Die enge Pforte und der schmale Weg

Matthäus 7,13-14

Unser Herr verstand es wie kein Zweiter, mit wenig Worten unendlich viel zu sagen. Auch das kurze Gleichnis in Matthäus 7,13-14, von den zweierlei Pforten und den zweierlei Wegen enthält tiefe Wahrheiten, die alle Menschen angehen und besonders auch für junge Leute, die noch am Anfang ihres Lebensweges stehen, von grösster Bedeutung sind.

Die weite Pforte und der breite Weg

Die meisten Menschen hoffen, dass ihr Weg sie zu einem guten Ende führe. Für jeden von ihnen trägt die «weite Pforte», durch die sie schon am Tag ihrer Geburt eingegangen sind, eine andere Überschrift. Der eine liest: «Tue recht und scheue niemand.» Der andere: «Halte die Gebote.» Der dritte: «Verlasse dich auf die Sakramente, auf Taufe und Abendmahl und die andern Gnadenmittel äusserlicher Art, die dir die Kirche vermittelt.» Viele lesen: «Der liebe Gott wird dir gnädig sein, wenn du gute Werke tust.» Und so weiter.

Unzählige Wanderer aber kümmern sich gar nicht um das Ende ihres kurzen Weges. Sie sind nur darauf bedacht, das Leben «auszukosten».

So verschieden das Lebensmotto aller dieser Menschen, die sich ja zum grossen Teil zum Christentum bekennen, auch sein mag – Eines haben sie gemeinsam: Sie sind noch nicht durch die richtige Pforte eingegangen!

Daher stehen sie vor Gott in ihrem natürlichen, verdorbenen Zustand, der in der Bibel an vielen Stellen mit so ernsten, bestimmten Worten beschrieben ist. Ein typischer Wesenszug des natürlichen Menschen ist der Eigenwille. Satan benützt den von Gott und seinem Wort unabhängigen Sinn als Vorspann, um die «Vielen» auf dem breiten Wege hinter sich her zu ziehen. «Das ist wahre Freiheit», sagt er ihnen, «wenn ihr tun könnt, was ihr wollt.» Und so gehen sie dahin und lassen sich mit Vorliebe auch in religiösen Dingen, die manche mit grossem Eifer ausüben und verfechten, von eigenen menschlichen Gedanken leiten.

Wie ernst ist ein solcher Weg! Er beginnt mit der weiten Pforte, verspricht Freiheit zum Genuss des Lebens in einer gefallenen Welt, Freizügigkeit in allen Wissens- und Lebensgebieten unter einem «weiten» Horizont, und endet – im «Verderben».

Die «weite Pforte» ist nur der Zugang zu Gott als dem Richter (Pred 11,9).

Die enge Pforte

Jesus sagt: «Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich eingeht, so wird er errettet werden» (Joh 10,9). Und an anderer Stelle: «Niemand kommt zum Vater als nur durch mich» (Joh 14,6).

Mit diesen Worten gibt der Herr selbst deutlich zu verstehen, dass es ausser Ihm keine andere Türe gibt, die den Sünder zur «Errettung» und zum «Vater» führt.

Der Mensch, der durch die «enge Pforte» eintreten will, muss sein umfangreiches Gepäck an menschlichen Anschauungen und Lehren über Leben, Sünde, Erlösung, Gott und Ewigkeit davor niederlegen. In seinem natürlichen Zustand wird er das Reich Gottes nicht sehen (Joh 3,3-7); Fleisch und Blut können es nicht erben (1. Kor 15,50).

Auch das Trachten nach der Welt und ihren Dingen muss er aufgeben.

Aber im Bewusstsein seiner Schuld und seiner Armut darf er anklopfen – und es wird ihm aufgetan werden (Mt 7,8).

Wer auf diese Weise, im Glauben zum Herrn Jesus kommt, empfängt aber nicht nur Vergebung der Sünden. Mit ihm selbst, mit seiner Person ist eine Änderung vorgegangen:

Er ist von der Stellung eines Sünders in die Stellung eines Gerechten versetzt worden (Röm 5,19). Einst war er Finsternis, jetzt aber ist er Licht im Herrn (Eph 5,8). Einst tot in seinen Vergehungen und Sünden, ist er nun mit dem Christus lebendig gemacht (Eph 2,1.5). Er ist von neuem, von oben her geboren, durch das Wasser des Wortes Gottes und durch den Heiligen Geist, der jetzt in ihm wohnt (Joh 3,3.5). Dieser Geist zeugt in ihm, dass er ein Kind Gottes ist (Röm 8,9.16). Er ist nicht mehr in dem verdorbenen Fleische, sondern im Geist. Wohl ist das Fleisch noch in ihm, aber er darf jetzt im Geist wandeln (Gal 5,16), der ein Geist der Liebe, der Kraft und der Besonnenheit genannt wird (2. Tim 1,7). Von der Macht Satans, der Sünde und der Welt befreit, begehrt nun sein Herz, nicht mehr dem Eigenwillen, sondern dem Willen Gottes zu leben. (1. Pet 4,2).

Dieses alles, und noch viel mehr ist in dem wunderbaren Heil enthalten, das der Sünder durch Gnade erhält, wenn er im Glauben durch die «enge Pforte» eingeht.

Der Herr ruft jedem zu: «Ringt danach, durch die enge Tür einzugehen» (Lk 13,24.25). Denn sie mag bald verschlossen werden.

Der schmale Weg

Jesus Christus ist nicht nur «die Tür». Er ist auch «der Weg». Er sagt von sich selbst: «Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben» (Joh 14,6). Diese Tatsache wollen wir uns vor Augen halten, wenn wir an den «schmalen Weg» denken.

Meist ist der Gläubige, der eben erst durch die Tür eingegangen ist, noch ganz überwältigt von der ihm widerfahrenen Gnade. Sein Herz ist erfüllt von der Freude des Heils. Dass er nun einen solchen Heiland hat, macht ihn glücklich. Vorerst merkt er es daher gar nicht, dass der Weg, auf dem er jetzt wandelt, «schmal» ist. Um des Herrn willen ist er bereit, alles aufzugeben, und er fragt nicht: «was will ich?», sondern: «was will der Herr?» Doch entsteht dadurch in seinem Herzen kein Vakuum, kein leerer Raum. Er gleicht den Jüngern, von denen gesagt wird: «sie verliessen alles und folgten ihm nach» (Lk 5,11), und die dem Herrn auf seine Frage: «Wollt ihr etwa auch weggehen?» die schöne Antwort gaben: «Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist» (Joh 6,68).

Wohl dem, der von Anfang an mit Entschiedenheit in Jesus und seinem Weg bleibt und nicht an sich selbst traurige Erfahrungen machen muss «Wodurch wird ein Jüngling seinen Pfad in Reinheit wandeln (oder «rein erhalten»)? Indem er sich bewahrt nach deinem Wort» (Ps 119,9).

Aber das Jahr hat Tage und Stunden und Augenblicke. Und wenn der Herr noch ausbleibt, so führt der Weg des Gläubigen durch den Frühling, Sommer und Herbst seines Lebens hindurch. In diesem ganzen Zeitraum gilt es zu wachen und zu beten, sich vom Herrn zu nähren, immer für Ihn da zu sein und Ihm zu dienen und für den «einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen» (Judas 3).

Wie manches Mal kann sich doch auf dieser langen Lebensreise Auge und Herz vom Herrn abwenden! Die innere Abkehr von Ihm, und wenn sie auch nur Stunden oder Tage dauern sollte, wird jedes Mal zur Folge haben, dass wir in dieser oder jener Weise anfangen, die «Enge» unseres Weges zu verspüren. Je länger ein solcher Zustand andauert, desto häufiger wandern unsere Blicke verlangend zu denen hinüber, die auf dem «breiten Weg» sind. Denn, wenn wir nicht «im Geist wandeln», erwacht die «Lust des Fleisches»: die Dinge dieser Welt ziehen uns wieder an, und wie bald folgen die Füsse dem Zug des Herzens!

Gläubige, bei denen sich ein solcher Zustand ausprägen kann, fühlen sich unter ihren Geschwistern, die dem Herrn in Treue nachzufolgen begehren, unbehaglich, und sie suchen Gesinnungsgenossen auf. Sie finden vieles zu kritisieren. «Ihr seid so eng», sagen sie. Wenn ihnen die Ermahnungen des Wortes vorgestellt werden, die den «schmalen Weg» einsäumen, werden sie ärgerlich und finden, man sollte nicht in einer derart «gesetzlichen» Weise auf solchen «Nebensächlichkeiten» herumreiten. Ach! Sie merken nicht, dass der Fehler bei ihnen liegt, und sie wegen ihrer Neigung zur Wegverbreiterung keinen Platz mehr haben auf dem schmalen Weg.

Wenn du dies liest und erkennen musst: das ist mein Zustand – so kehre mit deinem unruhigen, unzufriedenen und vielleicht unglücklichen Herzen zu dem zurück, der dich geliebt und sich selbst für dich hingegeben hat! (Gal 2,20). Du hast Ihn verlassen. Das ist der Kern der Sache. Seine Liebe zu dir ist unverändert und Er wartet auf dich, der du in der Welt draussen kalt und leer geworden bist. Er will dich erwärmen. Du kannst nicht in seine Nähe treten, ohne von seiner Liebe überwältigt zu werden. In seinem Licht wirst du auch klar erkennen, wie und wo deine Schritte abgewichen sind, und bei Ihm wird es dir nicht schwer fallen, dich darüber zu beugen.

Wer bis zu Ihm zurückgekehrt ist, stellt sich von selbst wieder auf den «schmalen Weg». Denn der Herr Jesus ist ja zugleich auch «der Weg».

Aber weshalb wird sein Weg denn «schmal» genannt? Weil er durch diese von Satan beherrschte, durch Begierde, Sünde und Gewalttat verdorbene Welt führt. Aus diesem Grund ist es so nötig, bei jedem Schritt die Tritte des Herrn zu suchen. Aber wir folgen Ihm, und das ist es, was alle unsere Mühe reichlich lohnt.

Ein ermunterndes Beispiel

Der Apostel Paulus ist uns als ein treuer Wanderer auf dem «schmalen Weg» ein leuchtendes Beispiel. Auch er kam einst, wenn auch als ein religiöser Eiferer, der seinem Gott zu dienen meinte, zu der «engen Pforte». Christus war es, der ihm als ein Licht vom Himmel, «das den Glanz der Sonne übertraf», auf dem Weg nach Damaskus begegnete. Im Blick auf Ihn trat Er durch «die Türe» ein, und hinschauend auf Ihn folgte er Ihm auf dem schmalen Weg nach. Sein Auge erkannte in Ihm sogleich eine Vortrefflichkeit, die für sein Herz alles, was es auf dieser Erde gab, weit übertraf.

Nun war es sein Lebensziel, Ihn völlig zu besitzen. Diesem Ziel jagte er nach, ob er dabei in dieser Welt auch «alles einbüßte». Er nahm den Verlust dessen, was ihm bisher als Gewinn erschienen war, nicht resigniert hin, sondern gab mit grosser Glaubensenergie bewusst alles auf, was ihn an der Erreichung seines Zieles hindern konnte.

Und nun ruft er uns allen zu: «Seid zusammen meine Nachahmer, Brüder, und seht hin auf die, die so wandeln, wie ihr uns zum Vorbild habt» (Phil 3,4-17). Auf dem schmalen Weg geniesst das Herz des Gläubigen jetzt schon die Weite der himmlischen Segnungen, und bald werden wir in den unendlichen Räumen der Herrlichkeit mit unserem Herrn wandeln, da, wo unsere Herzen nur auf Ihn gerichtet sind und die Wege nicht mehr eingesäumt werden müssen.