Verheissungen für das Gebet (3)

1. Johannes 3,20-22

«Wenn unser Herz uns verurteilt, ist Gott grösser als unser Herz und kennt alles. Geliebte, wenn unser Herz uns nicht verurteilt, so haben wir Freimütigkeit zu Gott, und was irgend wir erbitten, empfangen wir von ihm, weil wir seine Gebote halten und das vor ihm Wohlgefällige tun» (1. Joh 3,20-22).

Ein praktischer Wandel, der Gott wohlgefällt – ein Herz, das uns nicht verurteilt – ein gutes Gewissen – das sind Bedingungen von grosser Wichtigkeit für die Erhörung unserer Gebete, für den Umgang mit einem heiligen Gott. Gegenüber falschen, eingebildeten Gottheiten mögen Kompromisse genügen, wie z.B. Bußübungen oder Opfer. Gott aber verlangt Verurteilung des Bösen von allen, die Ihm nahetreten. Weder Gebete noch Anbetung sind Ihm annehmbar, wenn Verunreinigung vorliegt. «Deinem Haus geziemt Heiligkeit, HERR, auf immerdar», ist ein bleibender Grundsatz (Ps 93,5). Und: «Wenn ich es in meinem Herzen auf Frevel abgesehen hätte, so hätte der Herr nicht gehört» (Ps 66,18).

Aber wie gut, dass Gott Vorsorge getroffen hat für alle Bedürfnisse seines Volkes in einer verunreinigenden Welt! So wird uns gesagt: «Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit» (1. Joh 1,9). Wenn der Weg zum Freispruch so einfach ist, warum sollten wir da mit einem belasteten Gewissen herumlaufen? Auf ein aufrichtiges und ehrliches Bekenntnis hin wird uns nicht nur vergeben, wir werden auch gereinigt. So sagt Elihu von der Seele, die zum moralischen Selbstgericht gebracht worden ist: «Sein Fleisch wird frischer sein als in der Jugend … Er wird zu Gott flehen, und er wird ihn wohlgefällig annehmen, und er wird sein Angesicht schauen mit Jauchzen» (Hiob 33,25.26).

Die Unerlässlichkeit eines guten Gewissens in Verbindung mit dem Gebet zeigt sich auch in der Tatsache, dass die Schrift es sogar mit dem Gebet für andere verknüpft: «Betet für uns; denn wir sind überzeugt, dass wir ein gutes Gewissen haben, da wir in allem ehrbar zu wandeln begehren» (Heb 13,18). «Das Gebet der Aufrichtigen» ist also das, was dem Herrn wohlgefällt (Sprüche 15,8), und vom Gebet des «Gerechten» wird gesagt, dass es «viel vermag» (Jak 5,16).

Unser eingangs erwähnter Text, obwohl gleichbedeutend mit einer Verheissung, ist es, genau genommen, der Form nach nicht. Es ist eher eine positive Feststellung, dass wir unter gewissen Bedingungen empfangen, um was irgend wir bitten. Und die Bedingungen zeigen sehr klar, dass Erhörung im Gebet von einem gottseligen Leben abhängt, von einem Herzen, das uns nicht verurteilt, als dem inneren Zustand, und vom Gehorsam («seine Gebote halten»), als einer äusseren Kundgebung und einem Test des Zustandes.

Aber in den vorangehenden Versen sind einige interessante Punkte zu beachten: «Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit. Und hieran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind, und werden vor ihm unser Herz überzeugen» (Verse 18,19). Erstens bedeutet das «erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind» nicht, dass wir uns bewusst sind, Christen zu sein. Den Empfängern des Briefes war geschrieben worden, weil sie Christen waren; weil ihre Sünden vergeben waren um seines Namens willen; weil sie den Vater kannten (1. Joh 2,12.13). Aber zu seiner Ermahnung «lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit» fügt der Apostel hinzu: «hieran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind.» Wenn wir dies tun, wandeln wir in der Wahrheit, sind wir von ihr beherrscht und sind wir «aus der Wahrheit». Liebe in Tat und Liebe in Wahrheit gibt uns dieses Bewusstsein und diese Gewissheit des Herzens vor Gott. Anders können wir sie nicht geniessen.

Wenn Dinge zwischen uns und Gott liegen, ist es unnütz, sie zu ignorieren. Gott ist grösser als unser Herz und kennt alles. Aber wenn unser Herz uns nicht verurteilt, so haben wir Freimütigkeit zu Gott und empfangen, was irgend wir von Ihm erbitten, weil wir seine Gebote halten und das vor Ihm Wohlgefällige tun. Hier geht es nicht um die Frage, ob Kinder Gottes oder nicht, sondern ob die Kinder in einem Zustand glücklicher Vertrautheit oder Freimütigkeit sind gegenüber ihrem Vater. Wenn ich einem Menschen einen Betrag schulde, den ich hätte bezahlen sollen, wird Zurückhaltung sein, wenn ich ihm begegne; ist aber alles geordnet, kann ich freimütig mit einer weiteren Bitte zu ihm gehen, wenn ich seine Freigebigkeit kenne.

Schöner, glücklicher Zustand einer Seele, wenn sie so zu Gott steht! Das ist eine bedeutsame Bibelstelle für das Gewissen des Gläubigen, aber ihr praktischer Wert ist oft verloren gegangen durch die eben erwähnte falsche Anwendung. Der Test ist hier nicht, ob wir Kinder Gottes sind oder nicht. Es ist ein Test für Gläubige, anzuwenden auf ihren gegenwärtigen Zustand der Seele. Sind wir solche vor unserem Gott, die mit einem Herzen, das sie nicht verurteilt, Gemeinschaft mit Ihm haben und, als eine Tatsache, gewohnheitsmässig seine Antwort erhalten auf unsere Gebete?

Noch etwas will uns der Apostel sagen mit dem Zuruf: «Lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge.» Das sind nicht zweierlei Ausdrücke, die dasselbe besagen. Der Begriff «Logos», hier mit «Wort» übersetzt, hat eine viel weitere Bedeutung als der deutsche Ausdruck. Denn das griechische «Logos» umfasst nicht nur das Wort, durch das ein Gedanke ausgedrückt wird, sondern den Gedanken selbst. Der Apostel sagt also damit, dass wir nicht bloss in der Theorie (oder im Gedanken) noch in blosser Sprache («mit der Zunge») lieben sollen, sondern in Tat und Wahrheit.

Denn es gibt einen Zustand, durchaus nicht selten, in dem man Gefühle und Gedanken geniesst und sich intellektuell der Wahrheit freut, ohne dass es Auswirkungen hat. Liebe als Theorie wird für sehr schön gehalten, aber sie wird nicht praktiziert. Das Herz betrügt sich selbst. Dieser Bibelvers ist das Umgekehrte von 1. Korinther 13. Dort spricht Paulus von Werken ohne Liebe; hier ist es sozusagen Liebe ohne Werke, das heisst nur Sentimentalität. Aber unsere Stelle verneint beide dieser Irrtümer: sie verurteilt nicht nur Liebe ohne Taten, sondern auch Taten ohne Liebe. Sie fordert Taten, die aus der Liebe kommen, die nicht nur in Theorie bestehen oder in Sprüchen, sondern in Handlungen und in Wahrheit. Unser Gott ist Liebe, und diese allein befriedigt Ihn in seinen Kindern, Liebe «in Tat und Wahrheit».

Wie durchdringend ist doch das Wort Gottes! Es legt jeden Zustand bloss, worin das Herz sich selbst oder andere täuscht. Es ist schärfer als ein zweischneidiges Schwert und beurteilt die Gedanken und Gesinnungen des Herzens. Es hilft uns, alles zu erkennen und zu richten, was uns die Freimütigkeit zu Gott nehmen und unsere Gebete wirkungslos machen könnte.