Das vierte Buch Mose
Das grosse Thema des vierten Buches Mose ist die Wüstenwanderung des irdischen Volkes Gottes. Die Wüste war für die Israeliten ein Ort der Erprobung, wo der HERR ihren Glauben, ihren Gehorsam und ihr Gottvertrauen prüfte (5. Mo 8,2-6). In der Wüste konnten sie Gottes Treue und Fürsorge für sein Volk erleben. Aber sie mussten auch immer wieder erfahren, was in ihrem eigenen Herzen war. In der Wüste konnte sich das Volk bewähren und ein Leben mit Gott führen – ein Leben nach seinen Gedanken und in praktischer Heiligkeit. Dazu hatte Gott genaue Anweisungen gegeben. Jede Verunreinigung musste vermieden werden. Alles, was unpassend für die Gegenwart Gottes war, der mitten in seinem Volk wohnte, musste nach göttlichen Massstäben behandelt und beseitigt werden (4. Mo 5,1-3).
Versagen
Während das dritte Buch Mose in erster Linie die Vorrechte des Volkes Gottes aufzeigt – Gott zu nahen und Ihm zu dienen –, liegt im vierten Buch der Schwerpunkt auf der Verantwortung der Israeliten. Dabei trat leider viel Versagen zutage – wie wir das immer sehen, wenn die Bibel den Menschen in seiner Verantwortlichkeit vorstellt, egal in welcher Heilszeit. Immer wieder zeigte sich der Unglaube der Israeliten, ihr Murren, ihre Unzufriedenheit mit Gottes Führung, ihre Auflehnung gegen Mose als Führer des Volkes, die sich letztlich gegen Gott selbst richtete (Kap. 14; 16; 17). Wir finden sogar, dass sie dem Götzendienst verfielen (Kap. 25). Inmitten eines solchen Volkes hielt Gott Ausschau nach Menschen, die in wirklicher Hingabe für Ihn leben und Ihm dienen wollten. Einen Eindruck davon vermittelt uns das sechste Kapitel, wo wir das Gesetz des Nasirs finden.
Der Nasir
Der Begriff «Nasir» oder «Nasiräer» (Amos 2,11.12) bedeutet Abgesonderter oder Geweihter. Er war jemand, der den Wunsch hatte, ganz für Gott zu leben. Er wollte sich Ihm weihen, und zwar in einer Weise, die über das hinausging, was Gott seinem Volk im Gesetz vorgeschrieben hatte. Der Nasir lebte nicht nur mit der Fragestellung: «Was erwartet Gott von mir? Was hat Er mir in seinem Wort geboten und was hat Er mir nicht gestattet?» Er gestaltete sein Leben nicht im Grenzbereich des Erlaubten und suchte nicht seine vermeintlichen Freiheiten auszukosten. Vielmehr nahm er ein freiwilliges Gelübde (ein Versprechen oder einen Schwur) auf sich, das mit gewissen Einschränkungen für ihn selbst verbunden war, um sich seinem Gott ganz zur Verfügung zu stellen.
Ein abgesondertes Volk
Was den Nasir kennzeichnete – für Gott abgesondert zu sein, um Ihm zu gehören –, war eigentlich etwas, was Israel als Ganzes hätte kennzeichnen sollen. Hatte Gott sich sein Volk nicht mit diesem Ziel erwählt und sie von den anderen Völkern abgesondert? Ja, Er hatte Israel für sich beiseitegesetzt, damit es ihm gehörte (3. Mo 20,24-26). Israel war ein heiliges Volk, das Er sich zum Eigentum aus allen Völkern erwählt hatte (5. Mo 7,6; 14,2).
Was auf das irdische Volk Gottes zutrifft, ist in einer viel tieferen Bedeutung für uns alle wahr, die wir zum himmlischen Volk Gottes gehören. Der Stellung nach sind wir alle «Nasiräer», wir sind Geheiligte in Christus Jesus, berufene Heilige (1. Kor 1,2; Apg 20,32). Wir sind ein «auserwähltes Geschlecht», eine «heilige Nation», ein «Volk zum Besitztum», ein «Eigentumsvolk», das Gott für sich beiseitegestellt hat und auf das Er Besitzanspruch erhebt (1. Pet 2,9; Tit 2,14). Tragen wir dieser Tatsache in unserem praktischen Leben Rechnung? Ist es wirklich so und wird es erkennbar, dass unser ganzes Leben, unsere Zeit und unsere Kraft dem Herrn Jesus gehören, der uns für sich erworben hat?
Freiwilligkeit
Für Gott zu leben – das war das besondere Merkmal eines Nasirs im Alten Testament. Der Nasir verwirklichte in der Praxis, was das Volk seiner Stellung oder Bestimmung nach geworden war. Dabei waren es nicht gesetzliche Vorschriften oder besondere Anordnungen Gottes, die ihn dazu motivierten. Er wollte sich aus freien Stücken Gott ganz zur Verfügung stellen. Freiwillig verpflichtete er sich durch ein Gelübde zu einer Zeit der Hingabe und Weihe an seinen Gott. Das Nasiräertum war keine Verpflichtung, die Gott seinem Volk auferlegte, sondern ein Herzenswunsch, der für Gott sehr wertvoll war und auf den Er gewissermassen wartete. Ähnlich wie bei den freiwilligen Opfern in 3. Mose 1 bis 3 lautet Gottes «Einladung» am Anfang von 4. Mose 6 ebenfalls: «Wenn jemand ...»
Auf diese freiwilligen Herzen, die sich Ihm zur Verfügung stellen, wartet der Herr Jesus auch heute. Er sucht Herzen, die in Liebe für Ihn schlagen und aus dieser Motivation und Hingabe heraus die Entscheidung treffen: «Für dich nur darf mein Leben sein.» Ist der Herr Jesus das nicht wert – Er, der sich selbst für mich hingegeben hat, um mich zu besitzen? Wollen wir Ihm nicht von Herzen diese Antwort auf seine Liebe geben?
Verzicht und Selbstverleugnung
Ein Leben als Nasir war damals allerdings an besondere Bedingungen geknüpft, die äusserlich betrachtet erhebliche Einschränkungen bedeuteten. Dasselbe gilt auch heute für jeden «Nasir», der als wirklicher Jünger des Herrn Jesus leben und sich Ihm ganz zur Verfügung stellen möchte. So jemand muss bereit sein, Einschränkungen und Entsagungen auf sich zu nehmen. Er muss bereit sein, zu verzichten und sich selbst zu verleugnen. Deshalb lautet das Wort unseres Herrn: «Wenn jemand mir nachkommen will, so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach» (Mt 16,24; Mk 8,34; Lk 9,23). «So kann nun keiner von euch, der nicht allem entsagt, was er hat, mein Jünger sein» (Lk 14,33). Solch eine Entscheidung kann man nicht ohne ein brennendes Herz für Christus treffen und vor allem nicht konsequent umsetzen. Andernfalls empfindet man das Ganze als übertriebene Einschränkung, als unzumutbaren Verzicht. Wer aber wie Paulus wirklich «von Christus Jesus ergriffen» ist, der weiss, dass sich ein solches Leben lohnt. So jemand hat auch die innere Motivation, zu verzichten und sich selbst zu verleugnen – aus Liebe und Hingabe für Den, «der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat» (Gal 2,20).
Drei Bedingungen
Wenn jemand aus Israel ein Nasir für Gott sein wollte, musste er drei Bedingungen erfüllen:
- Er durfte keinen Wein und keine Produkte des Weinstocks geniessen.
- Er sollte sein Haar frei wachsen lassen.
- Er musste jede Verunreinigung durch den Kontakt mit einer Leiche vermeiden.
In den folgenden zwei Heften wollen wir diese Punkte ansehen und ihre geistliche Bedeutung vor unsere Herzen stellen.