Die Gemeinschaft – «Herr, du wäschst mir die Füsse?»
Jesus steht von dem Abendessen auf, legt die Oberkleider ab, beginnt die Füsse der Jünger zu waschen und sie mit dem leinenen Tuch abzutrocknen, mit dem Er umgürtet war (Joh 13,5). Als Er zu Petrus kommt, sagt Ihm dieser: «Herr, du wäschst mir die Füsse?» (V. 6). Nachdem kein anderer Jünger reagiert hat, handelt er wieder einmal impulsiv und unwissend über die Absichten seines Meisters. Er kann nicht zulassen, dass Er an ihm einen so demütigenden Dienst tut – Er beharrt darauf: «Niemals sollst du mir die Füsse waschen!» (V. 8). Aber Jesus, bestimmt und entschlossen, lässt sich in seinem Dienst der Liebe nicht aufhalten. Er antwortet Petrus: «Was ich tue, weisst du jetzt nicht, du wirst es aber nachher verstehen … Wenn ich dich nicht wasche, hast du kein Teil mit mir» (Verse 7.8).
Die Frage des Petrus gibt dem Herrn Gelegenheit, uns zwei sehr wichtige Tatsachen kundzutun. Die, die aufgrund seines Werkes rein wurden, sind der Verunreinigung ihrer Füsse ausgesetzt, das heisst, sie kommen in ihrem Wandel mit der Unreinheit in Berührung. Von dieser Beschmutzung müssen sie durch die Wirksamkeit des Wortes Gottes, von dem das Wasser ein Bild ist, gereinigt werden. Von der Herrlichkeit aus vollführt der Herr diesen Dienst an den Seinen, indem Er sie durch die Wirkung des Wortes und des Heiligen Geistes in ihnen dazu führt, das Böse zu verurteilen und zu bekennen, um davon gereinigt zu werden.
Zweitens hat dieses Waschen zum Ziel, die Gemeinschaft mit dem Herrn wiederherzustellen. «Wenn ich dich nicht wasche, hast du kein Teil mit mir.» Der Herr will, dass seine Geliebten unaufhörlich das Teil geniessen, das Er ihnen erworben hat, das heisst, die herrliche und himmlische Stellung, die sie in Ihm, dem verherrlichten Menschen, besitzen. Er kann sie nicht durch die Sünde der Freuden und der Segnungen beraubt sehen, die mit dieser Stellung verbunden sind. Darum hat Er in seiner Gnade diese Waschung durch das Wort vorgesehen, durch die die Gemeinschaft wiederhergestellt wird. Noch mehr: Wenn wir uns dauernd seiner Handlung unterziehen, werden wir vor dem Fall bewahrt. «Denn du hast meine Seele vom Tod errettet, ja, meine Füsse vom Sturz, damit ich vor dem Angesicht Gottes im Licht der Lebendigen wandle» (Ps 56,14).
Die Hingabe – «Wozu ist diese Vergeudung?»
Die Evangelisten Matthäus, Markus und Johannes beschreiben die rührende Szene, die in Bethanien stattfand, im Haus Simons des Aussätzigen, am ersten Tag der Passionswoche: Maria giesst auf das Haupt und die Füsse Jesu, während Er zu Tische liegt, ein Salböl von sehr kostbarer Narde aus, nachdem sie das Alabasterfläschchen zerbrochen hat. Die Jünger, vor allem Judas, ungehalten über das, was sie als Verschwendung betrachten, und unfähig, die Beweggründe Marias zu verstehen, tadeln sie lebhaft und rufen aus: «Wozu ist diese Vergeudung des Salböls geschehen? Denn dieses Salböl hätte für mehr als dreihundert Denare verkauft und den Armen gegeben werden können» (Mk 14,3-9; Mt 26,6-13; Joh 12,1-8).
Wozu ist diese Vergeudung? Sie betrachteten diese dem Herrn erwiesene Ehre als eine Vergeudung; nach ihrer Meinung hatten die Armen grösseren Wert als Jesus. Maria aber, die sich zu den Füssen des Herrn aufhielt, um seinem Wort zuzuhören, und deren Herz von Liebe zu Ihm brannte, sie weiss, dass der, den die Juden umbringen wollen, der König, der Messias ist. Daher erweist sie Ihm königliche Ehren, indem sie Ihn mit dem Salböl salbt, zu dessen Kauf sie wohl das ganze Geld geopfert hat, das sie besass. Tief berührt durch den Ausdruck einer solchen Liebe, nimmt der Herr diese Salbung zu seinem Begräbnis an, da sein Königtum nicht aufgerichtet werden konnte, bevor Er durch den Tod gegangen war.
Die grundlegende Belehrung, die uns dieser Bericht gibt, ist die, dass wenn unsere Herzen von Liebe zum Herrn erfüllt sind, uns für Ihn nichts zu kostbar erscheint. Wie ein alter Diener Gottes geschrieben hat, der lange Zeit wegen seines Glaubens im Gefängnis war: Der Herr Jesus hat durch die Billigung der Handlung Marias in Bethanien den Hauptgrundsatz für jeden Dienst festgesetzt, nämlich den, dass wir Ihm dabei alles geben, was wir besitzen, alles was wir sind. Die erste Sache ist nicht, ob «den Armen» geholfen wird oder nicht, sondern: Ist der Herr zufrieden? Er wird nie zufrieden sein, wenn wir uns Ihm nicht ganz übergeben und uns nicht für Ihn «verlieren».
Was erwarten wir? Maria hat zur rechten Zeit gehandelt, im Gegensatz zu den anderen Frauen, die zur Gruft kamen, um den Leib Jesu einzubalsamieren, nachdem Er schon auferstanden war. Eine einzige konnte den Herrn salben: Maria, die es im Voraus getan hat. Der Herr unterstreicht es ausdrücklich und erklärt: «Sie hat im Voraus meinen Leib zum Begräbnis gesalbt» (Mk 14,8). Diese Handlung musste vorher geschehen, später gab es keine Gelegenheit dazu. Der Herr erwartet, dass wir Ihm im Voraus, das heisst heute, alles geben, was Ihm gehört. Wenn wir Ihn von Angesicht zu Angesicht sehen, werden wir unsere Alabasterfläschchen zerbrechen und vor Ihm den Duft unserer Liebe und unserer Anbetung ausbreiten. Aber schon heute erwartet Er von jedem seiner Erkauften die ganze Weihe ihrer Herzen. Was tun wir heute für Ihn? Was geben wir Ihm heute? Welchen Wert hat der Herr jetzt für uns? Maria hatte Ihm alles gegeben, ohne Vorbehalt, ohne Zögern. «Sie hat getan, was sie vermochte» (Mk 14,8). Heute noch kann der Herr erst zufrieden sein, wenn auch wir tun, was wir vermögen, das heisst, wenn wir uns Ihm mit ganzer Hingabe geben, die wir täglich erneuern.
Die Demut – «Wer ist denn der Grösste im Reich der Himmel?»
Der Herr hatte Petrus soeben anlässlich der Bezahlung der Tempelsteuer gezeigt, dass er für Ihn ein Sohn des Reiches war (Mt 17,25-27). Dieser Zwischenfall der Doppeldrachme veranlasste die Jünger offenbar, Jesus zu fragen: «Wer ist denn der Grösste im Reich der Himmel?» (Mt 18,1). Aus Lukas 9,46 geht hervor, dass sie zu wissen wünschten, wer unter ihnen der Grösste sein würde.
Nachdem Er ein Kind zu sich gerufen hat, erklärt ihnen Jesus zuerst, dass die, die in das Reich eingehen wollen, sich bekehren und wie die Kinder werden müssen (V. 3). Dann antwortet Er auf die Frage der Jünger und sagt ihnen: «Wer irgend sich selbst erniedrigen wird wie dieses Kind, der ist der Grösste im Reich der Himmel» (V. 4). Um also in dieses Reich einzugehen, muss man sich bekehren und, wie ein Kind, auf jeden Anspruch, auf jede Selbstgerechtigkeit verzichten. Was die Söhne des Reiches anbelangt, so werden sie nur in dem Mass gross sein, wie sie sich erniedrigen, wie ein Kind.
Diese Unterweisung lässt den Wert erkennen, den der Herr bei den Seinen der Demut bei misst, Er, der vor allen der sanftmütige und von Herzen demütige Mensch war. Der alte Mensch hat nur zu sehr die Neigung, sich in uns zu zeigen, sich ins Rampenlicht zu stellen, eine Rolle zu spielen, wirkliche oder eingebildete Ansprüche zu stellen, mit einem Wort: uns in Hochmut fallen zu lassen, einen Fallstrick des Teufels. Viele Stellen der Schrift bringen den tiefen Abscheu Gottes gegenüber dem Hochmut zum Ausdruck: «Stolz und Hochmut hasse ich» (Spr 8,13). «Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade» (Jak 4,6; 1. Pet 5,5). Ist in unserem Geist nicht manchmal etwas, das uns antreibt, etwas, das offenbart, dass unsere Stimme noch die des Pharisäers ist, wenn auch unser Kleid dem des Zöllners gleicht: «O Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen der Menschen»? (Lk 18,11). So, wie einer geschrieben hat: Gott hasst den Hochmut über alles, weil der Hochmut dem Menschen den Platz gibt, der dem gehört, der in den Himmeln ist, erhöht über alles. – Wenn wir demütig sind, muss Gott uns nicht demütigen. Sich unter die mächtige Hand Gottes zu beugen, ist der gesegnete Weg, der uns alle Schätze seiner Gnade öffnet. Gott kann nur Gefässe füllen, die von sich selbst entleert sind.
Wenn Christus hoch erhoben worden ist und einen Namen empfangen hat, der über jeden Namen ist, so ist es, weil Er sich – obwohl Gott – erniedrigt und sich als Mensch zu nichts gemacht hat, Knechtsgestalt annahm und gehorsam wurde, bis zum schmachvollen Tode am Kreuz. Die Demut, die Ihn während seines Wandels hier auf der Erde gekennzeichnet hat, sollte der beherrschende Wesenszug derer sein, die Ihm angehören. Einzig durch die Gegenwart Christi in uns, in seiner göttlichen Demut, können wir demütig werden. Wir haben unseren Hochmut von Adam bekommen; wir müssen unsere Demut von Christus empfangen. Die Frucht des Geistes ist Demut, verbunden mit Liebe, mit Langmut, mit Freundlichkeit, mit Güte, mit Sanftmut. Sie offenbart Christus in uns, besser als alle unsere Worte. Das Kreuz, der Tod und das Grab, zu denen sich der Sohn des Menschen erniedrigt hat um uns zu erretten, waren der Weg, der Ihn in die Herrlichkeit geführt hat. Wir sollen den gleichen Pfad verfolgen. Nehmen wir alles fröhlich an, was uns vor Gott und Menschen demütigt!