Fragen der Jünger und Antworten des Herrn (1)

Markus 10,26; Johannes 14,5

Die Evangelien berichten von etwa vierzig Fragen, die die Jünger an den Herrn Jesus richteten. Die meisten empfingen eine Antwort, über die wir mit Nutzen nachsinnen können. Manchmal erkennt man auf den ersten Blick keine Beziehung zwischen der Frage und der Antwort, weil der Herr Jesus, der die Herzen erforscht, sich an das Gewissen des Fragenden richtete und ihm eine Lektion gab, in Verbindung mit dem moralischen Zustand, der durch die gestellte Frage offenbar wurde. In der Tat, gewisse Fragen brachten Unglauben, Furcht, Selbstsucht, Hochmut und Neugier oder einfach die Unwissenheit der Jünger zum Ausdruck. Aber andere zeigten ihren aufrichtigen Wunsch, über diesen und jenen Punkt der vom Herrn empfangenen Offenbarungen eingehender belehrt zu werden. Beim Betrachten jeder Antwort bewundern wir die göttliche Weisheit, aber auch die Gnade, mit der der Herr seine Geliebten unterwies, die so oft unfähig waren, seinen Gedanken zu erfassen. Man kann von Ihm sagen, dass sein Wort «allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt war» (Kol 4,6). In einigen, ziemlich seltenen Fällen antwortete Er allerdings nicht direkt oder antwortete – wie es oft den Pharisäern gegenüber der Fall war – mit einer Gegenfrage, die den Mund verschloss (Mk 4,38 und 41; auch in Lk 8,25; Mt 15,33; Mk 6,37 und 8,4; Joh 6,9; 14,9).

Wir möchten nun einige Fragen betrachten, die den Herrn dazu führten, den Jüngern eine Unterweisung geistlicher Art zu geben oder die in moralischer Hinsicht besonders wichtig war.

Die Errettung – «Wer kann errettet werden?»

Nach dem Weggang des reichen Mannes, der das ewige Leben erben wollte, ohne auf die Dinge der Welt zu verzichten, sagte Jesus zu den Jüngern: «Kinder, wie schwer ist es, dass die, die auf Vermögen vertrauen, in das Reich Gottes eingehen!» (Mk 10,24). Erstaunt rufen die Jünger aus: «Wer kann dann errettet werden?» (V. 26; siehe auch Lk 18,26). Von jüdischen Ideen erfüllt, betrachteten sie den Reichtum als einen Beweis der Gunst Gottes. Nach dieser Auffassung sollten die begüterten Leute mehr als die Armen ihres Eingangs in das Reich Gottes gewiss sein. «Jesus aber sah sie an und spricht: Bei Menschen ist es unmöglich, aber nicht bei Gott; denn bei Gott sind alle Dinge möglich» (V. 27). Arme und Reiche sind beide unfähig, sich selbst zu erretten, auch ist es für jene, die nichts besitzen, einfacher, das Evangelium anzunehmen, während das Vertrauen auf Reichtum ein schwieriges Hindernis bildet, das überwunden werden muss. Bei allen ist ein Werk Gottes nötig, dem alle Dinge möglich sind, in dem Augenblick, wo der Mensch seine Anmassung aufgibt und seine völlige Unfähigkeit anerkennt, das ewige Leben durch eigene Anstrengungen zu erlangen, und durch Glauben das Heil Gottes annimmt, das Gott ihm anbietet. «Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittels des Glaubens; und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es … Wir sind sein Werk» (Eph 2,8.10) «Wer kann errettet werden?» Niemand, wenn Gott nicht selbst errettete. Aber Er kann und will es tun, denn «was bei Menschen unmöglich ist, ist möglich bei Gott» (Lk 18,27).

Wenn diese Frage der Jünger es dem Herrn ermöglichte zu zeigen, dass alles, was von Gottes Seite her nötig war, zum Heil des Sünders völlig vollbracht ist, so gab Ihm eine andere Frage Gelegenheit, ihre und unsere Aufmerksamkeit auf die Verantwortlichkeit des Menschen bezüglich des Heils zu lenken, das Gott ihm anbietet.

Als Jesus seinen Weg nach Jerusalem fortsetzte, indem Er in den Städten und Dörfern lehrte, fragte Ihn einer: «Herr, sind es wenige, die errettet werden?» (Lk 13,23). Jesus antwortet nicht auf diese Frage, sondern zeigt, was jeder machen muss, um errettet zu werden: eine viel wichtigere Sache als zu wissen, ob die Zahl der Erretteten gering sein werde. Obwohl dieses Zwiegespräch die Juden betraf, die aus den Gerichten vor dem Tausendjährigen Reich errettet und ins Reich eingehen werden, so wendet sich die Antwort des Herrn doch auch an jeden Sünder; denn der Weg des Heils ist für alle der gleiche, und es gibt nur eine Tür, nämlich die enge. Daher sagt der Herr allen: «Ringt danach, durch die enge Tür einzugehen; denn viele, sage ich euch, werden einzugehen suchen und es nicht vermögen» (V. 24). Die enge Tür, durch die allein man ins Reich eingehen kann, ist Jesus Christus, der Gekreuzigte. «Ich bin die Tür, wenn jemand durch mich eingeht, so wird er errettet werden» (Joh 10,9). Diese Tür ist eng, was jeden, der hindurchgehen will, zwingt, alles aufzugeben, was den Hochmut des natürlichen Menschen ausmacht: Werkgerechtigkeit, Eigenwillen, Verstandesglaube, fleischliche Religion, erbliche Vorrechte. Die Aufgabe aller dieser Dinge setzt Kampf voraus. Es geht darum, wie der Apostel Paulus es ausdrückt, all das für Verlust zu achten, um dann nicht «die Gerechtigkeit zu haben, die aus dem Gesetz ist, sondern die, die durch den Glauben an Christus ist – die Gerechtigkeit aus Gott durch den Glauben» (Phil 3,9). Wie zahlreich werden leider jene sein, die sich auf ihre armseligen Verdienste stützen, aber dann vor einer verschlossenen Tür stehen werden und die schreckliche Erklärung des Herrn Jesus vernehmen müssen: «Ich sage euch, ich kenne euch nicht, woher ihr seid; weicht von mir, alle ihr Übeltäter!» (Lk 13,27).

Der Weg – «Wie können wir den Weg wissen?»

Versammelt um den Herrn, in jener feierlichen Nacht, die der Kreuzigung unmittelbar vorausging, sind die Herzen der Jünger wegen der Ankündigung des bevorstehenden Abschieds dieses geliebten Meisters bestürzt. Jesus tröstet sie, indem Er ihre Gedanken zum Himmel lenkt, das heisst auf Ihn selbst, weil Er dorthin gehen und auch sie eines Tages an diesen Ort bringen würde. «Wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, damit, wo ich bin, auch ihr seiet» (Joh 14,3). Nachdem Er ihnen diese herrliche Verheissung eines himmlischen Teils im Haus des Vaters gegeben hat, fügt der Herr Jesus hinzu: «Und wohin ich gehe, wisst ihr, und den Weg wisst ihr» (V. 4). Ach, die Jünger begriffen nicht, was das Haus des Vaters war, so wenig wie sie nicht verstanden, dass Gott sich in Christus offenbart hatte. Darum sagte Thomas zu Ihm: «Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst, und wie können wir den Weg wissen?» (V. 5). Trotz der Unwissenheit, die diese Frage verrät, können wir Thomas dankbar sein, dass er sie gestellt hat, denn sie gab dem Herrn Gelegenheit, eine über alles kostbare Wahrheit mitzuteilen: «Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, als nur durch mich» (V. 6).

Beachten wir, dass der Herr nicht auf die zwei Dinge eingeht, die Thomas beschäftigen: Wohin gehst du? Auf welchem Weg? Die Kreuzigung, die Auferstehung und die Auffahrt Christi sollten den Jüngern bald das nötige volle Licht über diesen Punkt geben. Aber Er gibt ihnen eine noch herrlichere Offenbarung: Er sagt ihnen, wer Er ist, nämlich der Weg zum Vater, die Wahrheit, die uns die Gedanken Gottes in Bezug auf alle Dinge verstehen lässt (Joh 1,17; 17,8), das Leben, das uns die Natur Gottes selbst mitteilt und uns fähig macht, alles zu geniessen, was Christus uns vonseiten des Vaters offenbart hat (Joh 1,12.13).

Statt also Thomas zu sagen, auf welchem Weg Er zum Vater gehen würde, macht uns Jesus den Weg kund, auf dem wir in den Besitz der Segnungen kommen können, die aus seinem Werk am Kreuz hervorkommen. Dieser Weg ist Christus selbst, ein gestorbener und auferstandener Christus. Durch Ihn allein kann der Sünder jetzt Gott nahen und alles das empfangen: Vergebung seiner Sünden, das ewige Leben, die Gabe des Heiligen Geistes, die Kraft dieses Lebens, den Geist der Sohnschaft, durch den er rufen kann: «Abba, Vater!» Durch Ihn tritt er in die Stellung ein, in der Christus selbst vor Gott ist. In Christus ist der Gläubige in der Tat mitsitzend in den himmlischen Örtern, in Erwartung des tatsächlichen Eingangs in das Haus des Vaters, wenn «die Hoffnung unserer Berufung» eine ewige Wirklichkeit geworden ist.

Welches Glück für uns, schon jetzt einen Platz in diesem Haus zu haben und sowohl den Sohn zu erkennen, der hingegangen ist, um uns diese Stätte zu bereiten, als auch den Vater, der sich in der Person des Sohnes völlig offenbart hat (Joh 1,18:14,9.10).