Wie merkwürdig ist doch die Begebenheit, die uns im Buch der Richter, Kapitel 17, erzählt wird!
Da sind eine Mutter und ihr Sohn, die nach eigenen Ideen ein Gotteshaus einrichten und Priester dazu weihen. Unter den Nationen war das nichts Besonderes. Aber sie waren vom Gebirge Ephraim. Sie gehörten zum Volk Israel, dessen Geschichte so einzigartig war:
Der lebendige und wahre Gott hatte sich ihren Vätern kundgemacht und aus allen Völkern ihre Nachkommen zu seinem Eigentumsvolk erwählt. Durch beispiellose Wundertaten hatte Er es aus der Knechtschaft Ägyptens befreit und schliesslich unter Josua in Kanaan, ins verheissene Land eingeführt.
Unter diesem Volk hatte Gott wohnen wollen. Er selbst gab seinem Knecht Mose das Muster seiner Wohnung und aller ihrer Geräte. Und genau nach diesem Muster wurde sie erbaut. Er gab dem Volk auch präzise Anweisungen über den Opfer- und Priesterdienst und ein ausführliches Gesetz, das ihr ganzes Leben regelte.
Diese Wohnung Gottes, in ihrer ursprünglichen Form, war jetzt in Silo, das zu Ephraim gehörte, also unweit des Wohnortes Michas und seiner Mutter. In jenen Tagen übte der treue Pinehas den Priesterdienst nach den Weisungen Gottes aus (Ri 20,28). Noch immer war jeder Israelit an das Gesetz des HERRN gebunden.
Ob die beiden in unserem Kapitel, Mutter und Sohn, von diesem allem nichts wussten? Doch, bestimmt! Da war gewiss kein Israelit, dem die Geschichte seines Volkes und die Gebote seines Gottes unbekannt waren. Aber die Herzen dieser beiden waren Gott entfremdet. Sie fragten nicht nach seinem Willen.
Wirklich? Die Mutter war doch sehr religiös. Sie redete gern vom HERRN und verband seinen Namen mit ihrem Tun (Verse 2 und 3). Ihrem Sohn hatte sie ja auch den Namen «Micha» gegeben, was bedeutet: «Wer ist wie der HERR?» Und Micha seinerseits sehnte sich danach, dass der HERR ihm wohltue (Vers 13).
Noch mehr: Micha trachtete danach, ein eigenes Gotteshaus zu haben. Sein ganzes Leben drehte sich hier ja nur noch darum und um den «Priesterdienst», der darin getan wurde. War denn das alles nicht ein Zeichen tiefer Religiosität?
Aber beachten wir: er machte ein Gotteshaus für sich selbst, wie es ihm gefiel, und fragte sich keinen Augenblick, ob Gott es gutheissen könne. Denn unter welchen Bedingungen will Er bei den einzelnen und bei seinem Volk wohnen? Aus der Fülle der Schrift seien hier nur ein paar Stellen angeführt:
- In Jesaja 66,2 sagt der HERR: «Auf diesen will ich blicken: auf den Elenden und den, der zerschlagenen Geistes ist und der da zittert vor meinem Wort.»
- In Jesaja 57,15: «Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei dem, der zerschlagenen und gebeugten Geistes ist.»
- Auf uns, seine Jünger bezogen, erklärt der Herr Jesus, in Johannes 14,23: «Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.»
- In Israel war der Ort des Zusammenkommens Gottes mit seinem Volk nach seinen Gedanken nur da, wo alles seinem Wort und seinem Namen entsprach (5. Mo 12,5-8): «Den Ort sollt ihr aufsuchen, den der HERR, euer Gott, aus allen euren Stämmen erwählen wird, um seinen Namen dahin zu setzen, dass er dort wohne, und dahin sollst du kommen. Und ihr sollt dahin bringen eure Brandopfer und eure Schlachtopfer und eure Zehnten … und dort sollt ihr vor dem HERRN, eurem Gott, essen und euch erfreuen.»
- Den heutigen Gläubigen, die seine Versammlung bilden, gibt der Herr in Matthäus 18,20 die kostbare Verheissung: «Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen (oder: zu meinem Namen hin), da bin ich in ihrer Mitte.»
Nein, beim sogenannten Gottesdienst dieser beiden war alles falsch. Die Sache begann schon mit einem Diebstahl. Als die Mutter einen Fluch aussprach, gab ihr der Sohn das Silber wohl zurück, jedoch ohne jede Regung von Reue und Buße. Das ist aber sehr wichtig. Wie könnte Gott unter denen sein, bei welchen ungerichtetes Böses vorliegt? – Auch heute fordert Er Selbstgericht und Zucht in den örtlichen Versammlungen (1. Kor 11,31; 5,11-13).
Sodann geht die Mutter an die Ausführung ihres Vorhabens. Sie hat das Silber dem HERRN geheiligt, um für ihren Sohn ein geschnitztes und ein gegossenes Bild zu machen!
Welch ein Widerspruch! Wenn es um Dinge des Hauses Gottes ging, hatte doch eine Frau im Hintergrund zu bleiben. Und welchen Zusammenhang hat der Tempel Gottes mit Götzenbildern? Sprachen nicht schon die ersten beiden der zehn Gebote sehr deutlich dagegen? Ach, von jeher, sowohl im Volk Israel als auch in der Christenheit, neigt das Menschenherz dazu, Gottesdienst mit eigenwilligem Götzendienst zu vermischen und das Ganze unter den Namen des heiligen Gottes zu stellen!
Und so fertigte denn jener Goldschmied in seiner Götzenwerkstatt das bestellte geschnitzte und das gegossene Bild an, indem er in ihnen vielleicht dem Wesen des HERRN, so wie er es verstand, Ausdruck gab. Aber welche Formen sie auch haben mochten, für den HERRN waren sie alle ein Gräuel.
Beachten wir auch, wie dieses Abweichen vom Gottesdienst, wie er im Wort vorgeschrieben war, sogleich Nachahmer fand. Zuerst war es Micha, der, von seiner Mutter beeinflusst, diese Bilder samt Ephod und Teraphim in seinem Haus aufstellte und dazu einen Priesterdienst organisierte. Bald darauf aber (Ri 18) übernahm ein ganzes Geschlecht in Israel, der Stamm Dan, die beiden Bilder und den Priesterdienst. – Böse Lehren finden so rasch Anhänger!
Schliesslich war auch das Verhalten des Leviten ganz verkehrt. Er gehörte doch zu denen, die der HERR ausgesondert hatte, «die Lade des Bundes des HERRN zu tragen, vor dem HERRN zu stehen, um ihm zu dienen und in seinem Namen zu segnen, bis auf diesen Tag» (5. Mo 10,8). Der junge Mann verliess aber diesen Platz, «um sich aufzuhalten, wo er es treffen würde». Er war daher nicht in dem Zustand, Micha von seinem bösen Tun überführen zu können. Vielmehr nahm er dessen Angebot an und wurde so zum Typ eines «Geistlichen», der von Menschen angestellt und bezahlt wird. Statt im Namen des HERRN zu segnen, bestärkte er Micha auf seinem falschen Weg.
Bekanntlich ist das, was wir im Buch der Richter finden – worin beschrieben wird, wie schlecht das Volk Israel die Segnungen des in Besitz genommenen Landes verwaltet hat – ein Bild von der Geschichte der Kirche, die ebenso traurig versagt hat. Die Feststellung am Ende des Buches trifft mit ebensolcher Berechtigung auf die Christenheit in diesen ihren letzten Tagen zu: «Jeder tat, was recht war in seinen Augen» (Ri 17,6 und 21,25).
Die Apostel haben uns durch den Heiligen Geist genaue Belehrungen hinterlassen über die Versammlung Gottes, den einen Leib des Christus, und über das Zusammenkommen im Namen Jesu. Aber was sehen wir heute? Unzählige Kirchen, Gemeinschaften und Sekten. Immer wieder sind Michas gekommen, die sich ein Gotteshaus machten, «wie es recht war in ihren Augen.»
Auch in den Herzen derer, die sich im grossen Haus der Christenheit in kirchlicher Beziehung von der Ungerechtigkeit abgesondert haben (2. Tim 2,19-21), besteht die Neigung, dahin zurückzukehren, trotz ihres besseren Wissens. – Was ist das beste Mittel, dieser Neigung wirksam entgegenzutreten? Dem geliebten Herrn unmittelbar anzuhangen und in keiner Weise der Welt im Herzen Raum zu geben. Er helfe uns dazu!