Wer ist Jesus? (7)

Kolosser 1,13

Der geliebte Sohn des Vaters

«Der Sohn seiner Liebe» (Kol 1,13)

1. Sein einziger geliebter Sohn (Mk 12,6)

In dem Gleichnis schildert der Herr die ganze Geschichte Israels, seine Untreue, die Verfolgungen, mit denen es den Propheten begegnete. Schliesslich sandte der Meister seinen einzigen, geliebten Sohn zu ihnen. Ihn töteten sie und warfen ihn zum Weinberg hinaus. Die Führer des Volkes verstanden sehr gut, «dass er das Gleichnis auf sie geredet hatte» (V. 12).

In der Schrift werden drei Ausdrücke verwendet, um von diesem Kommen des Sohnes auf die Erde zu uns zu reden:

a. Ausgegangen

«Der Vater selbst hat euch lieb, weil ihr mich lieb gehabt und geglaubt habt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin von dem Vater ausgegangen und bin in die Welt gekommen; wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater» (Joh 16,27.28).

In einigen Worten stellt uns der Herr Jesus seinen ganzen Weg dar, so wie Philipper 2,6-9 ihn uns in anderen Ausdrücken aufzeigt.

Die eine wie die andere Stelle übersteigt unser Begriffsvermögen unendlich. Eins mit dem Vater, eins mit Ihm in seiner Macht, eins mit Ihm in seiner Liebe, ist Er vom Vater «ausgegangen», um in diese Welt zu kommen. Die Jünger hatten durch den Glauben begriffen, dass Er von Gott ausgegangen war. Aber der Herr Jesus unterstreicht, dass Er von dem Vater gekommen ist. Was schliesst dieser Ausdruck «ausgegangen» in sich? Er erinnert daran, dass Er sich «zu nichts machte» (Phil 2,7), was wir in der ganzen Tiefe nicht voll erfassen können. Er ist ausgegangen, Er hat sich selbst entäussert, Er hat sich zu nichts gemacht, indem Er Mensch wurde. Dennoch blieb seine glückliche Gemeinschaft mit dem Vater ungetrübt bestehen. Die Ausdrücke des Wortes veranschaulichen unseren Herzen ein wenig, was es den Herrn Jesus alles gekostet hat, eine solche Erniedrigung anzunehmen, indem Er «Knechtsgestalt annahm», um in diese Welt zu kommen. Und jetzt sagt Er, wie es scheint mit einer unendlichen Erleichterung (vgl. Joh 14,28): «Wiederum verlasse ich die Welt.» Er war im Begriff, das Werk zu vollbringen, das der Vater Ihm zu tun gegeben hatte, und Er würde dann zu Ihm gehen können. Aber wie schmerzvoll war der Weg, der dorthin führte (Phil 2,8). Dennoch hat Er, «die Schande nicht achtend, für die vor ihm liegende Freude das Kreuz erduldet» (Heb 12,2). Und mit welch einer Freude verkündigte Er Maria: «Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater!»

b. Gesandt

«Hierin ist die Liebe Gottes zu uns offenbart worden, dass Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben möchten. Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn gesandt hat als Sühnung für unsere Sünden. … Und wir haben gesehen und bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat als Heiland der Welt» (1. Joh 4,9.10.14).

Wir haben Gott nicht geliebt, aber Er hat uns geliebt. Der höchste Beweis für diese Liebe liegt darin, dass Er seinen Sohn gesandt hat. In seinem Gebet in Johannes 17 wiederholt der Herr Jesus diese Tatsache sechsmal, indem Er von seinen Jüngern sagt: «Sie haben geglaubt, dass du mich gesandt hast» (V. 8). Alle, die «durch ihr Wort» an Ihn glauben werden, sind «eins» in dem Vater und dem Sohn, «damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast» (V. 21).

Der Blindgeborene in Johannes 9 gibt uns ein treffendes Beispiel dafür. Jesus spie auf die Erde und bereitete einen Brei aus seinem Speichel und strich den Brei wie Salbe auf die Augen des Blinden. Dieser Brei, Staub der Erde mit seinem Speichel vermischt, stellt seine Menschheit dar. Jesus von Nazareth, dem man begegnete, wie Er durch Städte und Dörfer und die Strassen Jerusalems zog, war scheinbar ein Mensch wie ein anderer. Es war so, wie man schon gesagt hat: Er hat «die Gestalt Gottes» unter der eines verachteten Galiläers verdeckt. Der Blinde sah noch nichts, nachdem der Brei auf seine Augen gestrichen worden war. Aber er ging zum Teich Siloam, was «gesandt» oder «Gesandter» bedeutet (V. 7). Dann gingen ihm die Augen auf. Der Glaube, der im verachteten Galiläer den Gesandten vom Vater erkennt, hat geöffnete Augen; derjenige aber, «der sein Wort nicht bleibend in sich hat», glaubt nicht, dass der Vater Ihn gesandt hat (Joh 5,38). Doch die Werke selbst, die Er vollbrachte, zeugen von Ihm, dass der Vater Ihn gesandt hat (V. 36).

c. Gekommen

Er ist auch aus seiner eigenen Entscheidung «gekommen», obgleich er «in dem Namen seines Vaters gekommen ist» (Joh 5,43).

Indem Er alle Opfer des alten Bundes auf die Seite stellte, sagte Er bei seinem Kommen in die Welt: «Siehe, ich komme, … um deinen Willen, o Gott, zu tun. … Durch diesen Willen sind wir geheiligt durch das ein für alle Mal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi» (Heb 10,5-10). – «Christus aber, gekommen … mit seinem eigenen Blut, ist ein für alle Mal in das Heiligtum eingegangen, als er eine ewige Erlösung erfunden hatte» (Heb 9,11.12).

Vom Vater ausgegangen, von Ihm gesandt und in diese Welt gekommen, «ist er der eingeborene Sohn, der im Schoss des Vaters ist, der ihn kundgemacht hat» (Joh 1,18). In dieser innigen, ununterbrochenen Beziehung, «dem Schoss des Vaters», hat Er den Gott kundgemacht, den niemand jemals gesehen, der sich jetzt aber offenbart hat, nicht nur als Gott, sondern als Vater. «Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen … Glaubst du nicht, dass ich in dem Vater bin und der Vater in mir ist?» (Joh 14,9.10).

2. Der Vater liebt den Sohn

«Vater … du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt» (Joh 17,24). Das ist eine Liebe, die weit über uns und ausserhalb von uns steht, ein ewiges Band zwischen dem Vater und dem Sohn vor aller Schöpfung, der Ausdruck einer tiefen Freude (Sprüche 8,30), die Er allein in ihrem Vollmass kennt.

«Der Vater hat den Sohn lieb und zeigt ihm alles, was er selbst tut» (Joh 5,20). Der Sohn, in vollkommener Abhängigkeit auf der Erde, nicht ein vom Vater getrennter Gott, sondern in voller Gemeinschaft mit ihm, ist der Gegenstand der Liebe des Vaters.

«Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse» (Joh 10,17). Die ewige Liebe des Vaters, die auf seinem Sohn ruhte, der auf der Erde wandelte, ist nicht unterbrochen, sondern im Gegenteil vielmehr vertieft worden – wenn man das sagen darf – weil der Sohn sein Leben gab. Ohne Zweifel, Gott hat Ihn verlassen; denn «er hat den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht» (2. Kor 5,21). Aber wenn Gott in seiner Gerechtigkeit Ihn in den Stunden der Finsternis, wo Er «zur Sünde gemacht» war, verlassen hat, ruhte doch in der Hingabe seines Lebens die ganze Liebe des Vaters auf Ihm.

«Der Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegeben» (Joh 3,35). Das ist, wie wir gesehen haben, das Geheimnis seines Willens, «alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus» (Eph 1,10). Auch wenn Er alles seinen Füssen unterworfen haben wird, wird die Liebe des Vaters für immer auf Ihm ruhen.

3. Dieser ist mein geliebter Sohn

Diese Liebe des Vaters zum Sohn musste öffentlich bezeugt und den Seinen bewusst werden.

Jesus war von Galiläa an den Jordan gekommen, um von Johannes getauft zu werden. Dadurch nahm Er, obwohl selbst ohne Sünde, den Platz inmitten derer ein, die Buße taten. Aber der Vater wollte nicht, dass Er zu den sündigen Menschen gerechnet werde. Als Jesus aus dem Wasser heraufstieg, wurden Ihm die Himmel aufgetan und der Geist Gottes fuhr wie eine Taube herab und kam auf Ihn. Die Stimme des Vaters, die aus dem Himmel kam, sagte: «Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe» (Mt 3,13-17). In Markus 1,9 kommt Er aus Nazareth, der verachteten Stadt. Dort richtet sich die Stimme an Ihn selbst: «Du bist mein geliebter Sohn …» In Lukas 3,21 sehen wir den vollkommen abhängigen Menschen: Während Er betete, wurde der Himmel aufgetan, der Heilige Geist stieg herab und die Stimme aus dem Himmel bezeugte: «Du bist mein geliebter Sohn …»

«Nach sechs Tagen» (der Arbeit und des Dienstes) nimmt Jesus die drei Jünger mit sich und «führt sie für sich allein auf einen hohen Berg». Er wird umgestaltet; Mose und Elia erscheinen ihnen. Petrus stellt die drei auf die gleiche Ebene; aber die Stimme des Vaters lässt sich aus der lichten Wolke, die früher Israel durch die Wüste führte, vernehmen: «Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe; ihn hört» (Mt 17,5). Mose, der Gesetzgeber – Elia, der Prophet alle beide verschwinden: «Als sie aber ihre Augen erhoben, sahen sie niemand als Jesus allein.» Die Zeit des Gesetzes war abgelaufen; die Prophetie erfüllte sich, Jesus allein blieb vor den Augen der drei Jünger, aber nicht allein als der König und der Messias in seiner Herrlichkeit, sondern als der geliebte Sohn des Vaters.

In Lukas 9 ist es der achte Tag, der erste Tag einer neuen Woche, an dem diese Szene stattfand. Mose und Elia redeten über «seinen Ausgang, den er in Jerusalem erfüllen sollte». Viele Vorbilder, die Mose eingesetzt hatte, redeten von seinem Tod; die Propheten hatten «die Leiden, die auf Christus kommen sollten», angekündigt. Jetzt stand alles im Begriff, sich in Jerusalem, das Ihn verworfen hatte, zu erfüllen. Die drei Jünger waren «vom Schlaf beschwert; als sie aber völlig aufgewacht waren, sahen sie seine Herrlichkeit». Sie fürchteten sich, als die Wolke sie umhüllte. Das war der Wohnort des HERRN. Aber jetzt war die Stimme, die aus der Wolke kam, die des Vaters; und Jesus wurde allein mit ihnen gefunden.

Die Jünger schwiegen; sie verkündeten in jenen Tagen niemand etwas von dem, was sie gesehen hatten. Es gibt im Leben eines Gläubigen Augenblicke, die sich nur zwischen seinem Herrn und ihm abspielen; es geziemt sich nicht, öffentlich darüber zu reden. Von der Zusammenkunft des auferstandenen Herrn mit Simon, der Ihn verleugnet hatte, wird uns nichts berichtet (Lukas 24,34). Später gab es eine öffentliche Wiederherstellung, aber das, was sich zwischen Petrus und seinem Meister zugetragen hat, bleibt ein Geheimnis. – Erst am Ende seines Lebens erinnerte der alte Apostel mit Ergriffenheit an die Begebenheit, die uns im Einzelnen in den Evangelien mitgeteilt ist. Wir waren «mit ihm auf dem heiligen Berg» und haben die Stimme gehört, die von der prachtvollen Herrlichkeit an Ihn erging (2. Pet 1,17.18).

4. Die offenbarte Liebe

Diese Liebe des Vaters zum Sohn wird zum Mass der Liebe des Vaters zu den Erlösten und der Liebe des Sohnes gegen die, für die Er so viel gelitten hat.

Bevor Jesus die Seinen verliess, richtete Er sich an sie mit den Worten: «Wie der Vater mich geliebt hat, habe auch ich euch geliebt» (Joh 15,9). Diese reine, unergründliche Liebe, die Er selbst genoss, ist die gleiche, die Er gegen die Seinen entfaltet.

Aber Er fügt in seinem Gebet zum Vater hinzu: «Du hast sie geliebt, wie du mich geliebt hast» (Joh 17,23). Die unaussprechliche Liebe, die auf dem Sohn ruht, ist die gleiche Liebe, die auf den Erlösten des Herrn ruht.

Man hat diese Stellen mit dem Rahmen eines Bildes verglichen. Auf dem oberen Querteil steht: Der Vater liebt den Sohn. Auf der einen senkrechten Stütze steht: Wie der Vater mich geliebt hat, habe auch ich euch geliebt. Auf der andern Senkrechten: Du hast sie geliebt, wie du mich geliebt hast. Und auf dem unteren Querteil stehen die Worte: «Damit, wie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebet» (Joh 13,34).

Wer ist Jesus? – Der Sohn Gottes – der Sohn des Menschen – der Heiland – der Christus – der Herr – der, den alle Schriften des Alten Testaments uns im Vorbild enthüllen – der geliebte Sohn des Vaters.

«Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen» (Joh 17,3).