Gedanken zum Brief an Titus (1)

Titus 1

Schreiber und Empfänger

Wir haben hier einen apostolischen Brief vor uns. Der Apostel Paulus hat ihn an Titus, seinen Mitarbeiter, geschrieben. Dieser Brief ist interessanterweise nicht an die Versammlung gerichtet, wie das sonst das grosse Anliegen des Apostels in seinen Briefen ist. Hier schreibt er an eine einzelne Person, aber natürlich mit dem Gedanken, dass sie die empfangenen Anweisungen, Ermahnungen usw. weitergibt. Titus ist also ein Übermittler von Gedanken an andere. Diese anderen sind solche, die zur Versammlung gehören.

In diesem Brief geht es um die Versammlungen auf der Mittelmeerinsel Kreta, auf der Titus im Auftrag des Apostels arbeitete.

Jeder Brief hat einen Absender und einen Empfänger. Der Absender ist aus dem ersten Vers ersichtlich: «Paulus, Knecht Gottes, aber Apostel Jesu Christi.»

Der Empfänger ist Titus, der den Brief etwa in den Jahren 64-66 bekommen hat. Er fällt ungefähr in die Zeit zwischen dem ersten und zweiten Brief an Timotheus. Diese drei Briefe werden als Hirtenbriefe bezeichnet, weil ihre Empfänger Aufgaben hatten, die sozusagen eine Hirtentätigkeit ausdrücken. Sie sollten wie Hirten den Gläubigen nachgehen und sie betreuen.

Wer ist Titus? Die Schrift zeigt, dass er erstens ein relativ junger Mann und Christ war. Zweitens war er eine dynamische Persönlichkeit, vermutlich auch ein energischer Mann, der sich durchsetzen konnte. Er kommt in der Schrift nicht so oft vor. Er wird im Galater-Brief, im 2. Korinther-Brief, hier in diesem Brief und schliesslich zum letzten Mal in 2. Timotheus 4,10 erwähnt. Diese Stelle zeigt, dass Titus nach Dalmatien gegangen ist. Vermutlich hat ihn der Apostel Paulus am Ende seines Lebens dorthin gesandt. Erstaunlicherweise taucht der Name Titus in der Apostelgeschichte überhaupt nicht auf.

Titus war ein Mann griechischer Abstammung. Er war durch den Dienst des Apostels Paulus zum Glauben gekommen und somit dessen geistliches Kind. Im Weiteren wurde er schon früh von Paulus auf eine Besprechung der Apostel und der Ältesten in Jerusalem mitgenommen (Gal 2,1). Man bezeichnet jene Zusammenkunft in Apostelgeschichte 15 oft als Apostelkonzil. Dort wurden wichtige Lehrfragen geklärt.

Später gab es ernste Schwierigkeiten in der Versammlung in Korinth. Da findet man im 2. Korinther-Brief, dass dieser Titus sich als ein äusserst wirksames Werkzeug erwies, um den Geschwistern in Korinth zu dienen. Weiter heisst es, dass der Apostel Paulus ihn mit einer – man könnte fast sagen – geringen Aufgabe betreute. Er musste nämlich den Armen in Jerusalem eine Hilfeleistung bringen, die die Geschwister in Mazedonien und anderen Teilen des Mittelmeergebietes gesammelt hatten. Schliesslich haben wir die grosse Aufgabe, die er in Kreta ausführte, als er diesen Brief bekam. Am Schluss der biblischen Mitteilungen über Titus (2. Tim 4,10) finden wir ihn in Dalmatien. Alle diese Stellen geben ein buntes Bild mit vielen Aufgaben, die dieser Mann, der ein Mitarbeiter, Freund und Vertrauter von Paulus war, zu erfüllen hatte.

Inhaltsübersicht des Briefes

Kapitel 1

Der Apostel Paulus gibt Titus eine grosse Aufgabe. Er wird beauftragt, Älteste anzustellen und manches in Ordnung zu bringen. Im Verlauf des Briefes erfahren wir, dass auf Kreta vieles in Unordnung war. Die Bevölkerung dieser Insel bestand offensichtlich aus rebellischen, aufsässigen Menschen. Das zeigte sich auch in der Versammlung unter den Gläubigen. Es ist ja nicht so, dass mit der Bekehrung zum Heiland die ganze Vergangenheit mit einem Schlag ausgelöscht ist und man nun ein perfekter Christ geworden ist. Jene Menschen mussten noch eine ganze Menge lernen. Und wir?

Kapitel 2

Nachdem im ersten Kapitel der Schwerpunkt auf den Ältesten liegt, weitet der Apostel den Blick jetzt von Titus auf alle aus, d.h. es kommen verschiedene Personenkreise zur Sprache. Da werden alte Frauen und junge Frauen, alte Männer und junge Männer, aber auch Sklaven gesondert angesprochen. In diesem Kapitel geht es um das, was Titus den verschiedenen Gruppen von Gläubigen sagen soll.

Kapitel 3

Zum Schluss blickt der Apostel auf das zurück, was wir vor unserer Bekehrung waren. Er sagt uns, dass wir jetzt in eine ganz neue Stellung gekommen sind. Dieser Brief ist sehr komprimiert. Er bringt vieles, was man eigentlich im 1. Timotheus-Brief, jedoch in einer ganz anderen Form, bereits findet. Gerade deshalb ist der Titus-Brief von besonderem Interesse.

Schlüsselworte

In den meisten Briefen des Neuen Testaments stellt man fest, dass bestimmte Worte oder Gedanken besonders betont sind – sogenannte Schlüsselworte. Ein solches ist in unserem Brief z.B. das Wort «gesund». Der Apostel spricht von der «gesunden Lehre», von einem «gesunden Verhalten». Das bedeutet natürlich nicht körperlich gesund, sondern gesund im Glauben – ein äusserst wichtiger Punkt! Wenn wir uns selbst betrachten oder auf die Kirchengeschichte zurückblicken, erkennen wir immer wieder Krankheitserscheinungen. Deshalb ist es wichtig, dass wir neu und vertieft lernen, wie man ein gesundes Glaubensleben führen kann. Das ist die Lehre, die wir im Titus-Brief finden.

Ein weiteres Schlüsselwort ist der Ausdruck «besonnen». Das hängt eng mit «gesund» zusammen. Wir werden auch feststellen, dass verschiedentlich von «erscheinen» gesprochen wird. «Die Gnade Gottes ist erschienen» wie die Sonne am Firmament. Was ebenfalls wichtig ist, sind die guten Werke. Vielleicht sind wir erstaunt, wie oft der Begriff «gute Werke» in den drei Kapiteln vorkommt. Der Apostel Paulus setzt bei uns allen voraus, dass unser Christentum von guten Werken – was diese auch immer sein mögen – begleitet und dadurch sichtbar wird.

Kapitel 1

Vers 1: «Paulus, Knecht Gottes, aber Apostel Jesu Christi, nach dem Glauben der Auserwählten Gottes und nach der Erkenntnis der Wahrheit, die nach der Gottseligkeit ist.» Es fällt auf, dass der Apostel Paulus sich als Knecht oder Sklave Gottes bezeichnet. Das tut er nur hier. Es gibt noch weitere Stellen, in denen ein neutestamentlicher Schreiber sich am Anfang seines Briefes als Knecht Gottes bezeichnet: Jakobus 1,1; Offenbarung 1,1. – Warum stellt sich hier der Apostel Paulus in dieser Form als Sklave Gottes vor? Warum sagt er nicht wie an anderen Stellen nur Apostel oder Knecht Jesu Christi?

Knecht oder Sklave Gottes

Dieser Ausdruck lenkt den Gedanken sofort auf das Wesen des Sklaven oder auf das der Sklaverei, wie sie in der Antike, in der Zeit, als der Brief geschrieben wurde, üblich war.

Was bedeutet die Sklaverei im Neuen Testament? Wir finden etwas darüber in Römer 6,16-18. Dort ist die Rede von Sklaverei gegenüber der Sünde. Von Natur aus befinden wir uns unter der Knechtschaft der Sünde und Satans. Aber wenn wir das Wesen der Sklaverei kennen lernen wollen, müssen wir hier ansetzen: «Wisst ihr nicht, dass, wem ihr euch darstellt als Sklaven zum Gehorsam, ihr dessen Sklaven seid, dem ihr gehorcht: entweder der Sünde zum Tod, oder des Gehorsams zur Gerechtigkeit? Gott aber sei Dank, dass ihr Sklaven der Sünde wart.»

Ein Sklave ist ein Mensch, der einem anderen total unterworfen ist. Der andere hat das Sagen über ihn. Der Sklave hat überhaupt nichts zu melden. So sagt Paulus: Ich bin ein Sklave Gottes. Ich habe überhaupt nichts zu sagen. In meinem Leben hat Gott alles zu bestimmen. Das stellt er Titus, dem Seelsorger, vor, dem er vieles mit auf den Weg gibt, damit dieser den Gläubigen auf der Insel Kreta dienlich sein kann. Er erklärt ihm gewissermassen: Titus, wenn ich schon ein Sklave Gottes bin, dann bist du es auch. Denk daran! Du hast nur das zu tun, was Gott will. Bilde dir ja nichts ein! Du bist nichts als ein Sklave. Welch eine wichtige Lehre auch für uns alle!

Wir müssen verstehen, dass wir in den Gedanken Gottes Sklaven sind, die im Grund genommen nur von seinem Willen abhängig sind. Damit will der Apostel Paulus seinem Mitarbeiter sagen: Titus, deine Aufgabe in Kreta ist eine Aufgabe, die du im Gedanken an den lebendigen Gott tun musst. Du bist nichts als sein Sklave genauso wie ich auch sein Sklave bin. Aus dieser Perspektive musst du die Gläubigen sehen, und auch das, was du vielleicht mit ernsten Worten tadeln musst. Du bist nur ein Sklave Gottes, wenn du so sprichst.

Paulus stellt sich weiter als Apostel Jesu Christi vor. Warum heisst es hier «aber Apostel Jesu Christi», wenn doch statt «aber» genauso gut «und» stehen könnte (siehe z.B. die englische und französische JND-Bibelübersetzung)? Obwohl sich der Apostel Paulus als ein Sklave Gottes einführt, ist er trotzdem auch ein Apostel Jesu Christi. «Sklave Gottes» konnte und sollte Titus auch sein. «Apostel Jesu Christi» aber konnte nur Paulus sein. Ist es nicht interessant, diesen kleinen Unterschied festzustellen?

Auch wir – du und ich – sind aufgerufen, Sklaven zu sein, also völlig abhängig von Gott und von unserem Herrn zu leben. Wir haben da nichts zu melden. So dürfen wir auch unseren Dienst sehen, den wir vielleicht in der Zurückgezogenheit, in Schwachheit, manchmal auch in Unvollkommenheit, in Erbärmlichkeit an unseren Mitgeschwistern tun dürfen. Dabei sind wir nichts als Sklaven gegenüber Gott. War das nicht eine nützliche Lektion für diesen jungen Mitarbeiter von Paulus?

Was bedeutet: «Apostel Jesu Christi, nach dem Glauben der Auserwählten Gottes und nach der Erkenntnis der Wahrheit, die nach der Gottseligkeit ist»? Die Apostelschaft von Paulus war durch den Glauben der Auserwählten und durch die Erkenntnis der Wahrheit charakterisiert. Wir finden ähnliche Ausdrücke auch in den Briefen an Timotheus. Diese Erkenntnis der Wahrheit ist nach der Gottseligkeit.

Wir kommen oft ins Fragen, was das alles bedeutet. Die Textformulierung soll uns dahin führen, die Schrift genauer zu lesen. Dann merkt man erst, wie grossartig sie überhaupt ist. Beeindruckend ist nicht nur, dass Gott zu uns spricht, sondern auch wie Er zu uns spricht. Er tut das oft in einer Form, die einen zutiefst bewegt. Er spricht nicht wie ein Mensch. Er hat in seinem Stil nichts Monotones an sich. Es geht also nicht nur darum, dass Gott grosse Dinge zu uns sagt, sondern wie Er sie uns mitteilt. Gott ist ein grosser Erzieher. Er weiss genau, wie Er es in jedem Brief zu sagen hat. Hier drückt Er es in einer Form aus, wie Er es in einem anderen Fall nicht sagen würde.

Gottseligkeit

«Die nach der Gottseligkeit ist.» Wissen wir, was Gottseligkeit ist? Sie ist nichts anderes als wahre Frömmigkeit. Wenn mein Herz von Gottseligkeit erfüllt sein darf, dann nur deshalb, weil ich meinen Blick auf den Herrn Jesus selbst richten darf. In 1. Timotheus 3,16 ist die Rede vom Geheimnis der Gottseligkeit: «Und anerkannt gross ist das Geheimnis der Gottseligkeit.» Dann folgt ein Doppelpunkt. Nachher heisst es: «Er, der offenbart worden ist im Fleisch, ist gerechtfertigt im Geist, gesehen von den Engeln, gepredigt unter den Nationen, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit.»

Verstehen wir, worum es dabei geht? Gottseligkeit ist keine gefühlsmässige Sache, keine Gefühlsseligkeit. Sie ist etwas ganz Bewusstes, Energiebezogenes. Wir sehen den Herrn Jesus in diesem Vers und sind glücklich dabei. Verwechseln wir Gottseligkeit nicht mit einem Überschwall von Gefühl. Wenn ich ein gottseliges Herz habe, dann habe ich ein Herz, das erfüllt ist von dieser wunderbaren Person. Natürlich sind die Gefühle dabei nicht unbeteiligt. Aber der tiefste Sinn ist einfach, dass wir mit wahrer Frömmigkeit an Ihn denken dürfen.

Vers 2: «In der Hoffnung des ewigen Lebens, das Gott, der nicht lügen kann, verheissen hat vor ewigen Zeiten.» Gott hat das ewige Leben vor ewigen Zeiten verheissen. Was bedeutet das denn?

Das ewige Leben

Wir wissen, dass ein Sünder, der Gott seine Sünden bekennt und an den Herrn Jesus glaubt, ewiges Leben bekommt. Von diesem Augenblick an besitzt er das ewige Leben. Daneben findet man in der Schrift auch den Gedanken, dass das ewige Leben etwas Zukünftiges ist. Also zwei Gedanken: Ich besitze es bereits, und doch bekomme ich es noch. Wieso trifft auch das Zweite zu? Ganz einfach deswegen, weil dann auch mein ganzer Körper vom Neuen erfasst wird. Das erwarten wir noch. Der Apostel Paulus sieht das ewige Leben sehr oft als etwas, das am Ende der Glaubenslaufbahn steht. Diese zwei Gesichtspunkte wollen wir immer bedenken, wenn wir vom ewigen Leben lesen. Wir hoffen also auf das ewige Leben, obwohl wir es in einem anderen Sinn bereits besitzen.

Frage: Hast du das ewige Leben in diesem Sinn? Welche Gedanken kommen dir, wenn du an einen bestimmten Tag in deinem Leben zurückdenkst, an dem du zum ersten Mal erkanntest: Jetzt besitze ich auch das ewige Leben? Hast du eine solche Erinnerung in deinem Leben? Es ist so wichtig, dass die Kinder der Gläubigen das erfassen. Man kann in das ewige Leben nicht hineinschlittern oder hineinwachsen. Man darf auch nicht meinen, durch treues Besuchen der Versammlungsstunden ewiges Leben zu erhalten. Der Herr wünscht von uns allen, auch von den Kindern, die in den Häusern der Gläubigen aufwachsen, eine klare Umkehr, eine Bekehrung. Dann gibt es ewiges Leben.

Auch im Alten Testament findet man das ewige Leben erwähnt, aber sehr selten. Jene Gläubigen wie etwa Abraham besassen es. Den Ausdruck selbst findet man nur zweimal. Dabei ist das ewige Leben mehr mit dem Gedanken an das Tausendjährige Reich verbunden. Jenes Friedens- und Segensreich war für den gläubigen Israeliten des Alten Testaments die Modellvorstellung von ewigem Leben.

Wir Christen wissen, dass das ewige Leben viel weiter geht. Seitdem der Herr Jesus gekommen ist und auf Golgatha am Kreuz gestorben ist, wissen wir, dass das ewige Leben einen unermesslichen Reichtum umfasst, den wir uns kaum vorstellen können. Das ewige Leben bezieht sich auf Jesus Christus selbst. Je mehr ich Ihn sehe, je mehr ich Ihn erfasse, verstehe, geniesse, desto mehr verstehe ich auch das ewige Leben.

Verheissen vor ewigen Zeiten

Es geht um eine Verheissung innerhalb der Gottheit. Gott hat das ewige Leben für uns – für dich und für mich – sozusagen seinem Sohn in der Ewigkeit versprochen. Er hat darüber geredet, als noch kein Mensch da war. Diese Verheissung ist bereits in der Ewigkeit ausgesprochen worden. Gott hat schon immer unser Heil gewünscht und gewollt und dies vor ewigen Zeiten verheissen. Über diese Tatsache sollten wir nachdenken, sie überdenken und bedenken, damit wir ein wenig ihre Tiefe erfassen. Gott hat solch kleine unscheinbare Menschen, wie wir es sind, so geliebt, dass Er schon von vornherein im Auge hatte, ihnen ewiges Leben zu geben. – So heisst es auch in 1. Petrus 1,20, dass Gott seinen Sohn zuvor erkannt hat vor Grundlegung der Welt, damit Er in diese Welt kommen sollte, um als das Lamm Gottes das Erlösungswerk zu vollbringen.

Die Hoffnung des ewigen Lebens ist eine lebendige Hoffnung. Wir denken oft an das Kommen des Herrn, aber vielleicht manchmal nur gewohnheitsmässig. Macht uns das noch froh? Entflammt uns der Gedanke, den wir hier lesen? Oder nehme ich das nur zur Kenntnis wie alles andere Mögliche auch? Macht der Gedanke, dass der Herr kommt und es dieses ewige Leben dann im Vollmass gibt, mein Herz brennend? Mein Körper, nicht nur meine Seele, wird dann vom ewigen Leben erfasst werden. Wir wollen den Herrn bitten: Mach mir dein Wort und auch den Gedanken an dein Kommen wieder gross und klar! Lass mich erfüllt sein mit dieser lebendigen Hoffnung!

Vers 3: «Zu seiner Zeit aber hat er sein Wort offenbart durch die Predigt, die mir anvertraut worden ist nach Befehl unseres Heiland-Gottes.» Gott hat uns «sein Wort offenbart». Ist es nicht beeindruckend, ja überwältigend, dass Er uns sein Wort gegeben hat? Es ist das Wort des grossen und ewigen Gottes. Er hätte sich, nachdem Er die Schöpfung aus dem Nichts ins Dasein gerufen hatte, zurückziehen können. Er hätte uns Menschen laufen lassen können. Doch Er hat es nicht getan. Gott spricht.

Wenn Er spricht, dann wünscht Er, dass ein Gegenüber da ist. Das ist ja auch der grosse Hintergrund, warum wir in Johannes 1 lesen, dass Er das Wort ist. Was wäre, wenn wir an einem Tisch sitzen würden und keiner reden würde? Da gäbe es überhaupt keine Beziehung. Sobald aber ein Wort gesprochen wird, springt der Funke über. Dann ist die Beziehung da.

Wenn Gott zu uns Menschen spricht, dann will Er eine Beziehung schaffen. Er möchte nicht nur, dass wir an Ihn glauben, sondern dass wir Ihn auch als Vater kennenlernen. Damit diese herrliche Beziehung zustande kommen konnte, musste sein eigener Sohn am Kreuz sterben.

Und nun hat uns Gott sein geschriebenes Wort gegeben. Eine gewaltige Tatsache! Der grosse Gott hat sich herabgelassen, uns seine unendlichen Gedanken in der Bibel, in einer endlichen, lesbaren Form mitzuteilen. Er hat Menschen befähigt, seine Gedanken fehlerlos, irrtumslos so aufzuschreiben, wie Er es wünschte, so dass wir alle sie jetzt lesen können. Gott ist nicht ein schweigender Gott, Er redet. Seitdem der Herr Jesus gekommen ist, wird das Evangelium gepredigt und das Wort verkündigt. Gott redet in der Absicht, dass wir hören und sein Wort aufnehmen.

Lasst uns doch einmal darüber nachdenken, wie gross das ist, dass Gott redet, dass Er uns sein Wort gegeben hat. Er hat dann auch dafür gesorgt, dass es aufgeschrieben wurde. Das nehmen wir alles so selbstverständlich hin. Aber es ist gar nicht selbstverständlich.

Weiter heisst es, dass das Wort «offenbart worden ist durch die Predigt», durch die Proklamation der Botschaft. Ich stelle mir da den Apostel Paulus vor, wie er in Athen war und dort geredet hat. Die Predigt dieses Mannes, überhaupt die Predigt des Evangeliums, muss die Zuhörer gepackt haben. Hat dich die Predigt des Evangeliums auch schon gepackt oder ist das nur so eine distanzierte Sache? Das Wort Gottes muss uns irgendwie erreicht haben, sonst wird es eines Tages unser Richter werden. Das sagt der Herr Jesus klipp und klar in Johannes 12,48: «Wer mich verwirft und meine Worte nicht annimmt, hat den, der ihn richtet: das Wort, das ich geredet habe, das wird ihn richten am letzten Tag.» Wenn wir dem Wort Gottes heute nicht gehorchen, wird es uns eines Tages erreichen, um uns zu verurteilen.

Die Predigt ist dem Apostel Paulus anvertraut worden «nach Befehl unseres Heiland-Gottes». Gott hat diesem Mann Paulus das Kommando gegeben: Du musst jetzt die Predigt bringen. In seiner grossen Rede in Athen sagte er, dass Gott den Menschen gebietet, dass sie alle überall Buße tun sollen. Er ist immer noch der gleiche Gott. Bis heute gebietet oder kommandiert Er uns, Buße zu tun. Wir haben nur zu gehorchen (Apg 17,30.31).

Dann folgt ein Ausdruck, der für die Hirtenbriefe charakteristisch ist: «unser Heiland-Gott.» Zwischen Heiland und Gott steht ein Bindestrich. Ein Bindestrich deutet eine Verbindung zwischen zwei Wörtern an, zwischen denen er steht. Das heisst hier, dass der Heiland-Gott einerseits der Heiland und anderseits Gott ist. Der Heiland ist Gott, und Gott ist auch Heiland. Wir wissen und wollen festhalten, dass unser Herr beides ist. Der Herr Jesus ist der wahre, lebendige Gott, und Er ist der Heiland, was Retter bedeutet. Es ist für Gott eine Freude, der Retter zu sein. Er möchte, dass niemand verloren geht.

Vers 4. Nun spricht der Heilige Geist Titus direkt an. In den Briefen der Antike war es üblich, dass man den Briefempfänger in dieser Form noch einmal ansprach: «Titus, meinem echten Kind nach unserem gemeinschaftlichen Glauben.» Man hat den Eindruck, dass der Apostel Paulus Timotheus etwas herzlicher anspricht als Titus. Wahrscheinlich stand er ihm näher. Weil Timotheus seinem Charakter nach eher ein ängstlicher Mann war, brauchte er grössere Zuwendung als Titus, der eine dynamische Persönlichkeit war. Doch auch das, was er hier zu Titus sagt, ist sehr schön. Paulus nennt sowohl Titus als auch Timotheus «mein echtes Kind» im Glauben, während er Timotheus auch als sein geliebtes Kind anredet. Wir sehen, dass diese Männer eine herzliche Liebe verband: Also einerseits Paulus, ein Mann von Format, der im Dienst seines Herrn schon älter geworden war, und anderseits dieser relativ junge Mann Titus beziehungsweise Timotheus.

Vers 5. Jetzt folgt konkret, was Titus in Kreta tun sollte. Wir erfahren aus diesem Vers, dass der Apostel Paulus Kreta besucht hat – wann dies war, kann man aus der Bibel nicht erkennen –, und dann Titus dort gelassen hat. Er sollte in Ordnung bringen, was noch mangelte, und zusätzlich in jeder Stadt Älteste anstellen, wie der Apostel ihm geboten hatte. Ähnliches finden wir auch in den übrigen Belehrungen des Neuen Testaments über die Ältesten. Dieser Auftrag, den Paulus seinem Mitarbeiter Titus gegeben hat, war wahrscheinlich zeitlich begrenzt, weil Titus später Kreta verlassen musste und den Apostel in Nikopolis aufsuchen sollte (Kap. 3,12).

Älteste und Aufseher

Was ist ein Ältester, was ist ein Aufseher? Es sind gläubige Männer, die den Geschwistern in Treue nachgehen und ihnen seelsorgerlich beistehen. Sie üben so etwas wie Hirtendienst aus. Das wird aus Apostelgeschichte 20 deutlich. Dort wird in Vers 28 zu den Ältesten von Ephesus gesagt: «Habt acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist als Aufseher gesetzt hat, die Versammlung Gottes zu hüten – wie eine Herde –, die er sich erworben hat durch das Blut seines Eigenen.» In einer zweiten Stelle heisst es: «Die Ältesten, die unter euch sind, ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden des Christus und auch Teilhaber der Herrlichkeit, die offenbart werden soll: Hütet die Herde Gottes, die bei euch ist, indem ihr die Aufsicht nicht aus Zwang führt, sondern freiwillig, auch nicht um schändlichen Gewinn, sondern bereitwillig» (1. Pet 5,1.2). Es waren also Leute, die der Herr benutzte, um den Seinen zu dienen.

Warum heissen sie Aufseher? Wir haben hier in Vers 5 die Bezeichnung «Älteste» und in Vers 7 die Bezeichnung «Aufseher». Was ist der Unterschied? «Älteste» und «Aufseher» sind unterschiedliche Ausdrücke für ein und dieselbe Person. Ein Ältester ist jemand, der kraft seines Alters, seiner Erfahrung, seiner Weisheit, seiner Geduld besonders geeignet ist, um einen solchen Hirtendienst zu tun. Der Aufseher ist ein erfahrener Bruder, der einen besonderen Blick für die Geschwister hat und merkt, wenn etwas nicht stimmt.

Im Weiteren sollten wir den Unterschied zwischen Ältesten und Gaben beachten. Aufseher oder Älteste waren Brüder, die der Herr Jesus in den örtlichen Versammlungen benutzte. Ein Aufseher in Rom war kein Aufseher in Korinth. An jedem Ort, wo eine Versammlung war, gab es eigene Aufseher und eigene Älteste. Daneben spricht die Schrift auch von Gaben. Es gibt Evangelisten, Hirten und Lehrer. Ein Evangelist, der in Rom Evangelist war, war das genauso in Korinth. Wenn der Herr Jesus seinem Leib, seiner Versammlung, Gaben schenkt, dann tut Er das für die weltweite Versammlung. Wenn Er aber an einem bestimmten Ort dem Bruder X klar macht: «Hör mal, geh doch dem Bruder Y nach», oder: «Siehst du die Schwester da, die schon so lange nicht mehr zu den Zusammenkünften gekommen ist? Geh doch mal zu ihr», dann ist das die Tätigkeit eines Aufsehers. Sie bezieht sich auf seine örtliche Versammlung. Eine Gabe aber gibt Christus der ganzen Versammlung oder dem ganzen Leib. Ein Evangelist oder ein Hirte oder ein Lehrer aus Chicago ist es auch hier. So sagt es die Schrift.

Wer hat nun die Ältesten oder Aufseher eingesetzt? Das haben der Apostel Paulus selbst und auch die anderen Apostel getan. Das hat hier Titus getan, und andernorts mit grosser Wahrscheinlichkeit auch Timotheus. Das Einsetzen von Ältesten geschah durch die Apostel und solche, die in ihrem Auftrag handelten. Andere durften das nicht.

Es gibt also heute keine Ältesten, keine Aufseher mehr, weil keine Apostel und keine von ihnen beauftragten Männer wie Titus und Timotheus mehr da sind, die in der Lage wären, solche Leute amtlich einzusetzen. Das bedeutet aber nicht, dass der Herr nicht Männer hat, die Er in dieser Hinsicht benutzt. Aber die Schrift nennt sie nicht Älteste. Dazu zwei Bibelstellen: In 1. Korinther 16,15.16 erwähnt der Apostel Gläubige, die sich selbst den Heiligen zum Dienst verordnet haben. Über sie sagt er den Empfängern seines Briefes: «dass auch ihr euch solchen unterordnet.» In 1. Thessalonicher 5,12.13 finden wir ähnliche Worte: «Wir bitten euch aber, Brüder, dass ihr die erkennt, die unter euch arbeiten und euch vorstehen im Herrn und euch zurechtweisen, und dass ihr sie über die Massen in Liebe achtet, um ihres Werkes willen.» Solche Brüder gibt es immer noch. Wir müssen also festhalten, dass der Herr immer noch Menschen schenkt, die diese Aufgaben haben und sie ausführen, obwohl sie in formalem Sinn keine Ältesten oder Aufseher sind.

Es gibt manche Gläubige, die meinen, dass die Gemeinde Älteste einsetzen könne. Da möchte ich zurückfragen: Habt ihr je erlebt, dass Schafe ihren Hirten wählen konnten? Das gibt es nicht. Der Herr allein, nicht die Menschen, setzt solche Männer ein. Auch heute, wo wir keine Apostel mehr haben, sorgt der Herr dafür, dass den Gläubigen gedient wird. Es wird keiner zu kurz kommen.

Verse 6-9. Hier haben wir die moralischen Voraussetzungen, die ein Ältester zu erfüllen hatte. Das gilt auch heute. Wenn ein Bruder sich innerlich beauftragt fühlt, den Gläubigen etwas zu sagen, ihnen nachzugehen, sie vielleicht auch zu ermahnen, ihnen zu helfen – was oft nicht in der Öffentlichkeit, sondern im Gespräch geschieht –, dann müssen bestimmte Voraussetzungen bei ihm gegeben sein. Darauf hatte Titus zu achten. Alle diese Attribute sind fast selbstverständlich. Ich möchte deshalb nur auf einige eingehen.

Untadelig bedeutet, dass man keinen Vorwurf erheben kann. Es muss jemand sein, der nicht von irgendeiner Seite angegriffen werden kann. Er durfte nur der Mann einer Frau sein. Seine gläubigen Kinder durften kein ausschweifendes Leben führen oder zügellos sein.

In Vers 7 finden wir weitere Voraussetzungen: «nicht eigenmächtig, nicht zornmütig, nicht dem Wein ergeben, nicht ein Schläger, nicht schändlichem Gewinn nachgehend.» Es ist immer interessant, wenn die Schrift manches verneinend ausdrückt. Normalerweise tut sie das nicht. Sie sagt uns positiv, was sein soll. Aber es gibt auch Fälle wie diesen hier, wo sie etwas verneinend formuliert und sagt, was nicht sein soll. Damit erinnert sie uns daran, dass wir von Natur gerade so sind, wie es hier steht. Aber diese fleischlichen Regungen sollen bei uns nicht mehr zum Zug kommen.

Der Aufseher soll gastfrei sein. Kennen wir das noch? Was heisst gastfrei? Die Schrift sagt: «Nach Gastfreundschaft trachtet», und: «Die Gastfreundschaft vergesst nicht», und: «Seid gastfrei gegeneinander ohne Murren» (Röm 12,13; Heb 13,2; 1. Pet 4,9). Ohne Murren heisst: Wenn unerwartet Geschwister da sind, sie mit Freuden aufzunehmen und nicht zu sagen: Ich bin heute nicht darauf eingerichtet. So etwas wäre nicht im Sinn des Wortes Gottes. Früher war man in dieser Hinsicht unkomplizierter, und da klappte die Gastfreundschaft.

«Das Gute liebend.» In 2. Timotheus 3,3 heisst es, dass in den letzten Zeiten die Menschen «das Gute nicht lieben». Wir werden zum Gegenteil aufgefordert. Was ist denn gut? Ist es das, was die Menschen als gut bezeichnen? Der Massstab des Guten orientiert sich an Gottes Wort. Es gibt vieles, was in den Augen Gottes gut ist, was aber in den Augen der Menschen noch lange nicht gut oder nicht mehr gut ist. Da sind wir gehalten, immer wieder den Herrn zu bitten: Öffne mir die Augen, dass ich sehe, was dir gefällt. Es mag sein, dass die Menschen es überhaupt nicht verstehen, wenn wir etwas tun, was Gott als ein gutes Werk ansieht.

In Vers 9 folgen weitere Voraussetzungen für Älteste. Sie mussten dem Wort Gottes anhängen und mussten die Fähigkeit haben, andere zu ermahnen und auch zu überführen. Das waren sicher nicht unbedingt solche, die in der Versammlung öffentlich das Wort verkündigten. Das waren Brüder, die diesen Dienst im persönlichen Gespräch oder auch in anderen Zusammenhängen ausführten. Jedenfalls mussten sie in der Lage sein, mit der gesunden Lehre zu ermahnen und zu überführen, etwa so: Das ist nicht in Ordnung, Gottes Wort sagt das anders. Sie waren mit moralischer Autorität versehen und besassen die Fähigkeit, jemand zu überführen.

Wir wollen uns fragen: Kennen wir die gesunde Lehre noch? Manchmal stellt man mit Erstaunen fest, dass die Zuhörer von den Verkündigern wünschen: Auf keinen Fall Lehre, nur Praxis! Ist das biblisch? Wie kann ich eine gute biblische Praxis haben ohne Lehre? Ich muss doch wissen, was der Herr mir sagt, um dann das Erkannte in die Praxis umzusetzen. Und lasst uns daran denken, dass Gott sich herablässt, uns seine grossen Gedanken zu sagen, auch wenn wir sie gar nicht in die Praxis umsetzen können. Ist das nicht wunderbar? Ich kann den grossen Gedanken der Entrückung oder den der Versammlung kaum in die Praxis umsetzen, aber Gott lässt sich herab, mir das zu sagen. Soll ich das denn nicht mit Freuden, ja, mit Begeisterung aufnehmen und es lernen, auch wenn ich nicht sofort etwas davon für die Praxis habe? Denken wir doch einmal daran, wie grossartig es ist, dass Gott sich herablässt, mit mir zu sprechen, und dass ich das, was Er mir sagt, lernen darf. Darüber kann, darf und möchte ich mich freuen.

Vers 10. Auf Kreta waren die Leute alles andere als angenehm. Es waren zügellose Schwätzer und Betrüger. Schwätzer sind Leute, die nichts zu sagen haben und doch reden. Als zügellos bezeichnet man solche, die überhaupt keine Norm kennen. Sie tun einfach, was ihnen gerade passt. Das sagt ja schon der Ausdruck «zügellos»: ohne Zügel, ohne irgendeine Bindung. In diese Gesellschaft war Titus gekommen, um dort etwas Ordnung zu schaffen.

Vers 11. Wie kann man jemand den Mund stopfen? Ein Mann wie Titus, der sicher mit Gedanken an seinen Herrn erfüllt war, musste mit Geschwistern reden, musste ihnen massiv entgegentreten, ihnen den Mund stopfen. War das nicht schlimm? Und doch musste dieser Mann so handeln. In Vers 13 wird er beauftragt, die Leute streng zurechtzuweisen. Sicher herrschten auf Kreta besondere Verhältnisse. Dort wohnten – wie schon gesagt – Rebellen ersten Ranges, eine besondere Art von Menschen. Das macht uns die Schrift klar.

Für einen Mann wie Titus war das eine ungemein schwere Aufgabe: so klar etwas zu sagen, was er in seinem Herzen nach seinen Empfindungen lieber gar nicht sagen wollte. Doch er hatte den Auftrag: Du musst zurechtweisen, du musst das tun.

Wie käme das bei uns an, wenn wir so zurechtgewiesen würden? Ob ich das ertragen könnte? Ob ich nicht weggehen und woandershin gehen würde, in eine Wohlfühl-Gemeinde, wo ich nur Liebes höre? Oder ertrage ich das, was Gottes Wort mir sagt? Bin ich – wie es an einer Stelle heisst – bereit, dem, der mich schlägt, dafür zu danken? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es für Paulus oder Titus eine Alternative war, wegzugehen. Allein notwendig war aber die Bereitschaft, das Wort der strengen Zurechtweisung anzunehmen.

Es war für Titus bestimmt schwer, so vorzugehen. Aber ich glaube, dass es auch ungemein schwer war, diesen harten Tadel so zu akzeptieren. Vielleicht war auch mancher auf Kreta gar nicht bekehrt. Aber viele waren es. Sie mussten sich einfach so etwas sagen lassen.

Verse 12.13: «Es hat einer aus ihnen, ihr eigener Prophet, gesagt: “Kreter sind immer Lügner, böse, wilde Tiere, faule Bäuche.” Dieses Zeugnis ist wahr.» Wir wollen jetzt nicht anfangen zu sagen: Das sind die Kreter gewesen. Wir sind viel anständiger. Das wäre eine falsche Aufnahme von Gottes Wort. Sicher waren die Kreter so. Aber sind wir nicht alle einem ähnlichen Tadel in der Schrift ausgesetzt? In Psalm 116,11 heisst es: «Alle Menschen sind Lügner!» – ohne Ausnahme, nicht nur die Kreter!

Was bedeutet es, wenn hier steht: böse, wilde Tiere? Das will sagen: ungezähmt, nicht dem Willen eines Herrn unterworfen. Wie ist das bei uns? Wie oft muss ich mich anklagen, dass ich unabhängig bin, dass ich mich dem sanften Joch meines Herrn und Heilands nicht unterwerfe. Ist das nicht die Gesinnung eines wilden, ungezähmten Tieres? Diese kurze, ernste Sprache trifft auch uns.

Der genannte Ausspruch stammt vom griechischen Philosophen Epimenides, der es lange vor der Zeit des Apostels Paulus ausgesprochen hatte. Paulus benutzt dies jetzt, um Titus die Leute zu beschreiben, unter denen er eine Aufgabe hatte, und um den Kretern vorzuhalten: Das seid ihr, das hat schon euer eigener Prophet gesagt, und er tat es zu Recht. Auch wir müssen uns manchmal durch Ungläubige, durch Fremde etwas sagen lassen. Der Herr spricht dann durch ein solches Wort auch zu uns.

Vers 13: «Weise sie streng zurecht, damit sie gesund seien im Glauben.» Wir können krank sein im Glauben. Eine erklärte Absicht in diesem Brief ist, die Gläubigen zu geistlicher Gesundheit zu führen. Sie sollen gesund sein im Glauben. Es gibt so manche Krankheitserscheinungen unter den Gläubigen, die behandelt werden müssen. Wir wollen uns vor dem Herrn und im Herzen fragen: Wo habe ich solche Krankheitskeime, gegen die ich angehen muss? Brauchen wir lange zu forschen? Wir werden sie sicher schnell entdecken.

Vers 14. Zum Schluss ist die Rede von jüdischen Fabeln und Geboten von Menschen. Sowohl in Kreta als auch an vielen anderen Orten waren die Menschen zur Zeit des Neuen Testaments den Einflüssen des Judentums ausgesetzt. Juden kamen und sagten jenen frühen Christen: Ihr müsst dies und das noch tun. Ihr müsst beschnitten werden, ihr müsst das Gesetz halten, ihr müsst den Sabbat halten usw. Das nennt der Apostel hier jüdische Fabeln und Gebote von Menschen. Sie entsprechen nicht der Wahrheit. Das mussten sich die Kreter sagen lassen, und Titus sollte sie darüber belehren.

Diese Leute waren damals der Meinung, dass sie sich verunreinigten, wenn sie unreines Fleisch assen oder wenn sie sich die Hände nicht wuschen, bevor sie assen. Das führte dann zu einer kultischen Verunreinigung. Doch der Apostel Paulus lehrte etwas anderes. Er verkündigte das Evangelium und die christliche Lehre und sagte: Das ist nicht mehr so. Dem Reinen ist alles rein. Es gibt nichts mehr, das durch den Gebrauch verunreinigt. Wenn man Fleisch isst, das die Israeliten nicht essen durften, dann macht das nicht mehr unrein. Wir Christen wissen, was wahre Reinheit ist. Weiss das jeder von uns? Wissen wir, was es heisst, wirklich einmal von Sünden gereinigt worden zu sein? Nicht von Nebensächlichkeiten, sondern von Sünden gereinigt, gewaschen, abgewaschen, gerechtfertigt zu sein? Das ist die wahre Reinheit, die der Herr im Auge hat.

Vers 15. Die Leute, die als befleckt und ungläubig bezeichnet werden, waren unbekehrte Menschen. Befleckt und ungläubig ist genau das Gegenteil von dem, was ein wahrer Gläubiger ist. Die Ungläubigen führten auch eine sehr anmassende Sprache, wie der nächste Vers anzudeuten scheint.

Vers 16. «Sie geben vor, Gott zu kennen, aber in den Werken verleugnen sie ihn und sind abscheulich und zu jedem guten Werk unbewährt.» Man kann also fromm und von Gott reden und doch durch sein Leben beweisen, dass man Gott überhaupt nicht kennt. Das ist sehr ernst – auch für uns. Als Gläubige, die Gott wirklich kennen, führen wir manchmal eine Sprache, die nicht dem entspricht, was unser Herz empfindet. Müssen wir da nicht den Herrn um mehr Wirklichkeit im Leben bitten? Bei diesen unbekehrten Menschen gab es keine Wirklichkeit.

Manchmal leiden wir als Gläubige darunter, dass es so wenig Wirklichkeit in unserem Leben gibt. Ich höre am Sonntag in der Wortverkündigung einen Vortrag, und am Mittwoch frage ich mich: Worüber hat der Bruder überhaupt gesprochen? Es macht mir Mühe, die gelesene Stelle zu rekonstruieren. Geht dir das auch so? So wenig packt uns das Wort Gottes! Wir sind oft nur von Äusserlichkeiten erfüllt. Das sollte uns alle – nicht nur die Kreter damals – dahin führen, den Herrn doch um mehr Wirklichkeit und Echtheit in unserem Leben zu bitten. Das ist die Lehre im Titus-Brief: Unser Christentum soll echt und wirklich werden.

Titus arbeitete als Beauftragter des Apostels Paulus in Kreta. Nach Vers 5 hatte er einen doppelten Auftrag bekommen. Einerseits sollte er, was noch mangelte, in Ordnung bringen – das war wahrscheinlich sehr viel –, und anderseits sollte er in jeder Stadt Älteste anstellen. Auch diese Aufgabe war nicht so einfach, weil Älteste bestimmte Voraussetzungen aufweisen mussten.

Den ersten Teilauftrag – das, was noch mangelte, in Ordnung zu bringen – finden wir vor allem in Kapitel 2.