Lazarus von Bethanien ist krank. Seine Schwestern sind deshalb in grosser Not. Sie senden einen Boten zum Herrn Jesus, um Ihm ihren Kummer mitzuteilen, und hoffen, dass Er ihnen hilft. Sie sagen Ihm, dass Lazarus – den Jesus lieb hat – krank ist. Die Antwort des Herrn lautet:
«Diese Krankheit ist nicht zum Tod, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen, damit der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde» (Joh 11,4).
Nicht zum Tod
Der Herr verschliesst sich der Botschaft der beiden Schwestern nicht. Er hört sie, nimmt sie zur Kenntnis und gibt eine Antwort. Als der Bote mit seiner Nachricht nach Bethanien zurückkehrt und sie ausrichtet, müssen die Schwestern seine Worte so gedeutet haben, dass Lazarus nicht sterben würde. Die Jünger werden es ebenfalls so verstanden haben. Doch beim genauen Lesen stellen wir fest, dass der Herr es nicht so gesagt hat. Er hat etwas sehr Wichtiges hinzufügt.
Der Herr erkennt an, dass es sich um eine Krankheit handelt, die normalerweise zum Tod führt. Dennoch würde es bei dieser Krankheit anders sein. Seine Worte erscheinen auf den ersten Blick unverständlich, denn Lazarus ist ja zunächst tatsächlich gestorben. Doch der Herr will sagen, dass der Tod hier nicht den Sieg davontragen wird. Er wird nicht das letzte Wort haben, weil der Sohn Gottes Lazarus auferwecken wird. Das ahnten diejenigen, die seine Botschaft hörten, jedoch nicht. Sie konnten nur den Schluss ziehen, dass Lazarus nicht sterben würde.
Wie oft geht es uns ähnlich. Wir deuten eine Zusage des Herrn so, wie wir sie verstehen oder verstehen wollen. Dann sind wir traurig, wenn unsere Erwartung nicht erfüllt wird. Wir wollen lernen, die Zusagen des Herrn so aufzufassen, wie Er sie gemeint hat.
Nach Gottes Willen
Wir müssen davon ausgehen, dass die Schwestern zunächst erwartet hatten, der Herr würde den Boten unmittelbar nach Bethanien begleiten. Doch Er war nicht gekommen. Er hatte nicht gesagt, ob Er (noch) kommen würde oder nicht. Ihr Glaube wurde erprobt, zumal die Krankheit fortschritt. Wir können uns vorstellen, dass sie unruhig auf den Herrn Jesus gewartet haben. Wie gross muss die Enttäuschung gewesen sein, als ihr Bruder dann doch starb! Hatte der Herr nicht etwas anderes versprochen?
Die Lektion für die Schwestern und damit für uns lautet: Das Handeln des Herrn richtet sich nicht in erster Linie an menschlichen Bedürfnissen und Erwartungen aus. Es wird auch nicht zuerst durch seine Zuneigung und Liebe zu den Seinen motiviert. In allem geht es Ihm an erster Stelle darum, Gottes Willen zu erfüllen und Ihn zu verherrlichen. Es war nicht Gottes Wille, Lazarus durch ein Machtwort gesund zu machen. Der Herr sollte ein grösseres Werk als die Heilung vollbringen.
Die Herrlichkeit Gottes und des Sohnes Gottes
Der Grund für die Krankheit von Lazarus wird mit der Herrlichkeit Gottes und der Verherrlichung des Sohnes Gottes verbunden. Wenn göttliche Herrlichkeit sichtbar wird, ist es immer auch die Herrlichkeit des Sohnes. Oder anders gesagt: Die Herrlichkeit Gottes wird im Sohn in einer solchen Weise erkannt, dass alle Ehre dem Sohn gegeben wird. Das macht im weiteren Verlauf dieser Begebenheit die Tatsache deutlich, dass Lazarus aus den Toten auferweckt wird.
Wenn göttliche Herrlichkeit sichtbar wird, wird etwas von dem gesehen, was Er ist. Die Umstände des Todes von Lazarus zeigen, wer Gott und wer sein Sohn ist. Der Sohn Gottes ist der Sieger über den Tod. Er hat alle Macht. Er ist die Auferstehung und das Leben. Das sollte deutlich ans Licht kommen. Für die Beteiligten brachte es zugleich grossen Segen mit sich. Wenn Gottes Herrlichkeit sichtbar wird, liegt darin immer Segen für uns. Das war schon so beim ersten Zeichen, das der Herr im Johannes-Evangelium tat. Er offenbarte seine Herrlichkeit zum Segen derer, die an der Hochzeit in Kana teilnahmen (Joh 2,11). So ist es auch beim letzten Zeichen. Die Auferweckung von Lazarus ist der Höhepunkt der Zeichen, die der Herr in diesem Evangelium vollbringt. Es ist klar: Die Auferweckung ist ein grösseres Wunder als eine Heilung. Sie beweist, dass der Sohn Gottes Tote auferwecken kann, weil Er selbst die Auferstehung ist. Dadurch ist Er als Sohn Gottes in Kraft erwiesen und damit verherrlicht (Röm 1,4), was sich nicht nur auf seine eigene Auferstehung bezieht.
Die Belehrung für uns liegt darin, dass der Tod am Ende nicht den Sieg davontragen wird. Herrlichkeit und Tod bilden hier einen Gegensatz. Einmal wird der Sohn Gottes sich dadurch verherrlichen, dass Er alle entschlafenen Gläubigen auferwecken wird (1. Kor 15,51-57). Schon jetzt gibt Er allen, die an Ihn glauben, ewiges Leben. Der Tod hat keine Macht über die Schafe, die Ihm angehören (Joh 10,28.29; Röm 8,38.39).
Die Liebe des Sohnes Gottes
«Jesus aber liebte Martha und ihre Schwester und Lazarus» (Joh 11,5).
Dieser Hinweis auf seine Liebe ist wichtig, um die vorherige Aussage richtig zu verstehen. Er hilft zugleich, die folgende Aussage – dass Jesus noch zwei Tage an dem Ort blieb, wo Er war – gut einzuordnen. Obwohl das erste Motiv seines Handelns immer die Ehre und Herrlichkeit Gottes ist, hört der Herr Jesus nicht auf, die Seinen zu lieben. Wenn von göttlichen Personen gesagt wird, dass sie lieben, dann tun sie es, weil sie Liebe sind. Die Liebe des Sohnes Gottes zu Martha, Maria und Lazarus hing nicht von ihrem Verhalten ab. Er liebte sie unabhängig davon, wie sie sich verhielten und wie ihre Umstände waren.
Es fällt auf, dass Martha hier an erster Stelle und Lazarus zuletzt genannt wird. Wir hätten erwartet, dass Maria zuerst erwähnt wird. Ihr Name wird jedoch überhaupt nicht angegeben. Die Liebe des Herrn zieht keinen einem anderen vor. Sie kennt auch keine Vorurteile. Es ist wahr, dass der Herr Martha und Maria unterschiedlich beurteilte. Es ist wahr, dass Maria tiefere Einsicht in die Gedanken Gottes hatte. Aber das hatte keinen Einfluss auf seine Liebe.
Wir lernen daraus, dass die Liebe unseres Herrn auf einer viel festeren Grundlage beruht als auf Eigenheiten und Charakterzügen eines Gläubigen. Sie entspringt seiner eigenen Natur und ist deshalb unvoreingenommen. Seine Zustimmung hängt von unserem Verhalten ab, seine Liebe nicht. Es ist eine gewaltige Segnung für jedes Kind Gottes, das zu wissen. Grössere Liebe gibt es nicht. Schon im Alten Testament sagt Gott: «Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt» (Jer 31,3). Weil seine Liebe ewig ist, weil sie unendlich und göttlich ist, kann sie nicht zu- oder abnehmen.
Jesus bleibt noch
«Als er nun hörte, dass er krank sei, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er war» (Joh 11,6).
Trotz seiner Liebe zu den drei Geschwistern handelte der Herr nicht sofort, sondern blieb noch zwei Tage am Ort, wo Er war. Es wird von keiner Aktivität gesprochen, die Ihn aufgehalten hätte. Dennoch blieb Er. Maria und Martha verstanden das nicht (V. 21.32). Menschlich gesprochen ist es auch nicht zu verstehen. Doch das Motiv seines Handelns ist stets die Ehre Gottes. Es war nötig, dass Lazarus starb, damit der Sohn Gottes durch die Auferweckung des Verstorbenen verherrlicht wurde.
Nehmen wir an, der Herr wäre sofort gegangen und Lazarus wäre nicht gestorben. Was wäre passiert bzw. was wäre nicht passiert? Das zeigt der weitere Verlauf der Begebenheit.
- Die Machtlosigkeit des Menschen angesichts des Todes wäre nicht so deutlich dokumentiert worden.
- Wir wüssten nichts über die Tränen, die unser Herr angesichts des Todes geweint, und den Trost, den Er dadurch in die Herzen gegeben hat.
- Die Macht des Herrn über den Tod hätte sich in dieser Szene nicht zeigen können.
- Der Sohn Gottes wäre nicht auf diese ausserordentliche Weise verherrlicht worden.
- Wir wären nicht Zeugen seiner Worte geworden: «Ich bin die Auferstehung und das Leben.»
- Ohne dieses eindrucksvolle Zeichen hätten die Juden nicht geglaubt.
- Die Feinde des Herrn hätten sich nicht beraten und der Hohepriester Kajaphas hätte nicht unabsichtlich über Christus und seinen Tod geweissagt.
Jeder andere hätte sich vermutlich sofort auf den Weg gemacht, um zu helfen. Nicht so unser Herr. Er liess sich weder durch menschliche Gefühle noch durch seine Liebe zu den Seinen leiten. Er war abhängig von seinem Vater und stellte alles – auch die Frage des Zeitpunkts – in seine Hand. In allem ging es Ihm um Gottes Ehre und Herrlichkeit. Er wollte den Willen seines Vaters tun (Joh 6,38).
In den zwei Tagen, die der Herr am Ort bleibt, wo Er ist, nimmt die Krankheit ihren Verlauf und führt schliesslich zum Tod. Lazarus wird begraben, und der tote Körper geht in Verwesung über. Was mögen die Schwestern gedacht haben? Wie mögen sie gelitten haben? Auf den ersten Blick scheint die Verzögerung die Angelegenheit schlimmer zu machen. Doch in der Hand Gottes ist die vermeintliche Verspätung eine Gelegenheit zu einer grösseren Darstellung seiner Herrlichkeit. Keinesfalls bedeutet sein Zögern Ablehnung. Im Gegenteil.
Wir lernen an dieser Stelle, dass es einen Grund gibt, wenn Gott in unserem Leben etwas zulässt, was wir nicht verstehen können. Der Herr hätte es verhindern können, dass Lazarus starb. Er tat es nicht. Gott liebt es nicht, seine Kinder leiden zu lassen. Aber Gott lässt manchmal Situationen zu, die wir nicht verstehen, um uns Lektionen zu lehren, die wir sonst nicht lernen würden. Hier führt die Not der beiden Schwestern dazu, einerseits die Macht und Herrlichkeit des Sohnes Gottes zu demonstrieren. Anderseits lernen Martha und Maria auch seine Liebe und sein Mitgefühl auf besondere Weise kennen. Selbst Verzögerungen und vielleicht lange Zeiträume, in denen wir Fragen haben, sind in Gottes Plan weise angeordnet und dienen zum Guten.