Das zweite Kapitel des Buches Ruth zeigt uns eine junge Frau, die sich aufmacht, um auf dem Feld von Boas Ähren aufzulesen. Wir kennen sie. Es ist Ruth, die Moabiterin, nach der dieses Bibelbuch benannt ist. In Ruth finden wir – wenn wir die praktische Anwendung auf uns machen – das Bild eines jung bekehrten Gläubigen, der den Wunsch hat, geistlich zu wachsen und den Segen des Herrn Jesus kennen zu lernen. Auf dem Feld von Boas – der uns auf unseren Herrn und Erlöser hinweist – findet Ruth viel mehr, als sie erwarten konnte. Sie findet Gnade, und sie findet Segen für sich und ihre Schwiegermutter, aber sie erlebt vor allem Boas selbst und wird mit ihm in Verbindung gebracht.
Auf dem Feld von Boas ist Ruth nicht allein. Es sind andere da, die ihr beim Ährensammeln helfen. Wenn wir das ganze zweite Kapitel aufmerksam lesen, dann finden wir dort erstens Schnitter, die das Korn schneiden, und die Knaben; wir finden zweitens einen Knecht, der über die Schnitter bestellt ist, und wir finden drittens die Mädchen, die das Korn zusammennehmen, und Ruth als Ährenleserin.
Auf dem Feld des Boas sind auch wir nicht allein. Wenn wir uns mit dem Segen beschäftigen, den Gott uns in seiner Gnade geben möchte, wenn wir die Wahrheiten des Wortes Gottes kennen lernen möchten, dann sind andere da, die uns dabei helfen können. Im Folgenden wollen wir uns mit den Schnittern beschäftigen.
Die Aufgabe der Schnitter
Wovon reden die Schnitter in der Anwendung auf uns? Zeigen sie uns nicht Brüder, die der Herr gegeben hat, um das Wort Gottes so auszulegen, dass andere Nutzen davon haben? Es sind Brüder, die in der Lage sind, das Wort Gottes je nach dem Verständnis und Wachstumsgrad der Einzelnen so zu erklären, dass sie es fassen können. Es sind Brüder, die das Wort und den Segen weitergeben, der vorhanden ist. Paulus ermunterte Timotheus, ein solcher Schnitter zu sein. Er sagte: «Befleissige dich, dich selbst Gott als bewährt darzustellen, als einen Arbeiter, der sich nicht zu schämen hat, der das Wort der Wahrheit recht teilt» (2. Tim 2,15). Interessant ist in diesem Zusammenhang die Anmerkung, in der es heisst: eigentlich in gerader Richtung schneidet. Dieser Ausdruck passt sehr gut zur Tätigkeit der Schnitter im Buch Ruth.
Die Schnitter erinnern uns auch an die Leviten in Nehemia 8,8, die das Gesetz gelesen und den Sinn angegeben haben, damit man das Gelesene verstehen konnte. Zusammenfassend können wir sagen, dass es die Aufgabe der Schnitter ist, das Wort Gottes für andere verständlich zu machen.
Solche Männer Gottes, die die Frucht und den Segen zugänglich machen, die uns die Gedanken Gottes erklären und einen prophetischen Dienst ausüben, hat es immer gegeben. Dieser Dienst wird sowohl öffentlich, als auch in einer mehr privaten Sphäre ausgeübt. Ganz besonders in den Zusammenkünften der Gläubigen zur Wortverkündigung benutzt der Heilige Geist – den wir in dem Knecht, der über die Schnitter gesetzt ist, wiederfinden – Brüder, um aus der Gegenwart Gottes heraus das Wort zu reden. Auch gemeinsame Wortbetrachtungen, Konferenzen, Freizeiten usw. sind Gelegenheiten, wo die Schnitter ihre Arbeit tun.
Der Dienst der Schnitter ist nicht auf öffentliche Zusammenkünfte beschränkt. Der Apostel Paulus sagte den Ältesten von Ephesus: «Ihr wisst … wie ich nichts zurückgehalten habe von dem, was nützlich ist, dass ich es euch nicht verkündigt und euch gelehrt hätte, öffentlich und in den Häusern» (Apg 20,18-20). Auch im häuslichen Bereich, d.h. im persönlichen Gespräch, finden die Schnitter ein reiches Betätigungsfeld. An dieser Stelle können wir den Aufgabenbereich der Schnitter in der Anwendung auf uns noch weiter fassen und an die Unterweisung unserer Kinder und jungen Leute denken. In diesem Sinn sind alle, denen der Herr Kinder anvertraut hat, Schnitter. Wir dürfen unseren Kindern helfen, den ganzen Segen kennen zu lernen, der mit der Person unseres Herrn und in seinem Wort zu finden ist.
Darüber hinaus wird der Dienst der Schnitter nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich ausgeübt. Verständlich geschriebene Bibelkommentare und Auslegungen helfen uns ebenfalls, das Wort Gottes besser zu verstehen. An uns liegt es, reichlich davon Gebrauch zu machen.
Hinter den Schnittern hergehen
Von Ruth heisst es nun, dass sie hinter den Schnittern her auflas. Sie handelte nicht eigenwillig und auf eigene Faust, sondern in Verbindung mit den Schnittern. Manchmal hört man sagen, dass wir, die wir den Heiligen Geist besitzen, das Wort Gottes ausschliesslich allein lesen können und nicht auf Hilfe anderer angewiesen sind. Grundsätzlich ist es richtig, dass Gott uns den Heiligen Geist gegeben hat, der uns «in die ganze Wahrheit leiten wird» (Joh 16,13). Und doch hat Gott es für gut befunden, einen Weg zu wählen, auf dem auch die «Schnitter» ihren Platz haben. Diesen Weg finden wir in Epheser 4 vorgestellt. Dort lesen wir: «Er hat die einen gegeben als Apostel und andere als Propheten und andere als Evangelisten und andere als Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes des Christus, bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Mann, zu dem Mass des vollen Wuchses der Fülle des Christus» (Eph 4,11-13). Der göttliche Weg ist also, dass es Gaben gibt, die das Werk des Dienstes tun, und das Ziel ist das geistliche Wachstum der Gläubigen. Wer die von Gott gegebenen Gaben ablehnt, lehnt letztlich – wenn vielleicht auch ungewollt oder unbewusst – den Geber der Gaben ab. Zudem ist es geistlicher Hochmut, wenn man glaubt, man brauche den Dienst der von Gott gegebenen Gaben nicht.
Merkmale eines Schnitters
Unser Kapitel erwähnt die Schnitter mehrfach und zeigt uns dabei eine ganze Reihe von Merkmalen auf, durch die sie gekennzeichnet waren. Diese Merkmale reden zu unseren Herzen, wenn wir den Wunsch haben, unserem Herrn in der einen oder anderen Weise zu dienen und für andere zum Nutzen zu sein:
- Der Schnitter arbeitet aus der Gegenwart seines Herrn heraus. Die Schnitter waren auf dem Feld, und zwar genau da, wohin ihr Herr, Boas, kam. Er trat zu seinen Knechten mit dem Gruss: «Der Herr sei mit euch.» Heute ist es nicht anders. Knechte, die der Herr zum Segen und Nutzen für andere gebrauchen will, können dies nur tun, wenn sie in enger Verbindung und Gemeinschaft mit Ihm leben. Nur aus der Gegenwart des Herrn heraus sind wir in der Lage, anderen eine Hilfe zu sein und für Ihn zu arbeiten. Die Propheten Elia und Elisa bringen diesen Sachverhalt mit den markanten Worten zum Ausdruck: «Der Herr, vor dessen Angesicht ich stehe» (1. Kön 17,1; 18,15; 2. Kön 3,14; 5,16). Das ist die Haltung, aus der heraus wir für andere hilfreich sein können.
- Die Schnitter auf dem Feld von Boas standen unter dem Knecht, der über sie gestellt war. Dieser Knecht ist ein Bild des Heiligen Geistes, der die Kraft zu jedem Dienst im Volk Gottes geben muss. Im Dienst für unseren Herrn handeln wir nicht eigenmächtig und selbstständig, sondern wir unterstehen dem Heiligen Geist, der in jedem von uns wohnt. Ganz besonders in den Zusammenkünften der Gläubigen – aber nicht nur da – sind wir auf seine Leitung angewiesen. Wenn Er uns führt, dann können wir anderen nutzbringend helfen. Wenn der Apostel Paulus in 1. Korinther 12 von den Gaben spricht, die in der Versammlung vorhanden sind, dann erwähnt er ausdrücklich mehrmals den Heiligen Geist (V. 1-11). Ohne Ihn sind wir nicht in der Lage, einen Dienst nach den Gedanken unseres Herrn auszuführen.
- Ruth erhielt den klaren Hinweis, hinter den Schnittern herzugehen. Diese Anweisung legte zum einen Verantwortung auf Ruth, auf der anderen Seite erkennen wir daraus, dass ein Schnitter ein Vorbild für andere sein soll. Wenn wir solchen, die noch jung im Glauben sind, eine Hilfe sein wollen, dann können wir das nur tun, wenn wir ein gutes Vorbild sind. Junge Leute und vor allem Kinder haben immer die Tendenz, sich an anderen zu orientieren. Neutestamentlich ausgedrückt heisst das nichts anderes, als dass wir Vorbilder für die Herde sein sollen (1. Pet 5,3). Paulus war ein solches Vorbild, denn er konnte andere mehrfach auffordern, seine Nachahmer zu sein. Auch wenn wir uns nicht mit Paulus vergleichen wollen und können, darf es doch unser Wunsch sein, anderen durch unser Verhalten eine Orientierungshilfe zu geben.
- Die primäre Aufgabe der Schnitter war es, das Korn zu schneiden und in Garben zu bündeln. Die Tätigkeit der Knaben war, das Wasser zum Trinken zu schöpfen. Korn und Wasser sind für jeden da, aber abschneiden und schöpfen kann nicht jeder. Beide Bilder stellen uns das Wort Gottes vor, das für uns sowohl Nahrung als auch Erfrischung und Erquickung bedeutet. Ein wirklicher Knecht seines Herrn wird nichts anderes vor die Herzen der Gläubigen bringen als das Wort Gottes. Timotheus wurde klar und deutlich aufgefordert: «Predige das Wort» (2. Tim 4,2). Wir dürfen uns gegenseitig auf das Wort Gottes hinweisen. Wir dürfen versuchen, es anderen verständlich zu machen und auch die Zusammenhänge zu erklären.
- Die Schnitter und Knaben erhielten mehrfach klare Anweisungen von ihrem Dienstherrn, und wir haben den Eindruck, dass sie auf ihn gehört haben. Daraus lernen wir, dass wir nur in Abhängigkeit und im Gehorsam unserem Herrn gegenüber anderen wirklich helfen können. Es geht nicht darum, unsere eigenen Konzepte und Ideen zu entwickeln und umzusetzen, sondern es geht darum, dass wir als Knechte unserem Herrn gehorsam sind. Ein Knecht folgt nicht seinem eigenen Willen, sondern er handelt nach den Anweisungen, die er bekommt. Unser grosses Vorbild ist der Herr, der als wirklicher Diener auf der Erde sagen konnte: «Er weckt jeden Morgen, er weckt mir das Ohr, damit ich höre gleich solchen, die belehrt werden» (Jes 50,4). Nichts kann im Dienst für unseren Herrn mehr schaden, als der eigene Wille.
- Boas weist seine Knechte an, nicht mit Härte, sondern in Milde und Güte mit Ruth umzugehen. Sie sollten sie nicht antasten und nicht beschämen. Gute Diener des Herrn sind nie hart, sondern im Gegenteil, sie sind mild und gütig. Sie haben Liebe und Zuneigung zu den Gläubigen, denen sie helfen wollen. Paulus fordert Timotheus auf, nicht zu streiten, sondern als Knecht des Herrn gegen alle mild, lehrfähig und duldsam zu sein. Paulus selbst war darin ein nachahmenswertes Vorbild. Er schreibt den Thessalonichern: «Wir sind in eurer Mitte zart gewesen, wie eine nährende Frau ihre eigenen Kinder pflegt» (1. Thes 2,7). Und die gleichen Briefempfänger erhielten den Hinweis: «Wir ermahnen euch aber, Brüder: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, nehmt euch der Schwachen an, seid langmütig zu allen» (1. Thes 5,14).
- Die Schnitter auf dem Feld des Boas bringen das Werk ihres Herrn zu einem Abschluss. Sie hören nicht eher mit der Arbeit auf, bis die ganze Ernte eingebracht ist (Rt 2,21.23). Auch das spricht zu unseren Herzen. Wir sollen nicht solche sein, die eine Arbeit für den Herrn anfangen und dann aufhören, bevor sie zu Ende gebracht ist. Paulus sagt das sehr deutlich, wenn er an Timotheus schreibt: «Vollführe deinen Dienst» (2. Tim 4,5). Dem Mitarbeiter Archippus musste gesagt werden: «Sieh auf den Dienst, den du im Herrn empfangen hast, dass du ihn erfüllst» (Kol 4,17). Die Korinther schliesslich werden mit den Worten ermuntert: «Daher, meine geliebten Brüder, seid fest, unbeweglich, allezeit überströmend in dem Werk des Herrn, da ihr wisst, dass eure Mühe nicht vergeblich ist im Herrn» (1. Kor 15,58).
Wir alle dürfen Ruth gleichen, die auf dem Feld des Boas fleissig auflas, um Segen zu bekommen. Aber wir dürfen gleichzeitig darüber nachdenken, ob der Herr uns nicht in der einen oder anderen Weise auch als «Schnitter» benutzen möchte, als solche also, die anderen – z.B. Jungbekehrten – eine Hilfestellung sein können. Wenn wir diesen Auftrag für uns erkennen, dann dürfen diese Denkanstösse vielleicht hilfreich und nützlich sein.