ägypten den Charakter seines Vaters, den wir mit einer gewissen Vorsicht aus seinem Namen ableiten können. Manche Ausleger geben dem Namen «Ham» die Bedeutung von «schwarz» oder «Dunkelheit».
Wir sehen darin einen Hinweis auf unseren Zustand von Natur. Als Kinder des Teufels und Söhne dieser Welt waren wir in der Finsternis (1. Pet 2,9). Wir befanden uns in der Gewalt der Finsternis (Kol 1,13). Wir waren Finsternis, bevor wir Licht im Herrn geworden sind (Eph 5,8). Unser geistlich-moralischer Zustand war finster. Das zeigte sich darin, dass wir verfinstert am Verstand und dem Leben Gottes entfremdet waren (Eph 4,18).
Die Folgen dieser Verfinsterung waren Götzendienst und jede Form von Ausschweifung und Verdorbenheit. Davon war und ist niemand ausgenommen, denn alle sind abgewichen. Es gibt niemand, der Gott sucht, niemand, der Gutes tut. Alle sind ausnahmslos dem Gericht Gottes verfallen (Röm 3,19). Diese Tatsache wird im Vorbild deutlich herausgestellt, wenn Gott die Befreiung Israels aus Ägypten einleitet.
Gottes Initiative zur Rettung
Um Israel aus Ägypten zu befreien, ergriff Gott die Initiative. Er erbarmte sich über sein Volk und machte die Notsituation der Israeliten zum Ausgangspunkt seines Handelns (2. Mo 3,7).
Ganz ähnlich wird uns Gottes Handeln im Römer-Brief vorgestellt. Zuerst beschreibt Paulus den verlorenen Zustand des natürlichen Menschen, seine Schuld und seine Sündhaftigkeit. Nachdem er diese ausweglose Situation dargelegt hat, zeigt er, wie Gott unsere Notlage zum Ausgangspunkt seines Handelns gemacht und eine Erlösung bewirkt hat.
Zwei Rettungsmittel
Die Erlösung, die Gott uns geschenkt hat, wird uns am Beispiel Israels anhand von zwei Ereignissen illustriert, die eine vorbildhafte Bedeutung haben. Um Israel aus Ägypten zu befreien, gab Gott zwei Rettungsmittel. Das erste war das Passahlamm. Es bildete die Grundlage für die Befreiung der Israeliten aus Ägypten. Durch das Blut des Lammes wurden sie vor Gottes Gericht geschützt, das sie genauso getroffen hätte wie die Ägypter. Das zweite Rettungsmittel war das Rote Meer. Die Israeliten durchzogen es auf dem Trockenen, doch die Ägypter kamen in den zurückkehrenden Wasserfluten um. Dadurch vernichtete Gott den Feind und erlöste sein Volk endgültig aus dem Machtbereich des Pharaos.
Sowohl das Blut des Passahlammes als auch der Durchzug durch das Rote Meer veranschaulichen die «Mittel», die für unsere Erlösung und Befreiung notwendig waren. Beide Bilder weisen auf den Herrn Jesus hin. Genauer gesagt: Sie sprechen von seinem Tod. Das Passah illustriert, wie wir von Gottes Gericht befreit werden konnten, das wir als Sünder verdient hatten. Das Rote Meer zeigt, wie wir von der Knechtschaft der Sünde und des Teufels, in der wir uns befanden, erlöst worden sind.
Reihenfolge der Bilder
Beachtenswert ist die Reihenfolge der Ereignisse: Zuerst musste das Passah geschlachtet und das Blut an die Pfosten und den Türsturz der Häuser gestrichen werden. Danach erfolgte der Auszug aus Ägypten und der Durchzug durch das Rote Meer. Bevor Israel durch Gottes Macht aus der Sklaverei des Pharaos erlöst werden konnte, musste das Blut zur Anwendung kommen. Wenn Gott die Israeliten aus der Knechtschaft Ägyptens erlösen und zu sich bringen wollte, musste offensichtlich zuerst ihr Verhältnis zu Ihm geklärt werden. Wegen ihrer Sünden standen sie unter seinem Gerichtsurteil. Doch durch das Blut des Passahlammes entgingen sie dem Tod als Strafe für ihre Sünden.
Das Passah
Unter dem Gerichtsurteil Gottes
In der Passahnacht trat Gott als Richter auf. Er übte Gericht an den Ägyptern und ihren Göttern (2. Mo 12,12). Vorher machte der HERR den Israeliten klar, dass Er sie nicht ohne Weiteres vom göttlichen Gericht verschonen konnte. Denn sie hatten es genauso verdient wie die Ägypter.
Doch in seiner Gnade wollte Gott einen Unterschied machen und die Israeliten vor dem verdienten Gericht schützen (2. Mo 11,7). Dafür gab Er selbst ein Rettungsmittel, das sie im Glauben in Anspruch nehmen mussten: Das Passahlamm sollte geschlachtet werden, um als Stellvertreter für den Erstgeborenen sein Leben zu lassen. Wenn die Israeliten das Blut des geschlachteten Lammes im Glaubensgehorsam an den Türrahmen ihrer Häuser strichen, würde der Gerichtsengel an ihren Häusern vorübergehen. So war das Passahlamm Gottes Rettungsmittel vor dem verdienten Gericht.
Christus – das Passahlamm
Auch unser Passah, Christus, ist geschlachtet worden, damit wir durch sein Blut erlöst werden konnten (1. Kor 5,7). Wie alle anderen Menschen hatten wir wegen unserer Sünden Gottes Gericht verdient und standen deshalb unter seinem Zorn (Joh 3,18.36).
Doch das Grossartige ist: Gott wollte uns in seiner Gnade vom Gericht verschonen, denn Er will nicht, «dass irgendwelche verloren gehen» (2. Pet 3,9; 1. Tim 2,4). Deshalb hat Er ein Lamm als Sühnmittel gegeben. Es ist sein Sohn, der am Kreuz als das wahre Passah geschlachtet worden ist.
Jeder, der dieses göttliche Rettungsmittel im Glauben in Anspruch nimmt, darf wissen: Der Herr Jesus hat stellvertretend für mich das Gericht erduldet, das ich verdient hatte. Durch Ihn habe ich jetzt die Erlösung durch sein Blut, «die Vergebung der Vergehungen, nach dem Reichtum seiner Gnade» (Eph 1,7). Ich bin erlöst durch das kostbare Blut eines Lammes ohne Fehl und ohne Flecken. Dadurch bin ich vom göttlichen Gericht befreit. Gott hat das Blut des Herrn Jesus gesehen. Er ist im Blick auf die Sünde, auch im Blick auf meine Sünden, zufriedengestellt worden. Das Lamm, das Er selbst gegeben hat, hat seinen heiligen Forderungen vollkommen entsprochen. Das Gericht, das ich verdient hatte, hat mein Stellvertreter erduldet.
Diese glückliche Gewissheit hat jeder, der sich im Glauben auf das Opfer des Herrn Jesus stützt und sich damit unter den Schutz seines Blutes stellt. Er darf wissen, dass Gott ihn durch das Blut seines Sohnes gerechtfertigt hat (Röm 5,9).
Vollständige Erlösung?
Gibt es dieser Errettung noch etwas hinzuzufügen? Was die Frage meiner Sünden angeht: Nein! Was die Beziehung zwischen mir und dem heiligen Gott betrifft: Nein!
War denn für meine Erlösung noch etwas notwendig? Ja, unbedingt! Die Errettung, die Gott mir geschenkt hat, beinhaltet mehr als die Erlösung durch das Blut des Lammes. Sie enthält mehr als die Vergebung der Sünden und die Rettung vor dem göttlichen Gericht.
Um das gut begreifen zu können, helfen uns die alttestamentlichen Vorbilder: Waren die Israeliten erlöst, nachdem sie das Passah geschlachtet und sich unter den Schutz des Blutes gestellt hatten? Ein eindeutiges «Ja», was die Befreiung vom Gericht Gottes angeht (2. Mo 12,27), aber ein klares «Nein» im Blick auf ihre Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens und dem Machtbereich des Pharaos.
Diese endgültige Erlösung aus Ägypten und ihre geistliche Bedeutung für uns betrachten wir im zweiten Teil.