«Nazarener» und «Spross»

Die Heilige Schrift erwähnt verschiedene Namen unseres Herrn. Jeder von ihnen bezeichnet eine besondere Herrlichkeit oder Wesensart oder Stellung dieser göttlichen Person, die Fleisch geworden ist, um unter uns Menschen zu wohnen. Zwei davon, «Nazarener» und «Spross», sind manchen von uns wenig bekannt.

«Er wird Nazarener genannt werden»

Der Herr Jesus wohnte in der Stadt Nazareth in Galiläa, «damit erfüllt würde, was durch die Propheten geredet ist: ‹Er wird Nazaräer genannt werden›» (Mt 2,23).

Nazareth wird nur im Neuen Testament erwähnt. Im Zusammenhang mit den prophetischen Verheissungen wurde diese Stadt nicht genannt. Für Nathanael, der vom Herrn Jesus als Israelit bezeichnet wurde, «in dem kein Trug ist», hatte ihr Name keinen guten Klang. Als ihm daher «Jesus von Nazareth» vorgestellt wurde, stellte er die Frage: «Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen?»

Nazareth wurde von den Juden allgemein verachtet. Vielleicht deshalb, weil es zu Galiläa gehörte, durch das der Handelsweg der Nationen führte. Die dortige Bevölkerung hatte deswegen den Charakter eines abgesonderten Volkes Gottes preisgegeben.

An diesem verachteten Orte wohnte der Herr. Er wurde daher Nazarener oder Nazaräer (aus Nazareth stammend) genannt. Bürger einer solchen Stadt zu sein, war alles andere als eine Ehre für den Sohn Gottes.

Ein blinder Bettler am Weg vernahm von den Vorübergehenden, dass Jesus, «der Nazarener» daherkomme. So geringschätzig redete die Volksmenge von ihrem Messias. Bartimäus aber rief: «Sohn Davids, Jesus, erbarme dich meiner!» Er, der Blinde, erkannte den Herrn besser als die sehende Volksmenge.

Der Garten Gethsemane war in tiefe Nacht gehüllt. Plötzlich kamen Soldaten und Diener mit Fackeln und Leuchten daher. Man hätte meinen können, sie seien auf der Jagd nach einem Schwerverbrecher. Da trat ihnen Jesus mit der Frage entgegen: «Wen sucht ihr?» – «Jesus, den Nazaräer!» war ihre verächtliche Antwort.

Der Herr Jesus wusste, was über Ihn kommen würde. Er stellte sich an den Ihm zugewiesenen, verachteten Platz und sagte: «Ich bin es.» Für einen kurzen Augenblick aber wurde seine göttliche Macht offenbar. Die Soldaten wichen zurück und fielen zu Boden. Dann aber liess sich der Herr binden und gefangen wegführen.

Am folgenden Tag hing der Herr Jesus am Kreuz. Pilatus setzte als Überschrift über Ihn: Jesus, «der Nazaräer», der König der Juden. Die Hohenpriester beanstandeten den ersten Titel keineswegs. Für sie war Er ja tatsächlich der verachtete Nazaräer. Aber als «König der Juden» wollten sie Ihn nicht gelten lassen. Welche Erniedrigung!

  • Ruhm, Anbetung, Preis und Ehre
    bringen wir, Herr Jesus, dir!
    Unerforschte Höhn und Tiefen
    sieht erstaunt der Glaube hier.

Nachdem das grosse Erlösungswerk des Herrn Jesus vollbracht war, legte Petrus am Pfingsttag ein machtvolles Zeugnis ab über Jesus, «den Nazaräer», den vom Volk Verachteten, der durch die Hand von Gesetzlosen umgebracht worden war.

Im Namen Jesu «des Nazaräers», wurde auch der Lahme, der an der Tempelpforte bettelte, gesund gemacht. Als Petrus hierauf vom Rat der Siebzig (Synedrium) über diese Wohltat verhört wurde, bezeugte er den Obersten, wie auch dem ganzen Volk Israel, dass in dem Namen Jesu Christi, des «Nazaräers», der ehemals Gelähmte nun gesund vor ihnen stehe. Und der Apostel fügte hinzu: «Kein anderer Name», als nur der Name Jesu Christi, des Nazaräers, «ist unter dem Himmel, der unter den Menschen gegeben ist, in dem wir errettet werden müssen.»

Ist dieser kostbare Name auch die Grundlage deines Heils?

Die Apostel erwähnten den Namen «Nazarener» nur, um dem Volk vor Augen zu führen, wie Gott diese Person, die sie so sehr verachteten, mit der höchsten Ehre umgeben und seinen Namen zur Quelle allen Segens gemacht hat. – In diesem Sinn nannte sich der Herr selber «Jesus, der Nazaräer», als Er dem Verfolger Saulus auf der Strasse nach Damaskus erschien (Apg 22,8).

Später hat der Apostel Paulus, nicht den heidnischen Königen, sondern den Obersten Israels in hebräischer Mundart diese erste Begegnung mit dem Herrn erzählt und dabei berichtet, wie Er ihm geantwortet habe: «Ich bin Jesus, der Nazaräer, den du verfolgst» (Apg 22,8). Sie hatten ihren Messias getötet, nun sollten sie auch wissen, dass Jesus, der Nazaräer, lebt.

Doch die Obersten verharrten in ihrer abweisenden Haltung gegenüber diesem verachteten Nazaräer und bezeichneten Paulus als Anführer der «Sekte der Nazaräer» (Apg 24,5). Der Herr Jesus blieb der vom Volk Verachtete!

«Er wird Nazarener genannt werden», so hatten die Propheten geredet. Aber – wie schon gesagt – die Stadt Nazareth und ihre Bewohner werden im Alten Testament nirgends erwähnt. In welchem seiner Bücher können wir denn die obige Prophezeiung finden, die in Mt 2,23 angeführt wird?

Da kommt uns die Tatsache zu Hilfe, dass dem Wort Nazareth der hebräische Ausdruck «nezer» zugrunde liegt, der «grüner Zweig» oder «Spross» bedeutet. Das vom Evangelisten Matthäus zitierte Wort hat also einen doppelten Sinn. Erstens wird es – wie wir gesehen haben – auf den Umstand angewandt, dass der Herr Jesus von Nazareth herkam. Zweitens nimmt es aber auch auf Stellen im Alten Testament Bezug, die vom «Spross» reden.

Damit kommen wir zum zweiten Namen:

«Siehe ein Mann, sein Name ist Spross» (Sacharja 6,12)

Verschiedene Propheten haben über diesen Spross geweissagt. So auch Jesaja: «Und er ist wie ein Reis vor ihm aufgeschossen und wie ein Wurzelspross aus dürrem Erdreich» (Jes 53,2).

Der Kämmerer las auf seiner Heimreise gerade dieses Kapitel (Apg 8). Ihm fiel das kleine Wörtchen «er» auf, das in den meisten Versen wiederkehrt, und er stellte seinem Begleiter daher die Frage: «Von wem sagt der Prophet dieses?» Und anfangend von dieser Stelle verkündigte ihm Philippus das Evangelium von Jesus. Das ganze 53. Kapitel schildert ja in bewegten Worten die Verwerfung, die Leiden und das Sterben des Herrn.

Jesus war gekommen als Wurzelspross aus dürrem Erdreich. Aber das Volk Israel sah nicht den Spross, sondern nur den verachteten Nazaräer, und nahm Ihn nicht an.

Der Herr Jesus wird seinem Volk noch einmal erscheinen: «Und ein Reis wird hervorgehen aus dem Stumpf Isais, und ein Schössling aus seinen Wurzeln wird Frucht bringen. Und auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und Furcht des HERRN; und sein Wohlgefallen wird sein an der Furcht des HERRN.» (Lies Jesaja 11,1-5). Wie deutlich spricht diese Weissagung von unserem Herrn, der einst in Niedrigkeit unter seinem Volk erschien, aber bald in Herrlichkeit wieder zu ihm kommen wird.

Auf niemand anderem wird der siebenfache Geist Gottes ruhen, der uns im letzten Buch der Bibel vorgestellt wird:

  1. Im Bild von sieben Feuerfackeln (Off 4,5), Symbol des Lichts und des Gerichts.
  2. Im Bild von sieben Augen (Off 5,6), Symbol der Einsicht und der Weisheit.

Gerechtigkeit und Treue werden Ihn kennzeichnen. Jesus wird als die Wurzel Davids offenbar werden (Off 5,5 und 22,16). Nur auf dieser Grundlage wird eine Wiederherstellung Israels möglich sein. Selbst die Nationen werden dann zu Nutzniessern des Segens. An jenem Tag, wenn Gott die Beziehungen zu seinem irdischen Volk wieder aufnimmt, wird der Wurzelspross Isais als Banner der Völker dastehen, und die Nationen werden nach ihm fragen; und seine Ruhestätte wird Herrlichkeit sein (Jes 11,10). Die Namen «Nazarener» und «Spross» stehen in enger Verbindung mit dem Volk Israel. Der erste war ein Ausdruck. der Verachtung. Der zweite wird dereinst von der Erhabenheit des Herrn zeugen.

Die vier Evangelien beschreiben uns die Person Jesu in vier verschiedenen Eigenschaften oder Stellungen. Das Evangelium nach:

  • Matthäus = Jesus als Sohn Davids, den König Israels,
  • Markus = Jesus als Knecht Gottes,
  • Lukas = Jesus als Sohn des Menschen,
  • Johannes = Jesus als Sohn Gottes.

So wird auch im Alten Testament der Name «Spross» mit diesen vier Herrlichkeiten des Herrn in Beziehung gebracht. Dabei werden verschiedene Resultate des Werkes Christi in Verbindung mit seinem irdischen Volk aufgezeigt.

  1. «Siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da ich David einen gerechten Spross erwecken werde; und er wird als König regieren» (Jer 23,5-6). Hier wird Er also als der Sohn Davids, der König Israels beschrieben, entsprechend dem Evangelium Matthäus. In Jer 33,14-16 wird die angeführte Stelle teilweise wiederholt.
    Das herrliche Ergebnis des Werkes Christi wird dann sein: «In jenen Tagen wird Juda gerettet werden und Jerusalem in Sicherheit wohnen.» Israel, das sich Gottes Gerechtigkeit einst nicht unterwerfen wollte, wird dann seinen Messias «Der HERR, unsere Gerechtigkeit» nennen.
  2. «Ich will meinen Knecht, Spross genannt, kommen lassen» (Lies Sach 3,8-10). Hier nennt Gott den «Spross» seinen Knecht, entsprechend dem Markus-Evangelium.
    Und von welchem Resultat des Werkes Christi ist an dieser Stelle die Rede? – «Der HERR wird die Ungerechtigkeit dieses Landes an einem Tag wegnehmen.» Wie die schmutzigen Kleider des Hohenpriesters Josua mit Feierkleidern vertauscht wurden, so wird Gott zu Beginn des Tausendjährigen Reiches die Ungerechtigkeit jenes Landes hinwegtun.
  3. «Siehe, ein Mann, sein Name ist Spross; und er wird von seiner Stelle aufsprossen und den Tempel des HERRN bauen» (Sach 6,12). In dieser Weissagung geht es auch um den Menschen Jesus Christus, wie im Lukas-Evangelium.
    Im tausendjährigen Friedensreich wird der Herr als der wahre Melchisedek (König des Friedens und Priester Gottes), als Herrscher und Priester auf seinem Thron sitzen. Der einst verachtete Nazaräer wird aufsprossen, den Tempel Gottes bauen und Herrlichkeit tragen. Dann wird die ganze Erde in den Genuss des vollkommenen Friedens gelangen. Denn zwischen Ihm und dem HERRN wird der Rat des Friedens sein. Zu dieser Zeit wird der Sohn des Menschen als König und Priester in Herrlichkeit offenbart werden.
  4. «An jenem Tag wird der Spross des HERRN zur Zierde und zur Herrlichkeit sein» (Jes 4,2). Wie der Herr im Evangelium Johannes als Sohn Gottes dargestellt wird, so wird Er auch an dieser Stelle Spross des HERRN genannt.

Dieser Spross wird zur Zierde und zur Herrlichkeit der Entronnen Israels sein, die den geringen Überrest des Volkes darstellen, der errettet wird. Diese Übriggebliebenen werden heilig heissen, weil der Herr ihren Unflat abgewaschen und ihre Blutschulden hinweggefegt hat. Gott selbst wird ihr Schatten vor der Hitze und ihre Zuflucht und Bergung vor Sturm und Regen sein.

Welch herrliche Resultate ergeben sich doch auch für den gläubigen Überrest Israels aus dem Werk Christi! Wir wollen sie noch einmal kurz zusammenfassen:

  1. Juda gerettet, Israel in Sicherheit
  2. ein gereinigtes Land
  3. der durch den Herrn wieder aufgebaute Tempel des HERRN: Christus als Priester auf dem Thron
  4. ein heiliger Überrest

Der Herr musste als der verachtete Nazarener sterben, um dereinst als Spross in Herrlichkeit erscheinen zu können.