Jeremia, Gottes Bote in böser Zeit (3)

Jeremia 4; Jeremia 6; Jeremia 7

Aufruf zur Umkehr und zur Buße

In dieser Zeit des allgemeinen Abfalls Judas von Gott redete der HERR durch seinen Knecht Jeremia immer wieder zum Gewissen des Volkes. Es hatte sich im Dickicht des Bösen verfangen. Gott zeigte ihnen in seiner Treue, wie sie daraus befreit werden und zu Ihm zurückfinden konnten. Seine Worte sind auch in unseren Tagen eine Hilfe für sein Volk und für die Einzelnen, um von Wegen der Verirrung und der Untreue zu Ihm umzukehren:

«Pflügt euch einen Neubruch» (Jer 4,3). – Bevor der Landmann seinen Samen auf den Acker sät, von dem er später Frucht einbringen will, zieht er mit seinem Pflug tiefe Furchen. Die Körner blieben sonst auf der verkrusteten Oberfläche liegen. Sie ist umso härter und umso mehr mit Unkraut bewachsen, je länger der Acker brach liegen blieb. – So ist es auch mit dem Herzen des Menschen, der zum Volk Gottes zählt, aber längere Zeit nicht mehr auf sein Wort gehört und geachtet hat. Er soll einen Neubruch pflügen, bevor Gott in seiner Treue mit der Pflugschar der Trübsal selbst den Boden lockern muss. – Aber wie kann der Mensch dies tun? In Hosea 10,12 wird dieses Umpflügen des Herzens in Zusammenhang gebracht mit «den HERRN suchen». In der Tat, nur wenn der Abtrünnige bis zu Gott umkehrt, sein Herz Ihm und seinem Wort wieder öffnet oder aufbricht, kann er geheilt werden (Jer 3,22). Je weiter er sich aber von Ihm entfernt, desto mehr verhärtet sich Herz und Gewissen.

«Sät nicht unter die Dornen» (Jer 4,3). – Dieser Zuruf erinnert an das Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld in Lukas 8,14. Die «Dornen» bezeichnen dort den Herzenszustand derer, «die (das Wort) gehört haben und hingehen und durch Sorgen und Reichtum und Vergnügungen des Lebens erstickt werden und nichts zur Reife bringen.» Diese Dinge hinderten den göttlichen Samen damals wie heute, seine Frucht im Menschen hervorzubringen.

«Beschneidet euch für den HERRN» (Jer 4,4). – Die Beschneidung war für die Israeliten «das Zeichen des Bundes» zwischen dem HERRN und ihnen (1. Mo 17,10). Aber schon Mose stellte ihnen vor, dass sie es nicht an diesem äusseren Zeichen bewenden lassen sollten. «Beschneidet denn die Vorhaut eures Herzens und verhärtet euren Nacken nicht mehr!», rief er ihnen zu (5. Mo 10,16). Mit «der Vorhaut ihres Herzens» bezeichnete er ihren Eigenwillen und alles, was sie hinderte, «dem HERRN … zu dienen mit ihrem ganzen Herzen und mit ihrer ganzen Seele» und seine Gebote zu halten (5. Mo 10,12.13). Jeremia redet hier ähnlich: «Beschneidet euch für den HERRN und tut die Vorhäute eurer Herzen weg, ihr Männer von Juda» (Jer 4,4). Die äussere Beschneidung war für sie das Bild eines inneren sittlichen Zustandes, den der HERR bei ihnen zu finden wünschte. An uns hingegen ist durch den Glauben die «Beschneidung des Christus» Tatsache geworden, die nicht in einem äusseren Zeichen besteht, sondern in dem «Ausziehen des Leibes des Fleisches» mit allen seinen bösen Handlungen (Kol 2,11-13). Wie wichtig ist es, dass wir diese Wahrheit im Leben praktisch anwenden, damit auch wir «für den Herrn» beschnitten sind und für Ihn leben!

«Seht und fragt nach den Pfaden der Vorzeit, welches der Weg des Guten sei, und wandelt darauf» (Jer 6,16). In der Welt ist das «Moderne» Trumpf. Lebensauffassung und Weltanschauung werden ständig der modernen Strömung angepasst, auch wenn sie noch so verkehrt ist. Wer nicht mitmacht, wird bemitleidet und als rückständig taxiert. Wer aber aus der Verirrung zu Gott umkehren will, soll nach «den Pfaden der Vorzeit» fragen. Für Juda war dies die Zeit seines «Brautstandes» (Jer 2,2), in der das Volk in Liebe hinter dem HERRN her durch die Wüste gewandert war, wie auch die Tage der Wiederherstellung und Neubelebung, die es unter David, Salomo und anderen gottesfürchtigen Königen erlebt hatte. Jene «Pfade der Vorzeit» waren dadurch gekennzeichnet, dass das Volk auf die «Worte dieses Bundes» hörte, die der HERR ihnen geboten hatte, und sich ihnen in allen Dingen unterwarf (Jer 11,1-8). – Auch im Labyrinth der heutigen Christenheit geht es für den Treuen darum, zum «Anfang» zurückzukehren, als die Versammlung in ihrer ersten Liebe vor Gott wandelte und sich in allem vom Wort des Herrn durch die Apostel leiten liess.

«Macht eure Wege und eure Handlungen gut» (Jer 7,3). – Eine wahre und aufrichtige Buße besteht nicht nur aus Worten; sie soll auch von einer ihr «würdigen Frucht» (Mt 3,8) begleitet sein. Sie ist erst dann echt, wenn – wie Jeremia dem Volk zurief – «ihr eure Wege und eure Handlungen wirklich gut macht, wenn ihr wirklich Recht übt zwischen dem einen und dem anderen, den Fremden, die Waise und die Witwe nicht bedrückt und unschuldiges Blut an diesem Ort nicht vergiesst und anderen Göttern nicht nachwandelt euch zum Unglück» (Jer 7,5.6). Diese Grundsätze gelten auch heute noch.

Das Unglück war fest beschlossen

Schon am Anfang, im fünften Jahre des langen Prophetendienstes Jeremias, als der König Josia das Gesetz wiedergefunden hatte und beim Hören der Worte des Buches sich demütigte und seine Kleider zerriss, liess der HERR durch die Prophetin Hulda dem König sagen: «Siehe, ich will Unglück bringen über diesen Ort und über seine Bewohner … Weil sie mich verlassen und anderen Göttern geräuchert haben …, so wird mein Grimm entbrennen gegen diesen Ort und wird nicht erlöschen» (2. Kön 22,8-20). Er machte Josia nur das Zugeständnis, dass das Unglück erst nach dessen Tod eintreffen werde. Auch zu Jeremia, der ein treuer Beter war, sagte der HERR: «Du aber, bitte nicht für dieses Volk und erhebe weder Flehen noch Gebet für sie, und dringe nicht in mich; denn ich werde nicht auf dich hören» (Jer 7,16) (siehe auch Jer 11,14; 14,11.12). Auch Mose und Samuel, die sich einst in ähnlichen Umständen für das Volk verwendeten, würde Er jetzt nicht erhören (Jer 15,1). Gott hatte seine Boten zu Juda gesandt, früh sich aufmachend und sendend, weil Er sich seines Volkes und seiner Wohnung erbarmte. «Aber sie verspotteten die Boten Gottes und verachteten seine Worte und verhöhnten seine Propheten, bis der Grimm des HERRN gegen sein Volk stieg, dass keine Heilung mehr war» (2. Chr 36,15.16).

Warum musste Jeremia gleichwohl noch Buße predigen?

So mag sich der eine oder andere fragen. Das Gericht liess sich ja doch nicht mehr abwenden!

Da wollen wir erstens festhalten, dass echte Buße eine von Gott gewirkte Trauer und Reue ist über die eigenen Wege der Untreue, des Ungehorsams und der Sünde. Das Volk hätte zu dieser Buße kommen sollen, ganz unabhängig von der Frage, ob Gott seine züchtigende Hand zum Schlag ausstrecken würde oder nicht. Gott vergibt den Bußfertigen, aber seine Regierungswege müssen meistens gleichwohl ihren Lauf nehmen; sie dienen zur Erziehung der Seinen. Es liessen sich da manche Beispiele aus dem Wort anführen.

Zweitens richteten sich die Worte des HERRN durch Jeremia nicht nur an das halsstarrige Volk, das in jenen Tagen vor der Wegführung stand, sondern galt auch für Juda in der Gefangenschaft und dann auch für alle unter den Nationen zerstreuten zwölf Stämme. Ein Überrest wird Buße tun; in gewissem Mass der Überrest, der aus Babel nach Jerusalem zurückkehrte, besonders aber jener Überrest der Zukunft, der nach vielen Drangsalen auf den blicken wird, den sie durchbohrt haben. Die Bußfertigen aus allen Stämmen werden dann bitterlich leidtragen und seinetwegen wehklagen (Sach 12,10-14; Off 1,7).

Welches Gericht stand vor der Tür?

Jerusalem soll zerstört werden, aber nicht für immer. Gott lässt eine starke Nation über die Stadt kommen, doch darf sie ihren Bewohnern nicht den Garaus machen (Jer 5,10-19). Das Unglück wird von Norden her kommen, Die Belagerer werden einen Wall aufschütten, die Stadt einnehmen und die Paläste verderben. der HERR will sein Haus verlassen und aufgeben (Jer 6,1-8; 7,1-15; 12,7-13). Ein Teil des Volkes ist zum Tod durch das Schwert und durch den Hunger bestimmt, die übrigen zur Gefangenschaft. Alle ihre Schätze sollen dem Feind zur Beute gegeben werden (Jer 15,1-9,13.14).

So schrecklich dieses Gericht war, so tröstlich ist doch der Gedanke, dass die Vollstrecker in allen Einzelheiten nur den von Gott vorgezeichneten Weg gehen können und das von Ihm abgewogene Mass der Heimsuchung nicht überschreiten dürfen – eine für alle Zeiten gültige Wahrheit! Wie schmerzlich musste es für den HERRN und die wenigen Treuen sein, dass sein Haus, das einst durch David mit grosser Hingabe vorbereitet und durch Salomo gebaut worden war, jetzt geplündert und zerstört werden sollte! (Siehe z.B. 2. Könige 25,8-17).

Gericht über das Haus David

In den ersten zwanzig Kapiteln richtet sich der Prophet an das Volk im Allgemeinen, vorwiegend wohl in den Tagen Josias; in den Kapiteln 21 bis 24 aber noch im Besonderen an die letzten vier Könige, die auf dem Thron Davids sassen: Joahas, Jojakim, Jojakin und Zedekia. Diese Söhne und Enkel des gottesfürchtigen Josia erwiesen sich als böse Hirten, die die Schafe der Weide des HERRN zugrunde richteten (Jer 23,1). Sie achteten nicht auf die ernsten Warnungen des HERRN; Er wollte sie daher wegschleudern wie unbrauchbare Gefässe oder wegwerfen wie schlechte Feigen.

War dies das Ende des königlichen Geschlechtes Davids, das verschiedene fromme Könige hervorbrachte und eine so wunderbare Verheissung besass? O nein! Es werden Tage kommen, da der HERR David einen gerechten Spross, Christus, erwecken wird. Er wird zur Ehre Gottes Recht und Gerechtigkeit üben im Land, und ganz Juda und Israel wird in Sicherheit darin wohnen (Jer 23,5-8).

Jeremia, die Stimme des treuen Überrestes

Der kurze Überblick über die ersten 25 Kapitel dieses Buches wäre ohne einige Worte über das darin beschriebene Verhalten des Propheten unvollständig.

Seit dem ersten Auftreten des jungen Propheten bis zum Tag, an dem Nebukadnezar, der König von Babel, Jerusalem zu belagern begann, waren dreiundzwanzig Jahre vergangen (vgl. Jeremia 25,1-3 mit Daniel 1). Welch ein treuer Bote war er gewesen, obwohl er täglich hatte erfahren müssen, dass seine Warnrufe an das Gewissen des Volkes bei den meisten auf taube Ohren fiel.

Auffallend ist, dass in diesem Buch viele Abschnitte an Gott gerichtet sind und nicht an das Volk. Jeremia bringt darin den Geist des treuen Überrests zum Ausdruck, der damals in Juda bestand, aber auch die Empfindungen des geprüften Überrestes der letzten Tage inmitten des gottlosen Volkes, das sich dann im Land befinden wird.

Einerseits verurteilt er immer wieder mit Entrüstung die Untreue Israels und die Schmach, die sie dem Namen des HERRN zufügten, und möchte sich von ihnen abwenden (Jer 9,1). Anderseits aber empfindet er beim Anblick der Leiden des Volkes unaufhörlichen Schmerz und ist tief niedergeschlagen: «Ich bin zerschlagen wegen der Zerschmetterung der Tochter meines Volkes; ich gehe trauernd umher, Entsetzen hat mich ergriffen. Ist kein Balsam in Gilead, oder kein Arzt dort? Denn warum ist der Tochter meines Volkes kein Verband angelegt worden? O dass mein Haupt Wasser wäre und mein Auge ein Tränenquell, so wollte ich die Erschlagenen der Tochter meines Volkes Tag und Nacht beweinen!» (Jer 8,21-23).

Jeremia ist in seinem Dienst und in seiner Trauer ein schwaches Vorbild auf Christus hin, welcher beim Anblick Jerusalems, das dem Gericht entgegenging, geweint hat (Lk 19,41-44).

Ähnlich wie den Herrn Jesus kennzeichnet Jeremia das Vertrauen in Gott (Jer 17); sein Wort ist ihm zur Speise, zur Wonne und zur Freude seines Herzens (Jer 15,16) und Gott gibt ihm ganz persönliche Ermunterungen. Während aber Christus unter seinem Volk völlig Gnade war und seine bitteren Erfahrungen, die Er als der treue Zeuge Gottes unter ihnen machen musste und die Er viel tiefer als irgendein Mensch empfand, nur mit dem Herzen des Vaters teilte, mit dem Er vollkommen Gemeinschaft hatte, macht Jeremia seine Klagen kund und ruft sogar nach Rache gegenüber seinen Verfolgern (Jer 15,15; 20,12).

Doch wie bewunderungswürdig ist die Gnade Gottes, der seinen Knecht durch alle Trübsale hindurch, in denen er dann und wann selbst den Tag seiner Geburt verfluchte (Jer 15,10; 20,14-18), aufrechtzuhalten wusste! Und wie gross wird der Lohn sein, den dieser treue Prophet am Tag der Offenbarung des Herrn für seinen Dienst empfangen wird! Lasst auch uns auf jenen Tag blicken und im Dienst Gottes nicht ermatten, wenn er auch noch so viel Mühe und Trübsale mit sich bringen mag!