Einleitung
In dieser bemerkenswerten Ansprache von Paulus an die Ältesten von Ephesus können wir zwei Teile erkennen:
- Verse 17-27: Ein Rückblick auf die Aufbauarbeit des Apostels in Ephesus
- Verse 28-38: Ein Ausblick auf den Niedergang in Ephesus nach dem Abschied von Paulus
Diese beiden Abschnitte beschreiben die zwei Phasen im christlichen Zeugnis auf der Erde:
a) Die Aufbauphase
Es ist die Zeit der Apostel. In ihrem Dienst haben sie aufgebaut. Wenn Paulus in den Versen 17-27 darüber spricht, erinnert er uns zugleich an die grossen Tatsachen der christlichen Wahrheit. Diese Wahrheit bleibt auch dann bestehen, wenn es mit dem christlichen Zeugnis abwärtsgeht. Sie bleibt bis heute das Fundament jeder Arbeit im Werk des Herrn. Wenn wir etwas für Ihn tun möchten, müssen wir die christliche Wahrheit verkünden und praktisch festhalten.
Gleichzeitig lernen wir vom Wirken des Apostels, wie wir heute in den örtlichen Versammlungen aufbauen können. Aus dem Dienst von Paulus, der natürlich ein spezieller war, werden uns göttliche Prinzipien vorgestellt, die heute noch gelten. Wenn wir sie in unserer Tätigkeit am Haus Gottes beherzigen, werden wir die Zustimmung des Herrn finden.
b) Die Niedergangsphase
Es ist die ganze Zeit nach den Aposteln, wie sie Paulus in den Versen 28-38 beschreibt, denn er spricht dort von seinem Abschied, nach welchem der Niedergang einsetzte. Seitdem die Apostel nicht mehr hier sind, geht es im Christentum geistlich abwärts. Dieser Verfall setzt sich fort, bis der Herr dieses Zeugnis im Gericht beseitigen wird. Durch Gottes Gnade hat es auch in der Zeit des Niedergangs Erweckungen gegeben. Wir denken an die Reformation oder an die Erweckung vor ungefähr 200 Jahren. Aber leider hat der Verfall nach einer solchen Erweckung sofort wieder eingesetzt.
Weil das, was Paulus hier prophetisch vorausgesagt hat, heute Wirklichkeit ist, sind seine Anweisungen über das Verhalten in der Zeit des Niedergangs für uns äusserst lehrreich. Sie helfen uns, in den letzten Tagen des christlichen Zeugnisses als örtliche Versammlungen den Gott gemässen Weg zu gehen.
Die Aufbauarbeit in Ephesus
Der Bericht über seine Aufbauarbeit in den Versen 17-27 enthält zwei Schwerpunkte:
- Die Art und Weise, wie er gearbeitet hat. Verschiedene positive Eigenschaften zeichneten ihn in seinem Dienst aus.
- Die Botschaft, die er verkündet hat, also das, was er gelehrt hat.
Beides stellt er uns zu unserer Belehrung vor. Möchten wir die beiden Punkte beachten, wenn wir im Werk des Herrn tätig sind!
Wir wollen uns nun in einem ersten Teil vor allem mit den sittlichen Merkmalen seines Dienstes beschäftigen.
Älteste
«Von Milet aber sandte er nach Ephesus und liess die Ältesten der Versammlung herüberrufen» (V. 17).
Paulus befand sich auf der Reise nach Jerusalem und liess die Ältesten von Ephesus nach Milet kommen, weil er ihnen die letzten Belehrungen mitteilen wollte.
Zur Zeit der Apostel wurden Älteste namentlich benannt, erwählt und eingesetzt. Paulus tat dies in seiner Aufbauarbeit, wie wir aus der Apostelgeschichte erkennen können: «Als sie ihnen aber in jeder Versammlung Älteste erwählt hatten …» (Apg 14,23). Dieser Satz stellt zugleich die beiden grossen Eckpunkte der Ältesten vor. Erstens wurden immer mehrere Älteste bestimmt, es gab nie nur einen an einem Ort. Zweitens wurde der Wirkungskreis der Ältesten festgesetzt: die örtliche Versammlung. Das sind die beiden grossen Grundsätze dieses Amtes: mehrere Älteste, die in ihrem Dienst auf eine örtliche Versammlung beschränkt sind.
Der Apostel Paulus setzte Älteste selbst ein oder bevollmächtigte seine Mitarbeiter Timotheus und Titus dazu (Tit 1,5). Seitdem die Apostel heimgegangen sind, ist es nicht mehr möglich, Brüder namentlich in das Ältesten-Amt einzusetzen. Geschieht es dennoch, so hat es nicht die Zustimmung des Herrn. Wenn also christliche Gruppen auf irgendeine Weise namentlich Älteste bestimmen, dann stehen sie nicht auf dem biblischen Boden des gemeinsamen Weges der Glaubenden.
Das bedeutet aber nicht, dass kein Ältesten-Dienst mehr ausgeübt wird. Im Gegenteil, er ist in jeder örtlichen Versammlung sehr nötig und wertvoll! Für unsere Zeit, in der es keine apostolische Autorität zur Einsetzung von Ältesten mehr gibt, gilt das Wort aus 1. Thessalonicher 5: «Wir bitten euch aber, Brüder, dass ihr die erkennt, die unter euch arbeiten und euch vorstehen im Herrn und euch zurechtweisen, und dass ihr sie über die Massen in Liebe achtet, um ihres Werkes willen» (1. Thes 5,12.13). Es ist also auch heute wichtig, dass in jeder örtlichen Versammlung mehrere Brüder den Ältestendienst tun. An den Brüdern und Schwestern der örtlichen Versammlung liegt es, sie zu erkennen und anzuerkennen, weil sie einen schwierigen, aber wertvollen Dienst leisten.
Sein vorbildliches Verhalten
«Als sie aber zu ihm gekommen waren, sprach er zu ihnen: Ihr wisst, wie ich vom ersten Tag an, als ich nach Asien kam, die ganze Zeit bei euch gewesen bin, …» (V. 18).
Der Apostel rief die Ältesten von Ephesus zu sich, um sie daran zu erinnern, wie er unter ihnen gearbeitet hatte. Es ist nicht nur wichtig, was wir in unserem Dienst tun, sondern auch wie wir arbeiten. Ein Sprichwort sagt: Der Ton macht die Musik! Das gilt auch im Werk des Herrn! Es kommt nicht nur darauf an, was wir sagen, sondern wie wir es sagen und wie wir uns benehmen. Auf diesen Punkt weist uns Paulus durch sein persönliches Beispiel hin.
Durch sein positives Verhalten verfolgte der Apostel zwei Ziele. Erstens wollte er damit die Menschen von Ephesus für die christliche Wahrheit gewinnen. Zweitens wollte er ihnen dadurch ein Vorbild sein, das sie als Glaubende nachahmen konnten. Wie wichtig ist das für jeden Dienst im Werk des Herrn! Wir können durch unser Benehmen die Wahrheit des Wortes Gottes für die Menschen anziehend oder abstossend machen. Es ist sogar möglich, dass die Wahrheit durch unser schlechtes Verhalten verlästert wird (1. Tim 6,1; Tit 2,5). Doch bei Paulus war das nicht so! Die Glaubenden in Ephesus konnten sehen: Sein Leben passte völlig zu dem, was er verkündete.
Demut, Tränen, Versuchungen
«… dem Herrn dienend mit aller Demut und mit Tränen und Versuchungen, die mir durch die Anschläge der Juden widerfuhren; …» (V. 19).
Obwohl Paulus für die Epheser arbeitete, erklärt er hier, dass er dem Herrn Jesus diente. Das haben die Menschen von Ephesus auch erkannt, als er bei ihnen war: Dieser Mann dient seinem Herrn! Wie entscheidend ist das bei den Mitarbeitern im Werk des Herrn! Die Evangelisten dienen den Ungläubigen, damit sie sich bekehren. Die Hirten und Lehrer dienen den Erlösten, damit sie im Glauben wachsen. Aber bei allem Einsatz für die Menschen ist es wichtig, immer den Herrn vor sich zu haben. Denn unser Dienst gilt in erster Linie Ihm.
Paulus diente den Ephesern «in aller Demut». Als der grosse Apostel behandelte er sie nicht von oben herab, sondern reihte sich in ihre Reihen ein. In seinem Dienst wurde er oft angegriffen. Gerade da wurde seine Demut sichtbar, indem er diesen Widerstand geduldig ertrug. Auch wir erfahren, wenn wir etwas für den Herrn tun, dass wir dabei kritisiert werden. Wie reagieren wir darauf? Machen wir demütig unsere Arbeit weiter oder geben wir beleidigt auf?
Paulus diente «mit Tränen und Versuchungen». Einerseits vergoss er für die Epheser unzählige Tränen. Er hatte viel Mühe mit ihnen und musste sie «Nacht und Tag mit Tränen ermahnen» (V. 31). Anderseits begegnete er den Versuchungen der Feinde. Ständig hatte er ihren Widerstand gegen das Evangelium zu erdulden. Die Arbeit im Werk des Herrn geht nicht immer glatt. Da gibt es viele Sorgen um die Menschen, denen man dient. Wir möchten so gern, dass sie sich bekehren und im Glauben wachsen. Gleichzeitig erfahren wir die Feindschaft von Menschen, die das Werk des Herrn zerstören wollen.
Öffentlich und in den Häusern
«… wie ich nichts zurückgehalten habe von dem, was nützlich ist, dass ich es euch nicht verkündigt und euch gelehrt hätte, öffentlich und in den Häusern, …» (V. 20).
Trotz Schwierigkeiten und Widerstand hielt Paulus nichts von seiner Botschaft zurück, sondern teilte den Ephesern alles mit, was ihnen nützlich war. Es ist auch für uns wichtig, dass wir uns im Dienst Gedanken machen, was für die Zuhörer von geistlichem Nutzen ist. Der Apostel Paulus widmet dieser Überlegung ein ganzes Kapitel in der Bibel: In 1. Korinther 14 zeigt er uns, dass die Ausübung der Gaben zum Nutzen und zur Auferbauung sein soll. Für einen Bruder, der eine Gabe ausübt, geht es nicht darum, das zu sagen, was er weiss. Nein, er soll das mitteilen, was die Zuhörer verstehen und aufnehmen können. Dabei sollten wir auch das Alter, das geistliche Verständnis und die Aufnahmefähigkeit der Anwesenden berücksichtigen. In jedem Dienst stellt sich immer wieder die Frage: Was ist den Menschen nützlich, denen ich diene?
Der Apostel verkündigte den Ephesern und lehrte sie die biblische Botschaft. Vielleicht deutet er damit an, dass er die christliche Wahrheit zum einen in ihren grossen Linien aufgezeigt und zum anderen in allen Einzelheiten erklärt hat. Beides finden wir in seinen Briefen. Es ist beeindruckend, mit welcher Systematik er sowohl die elementaren christlichen Tatsachen darstellt als auch die lehrmässigen Feinheiten behandelt.
Wo diente Paulus? Öffentlich und in den Häusern. Einerseits verkündete er die Wahrheit in der Öffentlichkeit, wo sie jeder hören konnte. Anderseits nahm er sich auch Zeit für persönliche Gespräche in den Häusern. Beides ist wichtig. Es gibt Diener, die das Wort nur öffentlich predigen. Es ist ihnen zu gering, in den Häusern mit den Glaubenden zusammen zu sein und Fragen zu beantworten. Das Umgekehrte kommt leider auch vor. Es gibt Arbeiter, die nur im privaten Bereich lehren. Aber in der Öffentlichkeit, z.B. an Konferenzen, hört man sie nicht. Auf diese Weise machen sie sich häufig an junge Glaubende heran und beeinflussen sie im kleinen Kreis – leider oft in unguter Weise. Paulus warnt vor solchen Verführern, die in die Häuser schleichen und Weiblein gefangen nehmen (2. Tim 3,6).
Vor einigen Jahrzehnten lebte in der Schweiz ein sehr anerkannter Bruder. Doch er hatte eine Irrlehre, die er aber nie öffentlich verkündete. Nur im privaten Bereich verbreitete er sie, indem er sagte: «Ich erzähle das nur intelligenten Brüdern.» So hat sich seine Irrlehre ausgebreitet und es entstand in den Versammlungen ein grosser Schaden.
Öffentlich und in den Häusern – ein wichtiger Grundsatz, den Paulus uns in seinem Dienst vorgelebt hat.
Die Reise nach Jerusalem
«Und nun siehe, gebunden in meinem Geist gehe ich nach Jerusalem, ohne zu wissen, was mir dort begegnen wird, ausser dass der Heilige Geist mir von Stadt zu Stadt bezeugt und sagt, dass Fesseln und Bedrängnisse mich erwarten» (V. 22.23).
Nun spricht Paulus von seiner Reise nach Jerusalem. Diese Reise hat die Bibelausleger immer sehr beschäftigt. Dabei sind zwei Haltungen zu erkennen. Die einen wollen beim Apostel gar nichts Verkehrtes sehen. Die anderen meinen, Paulus sei den Weg nach Jerusalem im Eigenwillen gegangen. Ich glaube persönlich, dass beide Ansichten falsch sind. Es gibt im Werk des Herrn nicht nur schwarz und weiss! Das lernen wir gerade aus der Reise von Paulus nach Jerusalem. Da war er sicher nicht auf der Höhe der Leitung des Geistes, wie wir aus allem, was die Bibel darüber berichtet, erkennen können. Aber seine Motive waren gut! Er liebte seine Verwandten aus Israel, seine Mitbürger in Jerusalem. Darum wollte er zum Pfingstfest dort sein, um auch ihnen das Evangelium Gottes vorzustellen. Man kann eine Arbeit im Werk des Herrn aus schlechten oder aus guten Beweggründen tun. Die Beweggründe des Apostels waren lauter und aufrichtig, aber er handelte nicht auf der Höhe der Leitung des Geistes.
Daraus lernen wir für uns zweierlei:
- Halten wir uns im Dienst nahe beim Herrn auf, damit Er uns durch den Heiligen Geist führen kann!
- Fragen wir uns dabei immer wieder: Welche Motive leiten uns in der Arbeit für den Herrn?
Den Lauf und den Dienst vollenden
«Aber ich nehme keine Rücksicht auf mein Leben als teuer für mich selbst, damit ich meinen Lauf vollende und den Dienst, den ich von dem Herrn Jesus empfangen habe …» (V. 24).
Paulus ging diesen Weg nach Jerusalem, obwohl er wusste, dass ihn Fesseln und Bedrängnisse erwarteten. Aber er erklärte: «Ich nehme keine Rücksicht auf mein Leben als teuer für mich selbst.» Er war ein Diener, der sich seinem Herrn völlig hingab. Da sehen wir eine weitere wichtige Eigenschaft im Werk des Herrn: ganze Hingabe an den Meister!
Der Apostel würde bald seinen Lauf und seinen Dienst vollenden. In seinen Briefen können wir erkennen, dass er diese beiden Seiten klar unterscheidet. Einerseits führte er ein Leben mit dem Herrn und anderseits erfüllte er einen Dienst für Ihn. Diese Unterscheidung finden wir besonders deutlich in 1. Timotheus 1:
- In den Versen 12-14 spricht er von seinem Dienst: Er rühmt die göttliche Barmherzigkeit, die ihn «in den Dienst stellte, der zuvor ein Lästerer und Verfolger und Gewalttäter war».
- In den Versen 15-17 spricht er von seinem Leben: Hier rühmt er die Barmherzigkeit Gottes, die ihn, den schlimmsten Sünder errettet hat, damit er jetzt auf der Erde ein Leben mit Jesus Christus führen darf.
Auch für uns ist es wichtig, diese beiden Bereiche zu unterscheiden, obwohl sie natürlich ineinander fliessen. Ein Mensch, der zum Glauben an den Herrn Jesus kommt, darf jetzt durch Gottes Barmherzigkeit ein Leben mit dem Herrn führen und einen Dienst für Ihn erfüllen.
Zusammenfassung
Wenn wir im Werk des Herrn aufbauen möchten, dürfen wir uns nicht von den Schwierigkeiten abschrecken lassen. Es gibt Tränen, Versuchungen, Übungen und Feindschaft.
Aber durch Gottes Gnade gilt es, in der Gesinnung Christi den Problemen zu begegnen und weiter für Ihn zu arbeiten. Dabei wollen wir uns an die Worte unseres Meisters erinnern: «Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig» (Mt 11,29).