Wer ist Jesus? (2)

Der Sohn des Menschen

Der Sohn des Menschen

«Anerkannt gross ist das Geheimnis der Gottseligkeit», sagt uns 1. Timotheus 3,16: «Er ist offenbart worden im Fleisch.» Im Alten Testament hatte Gott sich auf verschiedene Weise zu erkennen gegeben: durch Träume, durch Gesichte, durch die Erscheinung eines Engels, durch das Wort, das Er durch die Propheten «vielfältig und auf vielerlei Weise» geredet hatte. Aber das Evangelium stellt dieses aussergewöhnliche Geheimnis vor uns: «Das Wort wurde Fleisch», d.h. es wurde Mensch.

Für eine Zeit hat Er unter uns «gewohnt» (sein Zelt aufgeschlagen). Da hat Er seine Herrlichkeit gezeigt, nicht die eines Königs, der über alle Dinge herrscht, nicht die des Schöpfers, sondern die eines vollkommenen Menschen, seine moralische Herrlichkeit «als eines Eingeborenen vom Vater voller Gnade und Wahrheit». Und die Evangelien entfalten vor den Blicken unseres Glaubens die ganze Vollkommenheit des Lebens des «Menschen Christus Jesus».

In wenigen Worten, aber wie genau und eindringlich, stellt uns Philipper 2,6-8 die Tiefe dieser Erniedrigung vor. Christus Jesus, bestehend «in Gestalt (oder im Wesen) Gottes», das Wesen seines Lebens seiend, hat es nicht wie Satan (Jes 14,14) oder wie der Mensch, angestiftet durch den Verführer (1. Mo 3,5), «für einen Raub geachtet, Gott gleich zu sein». Ohne Zweifel war und ist Er immer Gott. Aber Er war bereit, «sich selbst zu nichts zu machen» (und nur Er allein konnte dies tun), sich der Zeichen seiner Herrlichkeit zu entäussern (ohne aufzuhören in der Gestalt – oder im Wesen – Gottes zu sein).

Er hat «Knechtsgestalt» angenommen, das ganze Leben, das zu einem Sklaven gehörte, «indem er in Gleichheit der Menschen geworden ist». An sich ist der Mensch ein Sklave Gottes, ein Diener Gottes; als Geschöpf ist er es notwendigerweise. Aber der Herr Jesus ist es freiwilligerweise geworden. Unterstreichen wir, dass Er «in Gleichheit» der Menschen geworden ist (vgl. Röm 8,3), denn Er war ohne Sünde. Er hat keine Sünde getan (1. Pet 2,22); Er hat Sünde nicht gekannt (2. Kor 5,21); «und Sünde ist nicht in ihm» (1. Joh 3,5).

Eine zweite Stufe seiner Erniedrigung wird uns in Philipper 2,8 vorgestellt: «Und in seiner Gestalt (oder äusseren Erscheinung) wie ein Mensch erfunden, erniedrigte er sich selbst.» Ein Mensch unter den Menschen, als solcher hat Er sich erniedrigt. Er hat keine bedeutende Stellung beansprucht; Er hat sich nicht mit königlicher Herrlichkeit bekleidet, wie Er es später tun wird; Er hat weder den Beifall noch das Ansehen seitens der Führer seiner Zeit gesucht. In dieser Erniedrigung ist Er «gehorsam geworden bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz».

Hebräer 5,7.8 enthüllt uns, zu welchen Leiden Ihn dieser Gehorsam geführt hat: «Der in den Tagen seines Fleisches, da er sowohl Bitten als Flehen dem, der ihn aus dem Tod zu erretten vermochte, mit starkem Schreien und Tränen dargebracht hat … obwohl er Sohn war, an dem, was er litt, den Gehorsam lernte.» Er hat die Erfahrung machen müssen, was der Gehorsam für einen Menschen bedeutete, und zwar für einen Menschen, der Gottes Wille bis zum Schluss erfüllen wollte. Die Vollkommenheiten des Dieners haben Ihm nicht das Verdienst eingebracht, Sohn Gottes genannt zu werden. Es wäre schon bemerkenswert gewesen, wenn ein Mensch sich in seinem Leben hätte so verhalten können, dass Er diesen Titel verdient hätte. Aber ist es nicht unendlich viel grösser, dass der Sohn Gottes Diener geworden ist!

Vergessen wir jedoch nicht, dass es «das Wohlgefallen der ganzen Fülle (der Gottheit) war, in ihm – diesem erniedrigten Menschen – zu wohnen» (Kol 1,19). Er war Emmanuel, «Gott mit uns» (Mt 1,23). «Gott war in Christus», als Er die Welt mit sich selbst versöhnen wollte (2. Kor 5,19). Er war und ist wahrer Gott und wahrer Mensch.

Nach dem 1. Johannes-Brief sollten wir Ihn in dreierlei Hinsicht bekennen: «Jeder Geist, der Jesus Christus im Fleisch gekommen bekennt, ist aus Gott.» – «Wer irgend bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in ihm bleibt Gott und er in Gott.» –»Jeder, der glaubt, dass Jesus der Christus ist, ist aus Gott geboren» (1. Joh 4,2.15; 5,1).

Wie viele Irrlehren haben sich verbreitet, die nicht «Jesus Christus im Fleisch kommend» (2. Joh 7) oder nicht Jesus als Sohn Gottes bekennen. «Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmt ihn nicht ins Haus auf» (Vers 10). Wie sehr kümmert sich Gott um alles das, was die Person seines Sohnes antastet!

Dass Er der Sohn des Menschen sei, sagt Er zum ersten Mal selbst in Matthäus 8,20 in einer bemerkenswerten Aussage: «Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester, aber der Sohn des Menschen hat nicht, wo er das Haupt hinlege.» Aber am Kreuz hat Er sein Haupt «hingelegt», als Er es neigte und den Geist dem Vater übergab. (Das Wort «neigen» in Johannes 19,30 ist im Grundtext der gleiche Ausdruck wie für das Wort «hinlegen» in Matthäus 8,20!)

1. Seine Empfängnis

Jesaja 7,14 hatte schon angekündigt: «Die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären.» Aber man muss zum Evangelium kommen, um die Tragweite der Prophetie zu verstehen.

In Lukas 1,35 antwortet der Engel der Maria, die erstaunt ist, empfangen zu können, da sie doch keinen Mann kannte: «Der Heilige Geist wird auf dich kommen, und Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren werden wird, Sohn Gottes genannt werden.» Maria war eine Jungfrau, mit Joseph verlobt. Es hatte zwischen ihnen keinerlei Beziehung gegeben, die zu einer Empfängnis hätte führen können. In Matthäus 1,18-23 gibt der Geist Gottes genau an, dass sie, «ehe sie zusammengekommen waren», schwanger wurde von dem Heiligen Geist. Joseph machte sich Sorgen darüber. Aber der Engel des Herrn kommt, um ihn zu beruhigen: «Das in ihr Gezeugte ist von dem Heiligen Geist. Sie wird aber einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen Jesus nennen; denn er wird sein Volk erretten von ihren Sünden.» So erfüllte sich die Weissagung Jesajas (Vers 23). Zu Joseph sprach der Engel vom Erretter; zu Maria sprach er von dem, der herrschen würde, denn durch sie war Er Sohn Davids dem Fleisch nach (Mt 1,16).

2. Seine Geburt

Micha 5,1 hatte angekündigt, dass der Christus in Bethlehem geboren werden sollte. Joseph und Maria aber wohnten in Nazareth. Wie würde Gott handeln, um Maria in die Stadt Davids zu führen, damit sie dort gebäre? Gott steht über allem. Vom Kaiser wurde eine Verordnung erlassen, um eine Volkszählung durchzuführen (die tatsächlich erst später stattfand!). Diese Verfügung führte Joseph wie alle andern Juden dazu, in die Stadt seiner Herkunft, nach Bethlehem, hinaufzugehen, «er aus dem Haus und der Familie Davids war» (Lk 2,4). Maria, «seine verlobte Frau», war schwanger. Während sie dort waren, brachte sie ihren erstgeborenen Sohn zur Welt, wickelte Ihn in Windeln und legte Ihn in eine Krippe. Es hatte für sie keinen Platz gehabt in der Herberge. Ihre erste Tat im Blick auf diesen Sohn war, dass sie «ihn in Windeln wickelte»; als man seinen Leib vom Kreuz herabnahm, war die letzte Tat, dass man «ihn in Leinentücher wickelte» (Joh 19,40).

Das Geschlechtsregister in Matthäus 1, wo es wie in einem Refrain immer wieder heisst, der und der zeugte den und den, endet mit Joseph, von dem genau angegeben wird: «der Mann der Maria, von der Jesus geboren wurde, der Christus genannt wird» (Vers 16).

Dieses Kind, «in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend», war «das Zeichen» für die Hirten, denen der Engel erschienen war; um ihnen «eine grosse Freude» zu verkündigen, «die für das ganze Volk sein wird; denn euch ist heute in der Stadt Davids ein Erretter geboren, welcher ist Christus, der Herr». Für die Magier, die ein wenig später kamen, um den König anzubeten, war das Zeichen ein Stern. Die Hirten gingen bis nach Bethlehem und fanden Maria und Joseph und das kleine Kind. «Als sie es aber gesehen hatten», redeten sie überall von Ihm. Ihr Blick war nicht so sehr auf Maria und Joseph gerichtet, als vielmehr auf dieses Kind, dessen unendliche Grösse ihnen offenbart worden war. Sie kehrten zurück «und verherrlichten und lobten Gott» und so das Echo der Menge der himmlischen Heerscharen bildeten, die Gott lobten und Ihm Ehre gaben.

Die Ursache der Freude war «gross», sie war «für das ganze Volk». Das steht im Gegensatz zu Lukas 1,14, wo die Freude für Zacharias war und für viele, die sich über die Geburt des Täufers freuten. Jener bereitete den Weg des Herrn; das Kind in Bethlehem war der Herr selbst.

Als Er acht Tage alt war, wurde Er beschnitten. Indem sie sich in allem nach dem Gesetz richteten, brachten Ihn seine Eltern, nachdem 40 Tage erfüllt waren, nach Jerusalem zur Reinigung, nicht seiner eigenen, sondern der der Maria, gemäss 3. Mose 12,7 («für sie»). Es ist zu bemerken, dass die Eltern Jesu kein Lamm opfern konnten, sie waren zu arm. Sie konnten nur ein Paar Turteltauben darbringen.

Als sie mit dem Kind in den Tempel traten, bemerkte niemand, wer dieser war, weder die Priester noch die Führer im Tempel. Nur der alte Simeon kam, geleitet durch den Geist, nahm das Kind auf seine Arme und lobte Gott, weil seine Augen das Heil Gottes gesehen hatten. Der Vater und die Mutter verwunderten sich über diese Dinge, «und Simeon segnete sie» Haben wir bemerkt, dass er die Eltern, nicht das Kind segnete? «Ohne allen Widerspruch aber wird das Geringere von dem Besseren gesegnet» (Heb 7,7). Wie hätte Simeon das Kind segnen können, da er selbst seine Segnung nötig hatte?

Die Prophetin Anna, die in ihren Tagen weit vorgerückt war, aber nicht von dem Tempel wich, trat in diesem Augenblick herzu. Sie lobte den Herrn und «redete von Ihm». Von wem sprach sie? Sicher von diesem Kind, aber wer anders als der Herr war dieses Kind?

Etwas später kamen die Magier vom Morgenland. Der Stern hatte sie zum «König der Juden» geführt (Mt 2,2). Als sie nach Bethlehem gekommen waren, traten sie in das Haus und sahen das Kind mit Maria, seiner Mutter. Aber sie fielen vor Ihm nieder, huldigten Ihm und opferten Ihm ihre Schätze:

  • Gold (das kostbarste Metall in der Bibel, das von der Gottheit spricht),
  • Weihrauch (der Wohlgeruch, der zu Gott aufsteigt, wie er während des ganzen Lebens von dem vollkommenen Menschen aufgestiegen ist)
  • und Myrrhe (die Bitterkeit seiner Leiden).

Diese Opfergaben lassen uns an die Anbetung in Geist und Wahrheit denken, die wir Gott durch Christus darbringen können.

Aber das Aussergewöhnlichste, ist das nicht die Flucht nach Ägypten? Gott hätte wohl ein Wunder vollbringen können, um seinen Sohn zu schützen. Aber nichts Derartiges wird zugunsten von Jesus getan. Er ist als Mensch auf dieser Erde. Als kleines Kind, von seinen Eltern mitgenommen, muss Er wie ein Flüchtling im fremden Land bleiben, bis Herodes gestorben ist, um anschliessend in Nazareth zu wohnen, wo Er «auferzogen» wurde!

3. Mit zwölf Jahren

Es wird uns nichts über dieses Leben in Nazareth gesagt. Er wird «der Sohn des Zimmermanns» genannt, oder sogar «der Zimmermann», womit seine Beschäftigung genauer angegeben wird. Indessen wollte uns der Geist Gottes dieses aufschlussreiche Vorkommnis, dass Er mit zwölf Jahren mit seinen Eltern zum Passahfest nach Jerusalem hinaufging, erhalten. Dort blieb Er allein zurück, trotz der Besorgnis, die dies besonders bei seiner Mutter hervorrief. Während drei Tagen suchten Ihn seine Eltern (hätten sie ihre Schritte, da sie wussten, wer Er war, nicht zuerst zum Tempel lenken sollen?). Schliesslich fanden sie Ihn, einerseits beschäftigt mit den Dingen seines Vaters, aber andererseits unter den Lehrern einen Platz einnehmend, der einem zwölfjährigen Jungen zustand, indem Er «ihnen zuhörte und sie befragte». (Welch ein gutes Beispiel für die jungen Brüder, im Blick auf ihre Haltung in der Versammlung, besonders in den Zusammenkünften zur Wortbetrachtung!). Der Knabe Jesus war sich bewusst, dass Er der Sohn des Vaters war; aber das hinderte Ihn nicht, mit seinen Eltern nach Nazareth hinabzugehen und ihnen «untertan» zu sein. Er «nahm zu an Weisheit und an Grösse und an Gunst bei Gott und Menschen», vollkommen in jedem Stadium seiner Entwicklung, entsprechend dem, was sich für sein Alter schickte.

4. Sein Dienst

Wie anziehend muss es gewesen sein, den Herrn Jesus zu betrachten, wie Er umherzog, sein Kommen und Gehen zu sehen, sein Mitleid, seine Belehrungen, seine vollkommene Menschheit. Zuweilen leuchtete seine Gottheit wie ein Blitz hervor, als Er den Sturm beruhigte oder den Lazarus auferweckte oder so viele Wunder vollbrachte. Aber es ist, wie jemand gesagt hat: «Er verbarg die Gestalt Gottes unter der Gestalt eines Sklaven, seine Gottheit hinter der dichten Hülle eines verachteten Galiläers.»

Er hat die Müdigkeit gekannt, als Er sich, ermattet vom Weg, am Brunnen von Sichar niedersetzte (Joh 4,6). Er hatte Durst und bat um Wasser von der Frau. Am Kreuz schrie Er, damit die Schrift erfüllt würde: «Mich dürstet!» Obwohl Er den unerträglichen Durst eines Gekreuzigten gekannt haben musste, gab es in Ihm dennoch einen grösseren Durst, ein tieferes Verlangen: bis zum Schluss das Werk auszuführen, das Ihm der Vater zu tun gegeben hatte. Er hat den Hunger gekannt (Markus 11,12). Er schlief trotz des Sturmes im Hinterteil des Schiffes auf einem Kopfkissen. Er hat geweint am Grab des Lazarus, über Jerusalem und im Garten Gethsemane (Heb 5,7).

Wir sehen Ihn oft in ein Haus eintreten, manchmal, um sich zu Tisch zu legen. Wir sehen Ihn in die Synagogen gehen, wo Er Wunder vollbrachte, seine Belehrungen gab, die Schriften las. Wir sehen Ihn hinausgehen, dem See entlang wandeln, die Junger zu sich rufen, einem Matthäus sagen: «Folge mir nach!» Zu andern Zeiten suchte Er allein einen öden Ort auf oder stieg auf den Berg, um zu beten.

Zu wiederholten Malen nahm Er seine Jünger beiseite, um ihnen die Leiden anzukündigen, die auf ihn warteten. Nach der Verklärung, wo die Herrlichkeit des Messias, aber auch die des geliebten Sohnes des Vaters, geleuchtet hatte, «von da an» begann Jesus seinen Jüngern zu zeigen, dass Er nach Jerusalem hingehen und vieles leiden müsse (Mt 16,21). Als Er durch Galiläa zog, lehrte Er seine Jünger: «Der Sohn des Menschen wird in die Hände der Menschen überliefert, und sie werden ihn töten» (Mk 9,31). Aber sie verstanden es nicht. Der Herr Jesus erneuerte seine Belehrung, als sie «auf dem Weg hinauf nach Jerusalem» waren. «Und er nahm wiederum die Zwölf zu sich und fing an, ihnen zu sagen, was ihm widerfahren sollte: Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und der Sohn des Menschen wird den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten überliefert werden; und sie werden ihn zum Tod verurteilen und werden ihn den Nationen überliefern; und sie werden ihn verspotten und ihn anspeien und ihn geisseln und töten; und nach drei Tagen wird er auferstehen» (Mk 10,32-34). Und was war ihre Reaktion darauf? – Jakobus und Johannes baten Ihn um den besten Platz im Reich!

5. Sein Tod

Die Jahre waren vergangen. «Es kam aber das Fest der ungesäuerten Brote näher, das Passah genannt wird. … Es kam aber der Tag der ungesäuerten Brote, an dem das Passah geschlachtet werden musste. … Und als die Stunde gekommen war, legte er sich zu Tisch» (Lk 22,1.7.14). Die Stunde war gekommen, «dass er aus dieser Welt zu dem Vater hingehen sollte» (Joh 13,1). Wird Er vor dem Leiden zurückweichen? Würde Er wirklich gehorsam sein bis zum Tod? Noch einmal: Er hat «an dem, was er litt, den Gehorsam gelernt».

In Gethsemane nahm Er den Kelch aus der Hand seines Vaters an. Als Pilatus erklärte: «Siehe, ich führe ihn zu euch heraus, damit ihr wisst, dass ich keinerlei Schuld an ihm finde» (Joh 19,4), war es Jesus, der hinausging, die Dornenkrone und das Purpurkleid tragend, das Angesicht entstellt, «mehr als irgendeines Mannes» (Jes 52,14). Er hätte zurückweichen können. Der Statthalter hätte Ihn nicht zwingen können. Freiwillig ging der Herr Jesus hinaus. Pilatus stellt Ihn mit den Worten vor: «Siehe, der Mensch!» Der «Mann der Schmerzen» wird vor sein Volk gestellt. Was werden sie antworten? – «Kreuzige, kreuzige ihn!»

Schliesslich überliefert Ihn Pilatus, damit Er gekreuzigt würde. Sie nehmen Jesus und führen Ihn fort. Was wird uns gesagt? «Und sein Kreuz tragend, ging er hinaus», (Joh 19,17). Niemals hätten sie Ihn gegen seinen Willen fortführen können. Der Prophet hatte angekündigt, dass Er sein würde, «wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird.» Das Evangelium nach Markus, das des Dieners, stellt Ihn uns so vor. Aber im Johannes-Evangelium geht der Sohn Gottes selbst an den Ort der Hinrichtung!

War der Herr Jesus sterblich? Jeder Mensch ist sterblich. Er hat an der menschlichen Natur teilgenommen, aber Er musste nicht sterben, Er konnte sterben. Von seinem Leben sagte Er: «Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Gewalt, es zu lassen, und habe Gewalt, es wiederzunehmen» (Joh 10,18). Aus seiner eigenen Entscheidung, im vollen Besitz seiner Kräfte, und indem Er die Galle verweigerte, die seine Leiden vielleicht hätte abschwächen können, liess Er sich kreuzigen. Er stieg nicht vom Kreuz herab, als man zu Ihm sagte: Wenn du der Sohn Gottes bist, wenn du der König der Juden bist, so steige herab vom Kreuz und wir werden an dich glauben. Bis zum Schluss hat Er den Schriften entsprochen. Und als «alles schon erfüllt war», und Er den Essig genommen hatte, rief Er aus: «Es ist vollbracht!» Dann neigte Er das Haupt und übergab den Geist (Joh 19,28-30).

Die Volksmenge schlug sich an die Brust und kehrte nach Jerusalem zurück. Die Nacht senkte sich auf Golgatha herab. Ein Mann, ein verborgener Jünger, Joseph von Arimathia, nahte sich. Er hatte von Pilatus die Erlaubnis erhalten, den Leib Jesu abzunehmen. Er nahm Ihn vom Kreuz herab. Ein anderer trat hervor, der am Anfang bei Nacht zu Jesu gekommen war, Nikodemus. Er brachte «eine Mischung von Myrrhe und Aloe, etwa hundert Pfund» (Joh 19,38-42). Zusammen nahmen die beiden den Leib und wickelten ihn in Leinentücher mit den Gewürzsalben. Dann legten sie Jesus in die neue Gruft des Gartens. Zwei Männer beschäftigten sich mit Ihm in seinem Tod, wie zwei Männer mit Ihm über den Tod geredet hatten, den Er in Jerusalem erfüllen sollte (Lk 9,31). Und ebenso gingen zwei Männer nach Emmaus, traurig und niedergeschlagen, weil mit seinem Tod alle ihre Hoffnungen dahin waren.

6. Seine Auferstehung

1. Korinther 15,4 sagt uns, dass Er «begraben wurde», damit niemand sagen kann, Er hätte nur eine vorübergehende Ohnmacht gehabt, als Er den lauten Schrei von sich gab und am Kreuz den Geist aufgab. Er ist wirklich gestorben und wirklich auferweckt worden. Einige leugneten die Auferstehung; «wenn es aber keine Auferstehung der Toten gibt, so ist auch Christus nicht auferweckt; wenn aber Christus nicht auferweckt ist, so ist also … auch euer Glaube vergeblich» (Verse 13-14).

Auferstanden mit einem geistigen Leib, war Er, wie dem auch sei, ein wirklicher Mensch. Die Jünger von Emmaus hatten Ihn nicht erkannt, als Er sich ihnen nahte und mit ihnen ging. Er schien irgendein Mann zu sein. Aber ihr Herz brannte in ihnen, und als Er mit ihnen das Brot brach, und dabei eine Gebärde aus den Tagen seines Fleisches wiederholte, wurden ihre Augen geöffnet. Maria Magdalene glaubte den Gärtner zu sehen, doch als ihr Herz bei seiner Anrede «Maria» vibrierte, erkannte sie ihren Meister (Joh 20,15.16). Der Glaube, das Herz erkannte den auferstandenen Menschen.

Als Er seinen Jüngern erschien, erklärte Er ihnen: «Seht meine Hände und meine Füsse, dass ich es selbst bin; betastet mich und seht, denn ein Geist hat nicht Fleisch und Gebein, wie ihr seht, dass ich habe.» Dann ass Er vor ihnen ein Stück gebratenen Fisch und ein wenig von einer Honigscheibe (Lk 24,39-42).

Er führte sie bis nach Bethanien hinaus, und, indem Er seine Hände aufhob, segnete Er sie. Als Er von ihnen schied und in den Himmel hinaufgetragen wurde, war Er wirklich Mensch, der nun verherrlicht ist. Jetzt wie damals «wohnt in ihm die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig» (Kol 2,9).