«Das Wort ist gewiss; und ich will, dass du auf diesen Dingen fest bestehst, damit die, die Gott geglaubt haben, Sorge tragen, gute Werke zu betreiben. Dies ist gut und nützlich für die Menschen» (Titus 3,8).
Das Wort ist gewiss: d.h. das Wort der Barmherzigkeit Gottes, die rettet und rechtfertigt und denen, die geglaubt haben, das ewige Leben als Erbe gibt, den Genuss seiner vollen Resultate in der Herrlichkeit.
Das Wort des Gesetzes war fest: es hatte immer «eine gerechte Vergeltung» zur Folge (Heb 2,2); das Wort der Gnade hingegen ist gewiss. Wenn dieser Begriff gebraucht wird, ist immer von der Gnade die Rede, und der Ausdruck: «das Wort ist gewiss» ist in den Briefen an Timotheus und an Titus sehr häufig.
In 1. Timotheus 1,15 ist das «Wort gewiss und aller Annahme wert», dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, Sünder zu erretten.
Nach 1. Timotheus 3,1 ist «das Wort gewiss», dass «wenn jemand nach einem Aufseherdienst trachtet, er ein schönes Werk begehrt». Nach diesem Amt trachten, heisst wünschen, selbst untadelig zu sein (Vers 2), um die andern zur Ehre Gottes auf dem gleichen Weg zu führen, eine Aufgabe, die gewiss nicht nebensächlich ist, sondern einen hohen Wert hat, weil es sich dabei um das ganze praktische Zeugnis des Hauses Gottes hier auf der Erde handelt. Daher wird dieser Dienst «ein schönes Werk» genannt.
In 1. Timotheus 4,8.9 sagt der Apostel: «Die Gottseligkeit aber ist zu allen Dingen nützlich, da sie die Verheissung des Lebens hat, des jetzigen und des zukünftigen», und er fügt hinzu: «Das Wort ist gewiss und aller Annahme wert». Wie in Kapitel 1,15 betont er damit die Gewissheit des Wortes, das durch die göttliche Belehrung zur Gottseligkeit leitet. Der Apostel fügt hinzu, dass er für dieses arbeite und geschmäht werde. Um anderen Gottseligkeit zu lehren, muss man selbst ein Beispiel der Gottseligkeit sein, indem man auf einen lebendigen Gott hofft, der ein Erhalter aller Menschen, besonders der Gläubigen, ist.
In 2. Timotheus 2,10-12 finden wir, dass «das Wort», das das ganze Werk der Erlösung in sich schliesst, «gewiss ist»: «die Errettung, die in Christus Jesus ist, mit ewiger Herrlichkeit»; der Tod und das Leben mit Ihm; die Leiden und das Herrschen mit Ihm. Ist das nicht ein vollständiges Programm der Gewissheit?
Hier in Titus 3,8 hat «das Wort, das gewiss ist», vieles gemeinsam mit dem in 2. Timotheus 2,11, denn es handelt sich um das Heil, um das Werk, durch das es uns neu erworben wurde, um die Gabe des Geistes, um das Leben und das ewige Erbe. Das ist auch ein vollständiges Programm.
Ich will, dass du auf diesen Dingen fest bestehst. Die Belehrung des Titus sollte vor allem auf den Dingen beharren, die zur eigentlichen Grundlage des Heils gehören, und er musste immer wieder darauf zurückkommen. Nach Kapitel 2,15 sollte er von den Dingen reden, die die Gnade uns lehrt, die das Heil gebracht hat. Diese Dinge betrafen das ganze praktische Leben des Christen. Titus sollte diese Belehrung wiedergeben. Hier ist es ungefähr dasselbe: Titus hatte auf der eigentlichen Grundlage des Heils zu bestehen, die die Liebe Gottes und seine Barmherzigkeit in Christus zum Ursprung hat, sowie auf dem Werk, das Er im Herzen der Gläubigen vollbringt.
Das Ergebnis dieser Belehrung sollte sein, dass die, die Gott geglaubt haben, Sorge tragen, gute Werke zu betreiben, – erstes und wichtigstes Resultat, das wir nicht genug betonen können bei der Betrachtung der praktischen Früchte der guten Lehre und der gesunden Unterweisung im Haus Gottes in diesem kurzen Brief. So sollte übrigens das Christentum immer sein. Wir sind nicht von neuem geboren, durch die Gnade gerechtfertigt und Erben nach der Hoffnung des ewigen Lebens geworden, um einfach diese Vorrechte zu geniessen, sondern damit sie einen gesegneten und mächtigen Einfluss auf unseren Wandel und auf die kleinsten Einzelheiten unseres Verhaltens in dieser Welt ausüben. Die Kenntnis dieser Dinge muss uns veranlassen, in den guten Werken voranzugehen, sei es in der Gegenwart unserer Brüder, sei es vor der Welt. Je grösser die Erkenntnis des Werkes der Gnade, umso leuchtender muss das Zeugnis sein und umso intensiver die christliche Tätigkeit. Dass doch alle Kinder Gottes, die in der Schule der Gnade sind, dieser Verpflichtung entsprächen!
Wir haben die Frage der guten Werke bereits im Einzelnen behandelt und kommen deshalb nicht mehr darauf zurück. Die Vielzahl der Stellen, die sie im Neuen Testament erwähnen, zeigen, wie wichtig sie sind.1 Wir wollen nur noch bemerken, dass ein christliches Leben ohne gute Werke ein für Christus unnützes Leben ist. Welch ein Erwachen für die Christen, die nicht verstanden haben, dass der, der durch Christus lebt, «nicht mehr sich selbst leben» kann (2. Kor 5,15), wenn sie die unbedeutende Rolle entdecken, die ihr Herr und Heiland und die Tätigkeit für Ihn in ihrem Dasein gespielt hat!
Dies ist gut und nützlich für die Menschen, in den Augen Christi und der Gläubigen, darüber hinaus aber auch «nützlich für die Menschen». Das Werk Christi ist nützlich für die Menschen, weil seine Gnade allen Menschen erschienen ist (Tit 2,11), wie auch die Liebe Gottes für sie (Tit 3,4). Aber nun haben wir dieses Werk der Gnade durch unser Verhalten inmitten der Menschen fortzuführen, um ihnen dessen Wert zu beweisen. Das Werk der Evangelisation in dieser Welt, die Verkündigung der Liebe Gottes für die Sünder ist von unbegrenzter Wichtigkeit, aber das Verhalten der Christen ist oft eine viel mächtigere und wirksamere Evangelisation als die Worte, die sie aussprechen können. (Siehe 1. Thes 1,8). Das war es, worum sich Titus bemühen musste. Aber es gab auch Dinge zu vermeiden.
«Törichte Streitfragen aber und Geschlechtsregister und Zänkereien und Streitigkeiten über das Gesetz vermeide, denn sie sind unnütz und wertlos» (Titus 3,9).
Wenn die zuvor erwähnten Dinge nützlich waren, so waren diese unnütz.
Die Geschlechtsregister2 beziehen sich auf jüdisch-platonische Lehren, die schon früh in das Christentum eindrangen (1. Tim 1,4). Zu dieser gleichen Kategorie gehörten die törichten Streitfragen, die durch Leute erhoben wurden, die eigenwillig waren und es nicht leiden konnten, wenn ihnen andere widersprachen (2. Tim 2,23). Die Zänkereien waren die Folge davon. Unter Streitigkeiten über das Gesetz sind jene Spitzfindigkeiten und Spielereien der rabbinischen Intelligenz zu verstehen, die das Gesetz als Diskussionsgegenstand behandelten, statt es auf ihr Gewissen anzuwenden. Diese Streitigkeiten sind unnütz und wertlos; das Resultat für die Seelen ist nichtig, denn jede Wahrheit, die die Menschen nicht zur Erkenntnis Gottes und zu einem Leben der Heiligkeit führt, ist wertlos. Das ist nichts als «wertloses Geschwätz» (1. Tim 1,6).
«Einen sektiererischen Menschen weise ab nach einer ein- und zweimaligen Zurechtweisung, da du weisst, dass ein solcher verkehrt ist und sündigt, wobei er durch sich selbst verurteilt ist» (Titus 3,10.11).
Titus sollte alle zuvor erwähnten Dinge – so tadelnswert und zumindest unnütz und wertlos sie auch waren – ausnahmslos vermeiden. Es genügte, sich von den «törichten Streitfragen» fernzuhalten und sich nicht daran zu beteiligen, um abzuwarten, dass diese ungesunde Strömung, die sich unter den Heiligen Eingang verschaffen wollte, aufhörte. Es gab jedoch Fälle, wo Titus, dem der Apostel Autorität verliehen hatte, um die «gute Ordnung» in der Versammlung herzustellen, diese Autorität gebrauchen musste, um die Bildung von Sekten zu verhindern.
Die Spaltungen konnten durch die im 9. Vers erwähnten Dinge im Schoss der Versammlung verursacht worden sein: «Zänkereien und Streitigkeiten über das Gesetz», usw. ohne dass dadurch die Einheit des Leibes Christi angegriffen wurde (1. Kor 1,10; 11,18). Die Sekten aber trennten die Brüder von der Versammlung selbst, und der Mensch, der sie verursachte, musste schonungslos behandelt werden. Er suchte eine Anzahl Gläubige um sich selbst zu versammeln, indem er sich selbst als Mittelpunkt der Versammlung hinstellte. Dadurch verleugnete er praktisch die Einheit des Leibes Christi und den einzigen Mittelpunkt dieser Einheit: den Herrn Jesus selbst. Die Lehren eines solchen Menschen mochten sehr wohl keine schriftwidrigen Lehren sein, die man gewohnt ist, ketzerisch zu nennen. Es genügte, eine Wahrheit aus ihrem Zusammenhang herauszunehmen und ihr in der Gesamtheit der Lehren der Schrift eine überbetonte Rolle zu geben, und die Christen um dieses Prinzip zu versammeln, ob es nun richtig oder falsch war, und um den Mann, der es verkörperte – und schon wurde eine Sekte gegründet, die sich von der Versammlung Christi trennte. Der, der diesen Platz einnimmt und dadurch Anführer einer solchen Partei oder einer «Kirche» nach seiner Façon wird, muss schonungslos abgewiesen werden, weil er die Einheit zerrissen und Christus, das Haupt des Leibes, beleidigt hat. Aber er soll nicht abgewiesen werden ohne vorgängige Zurechtweisung, die zum Ziel hat, ihn von seinem bösen Weg zurückzuhalten und einem Bruch in der Versammlung zuvorzukommen. Die Zurechtweisung darf auch nicht überstürzt geschehen. Auf die erste muss eine zweite folgen. Sie müssen deutlich voneinander unterschieden und ernst gemeint sein. Indem er mit Autorität, aber mit Mass handelte, wusste Titus (Vers 11), dass ein solcher Mensch verkehrt war; seine Seele hatte sich vom Guten zum Bösen gewandt, und wenn er nicht nach dem ersten Tadel Buße tat, so sündigte er bewusst und mit Willen; und durch die Sünde, den Eigenwillen, verurteilt man sich selbst.
«Wenn ich Artemas oder Tychikus zu dir senden werde, so befleissige dich, zu mir nach Nikopolis zu kommen, denn ich habe beschlossen, dort zu überwintern. Zenas, dem Gesetzgelehrten, und Apollos gib mit Sorgfalt das Geleit, damit ihnen nichts mangle. Lass aber auch die Unseren lernen, für die notwendigen Bedürfnisse gute Werke zu betreiben, damit sie nicht fruchtleer seien.
Es grüssen dich alle, die bei mir sind. Grüsse die, die uns lieben im Glauben. Die Gnade sei mit euch allen!» (Titus 3,12-15).
Jedes Wort in der Heiligen Schrift ist wichtig. Nachdem uns dafür in unserer Betrachtung so viele Beweise gegeben wurden, finden wir in den Schlussversen dieses Briefes noch ein Beispiel davon.
Wir sehen zuerst, dass die Funktionen des Titus in Kreta, entgegen den Behauptungen der Theologen, in keiner Weise fortdauernden Charakter hatten. Nachdem seine Mission erfüllt war, und sobald Artemas oder Tychikus zu ihm gekommen sein würden, sollte Titus sich beeilen, dem Apostel nach Nikopolis nachzufolgen, da er beschlossen hatte, dort zu überwintern. Vielleicht ist das eine Anspielung auf die Reise des Titus in 2. Timotheus 4,10. Trifft dies zu, dann tat er sie aber in Abwesenheit des Apostels, der inzwischen erneut in Rom gefangen gesetzt war, im Bewusstsein, dass die Zeit seines Abscheidens bevorstand.
Die Aufgabe des Tychikus war es immer, die Versammlungen über die Umstände des Paulus zu unterrichten und dem Apostel dann von deren Zustand Bericht zu geben. Von Zenas, dem Gesetzgelehrten,3 und Apollos wird angekündigt, dass sie im Begriff standen, Kreta zu besuchen. Titus sollte sich nicht auf seine besondere Mission beschränken, sondern ihnen mit Sorgfalt das Geleit geben, damit ihnen nichts mangle. Paulus zeigt hier eine besondere Fürsorge für die, die nicht speziell mit ihm im Werk verbunden waren. Aber wenn Titus besonderen Eifer für die fremden Brüder zeigen sollte, die nicht zur Umgebung des Apostels gehörten, so hatten auch «die Unseren», wie er sagt, d.h. alle Heiligen in Kreta, zu lernen, für die notwendigen Bedürfnisse gute Werke zu betreiben, (und wie hätten sie es mit einem solchen Beispiel vor Augen nicht gelernt, siehe auch Kap. 2,6-7). Diese «notwendigen Bedürfnisse» waren nicht nur die der Armen, für die sie sorgen sollten, sondern auch die der treuen Diener Christi, von denen an anderer Stelle gesagt wird, dass sie «Fremde» und «für den Namen ausgegangen» waren (3. Joh 7). Diese guten Werke waren eine Aufgabe, die allen Gläubigen oblag, und ohne diese wären sie unfruchtbar gewesen.
Im 15. Vers sieht man, dass der Apostel in jenem Augenblick noch von Brüdern umgeben war, die ihn normalerweise begleiteten, wogegen er im zweiten Brief an Timotheus erwähnt, dass sich alle von ihm abgewandt hätten, ausser Lukas, seinem treuen Begleiter und Diener (2. Tim. 1,15; 4,10). Der Apostel selbst grüsst die, die ihn in dem gemeinsamen Glauben lieben, der die Christen untereinander sowie mit Gott und Christus verbindet. Sein letzter Wunsch sollte auch immer der unsere sein: «Die Gnade sei mit euch allen!»
- 1Für die Leser, die sie überdenken wollen, geben wir hier alle diese Stellen an: Mt 5,16; 26,10; Mk 14,6; Joh 10,32; Apg 9,36; Röm 2.7; 13,3; 2. Kor 9,8; Eph 2,10: Phil 1,6; Kol 1,10; 2. Thes 2,17; 1. Tim 2,10; 3,1; 5,10.25; 6,18; 2. Tim 2,21:3,17; Titus 1,16; 2,7.14; 3,1.8.14; Heb 10,24; 13,21; 1. Pet 2,12.
- 2Die endlosen Geschlechtsregister sind erdichtete Vorstellungen über den Ursprung und die Anfänge der geistigen Wesen. Sie sind das Produkt jüdischen Aberglaubens, verbunden mit der heidnischen Philosophie. Diese Kabale oder jüdische Überlieferung über die Auslegung des Alten Testaments enthält viele märchenhafte Bestätigungen bezüglich dieser «Anfänge». Gemäss der Kabale gibt es zehn «Sephiroth» oder Anfänge, die von Gott herrühren sollen. Sie scheinen die Äonen der Gnostiker veranlasst zu haben. Auf diese Theorie wurde ein System der Magie gepfropft, das vor allem im Gebrauch von Wörtern der Schrift bestand, um übernatürliche Wirkungen zu erzeugen.
- 3Vermutlich «der Rechtsgelehrte», eher als ein Gelehrter des mosaischen Gesetzes.