Der Glaube – «Warum haben wir ihn nicht austreiben können?»
Als das mondsüchtige Kind in die Gegenwart der Jünger gebracht wurde, vermochten sie es nicht zu heilen. Dieses Misslingen demütigte sie umso mehr, als der Herr ihnen doch die Macht gegeben hatte, Dämonen auszutreiben (Mt 10,8). Darum fragten sie Ihn im Vertrauen: «Warum haben wir ihn nicht austreiben können?» (Mt 17,19; Mk 9,28). Jesus antwortete ihnen: «Wegen eures Unglaubens», und fügt hinzu: «Denn wahrlich, ich sage euch, wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so werdet ihr zu diesem Berg sagen: Werde versetzt von hier nach dort!, und er wird versetzt werden; und nichts wird euch unmöglich sein. Diese Art aber fährt nicht aus als nur durch Gebet und Fasten» (Mt 17,20.21).
Diese Antwort enthält eine zweifache Lektion, die ebensowohl für uns wie für die Jünger gültig ist.
Erstens kann die Macht, die der Herr zu unserer Verfügung stellt, nicht ohne einen wirklichen und unbedingten Glauben an seine Person, der einzigen Quelle dieser Macht, ausgeübt werden. Da wo Glaube vorhanden ist, und wäre er auch nur wie ein Senfkorn, genügt er, um einen Berg zu versetzen. Nichts wird uns unmöglich sein, bestätigt der Herr selbst. Zahlreiche Männer Gottes haben diese Erfahrung gemacht, z.B. ein Apostel Paulus, der erklären konnte: «Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt» (Phil 4,13). Um unseren Glauben auszuüben und zu stärken, setzt Gott Hindernisse auf unseren Weg. Niemand wird als Glaubensheld geboren: Man wird es kraft überlegter Ausübung und Ausharren im Eifer. Worin besteht dieser Eifer? Die Hindernisse zu überwinden. Wäre unser Glaube nicht durch die Prüfung geübt und durch das Wort genährt, würde er bald verkümmern und verschwinden. Darum setzt uns der Herr beständig zwischen eine Verheissung und eine Schwierigkeit.
Das natürliche Urteil gründet sich auf die Feststellungen der Sinne und die Ableitungen des Verstandes, während sich der Glaube auf das stützt, was Gott der Seele offenbart. Daher neigt das Schauen der Augen immer dazu, das Urteil des Glaubens zu verdunkeln. Denn wenn der Glaube schaut, was er glaubt, so glaubt anderseits der Unglaube nur, was er sieht. Daher wird der, der sich nur auf die natürlichen Hilfsquellen verlässt, bald unüberwindlichen Schwierigkeiten begegnen. Anderseits bringt der Glaube, so schwach er auch sein mag, den mächtigen Arm des Herrn in Bewegung und überwindet so alle Hindernisse. «Sollte mir irgendein Ding unmöglich sein?» fragt Gott Jeremia. Der Prophet hatte zum Voraus geantwortet: «Kein Ding ist dir unmöglich» (Jer 32,27 und 17), aber er hatte das Wort in die Praxis umzusetzen.
Gegenüber den kleinen, täglichen Schwierigkeiten haben wir die Neigung, uns durch eigene Mittel aus der Affäre zu ziehen und die Hilfe des Herrn nur anzurufen, wenn wir einem unüberwindlichen Hindernis begegnen. Diese Haltung, die aus dem Geist der Unabhängigkeit hervorkommt, der den alten Menschen kennzeichnet, ist gefährlich, denn sie bewirkt, dass wir uns vom Herrn entfernen. Denken wir im Gegenteil daran, dass der Glaube für die kleinen, alltäglichen Dinge des Lebens nicht weniger nötig ist als für die bedeutenden Umstände. Für den Glauben ist nichts unbedeutend, weil für Gott nichts unwichtig ist. Seine Macht und seine Treue in den laufenden Bedürfnissen unseres Daseins zu erfahren, führt uns dazu, Ihm zu vertrauen mit demselben Glauben und der gleichen Einfachheit, wie wenn Er uns durch das Wasser und das Feuer der Not hindurchgehen liesse (Jes 43,1.2). «Wie unverständig sind wir doch, unsere Schwierigkeiten und Prüfungen immer nach unseren eigenen Kräften zu messen und nicht nach der Macht Gottes, der doch für uns ist, wenn wir für Ihn sind! Was macht es, dass die Städte Kanaans bis zum Himmel befestigt sind, wenn die Mauern durch Trompetenton zusammenstürzen? Konnte Petrus auf dem ruhigen See leichter gehen als auf einem stürmischen See? Was tun der Tumult und die Macht der Wasser zur Sache, wenn Gott, unsere Zuflucht, da ist? Nur müssen wir auf sein Eingreifen warten, und das ist die Prüfung des Glaubens» (JND).
Die zweite Belehrung, die uns der Herr durch diesen Bericht gibt, ist die, dass, um von seiner Macht Gebrauch zu machen, wir ausser dem Glauben einen Zustand der Seele nötig haben, der uns erlaubt, seine Gemeinschaft völlig zu geniessen. Er sagt: «Diese Art fährt nicht aus als nur durch Gebet und Fasten.» Der Glaube kann sich nur in der Gottseligkeit, d.h. in einem Leben der Abhängigkeit und der Heiligkeit, verwirklichen, also durch das Fasten. Dieses ist ein Bild für den Verzicht auf all das, was die Begierden des Fleisches befriedigt (Römer 13,14).
Wenn es etwas gibt, was der Gläubige mit Sorgfalt suchen und bewahren soll, so ist es diese beständige und vollkommene Freiheit, Gott in voller Gewissheit des Glaubens zu nahen. Da ist keine geistliche Kraft noch Erkenntnis des Willens des Herrn, wo die Gottseligkeit fehlt. Wie könnten wir von seiner Macht Gebrauch machen und seine Verheissungen für die Prüfungen in Anspruch nehmen, wenn ein Bann unsere Gemeinschaft mit Ihm lähmte? Um das Leben des Glaubens inmitten der Schwierigkeiten und der täglichen Aufgaben leben zu können, ist es nötig, dass die Gemeinschaft mit dem Herrn unser erhabenstes Gut, unser bleibender Besitz sei. «Die Gottseligkeit aber ist zu allen Dingen nützlich, da sie die Verheissung des Lebens hat, des jetzigen und des zukünftigen» (1. Tim 4,8). Es gibt zwischen unserem irdischen Wandel und unserem himmlischen Leben engere Beziehungen als wir denken. Nur wenn wir wirklich von der Welt und vom Bösen abgesondert sind, und wir die Gemeinschaft mit dem Herrn pflegen, können wir auf Ihn zählen, uns auf seine Verheissungen stützen und seine Macht erfahren.