Saat und Ernte
Die Vorgänge bei Saat und Ernte sind uns allen von der materiellen Welt her geläufige Begriffe. Sie werden im Wort Gottes vielfach als Bilder auf die verschiedenen Teile des Werkes des Herrn angewandt.1
Nennen wir zuerst zwei der Gleichnisse des Reiches der Himmel, die unser Herr selbst ausgesprochen hat: das des Sämanns mit dem vierfachen Ackerfeld und das des Ackers mit dem Weizen und dem vom Feind darunter gesäten Unkraut (Mt 13).
«Der den guten Samen sät, ist der Sohn des Menschen; der Acker aber ist die Welt», sagt der Herr im zweiten Gleichnis. Das erste zeigt uns, dass die Schollen des Ackers die Menschenherzen sind, in die das lebendige Wort Gottes fällt und daraus Frucht hervorzubringen vermag. Wie alle Samenkörner eine vom Schöpfergott in sie hineingelegte Wachstumskraft besitzen, so auch der Same des Wortes Gottes: «Es wird nicht leer zu mir zurückkehren», sagt Gott, «sondern es wird ausrichten, was mir gefällt, und durchführen, wozu ich es gesandt habe» (Jes 55,11). Es wird in diesem Abschnitt mit dem Regen und dem Schnee verglichen, «der vom Himmel herabfällt und nicht dahin zurückkehrt, wenn er nicht die Erde getränkt und befruchtet und sie hat sprossen lassen und dem Sämann Samen gegeben hat und Brot dem Essenden».
Der Feind sucht uns zu entmutigen, indem er auf die Gleichgültigkeit der Menschen hinweist, und auf die wenige Frucht, die unsere Bemühungen anscheinend zeitigen. Lassen wir uns durch ihn nicht täuschen! Er weiss nur zu gut, dass das Wort Gottes Frucht bringt, und wir dürfen und sollen es auch in unseren Herzen festhalten. Der Landmann, der Weizenkörner sät, weiss, dass es keine Sandkörner sind, und dass sie, den Segen des Himmels vorausgesetzt, ihm Ernte und Brot einbringen werden. Die Verkündigung des Wortes Gottes, jede Aussaat der Wahrheit durch Wort oder Schrift, hat für uns dieselben Verheissungen. Die Aussaat ist deshalb äusserst wichtig. Ist es einerseits wahr, dass Gott allein «das Wachstum gibt» (1. Kor 3,6), so hat Er als Schöpfergott sein Tun anderseits mit dem Fleiss des Landmanns verbunden. Der Bauer, der sein Feld bestellt und besät, bleibt zwar von Gott abhängig, hat aber Aussicht auf eine Ernte. Es gefällt Gott im Allgemeinen, die Saaten zu segnen. Der Faule hingegen mag wegen des Winters (oder wie es in der Fussnote heisst, mit Eintritt des Herbstes) nicht pflügen; zur Erntezeit wird er begehren, und nichts ist da (Spr 20,4).
In unseren Gesprächen wird manchmal der Gedanke geäussert: «Es kommt vor allem auf das Zeugnis des Wandels an». Damit will man sagen: «Das Zeugnis des Wortes ist weniger wichtig». Den ersten Gedanken lassen wir durchaus stehen. Bezüglich des zweiten aber spricht das Wort anders. Schreibt doch der Apostel: «Ich bezeuge ernstlich vor Gott und Christus Jesus, der richten wird Lebende und Tote, und bei seiner Erscheinung und seinem Reich: Predige das Wort, halte darauf zu gelegener und ungelegener Zeit; überführe, weise ernstlich zurecht, ermahne mit aller Langmut und Lehre» (2. Tim 4,1-2). Obwohl es sich eher um den Dienst des Wortes innerhalb der Christenheit und weniger um die ersten Elemente des Evangeliums handelt, ist dieser Ausspruch grundsätzlich aber auch wahr im Blick auf die Verkündigung des Wortes an Unbekehrte.
Wie die Saat, so die Ernte – ist ein eiserner Grundsatz der Natur. «Wer sparsam sät, wird auch sparsam ernten, und wer segensreich sät, wird auch segensreich ernten» (2. Kor 9,6). In diesem Kapitel haben wir einen anderen Aspekt von Saat und Ernte als den der Verkündigung des Wortes. Der Apostel schreibt hier vom «Dienst für die Heiligen», in Form eines Beitrags für die bedürftigen gläubigen Juden in Jerusalem. Doch können wir seine Belehrungen grundsätzlich auf jede Darreichung von Mitteln für das Werk des Herrn anwenden. Der Apostel zitiert in Bezug auf die Armen das Wort aus Psalm 112,9: «Er hat ausgestreut, er hat den Armen gegeben; seine Gerechtigkeit bleibt in Ewigkeit» (Vers 9). Dann fährt er weiter: «Der aber, der dem Sämann Samen darreicht und Brot zur Speise, wird eure Saat darreichen und vermehren und die Früchte eurer Gerechtigkeit wachsen lassen, indem ihr in allem reich gemacht werdet zu aller Freigebigkeit, die durch uns Gott Danksagung bewirkt» (Verse 10 und 11).
Wir sahen schon, dass «Gott die Glieder gesetzt hat, jedes einzelne von ihnen an dem Leib, wie es ihm gefallen hat» (1. Kor 12,18). Er tut dies in wunderbarer, göttlicher Weisheit, wie wir sie auch in der Anordnung der Glieder unseres menschlichen Leibes wahrnehmen können. Er «hat den Leib zusammengefügt, indem er dem Mangelhafteren reichlichere Ehre gegeben hat, damit keine Spaltung in dem Leib sei, sondern die Glieder dieselbe Sorge füreinander hätten» (Vers 24-25). Ein jeder, der den Herzenswunsch hat, sich am Werk des Herrn zu beteiligen, kann es in irgendeiner ihm angepassten und zustehenden Weise tun. Dem einen mag der Herr eine Gabe anvertraut haben, einem anderen irgendeinen Dienst in einer örtlichen Versammlung, einem anderen materielle Mittel, durch die er das Werk wirksam unterstützen kann, wieder einem anderen ein Haus, in dem er der Versammlung (und damit dem Herrn) Unterkunft gewähren kann; andere schliesslich, besonders Schwestern, befähigt Er zu «Hilfeleistungen» (1. Kor 12,28) bei der Ausübung von Gastfreundschaft oder bei eintretenden Notfällen. Bei all seiner äusseren Bescheidenheit ist das Werk des Herrn doch gross und mannigfaltig. Die Bereitschaft zum Dienst, die umgürteten Lenden, sind für uns alle von entscheidender Bedeutung. Aus dem Alten Bund, unter dem die Leviten den Dienst zu verrichten hatten, sei hier eine ermunternde Stelle angeführt: «Und wenn der Levit kommen wird aus einem deiner Tore, aus ganz Israel, wo er sich aufhält, und er kommt nach all seiner Herzenslust an den Ort, den der HERR erwählen wird, und verrichtet den Dienst im Namen des HERRN, seines Gottes, wie alle seine Brüder, die Leviten, die dort vor dem HERRN stehen, so sollen sie zu gleichen Teilen essen, ausser dem, was er von seinem väterlichen Eigentum verkauft hat.» (5. Mo 18,6-8).
Über Saat und Ernte hat schon der weise Prediger in seinem Buch (Pred 11,1-6) sehr belangreiche Worte geschrieben:
Vers 1: «Wirf dein Brot hin auf die Fläche der Wasser, denn nach vielen Tagen wirst du es finden.» Die im Herbst oder im Frühjahr vom Wasser durchtränkten Äcker sind hier die Fläche der Wasser. Das Getreide, das Brot, das der Bauer sonst essen könnte, muss er als Saat ausstreuen. Nach vielen Tagen (nicht morgen oder übermorgen, wie unsere ungeduldigen Herzen es wünschten), wird er es als Ernte wiederfinden. Die «vielen Tage» weisen auf den Tag der Ewigkeit hin.
Vers 2: «Gib einen Teil an sieben, ja, sogar an acht; denn du weisst nicht, was für ein Unglück sich auf der Erde ereignen wird.» Hast du beim Austeilen schon sieben bedacht (eine vollkommene Zahl), so zögere nicht, eventuell noch einen achten hinzuzunehmen. Im Gegensatz zum Prediger wissen wir durch Offenbarung, dass sich die Gerichte Gottes bald über diese Erde ergiessen werden. Auch ist es uns bewusst, dass beim Tod eines Menschen seine ewige Bestimmung endgültig entschieden ist (siehe Vers 3).
Vers 4: «Wer auf den Wind achtet, wird nicht säen, und wer auf die Wolken sieht, wird nicht ernten», d.h. wer sich durch die Umstände, durch Schwierigkeiten von der Aussaat abhalten lässt, wird keine Ernte haben.
Vers 5: «Wie du nicht weisst, welches der Weg des Windes ist, wie die Gebeine in dem Leib der Schwangeren sich bilden, ebenso weisst du das Werk Gottes nicht, der alles wirkt»: Die Aussaat muss eine Sache des Glaubens sein. Sie ist mit einem verborgenen Werk Gottes verbunden, einem Werk, das sich der Kenntnis der Ausstreuenden gänzlich entzieht. Wir sehen vielleicht lange wenig oder gar keine Frucht von unseren Bemühungen. Die Ewigkeit wird sie aber, als Ergebnis des verborgenen Werkes Gottes, offenbar machen.
Vers 6: «Am Morgen säe deinen Samen, und am Abend zieh deine Hand nicht ab; denn du weisst nicht, welches gedeihen wird: ob dieses oder jenes, oder ob beides zugleich gut werden wird.» Wir sind in Bezug auf den Erfolg unserer Arbeit ganz von Gott abhängig. Die Aussaat hat mit Ausdauer zu geschehen. «Morgen» und «Abend» mögen hier auf die Zeit unserer Jugend, in der wir mit der Aussaat beginnen, und auf die Zeit unseres Älterwerdens, in der wir unentwegt weiter ausstreuen sollen, gedeutet werden. Vielleicht wird das eine gedeihen, vielleicht das andere, vielleicht sogar beides zugleich. Eine versteckte Verheissung liegt in diesem Vers, indem die Möglichkeit, dass keines gedeihen werde, nicht erwähnt wird. Darin liegt eine grosse Ermunterung für einen jeden, der sich durch Wort, durch Schrift, oder durch Darreichung von Mitteln für den Herrn, an der Aussaat beteiligt.
Der Prediger gibt uns in Verbindung mit unserem Gegenstand überdies noch einen praktischen Wink: «Alles, was du zu tun vermagst mit deiner Kraft, das tu» (Pred 9,10).
Bei der Aussaat wirft der Sämann seine Körner gleichsam weg; er kann unmöglich nachsehen, ob jedes am richtigen Ort sei, wo es wachsen kann. Das ist aus dem Gleichnis vom Sämann klar ersichtlich. Im Gegensatz dazu sagt der Apostel in 1. Korinther 3,6: «Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber hat das Wachstum gegeben», was auf eine eingehende Bemühung mit einzelnen Seelen hinweist. Im Werk des Herrn kann Er uns solche besonders ans Herz legen.
Die Zeit der Aussaat ist meist eine trübe Zeit, wie der Herbst oder der Vorfrühling. So sind auch unsere gegenwärtigen bösen Tag mit ihren Prüfungen, Nöten und Tränen, mit einer solch trüben Zeit der Aussaat vergleichbar. Die Ernte hingegen findet in den lichten, warmen Monaten statt. Sie erstattet dem Landmann die ausgestreuten Saatgüter hundert-, sechzig-, oder dreissigfältig. «Und Isaak säte in jenem Land und gewann in dem Jahr das Hundertfache; und der HERR segnete ihn» (1. Mo 26,12). Die Ernte belohnt den Sämann für all seine Mühe und ist daher eine Zeit der Freude. Beides, Leid und Freude werden im 126. Psalm einander sehr schön gegenübergestellt. «Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten. Er geht hin unter Weinen und trägt den Samen zur Aussaat; er kommt heim mit Jubel und trägt seine Garben» (Verse 5.6). Wie gross wird die Freude unseres Herrn sein, wenn Er die Frucht der Mühsal seiner Seele in ihrer ganzen Fülle eingesammelt hat und vor sich sehen wird. An dieser seiner Freude wird Er uns in Gnaden Anteil schenken, indem auch wir, im Verhältnis zu unserer Aussaat, eine Ernte vorfinden werden. Der Prophet Jesaja preist darum die glückselig, «die an allen Wassern säen» (Jes 32,20). Auch er spricht von der Freude der Ernte: «Sie freuen sich vor dir, gleich der Freude in der Ernte, wie man frohlockt beim Verteilen der Beute» (Jes 9,2).
Unser Herr selbst sprach so schön über Saat und Ernte: «Der erntet, empfängt Lohn und sammelt Frucht zum ewigen Leben, damit beide, der sät und der erntet, zugleich sich freuen. Denn hierin ist der Spruch wahr: Einer ist es, der sät, und ein anderer, der erntet. Ich habe euch gesandt, zu ernten, woran ihr nicht gearbeitet habt; andere haben gearbeitet, und ihr seid in ihre Arbeit eingetreten» (Joh 4,36-38).
Ist es nicht für einen jeden von uns der Mühe wert, in dem uns vom Herrn zugewiesenen Bereich seines Werkes treu dazustehen, die Lenden umgürtet, die Lampen brennend und Ihn erwartend, bis dass Er kommt? Möge Er uns dazu seine Gnade schenken!
- 1Sie stellen auch das ganze Leben des Menschen dar: «Was irgend ein Mensch sät, das wird er auch ernten» (Gal 6,7). Die Ernte ist zudem ein Bild der Gerichte. Sie weist hin auf ausgereifte Zustände sowohl des Guten als auch des Bösen: Siehe z.B. Matthäus 13,24-32,36-43 und auch Offenbarung 14,14-20, in Bezug auf die Ausscheidung und auf das Gericht des Bösen.