Das Thema «Gnade» nimmt in der Heiligen Schrift einen breiten Raum ein. Wir wollen uns hier mit den folgenden Punkten beschäftigen:
- Das Wesen der Gnade
- Die verschiedenen Bedeutungen der Gnade
- Der Weg zu den Gnadenquellen Gottes
- An der Gnade Mangel leiden
- Der Berg der Gnade
Das Wesen der Gnade
«Wenn aber durch Gnade, so nicht mehr aus Werken; sonst ist die Gnade nicht mehr Gnade» (Röm 11,6).
«… und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist» (Röm 3,24).
«Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittels des Glaubens; und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme» (Eph 2,8).
In diesen drei Versen lernen wir das Wesen der Gnade kennen. Wir sehen erstens, dass sie ein bedingungsloses Schenken Gottes ist. Zweitens empfängt man sie umsonst, man muss nichts dafür bezahlen. Drittens wird sie in der Schrift oft Werken gegenübergestellt: aus Gnade, nicht aus Werken. Gnade ist das Gegenteil von Verdienst.
Die verschiedenen Bedeutungen der Gnade
In der Schrift ist es oft so, dass ein Wort nicht überall, wo es vorkommt, dasselbe bedeutet. Das ist auch bei der Gnade der Fall. Daher ist es wichtig zu erkennen, was dieses Wort, im Zusammenhang gesehen, jeweils bedeutet. Einige der wesentlichen Bedeutungen der Gnade wollen wir im Folgenden etwas näher betrachten.
- «Der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gnadengabe Gottes aber ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn» (Röm 6,23)
An vielen Stellen im Wort Gottes, wo Gnade vorkommt, bedeutet sie wie hier die Erlösung, das ewige Leben, unser Heil im Herrn Jesus. Wenn ein Mensch eingesehen hat, dass er ein Sünder ist und Gott seine Sünden bekannt und an den Namen und das Werk des Herrn Jesus geglaubt hat, dann bekommt er das ewige Leben aus Gnaden geschenkt. So sind wir alle, die wir an Ihn glauben, Denkmäler der Gnade Gottes.
- In Johannes 1,17 sehen wir eine andere Bedeutung der Gnade: «Das Gesetz wurde durch Mose gegeben; die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.»
In diesem Zusammenhang bedeutet Gnade das Heilszeitalter der Gnade und der Wahrheit, die damit in Verbindung steht. Es gab einmal das Heilszeitalter des Gesetzes. Jenes wurde von Gott durch Mose eingeführt, aber durch das Kommen des Herrn Jesus auf der Erde ist das Heilszeitalter der Gnade gekommen.
- Eine dritte Bedeutung finden wir in Römer 12,3: «Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben worden ist, jedem, der unter euch ist, nicht höher von sich zu denken, als zu denken sich gebührt.»
Hier bedeutet Gnade den Empfang einer Gnadengabe. Diese ist eine Gabe von Gott und ist mehr als eine natürliche Befähigung, die wir Menschen vom Schöpfer erhalten haben. Es ist eine geistliche Befähigung, die Gott in ein menschliches Gefäss hineinlegt, eine besondere Gabe, um einen Dienst für den Herrn in irgendeiner Weise auszuüben. In gewissem Sinn hat jeder von uns eine Gnadengabe empfangen, die besondere Fähigkeit, einen ganz besonderen Dienst zu tun. Dass der Herr sein Werk auf der Erde durch uns betreibt, indem Er jedem von uns eine Gnadengabe gegeben hat, ist ein beglückender Gedanke. Er könnte sein Werk auch ohne uns tun. Er hat uns gar nicht nötig, und eigentlich käme Er ohne uns viel besser zum Ziel. Aber Gott wollte die Seinen in seinem Werk beschäftigen, und das ist nichts anderes als Gnade.
«… allezeit überströmend in dem Werk des Herrn, da ihr wisst, dass eure Mühe nicht vergeblich ist im Herrn» (1. Kor 15,58). Das ist die Gnadengabe, die jeder von uns empfangen hat, die wir zur Ehre des Herrn und zum Nutzen der Menschen ausüben dürfen.
- «Ich wünschte aber, alle Menschen wären wie auch ich selbst; aber ein jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so» (1. Kor.7,7)
Hier sehen wir etwas Besonderes, nämlich den Empfang der Gnade, um spezielle Lebensumstände zu ertragen. Wenn der Apostel hier sagt: «Ich wünschte aber, alle Menschen wären wie auch ich selbst», dann meint er, unverheiratet zu sein, und das sind spezielle Lebensumstände. Es braucht Gnade, im unverheirateten Stand den Herrn zu ehren, wie es übrigens auch Gnade braucht, dies im verheirateten Stand zu tun. Wir können diesen Gedanken auch auf andere Lebensumstände anwenden: Der eine ist z.B. Vorgesetzter in einem Betrieb, der andere ist einfacher Arbeiter. Der eine ist wohlhabend, der andere muss mit wenig auskommen, usw. Wir dürfen dabei wissen, dass jeder eine Gnadengabe empfängt, d.h. die Fähigkeit vom Herrn, die Lebensumstände, in die Er uns gestellt hat, zu ertragen.
- Als fünftes finden wir in Philipper 1,2 die Gnade unseres Gottes, die Er uns jeden Tag schenkt: «Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!»
Wenn der Apostel Paulus den Philippern Gnade und Friede wünscht, denkt er nicht an das ewige Heil, denn das besassen sie schon, sondern an die tägliche Gnade und den täglichen Frieden für ihren Weg. Gnade braucht man für die Füsse und Frieden für das Herz. Besonders in diesen letzten Tagen kurz vor dem Kommen des Herrn Jesus brauchen wir Gnade, um den Weg zu finden, und bei jedem Schritt, den wir noch hier auf der Erde zu gehen haben, Ruhe für unser Herz.
Der Weg zu den Gnadenquellen Gottes
«Er gibt aber grössere Gnade; deshalb spricht er: Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade» (Jak 4,6).
Wir haben gesehen, dass der Apostel den Philippern Gnade gewünscht hat. In unserem Vers hier lernen wir, dass bei Gott Gnade vorhanden ist und dass Er sie uns gibt, wenn wir demütig sind. Nun ist es wichtig, dass wir diese Gnadenquellen, die Gott bereitgestellt hat, auch erschliessen, denn es kann tatsächlich Hindernisse dafür geben. Vielleicht wundern wir uns darüber, und wir denken, dass Gott doch für jeden Weg Gnade bereithält. Wie kann es sein, dass wir Tage kennen, da wir den Weg in Gnaden gehen können, aber auch Tage der Mühe?
Da kann uns der obige Vers eine Hilfe sein. Zuerst heisst es: «Er gibt.» Gott gibt, Er liebt es zu schenken, und Er gibt grössere Gnade. Er hat Gnade für jeden Weg und für jeden Lebensumstand bereitgestellt.
Unsere Lebensumstände können zuweilen sehr schwierig sein. Es kann z.B. sein, dass man einen sehr schwierigen Nachbarn bekommt, oder einen ganz schwierigen Arbeitskollegen, oder einen ganz schwierigen Vorgesetzten usw. In solchen Umständen dürfen wir im Glauben festhalten, dass es für jeden Weg genug Gnade gibt, um den Herrn Jesus nicht verunehren zu müssen. Es gibt keinen Weg, und mag er noch so schwierig sein, für den Gott nicht genug Gnade gibt, um Ihn zu ehren und selbst glücklich sein zu können.
Aber wie erschliessen wir diese Gnadenquellen Gottes? Gott widersteht dem Hochmütigen. Stolz und Selbstvertrauen sind Hindernisse. Wenn wir unser Vertrauen auf uns, unsere Intelligenz und unsere Kraft setzen, dann verschliessen sich die Gnadenquellen Gottes. Er gibt dem Demütigen Gnade. Das ist leicht gesagt, aber wie werden wir demütig? Der Weg zur Demut führt unter das Kreuz, denn von Natur sind wir alle stolz. Es ist Gottes Liebe, uns unter dem Kreuz Demut zu lehren. Dort sehen wir unsere ganze Verdorbenheit, denn gerade darum musste der Herr Jesus dieses schwere Werk für uns vollbringen. Wir sollten uns aber nicht nur am Sonntagmorgen mit dem Kreuz beschäftigen, sondern auch im täglichen Leben. Die Väter, die das Tischgebet sprechen, sollten bei dieser Gelegenheit auch für das Heil im Herrn Jesus danken. So bleibt das Geschehen auf Golgatha im Bewusstsein der Familie lebendig. Das ist der Weg, auf dem wir wahre Demut lernen. Da lernen wir wirklich, wie klein und nichtig wir sind und wie gross Er ist.
Wenn wir aber das Werk des Herrn Jesus vergessen, müssen wir manchmal auf einem anderen Weg Demut lernen. Meistens ist es dann eine bittere Sache, vielleicht indem wir in eine Sünde fallen. Hochmut geht dem Fall voraus, heisst es in den Sprüchen, und manchmal müssen wir durch einen solchen Weg gedemütigt werden.
Es ist aber auch möglich, dass wir nicht durch direkte Schuld in schwierige Umstände kommen. Da verliert zum Beispiel ein Gläubiger seine Arbeitsstelle. Er trägt keine Schuld an der Entlassung, und doch ist dies eine Demütigung für ihn. Gott muss uns manchmal solche Wege führen, weil wir so wenig unter dem Kreuz sind.
Darum sagt der Psalmist in Psalm 119,71: «Es ist gut für mich, dass ich gedemütigt wurde, damit ich deine Satzungen lernte.» Es ist die Liebe Gottes, die uns oft schwere Wege führt, damit wir wahre Demut lernen und dann auf diesem Weg beginnen, die Gnadenquellen Gottes zu erschliessen.