Die Anfangsverse von 2. Mose 2 geben uns den historischen Bericht der Geburt Moses und seiner wundersamen Rettung aus dem Nil. Der Bericht ist reich an Auslegung und Anwendung für uns. Der Pharao – der auf den Teufel als den Fürsten der Welt hinweist – hatte angeordnet, dass alle männlichen Nachkommen Israels im Nil getötet werden sollten. Aber das, was der Pharao als Instrument zum Töten bestimmt hatte, benutzte Gott in seinen Wegen zum Leben und zur Rettung.
Wir können diese Verse unter drei verschiedenen Gesichtspunkten betrachten:
Erstens erkennen wir prophetische Hinweise im Blick auf die Geburt Dessen, von dem Mose nur ein schwaches Bild sein konnte. Gemeint ist unser Herr und Heiland Jesus Christus, der nicht nur der Retter eines einzigen Volkes, sondern der «Heiland der Welt» wurde. Erlösung ist ja das grosse Thema des zweiten Buches Mose. Es zeigt uns
- die Notwendigkeit der Erlösung (Israel in Knechtschaft),
- den Weg der Erlösung (Schutz vor dem Gericht durch Blut sowie Befreiung aus der Macht des Feindes im Durchzug durch das Rote Meer) und
- das Ziel der Erlösung (Gott wollte ein Eigentumsvolk für sich haben, das in seiner Nähe war und Ihm diente).
Zweitens lernen wir von dem Glaubensvertrauen und dem Glaubensmut der Eltern Moses und vom wunderbaren Handeln Gottes in seiner Vorsehung. Es ist wahr, dass der Mensch denkt und plant. Aber Gott lenkt die Geschicke. Ihm läuft nichts aus dem Ruder.
Drittens erhalten wir in der kurzen Begebenheit wichtige praktische Hinweise für unser Familienleben.
Wir wollen diese drei Aspekte in drei Aufsätzen nacheinander behandeln. Zunächst Mose als Retter des Volkes Israel aus der Knechtschaft des Pharaos. Dabei ist es augenscheinlich, dass Mose ein Bild (Typus) des kommenden Erlösers ist. Mose war selbst ein besonderes Werkzeug in der Hand Gottes. Das macht folgende Aussage des Heiligen Geistes klar: «Es stand in Israel kein Prophet mehr auf wie Mose, den der HERR gekannt hätte von Angesicht zu Angesicht» (5. Mo 34,10). Aber Mose hat auch direkt auf Den hingewiesen, von dem er nur ein schwaches Bild war. Er sagte: «Einen Propheten aus deiner Mitte, aus deinen Brüdern, gleich mir, wird der HERR, dein Gott, dir erwecken; auf ihn sollt ihr hören» (5. Mo 18,15). Als der Herr Jesus geboren wurde, war Er allerdings weit mehr als Mose.
So wie Mose das Volk Israel aus der Knechtschaft führte, hat der Herr Jesus uns aus der Knechtschaft der Sünde und des Todes befreit. Im Hebräer-Brief heisst es: «Damit er durch den Tod den zunichtemachte, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel, und alle die befreite, die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren» (Heb 2,14.15).
Die Geburt Moses enthält deshalb interessante Hinweise auf die Geburt unseres Heilands. Dabei dürfen wir nicht übersehen, dass das Bild immer weit hinter der Realität zurückbleibt. Anders als bei Joseph erkennen wir bei Mose immer wieder Schwächen und Fehler, in denen er kein Vorausbild auf den Herrn ist. Dennoch sind die typologischen Hinweise unverkennbar:
1)
Die Eltern Moses sind zunächst ein treffendes Bild des treuen Überrests, von dem wir zu Beginn der Evangelien lesen. Hebräer 11,23 macht klar, dass Glauben sie kennzeichnete. Glauben ist immer eins der Merkmale eines Überrests. Die Eltern Moses vertrauten auf die Zusagen der Befreiung aus Ägypten, die Gott Abraham gegeben hatte (1. Mo 15,13.14). Wie Er diese Rettung bringen würde, hatte Er nicht gesagt. Doch jetzt war der Augenblick gekommen, dass der Befreier geboren werden sollte, der ein Bild des grossen Retters ist.
Der Überrest zu Beginn der Evangelien wartete auf «den Trost Israels», auf Den, der «Israel erlösen sollte» (Lk 2,25; 24,21; vgl. auch Lk 2,38). Das war niemand anders als der angekündigte Messias. Ähnlich wie es im zweiten Buch Mose beschrieben wird, war das Volk der Juden zur Zeit, als der Messias geboren wurde, kein freies Volk. Sie litten unter der Herrschaft der Römer und wünschten sich Befreiung.
2)
Als Mose geboren wurde, sahen seine Eltern, dass das Kind schön war (V. 2). Das ist an und für sich nichts Ungewöhnliches. Fast alle Eltern finden ihre neugeborenen Kinder schön. Wenn wir Hebräer 11,23 und Apostelgeschichte 7,20 dazu nehmen, wird diese Aussage in der Bibel dreimal wiederholt. Sie ist offensichtlich wichtig. Amram und Jokebed sahen tiefer. Sie erkannten, dass Mose «schön für Gott» war. Vielleicht hatten sie den Eindruck, dass Gott mit ihrem Sohn etwas Besonders vorhatte. Aber was aus ihrem Kind werden würde, blieb ihnen gewiss verborgen.
Auch als unser Herr geboren wurde, haben weder die Eltern noch die Umgebung vollumfänglich verstanden, was geschehen war. Maria mag es geahnt haben (ebenso Elisabeth). Wenn Maria die Tragweite der Geburt ihres Sohnes auch nicht begriffen hat, so besass sie doch die Sicht des Glaubens, denn sie «bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen» (Lk 2,19). Echte Einsicht in die Gedanken Gottes finden wir eigentlich nur bei Simeon und Anna (Lk 2,25-38). Diese beiden sahen tiefer.
Es hat keinen Menschen auf der Erde gegeben, der in seiner moralischen Schönheit und Vollkommenheit dem Herrn Jesus vergleichbar gewesen wäre. Als Er geboren wurde, war Er der erste und einzige Mensch auf der Erde, der in allem den Erwartungen Gottes entsprach. Er kam, um den Willen Gottes zu tun, d.h. Er wollte ganz für Gott leben. So war der Herr in Wahrheit «schön für Gott». Der Vater sah von Anfang an die moralische Herrlichkeit und Vollkommenheit des Herrn Jesus. Er sah, dass sein Sohn allezeit das «ihm Wohlgefällige» tat (Joh 8,29). Er war der, der «schöner als die Menschensöhne» war (Ps 45,3). Der Vater sah Ihn, den «Sohn seiner Liebe» (Kol 1,13), den Einen, der vor allen ist, auf dem sein Wohlgefallen ruhte. Zu Beginn und gegen Ende seines Dienstes konnte Gott bestätigen: «Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe» (Mt 3,17; 17,5).
3)
In einer Welt, die unter der Herrschaft von Satan steht, konnte der Herr Jesus keinen Platz haben. Die Welt erträgt und toleriert bis heute nur solche, die nach dem Fleisch leben. Von Anfang an lag der Schatten des Todes auf Ihm. So wie der Pharao die männlichen Nachkommen Israels töten liess, befahl Herodes den grausamen Kindermord von Bethlehem (Mt 2,16). Als der Herr Jesus seinen öffentlichen Dienst begann, wollte man Ihn ebenfalls töten (Lk 4,29). Und immer wieder während seines Lebens ersannen sie den Anschlag, Ihn umzubringen, was schliesslich auf Golgatha in die Tat umgesetzt wurde (Apg 7,52). Hinter all diesen Mordversuchen und der schliesslichen Umsetzung stand niemand anders als der grosse Widersacher Gottes.
In Offenbarung 12 beschreibt der Seher Johannes eine Vision, die uns den ganzen Hass des Teufels gegen den Herrn Jesus zeigt. Satan wird dort im Bild des Drachen vorgestellt, der vor einer Frau stand, die im Begriff war zu gebären. Er versuchte, sobald sie geboren hatte, ihr Kind zu verschlingen (Off 12,4). Der prophetische Zusammenhang macht klar, dass es dort um den Herrn Jesus geht. Er ist das männliche Kind, das unmittelbar nach seiner Geburt getötet werden sollte. Satan hat alles versucht, um Ihn aus dem Weg zu schaffen.
4)
Es ist nicht einfach, sich in die natürlichen Empfindungen der Mutter Jokebed zu versetzen, als der Sohn geboren wurde und sie wenige Monate später das kleine Schutzkästchen baute, um ihn dort hineinzulegen und im Nil auszusetzen. Noch schwieriger ist es, die Empfindungen der Mutter unseres Herrn nachzuvollziehen. Simeon hatte ihr angekündigt, dass ein Schwert ihre eigene Seele durchdringen würde (Lk 2,35). Das ist wahr geworden, als sie ihren Sohn am Kreuz hängen sah. Die Bibel schweigt über Einzelheiten. Wir sehen nur, wie der Herr die Fürsorge für seine Mutter auf seinen Jünger überträgt (Joh 19,25-27).
5)
Dann legte Jokebed ihren Sohn in den Nil. Mose stand von Anfang an und durch Geburt unter dem Todesurteil, unter dem sich das gesamte Volk befand. Er sollte im Nil ertränkt werden. Wir wissen aus der Geschichte, dass er zwar in den Nil gelegt wurde, aber nicht sterben musste. Ähnlich wie Isaak, der in 1. Mose 22 nicht geopfert werden musste, blieb er verschont.
Unser Herr wurde nicht verschont. Auch über seinem Leben stand von Anfang an das Todesurteil. Doch anders als bei Mose und bei Isaak – die nur im Bild sterben mussten – ist der Herr tatsächlich in den Tod gegangen. Gott hat Ihn nicht verschont (Röm 8,32). Aber – ebenfalls anders als bei Mose – war der Herr diesem Urteil nicht durch Geburt (von Natur) unterworfen, sondern Er ist freiwillig in den Tod gegangen. Er kam auf die Erde, um sein Leben freiwillig zu geben. Er hätte nicht sterben müssen, sondern hätte jederzeit zu Gott zurückkehren können. Doch Er hat es nicht getan, denn sonst hätte es für uns keine Erlösung gegeben. Sein Tod war nötig, um uns aus der Knechtschaft zu befreien (Heb 2,15).
Paulus schrieb an die Römer: «Darum, so wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben» (Röm 5,12). Das gilt für jeden Menschen, aber es galt niemals für unseren Herrn. Er war absolut Mensch, aber völlig ohne Sünde. Seine Sündlosigkeit machte seine Vollkommenheit als Mensch aus. Er entsprach in jeder Hinsicht dem, was der Mensch vor Gott hätte sein sollen und was Gott erwarten konnte. Er war nicht dem Tod unterworfen, aber Er nahm ihn freiwillig auf sich.
6)
Schliesslich wurde Mose – ohne dass er sterben musste – aus dem Wasser gezogen. Die Tochter des Pharaos gab ihm deshalb den Namen «Mose», was bedeutet: «aus dem Wasser gezogen». Der Todesfluss Nil gab seine Beute her. So konnte Mose auf wunderbare Weise der Retter seines Volkes werden. Gottes Ratschluss wollte es so, und keine Macht des Feindes konnte sich diesem Plan widersetzen.
Wir sahen schon, dass der Herr Jesus nicht verschont wurde. Er hat den Tod tatsächlich geschmeckt (Heb 2,9). Doch Er ist nicht im Tod geblieben. Er ist siegreich auferstanden. Er lebt. So kann Er der grosse Befreier von Menschen sein, die jetzt noch in Knechtschaft gebunden sind. Auch darin erkennen wir deutlich die Hand und den Ratschluss Gottes. Seine Mörder tragen die volle Verantwortung für ihr Tun. Aber am Ende musste alles dazu beitragen, den Ratschluss Gottes zu erfüllen. Die ersten Christen beteten die folgenden Worte zu Gott: «In dieser Stadt versammelten sich in Wahrheit gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, sowohl Herodes als auch Pontius Pilatus mit den Nationen und den Völkern Israels, um alles zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss zuvor bestimmt hat, dass es geschehen sollte» (Apg 4,27.28). Tod und Auferstehung des Herrn Jesus lagen letztlich in der Hand Gottes. Diese Hand Gottes erkennen wir im Bild in der Rettung von Mose mehr als deutlich.
Das Ziel des Teufels war der Tod Moses im Nil. Doch Gott tut gerade das Gegenteil. Er rettet ihn aus dem Nil und so bekommt er den Namen Mose (= aus dem Wasser gezogen). Damit ist er ein deutlicher Hinweis auf den Retter, der nicht im Tod blieb und dessen Tod für andere Leben bedeutet. Es ist unser Herr Jesus Christus, der jetzt wirklich vom Tod retten kann und Menschen aus dem Bereich des Todes und der Sünde in einen Bereich von Leben und Liebe bringt.