Zwei unerhörte Gebete

Mose

Die Bibel berichtet von zwei Männern Gottes, die zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Anliegen im Gebet Gott vorbrachten, aber eine abschlägige Antwort erhielten. Der erste war Mose. Er erzählte dem Volk Israel selbst die näheren Umstände:

«In jener Zeit flehte ich zu dem HERRN und sprach: Herr, HERR, du hast begonnen, deinem Knecht deine Grösse und deine starke Hand zu zeigen! Denn welcher Gott ist im Himmel und auf der Erde, der gleich deinen Werken und deinen Machttaten tun könnte? Lass mich doch hinüberziehen und das gute Land sehen, das jenseits des Jordan ist, dieses gute Gebirge und den Libanon.

Aber der HERR war über mich erzürnt um euretwillen und hörte nicht auf mich; und der HERR sprach zu mir: Lass es genug sein; rede mir fortan nicht mehr von dieser Sache! Steige auf den Gipfel des Pisga, und erhebe deine Augen nach Westen und nach Norden und nach Süden und nach Osten, und schau mit deinen Augen; denn du wirst nicht über diesen Jordan gehen» (5. Mo 3,23-27).

Dieses nicht erhörte Gebet war für Mose wohl die bitterste Pille in seinem langen Leben. Wie viele Strapazen hatte er durchgestanden, wie viele Leiden ertragen und welche Hoffnungen hatte er im Blick auf das verheissene Land gehegt. Diese Hoffnungen hatten sich nun gründlich zerschlagen. Gott gewährte ihm diesen innigsten Herzenswunsch nicht.

Hinzu kam, dass Mose dieses Nein Gottes selbst verschuldet hatte, weil er an den Wassern von Meriba versäumt hatte, Gott durch Glauben zu ehren. Er und Aaron hätten zum Felsen reden sollen, um dem dürstenden Volk Wasser geben zu können. Dann wäre allen klar gewesen, dass nicht Mose, sondern Gott der grosse Geber aller guten Gaben war.

In jener Stunde aber handelte Mose unüberlegt, unklug, ja, hochmütig: «Hört doch, ihr Widerspenstigen! Werden wir euch Wasser aus diesem Felsen hervorbringen? Und Mose erhob seine Hand und schlug den Felsen mit seinem Stab zweimal; da kam viel Wasser heraus, und die Gemeinde trank und ihr Vieh» (4. Mo 20,10.11). Gott erbarmte sich des Volkes und spendete ihm Wasser, ja, sogar viel Wasser, obwohl Mose Ihn nicht vor dem Volk geheiligt hatte. Aber dieser Ungehorsam Moses hatte bittere Konsequenzen: Er durfte nicht ins Land Kanaan. Auch Aaron nicht.

Und Gott, liess Er sich durch das Gebet Moses umstimmen? Konnte Er diese Sünde Moses nicht übersehen oder vergeben? Vergeben konnte Er sie wohl, aber die Folgen der Sünde konnte Er nicht wegnehmen. Gott ist ein gnädiger Gott, aber Er ist auch ein heiliger Gott. In seiner Gnade vergab Er Mose, aber gemäss seinen Regierungswegen musste Er ihn die bitteren Früchte ernten lassen. Ernste Tatsache, die für alle Menschen aller Zeiten gilt, auch für uns!

Lasst uns Gott niemals herausfordern! Er kann sich selbst nicht verleugnen. Er hat die Gesetzmässigkeit festgelegt: «Was irgend ein Mensch sät, das wird er auch ernten.» Das weiss jeder Bauer und jeder Gärtner. Es ist noch nie vorgekommen, dass aus einem Samen eine andere Pflanze gewachsen ist, ausser jener Art, die den Samen erzeugt hat. Dieses Gesetz gilt gleichermassen für das Tun und Lassen der Menschen. Es kennt keine Ausnahme, auch für Mose nicht!

Paulus

Der zweite Mann, der ein dringendes Anliegen hatte, war Paulus. Er wünschte «den Dorn im Fleisch», worin er auch immer bestand, um jeden Preis loszuwerden. Es könnte ein körperliches Leiden gewesen sein, vielleicht eine Sehschwäche. Jedenfalls sah er sich gezwungen, seine Briefe zu diktieren. Nur beim Brief an die Galater griff er selbst zur Feder, schrieb ihn aber mit grossen Buchstaben (Gal 6,11 Fussnote).

Nur wer selbst von einem solchen Leiden befallen ist, kann ermessen, welche Behinderung es für den Apostel darstellen musste. Und gerade die Galater wären bereit gewesen, ihre Augen auszureissen, wenn dies Paulus etwas genützt hätte.

Er wandte sich aber in seiner Not an den Herrn. Gewiss würde Er sein Flehen erhören. Aber was musste Paulus erleben? Der Herr gewährte ihm diese Bitte nicht! Vielmehr sagte Er ihm: «Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht.» Der Herr hatte Höheres mit seinem Knecht im Sinn. Er wollte ihn nicht von dem Dorn für das Fleisch befreien, sondern ihm die Gnade geben, diesen Schmerz zu ertragen.

Im Fall von Paulus lag kein Verschulden vor. Aber warum dann dieser Dorn für das Fleisch? Er stellte sozusagen das Gegengewicht zu jenem unerhört grossen Erlebnis dar, den verherrlichten Herrn im Himmel gesehen zu haben. Der Herr hatte ihm diese ausserordentliche Gnade gewährt, und war bereit, ihm Tag für Tag auch jene Gnade zu schenken, geduldig den Dorn zu erleiden. Paulus sollte seinen Meister auf diese Art verherrlichen. Und das war entschieden mehr, als vom Dorn befreit zu werden.

Paulus schickte sich nun nicht einfach ins Unvermeidliche, sondern konnte bekennen: «Daher will ich mich am allerliebsten vielmehr meiner Schwachheiten rühmen, damit die Kraft des Christus über mir wohne. Deshalb habe ich Wohlgefallen an Schwachheiten, an Schmähungen, an Nöten, an Verfolgungen, an Ängsten für Christus; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.» Welche Unterwerfung unter den Willen Gottes! Welch ein Glaube und welch eine Liebe zu seinem Herrn!