Gabe und Aufgabe
Jeder Christ hat nach 1. Korinther 12 eine Gabe, und zwar so, wie Gott sie ihm zugeteilt hat. Beachten wir, dass es sich um eine Gabe handelt. Gott hat sie uns leihweise zur treuen Verwaltung übergeben. Er gibt sie uns in seiner unbeschränkten Gnade: eine Gnadengabe! Wir können sie uns nicht irgendwie erwerben, sondern nur dankbar in Empfang nehmen. Wir haben auch keinerlei Grund, darauf stolz zu sein, denn es ist eben eine Gabe!
Diese Gabe ist natürlich für den richtigen Gebrauch bestimmt, nicht etwa, um ihrer selbst willen oder um sie brach liegen zu lassen oder sie gar zu vergraben. Jeder hat deshalb eine ihm vom Herrn der Ernte gestellte Aufgabe, die er mit der ihm verliehenen Gabe erfüllen soll. Das eine entspricht dem andern – sie sind nach göttlicher Weisheit aufeinander abgestimmt. Man kann einer Aufgabe nur richtig entsprechen, wenn man die dafür nötige Gabe empfangen hat, mag die Aufgabe nun klein oder gross sein.
Sammeln und weitergeben
Bevor wir jedoch etwas aus der Fülle des Wortes Gottes weitergeben können, müssen wir zuerst
- «sammeln», und zwar so, wie die Israeliten auf der Wüstenreise das Manna, nämlich Tag für Tag
- «essen und übrig lassen», d.h. uns selbst von dem Gesammelten ernähren und andern davon weitergeben
- «das Land in Besitz nehmen» wie Israel es tat, bevor wir andern die Schönheiten dieses Landes zeigen, d.h. sie auf die geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern hinweisen können
- «die Wahrheit kaufen», d.h. sie uns persönlich aneignen, indem wir die Bibel lesen, darüber nachdenken, das Wort im Glauben aufnehmen, uns darunter beugen und es auch praktisch ausleben
So werden wir in der Lage sein, andern die Wahrheiten des Wortes Gottes lieb zu machen.
Wir können auch im geistlichen Leben nicht mehr «ausgeben» als wir «eingenommen» haben, ohne die fatalen Folgen eines Bankrotts ernten zu müssen. Aber gerade auf geistlichem Gebiet trifft man immer wieder solche an, die das Prinzip von «Soll» und «Haben» missachten. Nur so ist es zu erklären, dass Leute, die einmal gut angefangen haben, plötzlich im Eifer nachlassen, und nach und nach das aufgeben, woran sie einst glaubten, oder gar alles über Bord werfen. Was ihnen einmal heilig war, bedeutet ihnen nun nichts mehr. Was sie einst verkündigten, machen sie jetzt lächerlich. Sie haben mehr ausgegeben als sie in Gottes Wort gesammelt hatten. Sie haben Bücher gesammelt, anstatt sie zu lesen. Sie haben sie gelesen und auswendig gelernt, statt die Wahrheit in Besitz zu nehmen. Oder sie haben weitergegeben, was sie vom Hörensagen hatten, was soviel bedeutet wie Geliehenes verpfänden. So geht es eben nicht – man muss sich dann über die Folgen nicht wundern.
Mass und Übermass
Gott ist ein Gott des Masses (2. Kor 10,13). Alles hat Er abgemessen, sowohl die uns verliehene Gabe als auch die damit verbundene Aufgabe. Er überfordert seine Knechte nicht. Es ist deshalb wichtig, unser Mass zu erkennen und anzuerkennen, und nicht unter dem Druck der Umstände oder gar im Übermut darüber hinauszugehen. Dann lebten wir nicht mehr nach dem Willen Gottes. Aber wir würden uns überfordern, was längerfristig nur zum Schaden ist. Zu viel tun, wirkt sich verheerender aus, als nichts tun.
Von Paulus können wir lernen, nicht über den zugeteilten Wirkungskreis hinauszugehen. Damit wäre er in das Tätigkeitsfeld anderer eingedrungen und hätte sein eigenes vernachlässigt. Das wollte er nicht. Er erfüllte seine Aufgabe und erwartete, dass die andern das ebenso taten. So schrieb er nach Kolossä: «Sagt Archippus: Sieh auf den Dienst, den du im Herrn empfangen hast, dass du ihn erfüllst.» Er redete z.B. auch Apollos zu, überliess die Entscheidung aber wohlweislich ihm. Paulus tat zwar viel, aber er sah ein, dass er nicht alles tun konnte und durfte. Zuweilen musste der Herr selbst ihn an einer Reise hindern, damit er nicht zu weit ging.
Der Herr hatte schon zu seinen Jüngern gesagt: «Kommt ihr selbst her an einen öden Ort für euch allein und ruht ein wenig aus.» Er wollte sie vor Überarbeitung schützen. Als dann aber die Volksmengen bis zur Essenszeit blieben – was die Jünger störte –, forderten sie den Meister auf: «Entlass sie.» Da musste Er sie an ihr «Mass» erinnern, indem Er sagte: «Gebt ihr ihnen zu essen.» Er liess nicht zu, dass sie sich drückten.
Treue im Kleinen
In aller Regel wird die Aufgabe am Anfang klein sein und erst mit der Zeit grösser werden. Ebenso ist es normalerweise mit dem Wirkungskreis. Der Radius wird – wenn der Herr will – entsprechend der Treue, mit der wir zu Werke gehen, zunehmen. Wir sollten nichts erzwingen, oder uns in grössere Aufgaben stürzen, als der Herr uns zugewiesen hat.
Aber der Grundsatz bleibt bestehen: «Denn wer da hat, dem wird gegeben werden» (Mt 13,12).
Oft ist es so: Solange wir uns nach mehr Aufgaben ausstrecken, lässt der Herr uns warten, aber sobald wir meinen, wir hätten genug, fängt Er an, uns aufzuladen. Zuerst muss Er uns vor dem Hochmut («wir können es») bewahren. Was uns da helfen kann, ist die Herzenshaltung: «Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.» Dann aber will Er uns lehren, «dass nicht wir die Redenden sind», sondern der in uns wohnende Geist Gottes, und dass es nicht unsere Kraft, sondern die seine ist.
Belohnung der Treue
Es werden uns also nicht nur die Gabe, die Aufgabe, das geistliche Wachstum und der Wirkungskreis geschenkt, sondern obendrein auch noch ein Lohn für treue Pflichterfüllung. Beachten wir aber, dass am Richterstuhl des Christus weder die Grösse der Gabe noch die Grösse der Aufgabe noch die geistliche Reife oder die Ausdehnung des Arbeitsfeldes, sondern einzig und allein die Treue, die wir hier und heute an den Tag legen, belohnt werden wird!
Dieser Lohn wird von keinem Geringeren «ausbezahlt» werden als von Dem, der gesagt hat: «Der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen.» Wer hat treuer gedient als Er?