Wenn jemand gesündigt hat …

1. Johannes 1,6-10; 1. Johannes 2,1-2

Jeder von uns hat schon einen Kompass in den Händen gehabt. Unter dem Einfluss einer unsichtbaren Kraft zeigt die Nadelspitze ständig nach Norden. Du kannst das Gerät drehen wie du willst – die Nadel behält ihre Richtung bei, bis du einen Magneten in ihre Nähe bringst. Da lässt sie sich plötzlich ablenken. Jetzt zeigt sie auf den Magneten. Sie dreht um einige, oder um viele Grade von der Nord-Süd-Richtung ab und weist schliesslich ganz nach Westen oder Osten, gerade so, wie dieser Magnet es will.

Wenn sich die Herzen der Kinder Gottes in dieser Welt im Normalzustand befinden, sind sie alle auf ein Ziel, auf den Herrn Jesus in der Herrlichkeit gerichtet. Er ist der wunderbare Gegenstand, der uns beschäftigt; durch die verborgene Kraft des Geistes Gottes werden unsere Blicke und Zuneigungen auf Ihn gezogen (vgl. Hos 11,4; Joh 6,44; Joh 12,32; Hld 1,4). Ob wir durch Freude oder Leid, durch Ruhe oder Sturm, durch Armut oder Reichtum, durch Ehre oder Unehre zu gehen haben – immer zieht uns der Herr, damit wir nicht von Ihm abweichen.

Die Magneten

Aber da ist einer, dem das nicht gefällt. Und er naht mit kleinen und auch mit grossen Magneten, mit «harmlosen» Ablenkungen oder gefährlichen Versuchungen, und – schon dreht «jemand» ab, der Sünde zu. Hätte er gewacht und gebetet, so wäre es ihm nicht passiert. Er hat eben vergessen, dass er sich im Land eines mächtigen, listigen und bösen Feindes befindet, der uns auflauert, um uns in einem Augenblick der Unwachsamkeit zu erhaschen und zu Fall zu bringen.

Wenn jemand gesündigt hat …

Dieser Ausspruch – beachte es – stammt aus dem 1. Johannesbrief (1. Joh 2,1), der an Kinder Gottes gerichtet ist.

Satan verdreht das Wort Gottes und flüstert dir zu: Wenn jemand gesündigt hat, so ist er kein Kind Gottes. Jetzt hast du den Beweis, dass bei dir alles nur Einbildung war. Als Kind Gottes wärst du doch sündlos! Alle Mühe ist umsonst; du bist ja wie die andern!

Aber Gottes Wort redet anders: «Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde (Erbsünde, Wurzel der Sünde, das «Fleisch») haben, so betrügen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns» (1. Joh 1,8). Und weil dem so ist, und wir uns oft von unserem Gegenstand ablenken lassen, müssen wir, auf das hinter uns liegende Leben blickend, bekennen: «Wir alle straucheln oft» (Jak 3,2). Das ist eine Feststellung von Tatsachen, die uns warnen und uns gegenüber der Sünde keineswegs gleichgültig machen will. Für den Gläubigen ist sie erst recht eine schreckliche abnorme Sache, die er nicht ausüben muss. Denn Gott vermag uns «ohne Straucheln» zu bewahren (Judas 24). Und wenn wir die in 2. Petrus 1 beschriebenen Dinge tun, so werden wir «niemals straucheln» (Vers 10).

 … wir haben einen Sachwalter bei dem Vater

Das ist die Weise, wie Gott den oben angefangenen Vers zu Ende führt. Er hat dafür Sorge getragen, dass der, der gesündigt hat, völlig wiederhergestellt werden kann. Unser Sachwalter bei dem Vater unternimmt sogar die ersten Schritte dazu. «Ich aber habe für dich gebetet, damit dein Glaube nicht aufhöre», sagte der Herr zu Petrus, schon bevor Ihn dieser verleugnet hatte.

Oh, wenn jemand, der Gott seinen Vater nennen darf, gesündigt hat, so braucht er sich nicht zu verstecken, wie Adam, oder vom Angesicht des HERRN wegzufliehen, wie Kain. Je schneller er zu Ihm umkehrt, desto besser! Nirgendwo sonst kann der Schaden geheilt werden.

Der Herr Jesus ist im Himmel schon für ihn tätig, bevor er sich seiner Sünde bewusst wird. Es heisst nicht: Wenn er bereut, so wird er einen Sachwalter haben, sondern: «Wenn jemand gesündigt hat, so hat er einen Sachwalter bei dem Vater.» Die Fürsprache Christi geht seiner Rückkehr zu Gott voraus. Er kommt ihm zu Hilfe. Die Gerechtigkeit Christi vor Gott wird durch unsere Ungerechtigkeit nicht vermindert, noch der Wert seiner Sühnung für unsere Sünden. Und aufgrund dieser beiden Dinge kann die Gnade handeln.

Denn jetzt muss auch in dem Herzen und Gewissen des Fehlbaren ein Werk geschehen, das – je nach dem Fall – kurz oder länger dauert. Der Herr muss an ihm den erniedrigenden Dienst tun, der in der Fusswaschung (Johannes 13) vorgebildet wird. Durch die eingetretene Verunreinigung ist nicht die Kindesbeziehung, sondern die Gemeinschaft mit Ihm unterbrochen worden. Die Seele kann ihr glückseliges Teil mit dem Herrn in der Herrlichkeit, ihre wunderbare Stellung in Christus, nicht mehr geniessen. Es ist vielleicht so finster in ihr geworden, dass sie sich noch nicht einmal recht bewusst ist, was sich zugetragen hat. Der Herr Jesus muss daher das Wasser, das heisst, das Wort Gottes durch die Kraft des Heiligen Geistes auf Herz und Gewissen anwenden. Unter seiner Einwirkung beginnt das Licht von oben in die Seele hereinzufluten und sich auf die begangenen Wege zu verbreiten. Nun erst fängt sie an, ihre Sünde zu sehen, ihre Ungerechtigkeit zu empfinden und den Rückweg zu betreten.

Bekenntnis und Buße

Jetzt ist der abgeirrte Gläubige so weit, dass er alles vor Gott bekennt und darüber aufrichtig Leid trägt.

Das Bekenntnis der Sünde ist ein unbedingtes Erfordernis zur Wiederherstellung. Der, der gesündigt hat, kann nicht sagen: «Ach, alle meine Sünden sind ja vergeben, ich muss mich nicht mehr darüber beunruhigen.»

Wer so spricht, verwechselt zwei Dinge: Die Sühnung und die Gemeinschaft. Gott hat seinen Sohn gesandt als eine Sühnung für alle unsere Sünden. Das ist eine vollendete, ewig gültige Tatsache, die unabhängig ist von unserem Wandel. Aufgrund dieser Sühnung haben wir neues Leben empfangen und stehen jetzt in einem unauflöslichen Kindesverhältnis zu Gott. Das alles kann uns nicht mehr geraubt werden, und unsere Sicherheit in Christus ist unerschütterlich.

Mit der Gemeinschaft verhält es sich anders. Denken wir nur an unsere Familien: Eines der Kinder war ungehorsam und hat etwas Böses getan. Ist es nun nicht mehr das Kind des Vaters? O doch, das kann sich nicht ändern! Aber es hat keine Gemeinschaft mehr mit ihm. Sie erzählen sich nichts mehr, tauschen keine Gedanken mehr aus über gemeinsame Interessen. Der Verkehr von Herz zu Herz ist unterbrochen.

Dem Vater ist dieser Zustand nicht gleichgültig. Er muss vielleicht nach der Rute greifen. Aber ist der frühere Zustand damit wieder hergestellt? Noch nicht. Doch hat die Züchtigung Herz und Gewissen des Kindes erweicht. Es kommt zum Vater und sagt: «Es ist mir leid, dass ich das und das getan habe. Vergib mir!» Dieses Vergeben bezieht sich nicht auf die Sühnung der Sünden vor Gott – das hat Jesus für die Gläubigen schon getan – sondern auf den Unterbruch der Gemeinschaft, der durch das Böse eingetreten war. Das Bekenntnis und die Bitte des Kindes: «Vergib mir!» wird es dem Vater auch ersparen, weitere Züchtigungen folgen lassen zu müssen. – Die Gemeinschaft ist wieder geheilt, der Strom der Zuneigung kann von neuem von Herz zu Herz fliessen.

Es ist unmöglich, dass der Gläubige mit Gott Gemeinschaft haben kann, solange sein Gewissen mit der kleinsten, ungerichteten Sünde belastet ist. Er sollte sein Herz und seine Lippen zum Bekenntnis öffnen und sich so dieser Bürde entledigen. Eine ganze, volle Vergebung und Reinigung wird ihm dann zuteilwerden, gemäss der Treue und Gerechtigkeit Gottes. Im Interesse der über alles kostbaren praktischen Gemeinschaft mit Gott ist es ein unbedingtes Erfordernis, dass wir uns üben, vor Gott und Menschen «ein Gewissen ohne Anstoss» zu haben (Apg 24,16).

Kehrt die Freude der Gemeinschaft sogleich zurück?

Beim elektrischen Schalter ist es einfach: aus – ein; aus – ein. Aber ein Unterbruch in der Gemeinschaft ist eine ernste Angelegenheit; man kann sie nicht nur so aus- und einschalten.

Wenn es sich um eine grössere Verfehlung und um ein weites Abweichen handelt, so sind vermutlich Tage der Oberflächlichkeit und der Lauheit vorausgegangen. Der Feind weiss das Gelände, das er nehmen will, sturmreif zu machen. Bei Demas, der doch einmal ein treuer Mitarbeiter des eifrigen und hingebungsvollen Apostels gewesen war, brachte er es fertig, dass dieser den jetzigen Zeitlauf lieb gewann. Wie es dazu kam, wissen wir nicht. Das Herz des Demas begann sich immer mehr für die «Welt, und was in der Welt ist» (1. Joh 2,15-17) zu erwärmen. Diese Liebe zum «jetzigen Zeitlauf» schwelte zunächst unter der Oberfläche. Äusserlich machte er in den Versammlungen und im Dienst des Evangeliums immer noch mit. Aber im Innern löste sich sein Sinn immer mehr von der Person des Herrn und den Dingen, die uns in Ihm geschenkt sind. Zuletzt musste der Apostel schmerzerfüllt schreiben: «Demas hat mich verlassen, da er den jetzigen Zeitlauf lieb gewonnen hat» (2. Tim 4,10).

Wird ein solcher Bruder, vielleicht unter grossen Herzensübungen wiederhergestellt, so muss er nach der Beugung vor Gott den verlassenen Boden erst wieder zurückgewinnen. Die geistlichen Segnungen in Christus hat er zwar nie verloren, aber sein Herz muss sich erst wieder – wie ein Schwamm – darin vollsaugen und von dem Bewusstsein der Liebe Gottes erneut durchdrungen werden.

Abram musste den langen Weg von Bethel nach Ägypten, den er im Eigenwillen gegangen war und der ihn zur Verleugnung seiner eigenen Frau geführt hatte, in umgekehrter Richtung wieder zurücklegen «bis zu dem Ort, wo im Anfang sein Zelt gewesen war». Erst dort hat er seinen Altar wiedergefunden, vor dem sein Herz, das nun wieder vom Lob und der Anbetung Gottes erfüllt war, überfloss.

«Unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. Und dies schreiben wir euch, damit eure Freude völlig sei» (1. Joh 1,3.4).