Das Johannes-Evangelium (1)

Johannes

Einführung

Das Johannes-Evangelium hat einen ganz besonderen Charakter, der jeden berührt, der dieses Buch aufmerksam studiert. Dieses Evangelium spricht nicht nur den Geist an, sondern es zieht auch das Herz an, und zwar in einer Weise, wie wir es sonst nirgends in der Heiligen Schrift finden. Der Grund dafür ist, dass das Johannes-Evangelium die Person des Sohnes Gottes vorstellt – des Sohnes Gottes, der sich so tief herab geneigt hat, dass Er bitten konnte: «Gib mir zu trinken.» Dies zieht das Herz an, wenn es nicht gänzlich verhärtet ist.

Paulus belehrt uns darüber, wie ein Mensch vor Gott gestellt werden kann, Johannes hingegen stellt Gott dem Menschen vor. Sein Hauptthema ist Gott und das ewige Leben in einem Menschen. Dieses Thema führt er in seinem ersten Brief weiter aus. Und zwar zeigt er, wie dieses Leben in jenen, die es durch Christus besitzen, hervorgebracht wird. Ich spreche hier nur von den wichtigsten Merkmalen, die diese Bücher charakterisieren. Natürlich finden sich – neben jenen, die ich soeben aufgeführt habe – noch viele andere Wahrheiten darin. So wird uns im Johannes-Evangelium auch die Lehre der Sendung des Geistes Gottes mitgeteilt, dieses anderen Trösters, der immer bei uns bleiben wird.

Unterschiede gegenüber den anderen Evangelien

Das Johannes-Evangelium unterscheidet sich deutlich von den drei anderen Evangelien. Es ist deshalb gut, wenn wir kurz den Charakter jener drei betrachten, insbesondere in Bezug auf die Unterschiede zum Johannes-Evangelium. Die drei synoptischen Evangelien Matthäus, Markus und Lukas, liefern uns die kostbarsten Einzelheiten des Lebens des Heilands hier auf der Erde, von seiner Geduld und Gnade: Er war der vollkommene Ausdruck des Guten in der Mitte des Bösen; seine Wunder bestätigten nicht nur sein Zeugnis. Mit Ausnahme des Verfluchens des Feigenbaums waren alles Wunder der Güte. Sie waren der Ausdruck göttlicher Macht, die sich in Güte offenbarte. Hier finden wir das Gute; wir finden Gott selbst, der Liebe ist, wie Er in gewissem Sinn noch im Verborgenen handelt, gemäss der Gnade, die bald in vollkommener Weise offenbart werden sollte. So wurde unser Erlöser dem Menschen vorgestellt, um von ihm aufgenommen und anerkannt zu werden. Doch Er wurde verkannt und verworfen.

Es ist oft bemerkt worden, dass jeder der drei Evangelisten den Herrn von einer anderen Seite her beleuchtet: Matthäus legt den Schwerpunkt auf Emmanuel inmitten der Juden; Markus stellt uns den dienenden Propheten vor; und Lukas zeigt uns von Kapitel 3 an den Sohn des Menschen, und zwar in Verbindung mit dem, was jetzt besteht, nämlich der himmlischen Gnade. In den beiden ersten Kapiteln gibt er eine sehr interessante Illustration eines Überrests, mit dem Gott war, inmitten eines heuchlerischen und aufrührerischen Volkes. Doch alle drei Evangelisten zeigen uns den Herrn grundsätzlich in seinen geduldigen Wegen und Handlungen der Gnade in dieser Welt, damit die Menschen Ihn aufnehmen würden; aber sie verwarfen Ihn!

Das Markus-Evangelium, das den Dienst von Jesus schildert, hat kein Geschlechtsregister. Matthäus, der in Verbindung mit den Juden und irdischen Haushaltungen schreibt, führt die Herkunft des Herrn Jesus auf Abraham und David zurück und zeigt darüber hinaus drei Dinge, die das Judentum ersetzen: das Reich, wie es in der heutigen Zeit besteht (Kap. 13); die Versammlung (Kap. 16); und das Reich in Herrlichkeit (Kap. 17). Lukas, der uns die Gnade im Sohn des Menschen vorstellt, führt seine Herkunft bis auf Adam (und Gott) zurück. Diese drei Evangelien sprechen immer von Christus als einem Menschen hier auf der Erde, der als eine historische Person hier lebte. Sie folgen ihrem Bericht, bis Er tatsächlich verworfen wird, und dann sprechen sie von der neuen Stellung, in die Er durch seine Auferstehung eingetreten ist. Nur Lukas schildert uns die Himmelfahrt, die die Grundlage unserer jetzigen Stellung ist, während Markus in den letzten, ergänzenden Versen seines Evangeliums darauf anspielt.

Das Johannes-Evangelium betrachtet den Herrn auf eine ganz andere Weise. Es stellt uns eine göttliche Person vor, die herabgestiegen ist – Gott offenbart in dieser Welt; eine herrliche Tatsache, von der die ganze Geschichte des Menschen abhängig ist. Es ist hier nicht länger eine Frage der Herkunft und der Geschlechtsregister. Es geht auch nicht um den zweiten Menschen, der Gott gegenüber verantwortlich ist (obwohl dies nach wie vor wahr bleibt), der vollkommen vor Ihm lebt und allezeit seine Freude ist. Ebenso wenig wird uns hier der verheissene Messias vorgestellt; auch nicht Emmanuel, Jesus, der sein Volk rettet. Es ist auch nicht der Bote, der vor Gottes Angesicht hergeht.

Bei Johannes finden wir Gott selbst, der sich als solcher in einem Menschen den Menschen offenbart (Anmerkung: Obwohl Gott, der Sohn, verliess Er nie den Platz des Gehorsams und empfing alles aus der Hand seines Vaters, da Er als Mensch auf diese Erde gekommen war.) Er kam zuerst zu den Juden, denn Gott hatte ihnen sein Kommen verheissen. Doch von allem Anfang an sehen wir sie gänzlich beiseite gesetzt (Kap. 1,10.11). Damit zeigt Er gleichzeitig, dass nichts im Menschen auch nur andeutungsweise verstehen konnte, wer hier zugegen war.

Dann, am Ende des Evangeliums, finden wir die Lehre der Gegenwart des Heiligen Geistes, der hier auf der Erde den Platz des Herrn Jesus einnehmen sollte, indem Er uns seine himmlische Herrlichkeit offenbart und uns das Bewusstsein unserer Beziehungen zum Vater und zum Sohn gibt. Weiter ist zu bemerken, dass alle Schriften von Johannes, darunter auch sein Evangelium, die persönliche Seite des Christen betrachten. Sie sehen nicht die Versammlung, die Gesamtheit der Erlösten, weder als Leib noch als Haus. Dann behandelt das Johannes-Evangelium das ewige Leben. Johannes spricht nicht von der Vergebung der Sünden, ausser, wenn es sich um eine gegenwärtige verwaltungsmässige Vergebung handelt, die den Aposteln anvertraut worden war. Im Blick auf Christus geht es ihm vor allem um die Offenbarung Gottes hier auf der Erde und um das Kommen des ewigen Lebens in der Person des Sohnes Gottes. Als Folge davon spricht er kaum von unserem himmlischen Teil. Doch nun zum Evangelium selbst.

Der Aufbau des Evangeliums

Die ersten drei Kapitel haben einleitenden Charakter. Johannes der Täufer war noch nicht ins Gefängnis geworfen worden, und Jesus, obwohl Er lehrte und Wunder vollbrachte, hatte seinen öffentlichen Dienst noch nicht begonnen. Kapitel l bis 2,22 bilden eine Einheit. Kapitel 3 gibt uns die Grundlage des göttlichen Werkes in und für uns, nämlich die Neugeburt und das Kreuz. Das letztere führt himmlische Dinge ein, sowohl in Bezug auf uns als auch in Bezug auf den Herrn Jesus selbst.

In Kapitel 4 zieht Jesus von Judäa nach Galiläa, indem Er die Juden, die Ihn nicht aufnahmen, verlässt und den Platz des Heilands der Welt in Gnade einnimmt. In Kapitel 5 gibt Er Leben als Sohn Gottes; in Kapitel 6 wird Er, als Sohn des Menschen, durch seine Menschwerdung und seinen Tod die Nahrung des Lebens. Kapitel 7 zeigt uns, dass der Heilige Geist Ihn ablösen wird. Das Laubhüttenfest, die Wiederherstellung Israels, wird später stattfinden. In Kapitel 8 wird sein Wort, in Kapitel 9 werden seine Werke endgültig verworfen. Doch der Blinde, der sehend wird, folgt Ihm. Wir sehen deshalb in Kapitel l0, dass Er seine Schafe hat und sie für Besseres in der Zukunft bewahren wird. In den Kapiteln 11 und 12 gibt Gott Ihm Zeugnis: dass Er Gottes Sohn ist, durch die Auferweckung von Lazarus; dass Er der Sohn Davids ist, durch seinen Einzug in Jerusalem; dass Er der Sohn des Menschen ist, durch das Kommen der Griechen. Doch der Titel als Sohn des Menschen brachte den Tod mit sich, wie die folgenden Kapitel zeigen.

Bethanien ist eine Begebenheit für sich. Wir sehen dort, dass Maria in ihrem Herzen begriffen hatte, was dem Herrn Jesus bevorstand: Er, der das Leben weitergab, musste selbst sterben. Sein Titel als Sohn des Menschen beschliesst seine Geschichte hier auf der Erde, indem Er durch den Tod und die Erlösung in eine viel weitere Sphäre der Herrlichkeit eingeführt wurde.

Doch dann wird in Kapitel 13 die verständliche Frage aufgeworfen: Wird Er seine Jünger verlassen? Nein; im Himmel verherrlicht würde Er ihre Füsse waschen. Doch wohin Er ging, dahin konnten Ihm seine Jünger jetzt nicht folgen. In Kapitel 14 finden wir die Trostquellen während der Zeit der Abwesenheit des Herrn: Der Vater war bereits während seines Lebens hier auf der Erde in Ihm offenbart worden; sobald Er in den Himmel zurückgekehrt sein würde, würde Er einen anderen Sachwalter senden. Durch Ihn würden die Jünger erkennen, dass Er in dem Vater war, und sie in Ihm und Er in ihnen.

Kapitel 15 zeigt uns die Beziehung der Jünger zu Ihm auf der Erde, indem sie an die Stelle der Juden traten. Weiter sehen wir die Stellung der Jünger in Bezug auf die Welt und die Stellung der Juden, die Ihn verworfen haben, und schliesslich den Sachwalter. Kapitel 16 spricht davon, was der Heilige Geist nach seinem Kommen tun würde, was seine Gegenwart in der Welt beweisen und was Er die Jünger lehren würde, indem Er sie gleichzeitig in unmittelbare Beziehung zum Vater stellte. In Kapitel 17 bringt der Herr die Seinen in seine eigene Stellung vor dem Vater und vor der Welt, indem Er sich auf sein vollbrachtes Werk und die Offenbarung des Namens des Vaters stützt. Die Welt ist gerichtet, weil sie den Herrn verworfen hat, und die Seinen sind an seiner Stelle hier zurückgelassen.

In den Kapiteln 18 und 19 haben wir den Bericht über die Verurteilung und Kreuzigung des Herrn. In Kapitel 20 sehen wir sowohl seine Auferstehung und wie Er sich selbst den Jüngern offenbart, als auch den Auftrag, den Er ihnen erteilt. Kapitel 21 berichtet von seiner Unterredung mit den Seinen in Galiläa; von der Wiederherstellung des Petrus und von der Prophezeiung, die Jesus in Bezug auf ihn und Johannes ausspricht.

Nachdem wir nun das Evangelium als Ganzes kurz skizziert haben, möchten wir jetzt näher auf die Einzelheiten jedes Kapitels eingehen.