Unser Herr hat zu den Seinen gesagt: «Ich komme bald!», und sie dürfen Ihn täglich erwarten. Plötzlich, ohne weitere Voranzeige, wird Er seine Verheissung erfüllen.
Bis zu diesem ersehnten Augenblick geschieht es aber jeden Tag, dass irgendwo auf der Erde Gläubige «durch Jesus entschlafen». Müssen sie sich davor fürchten? – Gewiss, sie sind nicht immer im Glauben auf den Wegen Gottes gewandelt. Muss nicht jeder von uns, im Rückblick auf die vergangenen Jahre und Jahrzehnte, mit Betrübnis und Schmerz bekennen: Wie oft hat es bei mir in meiner kurzen Lebenszeit an Gehorsam und Abhängigkeit von Gott gefehlt!
Gerade betagte Gläubige haben aber nötig, sich vor Augen zu halten, dass nicht das, was sie in ihrem Glaubensleben getan oder unterlassen haben, die Frage ihrer Annahme bei Gott entscheidet. Er selbst ist es, der uns durch Jesus Christus passend gemacht hat, auf ewig in seiner Gegenwart zu stehen. Der Vater hat uns «fähig gemacht zu dem Anteil an dem Erbe der Heiligen in dem Licht», Er hat «uns versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe» (Kol 1,12.13). Jesus Christus hat «mit einem Opfer auf immerdar die vollkommen gemacht, die geheiligt werden» (Heb 10,14). «Wir haben Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu» (Heb 10,19). Vom Herrn Jesus Christus sagt Johannes: «Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blut und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater: Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen» (Off 1,5.6).
Wenn der Herr Jesus vor seinem Kommen einen der Seinen zu sich nimmt, geht dieser wohl durch den Tod. Aber er muss nicht durch die «Schrecken des Todesschattens» gehen, wie die, welche die Finsternis und das Gericht Gottes zu erwarten haben. «Der Tod … ist euer», sagt Paulus (1. Kor 3,22). Für den Gläubigen ist er ein Diener des Herrn, der Geist und Seele von den Fesseln dieses Leibes löst, damit er – als lebendige Person – zu Ihm heimgehen kann. Nur der Leib stirbt, nicht Seele und Geist. Beim Hinüberschreiten ist der Gläubige keinen Augenblick allein. In Römer 8,38.39 lesen wir deutlich, «dass weder Tod… noch irgendein anderes Geschöpf uns zu scheiden vermögen wird von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.» Allerdings muss er die Angehörigen, mit denen er in inniger Liebe verbunden war, und so viele andere Mitverbundene und Freunde auf der Erde zurücklassen. Aber ist es für lange? Viel wichtiger als das, was er für sie sein konnte, ist, dass der Herr in seiner unendlichen Liebe und Treue bei ihnen bleiben und für sie sorgen wird.
Wohin kommen die entschlafenen, aber lebenden Heiligen? In welchem Zustand sind sie? Was erleben sie? Auf diese Fragen hätten wir gerne Antwort. Die Heilige Schrift gibt uns jedoch nur knappe, aber bestimmte Auskunft. Wie könnten wir, solange wir noch erdgebunden sind, eine eingehende Beschreibung der himmlischen Zustände verstehen? Und wir wollen uns hüten, diese kurzen Mitteilungen mit menschlicher Fantasie auszuschmücken.
Die Aussprüche des Apostels Paulus zu diesen Fragen, in Philipper 1, werden sehr oft angeführt. Er sagt: «Das Leben ist für mich Christus, und das Sterben Gewinn … Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christus zu sein, denn es ist weit besser.»
Hier auf der Erde schon war ihm Christus alles: sein Ziel, sein Lebensinhalt. Das sehnliche Verlangen seines Herzens war, dass «Christus erhoben werde an seinem Leib». Bei einer solchen Gesinnung und Praxis konnte er die Gemeinschaft mit seinem Herrn in so hohem Mass geniessen, wie es ihm in diesem Leib möglich war. Warum meinte er denn, das Sterben sei in dieser Beziehung für ihn ein Gewinn? Da dachte er nicht nur daran, dass nach seinem Tod alle Verfolgungen und Leiden, die sein treuer und eifriger Dienst mit sich brachte, zu Ende sein würden. Seine Trübsale waren für ihn nur ein vorübergehendes Leichtes, im Vergleich mit dem ewigen Gewicht von Herrlichkeit, das ihn erwartete (2. Kor 4,17). Oh, er war vor allem überzeugt, dass er in dem Zwischenzustand «ausheimisch von dem Leib», aber noch nicht überkleidet mit dem «Bau von Gott», doch «einheimisch bei dem Herrn» sein würde (2. Kor 5,1-8). Das betrachtete er als grosse Steigerung. Wenn er sich schon hier beständig im Herrn freuen konnte, so würde dies nach seinem Sterben «bei Christus» in noch viel höherem Mass der Fall sein. Es war «weit besser».
Können wir uns aber mit dem grossen und treuen Apostel vergleichen? Darf ein «gewöhnlicher» Christ nach seinem Hinschied auch sogleich dieses weit bessere Teil erwarten? So mögen wir fragen.
Da ist uns der eine Schächer, der in letzter Minute am Kreuz zum Glauben kam, eine deutliche Antwort. Auf seine flehentliche Bitte: «Gedenke meiner, Herr, wenn du in deinem Reich kommst!», gab ihm der Erlöser, der in den folgenden drei Stunden des Gerichts Gottes auch seine Sünden sühnte, den herrlichen Bescheid der reichen göttlichen Gnade: «Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein» (Lk 23,39-43).
«Bei Christus» oder «mit mir im Paradies» ist dasselbe, ein glückseliger Zustand am Ort der Wonne. Im irdischen Paradies besuchte Gott zuweilen Adam in seinem Zustand der Unschuld (1. Mo 3,8 nach dessen Sünde). Seit dem Fall des Menschen ist dieser Garten jedoch verschlossen. Der in Christus Erlöste darf aber mit Ihm im Paradies droben sein, wo die Überwinder vom Baum des Lebens essen und ewig leben dürfen (Off 2,7; 1. Mo 3,22). Paulus war schon während seines Lebens hier auf der Erde für einige Augenblicke in diesem Paradies, im dritten Himmel, ob in dem Leib oder ausser dem Leib, wusste er nicht. Dort bekam er ein Übermass an Offenbarungen und hörte er unaussprechliche Worte (Reden, Mitteilungen), «die ein Mensch nicht sagen darf» (2. Kor 12,1-10). Die Erinnerung an jene herrlichen Augenblicke begleitete ihn während seines ganzen schweren Dienstes hier auf der Erde. Am Ende seines Lebens sehnte er sich nun, mit allen Gläubigen, die schon entschlafen waren, dort bei Christus zu sein.
Unser Herr Jesus selbst hat uns in seiner an die Juden gerichteten Erzählung vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Lk 16,19-31) auf unsere Fragen einiges mitgeteilt. In seinem Bericht – Er nennt ihn nicht Gleichnis – muss Er Bilder gebrauchen, damit wir Ihn verstehen. Was Er damit sagt, ist aber wahre Tatsache, von der der Sohn Gottes volle Kenntnis hatte. Wir erfahren hier weitere Einzelheiten von dem, was die Verstorbenen, deren Körper auf der Erde verbleiben, nach dem Tod erleben.
Lazarus wurde nach seinem Hinschied um seines Glaubens willen sogleich in den «Schoss Abrahams», des Vaters der Gläubigen, getragen, also zu der grossen Schar der glückseligen Erlösten, die schon in die Herrlichkeit des Paradieses eingegangen waren. Gott selbst sandte Engel, dienstbare Geister aus (Heb 1,14), um Lazarus zu sich, an den Ort der Glückseligkeit, zu bringen.
«Er wird hier getröstet», wird von Lazarus gesagt (Vers 25). Nun begann sich für ihn die Verheissung zu erfüllen, dass Gott im Himmel jede Träne von den Augen seiner Erlösten abwischen wird (Off 7,17; 21,4). Er wird sie dort alle Schwachheit und Krankheit, Not und Trübsal, aber auch allen Hass und jede Drangsal vonseiten der Feinde Christi vergessen lassen, die das Leben auf der Erde so oft kennzeichneten. Auch Lazarus war jetzt von Armut und Hunger und allen seinen üblen Geschwüren befreit. Doch die Heimgegangenen finden jetzt dort noch weit mehr: sie sind in der Nähe Dessen, der sie geliebt und sich für sie hingegeben hat, ohne durch die Welt und das Fleisch am Genuss seiner Gemeinschaft gehindert zu werden!
Aber haben sie in diesem Zwischenzustand wirklich die Möglichkeit, diesen wunderbaren Kontakt zu pflegen? Von dem einstigen Reichen, der sich im Hades, auf der andern Seite der «grossen Kluft» befand, bezeugte der Herr in eindrücklichen Bildern, dass er starke Empfindungen hatte, sehen und hören, sich erinnern, überlegen und sich äussern konnte, allerdings in einer schrecklichen Situation. Dann hatte Lazarus droben doch die gleichen Möglichkeiten, wie auch all die erlösten Seelen, die schon im Paradies waren (vgl. auch Off 6,9-11). Doch mit dem armen «Reichen» im Hades hatte er keinen Umgang mehr.
Dieser Zustand der Gläubigen im Paradies dauert, wie wir wissen, nicht für immer an. Nach 1. Korinther 15 und 1. Thessalonicher 4 steht ihnen im Zusammenhang mit der Wiederkunft des Herrn Jesus für die Seinen ein herrliches Ereignis bevor: «die Erlösung des Leibes» (Röm 8,23), den sie beim Entschlafen im Grab auf der Erde zurückgelassen haben. Die «Toten in Christus werden auferstehen.» Der Herr wird die Elemente ihrer Körper, die «in Verwesung gesät wurden», zu finden wissen. «Dieses Verwesliche muss Unverweslichkeit anziehen», und wir werden alle verwandelt werden, die entschlafenen, wie auch die dann noch hier lebenden Gläubigen. Wir erwarten den Herrn Jesus Christus als Heiland, «der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit, nach der wirksamen Kraft, mit der er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen» (Phil 3,21). Nicht nur für die Lebenden, auch für die Entschlafenen im Paradies geschieht das alles «in einem Nu», so dass für sie kein Leerraum entsteht.
Ja, und dann stehen wir alle da, im Leib der Herrlichkeit und wissen unser Glück kaum zu fassen. Jeder hat den Leib, der zu seiner Person gehört, aber da ist nichts mehr zu sehen von Schwachheit, Krankheit oder Missbildung und von Tod; denn «verschlungen ist der Tod in Sieg».
Zwar müssen wir dann alle noch vor dem Richterstuhl des Christus offenbar werden (2. Kor 5,10). Gott hat unser ganzes vergangenes Leben auf der Erde gesehen, und es ist notwendig, dass wir es in seinem Licht noch einmal in jeder Einzelheit überblicken, damit wir es in Übereinstimmung mit Ihm beurteilen. Da schmilzt jeder Eigenruhm in nichts zusammen. Aber da wird auch unser Blick gottgemäss geweitet für die Herrlichkeit und den Reichtum der Gnade Gottes in Christus Jesus. Sie hat uns zur Errettung, zum Heil geführt und uns dann bis in die Herrlichkeit jeden Tag treu begleitet. Sie war es, die das Gott Wohlgefällige und jedes gute Werk in unserem Leben bewirkt hat, und sie will uns dann noch dafür belohnen!
Wohin wird unser Herr bei seinem Wiederkommen die ganze unermessliche Schar seiner Erlösten führen? Ins Vaterhaus, wo Er uns eine Stätte bereitet hat (Joh 14,1-3). Für Ihn selbst, den «Sohn seiner Liebe» gibt es keinen besseren Platz, als den beim Vater, und dahin will Er auch uns bringen. In Christus ist Er ja unser Gott und unser Vater geworden, Dessen Ratschluss dann unter anderem darin erfüllt ist, dass wir als seine Kinder heilig und untadelig in Liebe vor Ihm sind, die Herzen überströmend von Lob und Dank, in ewiger Anbetung.