Sanftmut

Das Wort Gottes fordert uns an verschiedenen Stellen zur Sanftmut auf, und es lohnt sich, diesen Stellen einmal in Ruhe anhand einer Konkordanz nachzugehen. Den meisten Menschen fällt es von Natur aus schwer, sanftmütig oder milde zu sein. Gewiss, der eine ist von seiner Veranlagung her ruhiger und geduldiger, während ein anderer leichter aufbraust. Aber im Grund genommen begehren wir alle irgendwie auf, wenn uns Unrecht geschieht oder wenn uns etwas nicht passt. Genau das tut der sanftmütige Christ aber nicht. Er wehrt sich nicht, wenn er ungerechtfertigt angegriffen wird. Er reagiert nicht aggressiv, wenn man ihn gemein behandelt. Er begehrt nicht auf, wenn er etwas tun soll, das ihm nicht gefällt.

Wenn Gottes Wort uns zur Sanftmut auffordert, so ist damit nicht eine menschliche Veranlagung gemeint, sondern eine vom Heiligen Geist gewirkte innere Herzenshaltung. In Galater 5,22 wird uns die Frucht des Geistes beschrieben. Ein Stück dieser herrlichen Frucht ist die Sanftmut. Der Heilige Geist allein kann sie in uns hervorbringen. Er wirkt auf unseren Geist ein, so dass wir in der Lage sind, sanftmütig zu sein. Deshalb werden wir in 1. Timotheus 6,11 aufgefordert: «Du aber, o Mensch Gottes, strebe nach … Sanftmut des Geistes» (hier ist nicht der Heilige Geist, sondern der menschliche Geist gemeint, der durch Sanftmut geprägt sein soll).

Sanftmut erweisen gegen alle Menschen

In Titus 3,2 werden wir aufgefordert, «alle Sanftmut» zu erweisen «gegen alle Menschen». Sanftmut bezieht sich auf unser Verhalten unseren Geschwistern und unseren ungläubigen Mitmenschen gegenüber.

Paulus hatte allen Grund, das Verhalten der Korinther zu tadeln. In Korinth gab es vieles, das sehr zu wünschen übrig liess. Doch in welchem Geist wollte Paulus dies tun? Er stellt ihnen die Frage: «Was wollt ihr? Soll ich mit der Rute zu euch kommen, oder in Liebe und im Geist der Sanftmut?» (1. Kor 4,21). Ein Geist der Sanftmut schliesst klare Worte keineswegs aus, und doch sollte unser Verhalten untereinander nicht durch Härte, sondern in altem durch Liebe und Sanftmut geprägt sein.

In Galater 6,1 spricht Paulus von solchen, die von einem Fehltritt übereilt werden. So etwas kommt leider immer wieder vor. Was sollen wir dann tun? Ihnen Vorhaltungen machen? Paulus schreibt: «Bringt ihr, die Geistlichen, einen solchen wieder zurecht im Geist der Sanftmut.» Unmittelbar danach folgt die Aufforderung: «Einer trage des anderen Lasten.» Wir können nur im Geist der Sanftmut die Lasten des anderen tragen. Noch einen Schritt weiter geht es in 2. Timotheus 2,25. Dort ist die Rede von Widersachern, die zurechtgewiesen werden müssen. Doch wie soll das geschehen? Paulus schreibt: «Der in Sanftmut die Widersacher zurechtweist.» Wären wir doch im Umgang miteinander mehr von dieser Sanftmut gekennzeichnet, wie manches Problem liesse sich dann viel leichter lösen!

Doch nicht nur im Verhalten Geschwistern gegenüber sollten wir sanftmütig sein. Auch im Umgang mit den Menschen dieser Welt dürfen wir uns durch die Sanftmut leiten lassen. Davon spricht Petrus: «Seid jederzeit bereit zur Verantwortung gegen jeden, der Rechenschaft von euch fordert über die Hoffnung, die in euch ist, aber mit Sanftmut und Furcht» (1. Pet 3,15). Der Zusammenhang, in dem dieser Vers steht, ist beachtenswert. Petrus spricht im 3. Kapitel seines ersten Briefes von den Leiden, die wir um der Gerechtigkeit willen zu erdulden haben. Er sagt: «Aber wenn ihr auch leiden solltet um der Gerechtigkeit willen, glückselig seid ihr» (V. 14) und: «Es ist besser, wenn der Wille Gottes es will, für Gutestun zu leiden, als für Bösestun» (V. 17). Wenn wir von der Welt angegriffen werden, weil wir der Gerechtigkeit leben wollen, dann können wir einen solchen Angriff nur im Geist der Sanftmut abwehren. Wenn wir aber aufbegehren, dann hat Satan einen Sieg errungen.

Christus unser Vorbild

Von wem könnten wir die Sanftmut besser lernen, als von unserem Herrn? Er ist auch darin unser vollkommenes Vorbild. Nur wenn wir in ständiger Gemeinschaft mit Ihm sind, können wir einen Geist der Sanftmut offenbaren. Nur in der Beschäftigung mit Ihm werden wir selbst befähigt, uns so zu verhalten, wie Er sich verhalten hat, als Er auf der Erde war. Er sagt selbst: «Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.» Für uns ist es wichtig, Ihn zu betrachten, wie Er hier als Mensch war, wie Er reagierte, wie Er sich verhalten hat. Dann kann sein Bild in uns gestaltet werden und seine Wesensart bei uns gefunden werden. Paulus schreibt nicht umsonst: «Diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war.» Wenn seine Gesinnung in uns ist, dann gleichen wir unserem Meister, dann denken wir wie Er, handeln wie Er und reagieren wie Er. Dann werden wir sanftmütig, so wie Er sanftmütig war.

Es ist eine grosse Ermunterung für uns, dass wir die Sanftmut vom Herrn Jesus selbst lernen dürfen. Er hat uns vorgelebt, was Sanftmut ist und wie sie sich äussert. In seinen Fussspuren dürfen wir folgen. Er hat sich nicht gewehrt oder verteidigt, wenn Er ungerechtfertigt angegriffen wurde oder wenn man Ihn zutiefst beleidigte. Mochten die Menschen noch so gemein und brutal mit Ihm umgehen, Er wurde nicht aggressiv, sondern blieb still und sanftmütig. Selbst in der Nacht, als Er überliefert wurde und die Bosheit der Menschen gegen Ihn ihren Höhepunkt erreichte, änderte Er sein Verhalten nicht. Es heisst vielmehr: «Er wurde misshandelt, aber er beugte sich und tat seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern; und er tat seinen Mund nicht auf.» Das war die vollkommene Sanftmut des Menschen Jesus Christus, unseres grossen Vorbildes.

Das Leben unseres Herrn zeigt aber auch deutlich, dass Sanftmut nicht bedeutet zu schweigen, wenn die Ehre Gottes in den Schmutz gezogen wird. Wenn es um uns selbst geht, d.h. wenn wir angegriffen werden, offenbart sich Sanftmut, indem wir schweigen. Wenn es aber um die Ehre Gottes geht, ist Schweigen fehl am Platz. Wie hat es der Herr Jesus getan? In Johannes 2,13-18 und in Matthäus 21,12.13 sehen wir Ihn im Tempel für die Ehre Gottes eintreten, und zwar mit gewaltigen Worten. In Markus 3,5 hatte Er allen Grund, mit Zorn auf die Pharisäer zu blicken (wenn auch gleichzeitig betrübt über die Verstocktheit ihrer Herzen). Es gibt Situationen, in denen heiliger Zorn auch in unserem Leben durchaus angebracht ist.

«Glückselig die Sanftmütigen»

Die Sanftmut ist nicht nur eine für Gott sehr kostbare Eigenschaft, nein, sie ist auch mit wunderbaren Verheissungen verbunden. In seiner so bemerkenswerten Rede auf dem Berg sagt der Herr Jesus: «Glückselig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben» (Mt 5,5). Hier geht es um die Verheissung des zukünftigen Friedensreiches. Wenn auch das kommende Reich nicht die höchste christliche Segnung ist, so dürfen wir uns doch auf den Augenblick freuen, da die Leiden dieser Zeit ein Ende haben und der Herr Jesus öffentlich regieren wird.

Ein Blick in das Alte Testament zeigt uns weitere Segnungen, die mit der Sanftmut verbunden werden und die wir auch auf uns anwenden dürfen. Der sanftmütige Christ ist ein glücklicher Christ. Gott schenkt ihm Freude: «Die Sanftmütigen werden ihre Freude in dem HERRN mehren» (Jes 29,19). Der sanftmütige Christ darf die tägliche Errettung des Herrn in widrigen Umständen erfahren: «Der HERR … schmückt die Sanftmütigen mit Rettung.» – «Gott … rettet alle Sanftmütigen des Landes» (Psalm 149,4; 76,9). Der sanftmütige Christ spürt die stärkende Hand Gottes in seinem Leben: «Der HERR erhält aufrecht die Elenden (oder Sanftmütigen); er erniedrigt bis zur Erde die Gottlosen» (Psalm 147,6). Der sanftmütige Christ darf den Weg Gottes in seinem Leben erkennen: «Er leitet die Sanftmütigen im Recht und lehrt die Sanftmütigen seinen Weg» (Psalm 25,9). Der sanftmütige Christ findet sein Genüge in Gott: «Die Sanftmütigen werden essen und satt werden» (Psalm 22,26).

Es entspricht sicher nicht dem Zeitgeist dieser Welt, sanftmütig zu sein, doch für ein Kind Gottes lohnt es sich. Vielleicht können diese Zeilen ein wenig dazu beitragen, dass wir mehr in der «Sanftmut und Milde des Christus» unseren Weg zu seiner Ehre und Verherrlichung gehen.