Unser Herr Jesus hatte am Jordan seinen Platz unter den bußfertigen Sündern eingenommen, und bald konnte sein Dienst der Gnade unter dem Volk beginnen. Aber vorher wurde Er noch durch den Heiligen Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden. Denn Er ist der «zweite Mensch», der Gehorsame, der an die Stelle Adams, des «ersten Menschen», des ungehorsamen, treten soll.
Als Gott im Anfang auf der Erde den Garten Eden als einen Ort der Wonne zubereitete, stellte Er Adam als Haupt der Schöpfung hinein, fähig, in Unschuld ein vollkommenes Glück zu geniessen, unter der einzigen Bedingung, dem Wort Gottes zu gehorchen: Er sollte nicht von der verbotenen Frucht essen. Zu unseren ersten Eltern, die in diesem glücklichen Zustand waren, kam Satan und versuchte sie, indem er ihnen etwas anderes anbot, als was Gott ihnen gegeben hatte, und sie veranlasste, zu tun was ihnen verboten war. Ach, sie wurden Gott ungehorsam, fielen unter die Gewalt des Feindes und hatten von da an, wie alle ihre Nachkommen, die Folgen ihres Ungehorsams zu tragen!
Unmittelbar darauf sagte Gott zu Satan, der Same der Frau werde ihm den Kopf zermalmen (1. Mo 3,15), das heisst, ihm seine Macht nehmen. Dieser Same der Frau ist der vom Himmel gekommene «zweite Mensch», der in unserem Kapitel auf den Schauplatz tritt. Er ist als solcher der einzige dieser Art, wie auch Adam an dem Tag, als er in den Garten Eden gestellt wurde, der einzige seines Geschlechts war.
Jesus war der Einzige inmitten aller Menschen, von dem Gott sagen konnte: «Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.» Aber welch ein Unterschied bestand doch zwischen den Umständen, worin sich diese beiden Menschen befanden! Der erste stand inmitten des irdischen Paradieses; der zweite trat zwar in dieselbe Welt ein, aber sie war inzwischen durch die Sünde verdorben, befleckt und zur Wüste geworden, zu einem Ort, wo Gott nichts mehr findet, was Ihn befriedigen kann, zu einem Ort, wo wilde Tiere wohnen (Markus 1,13) und wo Satan herrscht. Das war durch den Ungehorsam des ersten Adam aus dem Ort der Wonne Gottes geworden, und das waren die Umstände, in denen die Geschichte Jesu, des zweiten, des gehorsamen Menschen begann. Beim Eintritt in diese Welt sprach Er: «Siehe, ich komme (in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben), um deinen Willen, o Gott, zu tun» (Hebräer 10,7). Der Wille Gottes war für Christus ein unbedingtes Gebot.
Da erschien Satan, um Ihn, wie einst Adam, zu versuchen. Er hoffte, auch Christus unter seine Gewalt zu bringen und Ihn zu hindern, den Willen Gottes zu erfüllen. Aber in dem vollkommen gehorsamen Menschen begegnete er seinem Überwinder.
Die erste Versuchung
«Dann wurde Jesus von dem Geist in die Wüste hinaufgeführt, um von dem Teufel versucht zu werden; und als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn schliesslich. Und der Versucher trat zu ihm hin und sprach: Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich, dass diese Steine zu Broten werden» (Mt 4,1-3).
Gott hatte verkündet, dass Jesus sein geliebter Sohn sei. Nun forderte Ihn Satan gewissermassen heraus: «Zeige dich als Sohn Gottes; gebrauche deine Macht, um deinen Hunger zu stillen.» Aber, wie Jesus Gottes Sohn war, so war Er auch Mensch, und als solcher sollte Er Gott gehorchen. Statt sich mit Satan in eine Auseinandersetzung einzulassen, antwortete Er ihm: «Es steht geschrieben: ‹Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht›» (vgl. 5. Mose 8,3.) Deshalb, solange Ihm nicht ein Wort Gottes gegeben war, das Ihm sagte, Brot zu machen und davon zu essen, tat Er es nicht.
Hunger ist ein natürliches, durchaus berechtigtes Bedürfnis, besonders nach vierzigtägigem Fasten. Aber wenn Jesus dabei nicht Gott gehorsam bleiben konnte, so war der Hunger für Ihn nicht ein Grund zu essen. So ist es auch heute für den Gläubigen: Den Anlass zu unseren Handlungen sollen wir nicht nur in dem suchen, was natürlich und zulässig ist, sondern im Willen Gottes und in dem, was zu seiner Ehre ist. «Ob ihr nun esst oder trinkt oder irgendetwas tut, tut alles zur Ehre Gottes» (1. Korinther 10,31). Wenn Satan an uns herantritt und fordert, etwas anderes zu tun, als das was für den Herrn getan werden kann, so lasst uns ihm nach dem Beispiel Jesu mit Gottes Wort antworten. Das ist das einzige Mittel, einen Sieg zu erringen; denn gegen den Gehorsam ist Satan ohnmächtig.
Die zweite Versuchung
Bei der ersten Versuchung Jesu, die sich auf sein grosses natürliches, körperliches Bedürfnis bezog, war Satan unterlegen. Nun griff er Ihn durch eine geistige Versuchung an. Dazu benützte er das Wort, indem er eine Stelle aus den Psalmen anführte, die Ihm, dem Messias, den Schutz Gottes zusicherte. «Dann nimmt der Teufel ihn mit in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und spricht zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: ‹Er wird seinen Engeln deinetwegen befehlen, und sie werden dich auf Händen tragen, damit du nicht etwa deinen Fuss an einen Stein stossest›» (Mt 4,5.6, vgl. Psalm 91,11-12.)
Jesus antwortete ihm: «Wiederum steht geschrieben: ‹Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen›» (Mt 4,7, vgl. 5. Mose 6,16). Gott versuchen heisst, etwas tun, um die Wahrheit seines Wortes zu prüfen. Wir können uns mit völligem Vertrauen auf die Verheissungen Gottes stützen, da wir wissen, dass wir zu seiner Zeit ihre Erfüllung erfahren werden, wenn wir auf dem Weg des Gehorsams bleiben. Satan liess absichtlich einen Teil des elften Verses jenes Psalms weg, und zwar die Worte: «dich zu bewahren auf allen deinen Wegen». Die Wege Jesu waren Wege des Gehorsams. Nur auf solchen können wir mit göttlicher Bewahrung rechnen. Der Herr vertraute sich seinem Gott völlig an; Er sagte: «Bewahre mich, Gott, denn ich suche Zuflucht bei dir» (Ps 16,1). Er fand es ganz unnötig, Gott auf die Probe zu stellen; denn das würde heissen, Ihn zu versuchen. – Satan wird durch die einfache Anführung eines Wortes Gottes besiegt. Mit der Entgegnung: «wiederum steht geschrieben», ist der Herr ein Vorbild für uns.
Die dritte Versuchung
«Wiederum nimmt der Teufel ihn mit auf einen sehr hohen Berg und zeigt ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest» (Mt 4,8.9).
Mit diesen Worten versuchte Satan, Jesus durch die Herrlichkeit der Welt zu Fall zu bringen. Er wird allerdings als Sohn des Menschen die Herrschaft über das ganze Universum empfangen; die Reiche der Welt werden Ihm unterworfen sein und man wird die Herrlichkeit und die Ehre der Nationen zu Ihm bringen. (Off 21,26; Jes 60,11-12; Dan 7,13-14). Doch dazu musste Er Satan im Gegenteil gerade besiegen und nicht anbeten. Mit dieser ungeheuerlichen Forderung stellte sich Satan vollständig bloss: Er masste sich Jesus gegenüber die Stellung Gottes an, womit er bei dem ersten Menschen so leicht zum Ziel gekommen war. Jesus antwortete ihm: «Geh hinweg, Satan! Denn es steht geschrieben: ‹Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen›». Jesus wollte lieber durch den Tod gehen und so die Herrschaft aus der Hand Gottes empfangen, als Satan anerkennen und sie von ihm annehmen. Am Ende wird Satan seine Macht dem Menschen, dem Antichristen geben, der eine Zeitlang grosse Gewalt ausübt, aber dann durch den Hauch des Mundes dessen, der Satan besiegt hat, verzehrt werden wird. (2. Thes 2,8; vergleiche auch Off 13.)
Satan entfernte sich. Jesus, der gehorsame Mensch, hatte den Sieg errungen; Er hat den Starken gebunden und konnte nun dessen Hausrat rauben (Mt 12,29), das heisst, seinen Dienst erfüllen, indem Er «umherging, wohltuend und alle heilend, die von dem Teufel überwältigt waren» (Apg 10,38).
«Und siehe, Engel kamen herzu und dienten ihm.» Die Engel sind «dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die die Errettung erben sollen» (Hebräer 1,14). Jesus wurde hier auf der Erde als Mensch von den Engeln bedient, die Er erschaffen hatte. Wie muss es diesen himmlischen Wesen wunderbar erschienen sein, ihren Schöpfer zu bedienen, der die Gestalt eines Menschen angenommen hatte! Sie begehren in diese Dinge hineinzuschauen (1. Pet 1,12).
Erinnern wir uns daran, dass Jesus den Sieg durch Gehorsam gegenüber dem Wort errungen hat. Auch uns steht dieses Mittel zur Verfügung. Obwohl wir gegenüber Satan schwach und machtlos sind, kann er uns doch nichts anhaben, wenn wir dem Wort gehorsam bleiben.
Christus wurde nicht in diese Versuchungen hineingeführt, um geprüft zu werden, ob Er zu Fall kommen würde, sondern um zu zeigen, dass Er nicht fallen konnte. Denn leider wird dies nicht selten infrage gestellt. Wer Christus als sein Leben besitzt, hat ein Leben empfangen, das in Ihm hier auf der Erde auf die Probe gestellt wurde, aber der Versuchung nicht erliegen konnte. Deshalb sagt der Apostel Johannes: «Der aus Gott Geborene bewahrt sich, und der Böse tastet ihn nicht an» (1. Joh 5,18). Um dies im praktischen Leben zu verwirklichen, muss man so handeln, wie der Herr es vor dem Feind tat. Wir besitzen Ihn als Hohenpriester, damit Er uns im rechten Augenblick zu Hilfe komme. «Denn worin er selbst gelitten hat, als er versucht wurde, vermag er denen zu helfen, die versucht werden» (Heb 2,18).