Der letzte Kampf des Herrn mit dem Satan (3)

Matthäus 27,40; Johannes 2,19

3. Der Angriff selbst

Lasst uns nun auf die offenbarten Einzelheiten dieser schrecklichen Äusserungen des Spottes näher eingehen und tiefer über die Reaktionen des Stillschweigens unseres Herrn nachsinnen.

Um Ihn zu schmähen, verdrehten die Vorübergehenden seine Worte, die Er einmal ausgesprochen hatte: «Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten» (Joh 2,19). Die Zerstörung des Tempels seines Leibes durch böse Menschen war vor ihren Augen im Gang, aber sie erkannten nichts von deren Bedeutung. Ihre Verdrehung der Worte des Herrn machte es klar, dass das Licht dieses Ausspruchs über ihnen geleuchtet hatte, aber sie erfassten es nicht.

«Der du den Tempel abbrichst und in drei Tagen aufbaust, rette dich selbst», lästerten sie, indem sie ihre Köpfe schüttelten (Mt 27,40). Sie meinten, es handle sich da um einen Menschen, der weltlichen Ruhm suchte durch den Wiederaufbau dessen, was er selber zerstört hatte – sinnloses Kunststück eines Zauberers, um ihre Neugierde zu erregen, ihre Augen zu ergötzen und vielleicht ihren politischen Eifer aufzustacheln. Nun waren sie völlig überzeugt, dass dies nur eine leere Prahlerei gewesen war. Sie zählten Ihn zu den machtlosen Grosssprechern, und um Ihn zu verletzen, riefen sie aus: «Wenn du Gottes Sohn bist, so steige herab vom Kreuz.» Welch ein Schmerz in diesen Stunden des Leidens, so begafft und im Spott belacht zu werden durch diese gedankenlosen und verständnislosen Menschen! Die Augenblicke, in denen sie im Vorübergehen stehen blieben, füllten sie damit aus, dass sie ihrer Enttäuschung – die auch Herodes empfand – Ausdruck gaben, das erhoffte «Wunder» nicht gesehen zu haben.

Die Führer suchten bis zuletzt ein Zeichen zu sehen

Unter denen, die dem Schauspiel der Kreuzigung beiwohnten, waren solche, die an die vielen Zeichen dachten, die sie kannten und wovon sie vielleicht sogar Augenzeugen gewesen waren. Sie, die seine Leiden vermehren wollten und nur darauf sannen, wie sie Ihn schmähen konnten, kamen auch darauf zu sprechen: «Ebenso spotteten auch die Hohenpriester samt den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten» (Mt 27,41-42). Besonders die Hohenpriester hätten vor allen anderen die geistliche Bedeutung des Werkes erfassen müssen, das sein Vater dem Sohn gegeben hatte, um es zu tun. Dass sie sich seiner überströmenden Gnade gegenüber den bedürftigen Volksmengen erinnerten, erhöhte ihre Verantwortung; ihre eigenen Worte verurteilten sie. Der aufgestaute Neid raubte diesen gelehrten Spöttern beim Kreuz den gesunden Menschenverstand. Weil sie Ihn hassten, waren sie unfähig, ehrlich zu überlegen. «Haha, so wollten wir es!» war die Sprache ihrer Herzen (Ps 35,25).

Sie dachten nicht nach über den Widerspruch, den sie zum Ausdruck gebracht hatten, und suchten dessen verborgenen Sinn nicht zu ergründen, der doch für das Auge des Glaubens so offensichtlich ist. Hier, im Opfer des Lammes Gottes, das Er nach dem Willen Gottes darbringen wollte, war doch das vollkommene Heil für die Menschen, in seiner ewigen Tiefe und Fülle begründet – die überströmende Erfüllung jeglicher Hoffnung für die Seele, die je in menschlichen Herzen aufgekommen ist. Wie war diese Hoffnung in den Herzen derer, die die Erfahrung körperlicher Heilung durch den Gesandten Gottes mit dem Glauben verbunden hatten, entzündet und zur Flamme entfacht worden! Die Menschen aber, die eine heilige Priesterschaft hätten sein sollen, häuften Ungerechtigkeit auf Ungerechtigkeit. «Er ist Israels König; so steige er jetzt vom Kreuz herab, und wir wollen an ihn glauben», höhnten sie jetzt.

So machten sie ihre eigene Schande kund. Hörte Nathanael, der Israelit, in dem kein Trug war, diese Worte? Wenn ja, wie musste ihn dies betrüben! Seine klaren Augen hatten schon längst diese königliche Person auf den ersten Blick erkannt und seinen Anspruch auf den Thron anerkannt (Joh 1,49). Aber diese Spötter! Die zahllosen und überwältigenden Beweise seiner königlichen Würde hatten sie von der Wahrheit nicht überzeugen können. Sie bekannten sich zur Selbsterlösung. Sie hatten für sich selbst und für die Nation die Wahl getroffen, einem König zu dienen, der zu seiner eigenen Sicherheit den Willen Gottes aufgeben würde. Befreie dich vom Kreuz, steige herab, komme in deinem eigenen Namen, wenn nötig im Sturm und im Feuer, so werden wir an dich glauben!

Die Führer verspotteten seinen Glauben

Als Diener Gottes hätten sie die Aufgabe gehabt, in sterbende Ohren Vertrauen in Gott einzuflössen. Aber hier ist Einer, der bis zum letzten Augenblick in diesem Vertrauen verharrt. Sie betrachten Ihn, sie geben Zeugnis von seinem Vertrauen in Gott, aber wozu? Um Ihn mit Verachtung und Spott zu überschütten! Denn Nägel sind in seinen Händen und Füssen.

Aber wie schwach sind diese Fesseln für Ihn! Denn ein Stärkerer als Simson ist hier, und ein Heiligerer. Wenn wir schon einen Vergleich machen wollen, so finden wir hier einen grossen Gegensatz. Heiligkeit schien Simson fremd; Heiligung war für ihn nur äusserlich und betraf physische Dinge. Jesus hätte durch seine Macht die Nägel viel leichter lösen können als Simson jene frischen Stricke und neuen Seile, mit denen sie ihn banden (Ri 16). Als Delila ihn in der Gegenwart seiner Feinde warnte, erhob sich der Geist Simsons zum Handeln und rief seine Kraft herbei, um sich zu befreien. Jetzt umringten zahllose Feinde den Sohn des Menschen, dem Gottes Macht zur Verfügung stand, aber Er verharrte am Kreuz.

Wieder bricht die Flut des Hohnes der Führer hervor. Wir sind betroffen, dass sie ihn jetzt unbewusst in Worte kleiden, die wir in der Schrift finden (Ps 22,9). «Er vertraute auf Gott, der rette ihn jetzt, wenn er ihn begehrt; denn er sagte: Ich bin Gottes Sohn» (Mt 27,43). Worte des Geistes, der alles voraussah, werden jetzt unwissentlich zitiert und kommen, inspiriert durch Satan, aus den Tiefen der Feindschaft in menschlichen Herzen hervor! Diese Worte, schärfer als gezogene Schwerter, werden hier gebraucht, um sie durch seine Seele zu stossen! Diese Wunden brachten Ihm unerträgliche Qualen, aber da war kein Gedanke, sich ihnen zu entziehen. Eben hatte Er seinen Rücken den Schlagenden dargeboten, und nun legte Er seinen Leib willig auf den Altar und gab sich hin, um zum Sühnopfer gemacht zu werden. Die Fesseln, die Ihn festhielten, waren sein Glaube, der nur Gott gehorchen wollte, und seine göttliche Liebe, die nur auf das Heil der Menschen sann.

So redeten also die anerkannten Führer seines eigenen Volkes, die gefrässigen Hirten (Jes 56,11; Hes 34,2), um den Schmerz dessen zu mehren, den Gott für die Schuld der Menschen schlug (Ps 69,27). Die Bosheit konnte keinen schlechteren Gebrauch vom Verstand machen, und seine heilige Treue keiner schwereren Prüfung unterworfen werden, als dieser, dass Er von der Galle menschlichen Hasses trinken musste, die siebenfach verbittert war. Die Spötter waren die Stimme der Bosheit Satans; sie gaben damit ihre eigene Versklavung und Sünde kund, und diese Sünde brachte Ihn in unergründliche Seelennot.

Die sterbenden Räuber

Die mit Ihm gekreuzigten Schächer schmähten Ihn wegen seiner scheinbaren Unfähigkeit, sich selbst und auch sie zu retten. Wie mag Er bei diesen Worten bitterlich gelitten haben, Er, der gekommen war, um das Verlorene zu suchen und zu erretten! Er litt nicht nur, weil sie in Ihm nichts Begehrenswertes entdeckten, sondern weil sie nur eine «Errettung» begehrten, die sie wieder ihrem alten Leben der Sünde überliefert hätte! Aber der Vater wirkt, um seine Gnade zu verherrlichen, indem Er zu seiner Ehre durch seinen Sohn da und dort seine Macht der Errettung ausübt. Als einer der Räuber das Angesicht betrachtete, das ganz entstellt war, mehr als irgend eines Menschen, und die Stimme hörte, die redete, wie niemals sonst ein Mensch geredet hat, offenbarte der Vater seinen Sohn in ihm. Der Sohn nimmt diesen Verlorenen auf, der jetzt zurückkehrt, um ihn noch an diesem Tag ins Paradies zu bringen. Nun erkennt der Bußfertige in Ihm den göttlichen Heiland und empfängt durch den Glauben an Ihn den Ausblick auf ein Leben jenseits des Todes, wo Christus wirklich König sein und wo Gerechtigkeit und Friede regieren wird. Er erkennt nicht nur, sondern wünscht auch beides, den Heiland und sein Königtum. Das war für den sterbenden Heiland wie ein von Gott bereiteter Tisch der Erquickung angesichts seiner Feinde. Seine heilige Liebe fand Erfrischung und Speise darin, dass der Räuber Ihn im Glauben erkannte und aufnahm.

Die Horde der Soldaten

Die Soldaten, die mehrmals den höllischen Chorus der Schmähungen hörten: «Rette dich selbst», sahen darin nur die Verspottung eines Anspruchs auf das Königtum. Sie fanden ihren Spass darin, sich ebenfalls einzumischen (Lk 23,36-37). Jesus wurde dadurch zum «Saitenspiel der Zecher». Nicht von den Soldaten, sondern nur von ihrem Hauptmann wird berichtet, dass er zu einer anderen Überzeugung kam. Als alles vorüber war, verherrlichte er Gott und sagte: «Wahrhaftig, dieser Mensch war gerecht» (Lk 23,47).

Wir finden keine Andeutung davon, dass auch nur bei einem einzigen unter den anwesenden Priestern, Schriftgelehrten und Ältesten und dem jüdischen Volk, die doch wissen mussten, worauf ihre Nation hoffte, Mitleid erwacht wäre. Trotz den unter ihnen herrschenden Meinungsverschiedenheiten war unter der ganzen Menge eine traurige Einmütigkeit: Die Ankläger Jesu, die im Synedrium sein Urteil gefällt hatten (die Priester), dessen Vollstrecker (die Soldaten) wie auch der unbußfertige Räuber, der mit Ihm die Todesstrafe erduldete – sie alle hatten Anteil an der Schuld, dem Willen und der Versuchung Satans Ausdruck verliehen zu haben, indem sie immer wieder denselben scharfen Pfeil gegen Ihn abschossen: «Rette dich selbst.»

«Ich aber, wie ein Tauber, höre nicht und bin wie ein Stummer, der seinen Mund nicht öffnet. Und ich bin wie ein Mann, der nicht hört und in dessen Mund keine Gegenreden sind» (Ps 38,14.15). Jedes Mal war Er still und verharrte in seinem heiligen Entschluss. Jede Stichelei war eine Aufforderung, sich selbst statt den Vater zu suchen, sich selbst statt den Sünder, der auf keine andere Weise zur Errettung kommen konnte. Jedes Mal war es eine Versuchung, sich selbst zu verleugnen und alles zu widerrufen, was Er geredet hatte und ungültig zu machen, was Er getan – das Werk aufzugeben, das Ihm der Vater zu tun gegeben hatte. Widerstehend bis aufs Blut, litt Er schweigend, in einem vollkommenen Gehorsam gegenüber Gott, der nicht herrlicher und kostbarer sein konnte (Joh 13,31).

Als Angeklagter schwieg Er, aber als Zeuge niemals

Ein Leser wird sich vielleicht fragen, ob man bei diesem Nachdruck auf sein Schweigen am Kreuz nicht die «sieben Worte» übersehe, die Er doch dort ausgesprochen habe. Es scheint, dass alle diese Worte ganz am Anfang oder am Ende der sechs Stunden am Kreuz zu hören waren. Da müssen wir uns in Erinnerung rufen, was Jesaja geschrieben hat (Jes 53,7): «Er tat seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern; und er tat seinen Mund nicht auf.» Dieser Ausspruch kann sowohl auf sein Verhör wie auch auf das Kreuz angewandt werden. Es ist bezeichnend, dass Er während der letzten Stunden seines Lebens hier auf der Erde der Welt gegenüber auffallend still war. Er hatte nichts zu sagen, um sich selbst zu rechtfertigen. Das war es, was den Hohenpriester herausforderte, Ihn zu beschwören, und was Pilatus in Erstaunen setzte. Er liess seine Worte und Werke für sich selbst sprechen, die seinen eigenen Namen verherrlichten. Er, der wahrhaftige und treue Zeuge, benützte das Verhör und das Kreuz nur als Gelegenheiten zu einem guten Bekenntnis, um die Gnade und Wahrheit völlig zu entfalten. Als Angeklagter und Verurteilter antwortete Er auf nichts (Mt 26,62-64; 27,11-14; Joh 18,20.23.33-37; 19,9-11). Er schwieg auch als der Eine, an den eine Versuchung herantrat, die in der Vergangenheit und in der Zukunft nicht ihresgleichen hat.

Hiob, von dem Gott bezeugte, «seinesgleichen ist kein Mann auf der Erde», erlitt durch denselben Versucher den Verlust aller Dinge, mit Ausnahme seines Lebens. Seine Antwort war: «der HERR hat gegeben, und der HERR hat genommen, der Name des HERRN sei gepriesen!» (Hiob 1,21). Darin sündigte er nicht, und in diesem Stück wurde Satan geschlagen. Aber Gott entdeckte in Hiobs Herzen eine verborgene Wurzel der Selbstgerechtigkeit. Um diese zu offenbaren, liess es Gott zu, dass Hiobs Freunde ihn mit ihrem Trost herausforderten. Und da, welche Reden bekamen sie von Hiob zu hören!

Wenn wir den Herrn Jesus mit ihm vergleichen, überfliessen unsere Herzen von Freude und Bewunderung. Bei Ihm verfehlte die Versuchung des Bösen seine ganze Wirkung. Er, der in seinem Schweigen versucht wurde, blieb allezeit in Gott, dessen allsehendes Auge bei Ihm nur Vollkommenheit wahrnahm. Wie das ganze Brandopfer, zertrennt und in die vorgeschriebenen Stücke zerlegt, auf dem Altar lag, so opferte auch Er am Kreuz sich selbst ohne Flecken Gott, in jeder Hinsicht versucht und heilig befunden, ein Opfer unaussprechlich angenehm für den Gott des Heils. Schweigend nahm Er unsere Schuld auf sich und beugte sich unter die Schläge der Heiligkeit Gottes, die die Ungerechtigkeit von uns allen an Ihm heimsuchte. Worte vermögen der Anbetung liebender Herzen, die Ihm alles verdanken, nicht völligen Ausdruck zu geben. Aber anbetende Bewunderung geziemt uns, wenn wir auf das Lamm Gottes schauen, das für unsere Sünden litt und starb, um all unsere Ungerechtigkeit zu sühnen.