Wir haben in den Versen 12-16 gesehen, wie die Führer des Volkes Israel – dargestellt durch die gewaltigen Stiere – dem Herrn Jesus viele Leiden zugefügt haben. Jetzt spricht Er von Hunden, die Ihn umzingeln. Diese unreinen Tiere weisen auf die römischen Soldaten hin, die den Heiland ebenfalls verspottet und geschlagen haben.
Ans Kreuz geschlagen
«Denn Hunde haben mich umgeben, eine Rotte von Übeltätern hat mich umzingelt. Sie haben meine Hände und meine Füsse durchgraben» (V. 17).
Diese Hunde, die den Herrn Jesus umgaben, und diese Rotte von Übeltätern, die Ihn umzingelte, werden in Matthäus 27,27-31 beschrieben: «Dann nahmen die Soldaten des Statthalters Jesus mit in das Prätorium und versammelten um ihn die ganze Schar. Und sie zogen ihn aus und legten ihm einen scharlachroten Mantel um. Und sie flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie ihm auf das Haupt und gaben ihm einen Rohrstab in die Rechte; und sie fielen vor ihm auf die Knie und verspotteten ihn und sagten: Sei gegrüsst, König der Juden! Und sie spien ihn an, nahmen den Rohrstab und schlugen ihm auf das Haupt. Und als sie ihn verspottet hatten, zogen sie ihm den Mantel aus und zogen ihm seine Kleider an; und sie führten ihn weg, um ihn zu kreuzigen.» So grausam gingen die heidnischen Soldaten mit ihrem Schöpfer um, der als Heiland der Welt am Kreuz sein Leben lassen sollte.
«Sie haben meine Hände und meine Füsse durchgraben.» Das geht mir ans Herz! Diese Hände, mit denen Er Gutes getan, Kranke geheilt, Kinder gesegnet hatte, wurden nun in ihrem Wirken gestoppt! Die Barmherzigkeit, die Liebe und die Gnade seiner Hände wurden stillgelegt, als die Soldaten sie mit Nägeln durchbohrten und ans Kreuz schlugen.
Und die Füsse? Sie sprechen von seinem Wandel auf der Erde, den wir in den Evangelien so eindrücklich beschrieben finden. Immer wieder sehen wir Menschen zu seinen Füssen, wie zum Beispiel Maria von Bethanien, die dreimal zu den Füssen des Herrn gefunden wird. Damit zeigten sie vor allem ihre Ehrerbietung vor Ihm, aber auch ihre Wertschätzung für Ihn und ihren Eindruck, den sie von seinem Wandel hatten.
Auch Petrus war vom Lebensweg seines Herrn auf der Erde beeindruckt. So ruft er uns zu: «Christus hat für euch gelitten, euch ein Beispiel hinterlassend, damit ihr seinen Fussstapfen nachfolgt» (1. Pet 2,21). Er selbst ist dem Herrn Jesus drei Jahre Tag für Tag gefolgt und hat das vollkommene Verhalten seines Meisters betrachten können. Doch an der Stätte Golgatha wurde dieser Wandel gestoppt, als böse Menschen die Füsse des Heilands durchbohrten und sie am Kreuz festnagelten.
Der Apostel Petrus schreibt in seinem zweiten Brief, dass alle Werke auf der Erde verbrannt werden (2. Pet 3,10). Alles Böse, was die Menschen hier getan haben und noch tun werden, wird verschwinden. Aber die bösen Taten, die sie dem Herrn Jesus am Kreuz zufügten, bleiben ewig sichtbar: Sowohl das Durchgraben seiner Hände und Füsse als auch das Durchbohren seiner Seite mit einem Speer wird ewig an Ihm gesehen werden. Diese Wundmale bleiben für immer an unserem Erlöser, denn Er hat sie an seinem Auferstehungsleib getragen und wir werden sie an seinem Herrlichkeitsleib sehen.
Das Durchgraben seiner Hände und Füsse spricht von den Leiden des Herrn Jesus am Kreuz. Die durchbohrte Seite weist auf die Ergebnisse seines Werks hin. Als der Soldat mit einem Speer in seine Seite stach, kam Blut und Wasser heraus. Johannes, der dabeistand und es sah, bezeugt diese Tatsache in seinem Evangelium mit grosser Bestimmtheit (Joh 19,34.35). In 1. Johannes 5,6-12 nimmt er darauf Bezug und zeigt die herrlichen Auswirkungen, die für die Gläubigen aus dem Tod des Herrn Jesus hervorkommen.
Schamloses Betrachten
«Alle meine Gebeine könnte ich zählen. Sie schauen und sehen mich an, …» (V. 18).
Jetzt spricht der Herr wieder von der Einwirkung des Kreuzes auf seinen Körper: «Alle meine Gebeine könnte ich zählen.» Während Er furchtbar litt, schauten die Menschen Ihn ohne Scham an. Das ist die Bedeutung des zweiten Satzes: «Sie schauen und sehen mich an.» Auch die heidnischen Soldaten blickten schamlos zum leidenden Heiland auf, der schrecklich unter der Kreuzigung litt.
Seine Kleider
«… sie teilen meine Kleider unter sich, und über mein Gewand werfen sie das Los» (V. 19).
Nachdem die Soldaten den Herrn Jesus gekreuzigt hatten, teilten sie seine Kleider unter sich und warfen über sein Gewand das Los. Diese Handlung hat eine geistliche Bedeutung. Die Kleider sprechen von seinen Herrlichkeiten, die Er als Mensch in seinem Leben auf der Erde zeigte. Es ist der Mühe wert, in den Evangelien diese moralischen Schönheiten unseres Herrn zu suchen. In seiner Jugend hatte Er ein tiefes Verlangen, im Tempel zu sein, zugleich war Er seinen Eltern untertan. Das sind Herrlichkeiten! Später sehen wir, wie Er den Menschen in Liebe und Gnade begegnete, wie Er seine Jünger geduldig ertrug, wie Er sich barmherzig den Leidenden zuwandte. Denken wir nur an die Geschichte vom barmherzigen Samariter, der den Herrn Jesus darstellt! Er trat zum Mann, der verwundet und halbtot am Wegrand lag. Er verband seine Wunden setzte ihn auf sein eigenes Tier und führte ihn in die Herberge. Diese moralischen Herrlichkeiten werden durch die Kleider dargestellt, die die Soldaten Ihm auszogen und dadurch seine Herrlichkeit antasteten.
Das Gewand war ohne Naht, von oben an durchgehend gewebt. Es spricht von dem, was der Herr Jesus als der ewige Sohn des Vaters ist. Wir wissen, dass der eingeborene Sohn, der im Schoss des Vaters ist, Mensch wurde und auf der Erde lebte. Er hat viele Titel, die im Deutschen ähnlich klingen: der eigene Sohn, der einzige Sohn und der eingeborene Sohn des Vaters. Diese Herrlichkeiten werden im Gewand dargestellt, über das die Soldaten das Los warfen. Auch dieses Kleid zogen sie Ihm aus. Die Menschen scheuten sich nicht, die Herrlichkeit des geliebten Sohnes des Vaters anzutasten.
Ein Notschrei zu Gott
«Du aber, HERR, sei nicht fern! Meine Stärke, eile mir zu Hilfe!» (V. 20).
In seinen tiefen Leiden am Kreuz wandte sich der Herr Jesus an seinen Gott. Die Not in seinem Herzen war so gross, dass Er rief: «Eile mir zu Hilfe!» Darin erkennen wir wieder sein vollkommenes Vertrauen in seinen Gott. Obwohl Er in den drei Stunden der Finsternis von Ihm verlassen war, wankte sein Gottvertrauen nicht eine Sekunde.
Das Gericht Gottes und die Macht Satans
«Errette vom Schwert meine Seele, meine einzige von der Gewalt des Hundes» (V. 21).
Am Kreuz begegnete der Herr Jesus einerseits dem Schwert und anderseits dem Hund. Das Schwert weist auf das göttliche Gericht und der Hund auf die Macht Satans hin.
Petrus wollte den Herrn Jesus auf dem Weg ans Kreuz begleiten. Er erklärte: «Herr, mit dir bin ich bereit, auch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen» (Lk 22,33). Da bekam er zur Antwort: «Wohin ich gehe, dahin kannst du mir jetzt nicht folgen» (Joh 13,36). Niemand konnte dem Herrn Jesus folgen, als Er der Sünde wegen und für unsere Sünden ins göttliche Gericht ging. Niemand konnte Ihm folgen, als Er im Tod der Macht Satans begegnete und diesen Feind besiegte. Das sind die beiden grossen Tatsachen, die hier durch das Schwert und durch den Hund vorgestellt werden.
«Errette vom Schwert meine Seele, meine einzige von der Gewalt des Hundes.» Das war sein Ruf zu Gott! Wie Er am Kreuz der Macht Satans begegnete und den Feind besiegte, wird im Kampf zwischen David und Goliath veranschaulicht. Wir lesen in 1. Samuel 17,41-43: «Der Philister ging und kam David immer näher, und der Mann, der den Schild trug, vor ihm her. Und als der Philister hinschaute und David sah, verachtete er ihn; denn er war ein Jüngling und rötlich, dazu schön von Aussehen. Und der Philister sprach zu David: Bin ich ein Hund, dass du mit Stöcken zu mir kommst?» Goliath nennt sich einen Hund und der Herr Jesus sagt hier: «Rette mich aus der Gewalt des Hundes.»
In Hebräer 2,14.15 heisst es: «Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch er in gleicher Weise daran teilgenommen, damit er durch den Tod den zunichtemachte, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel, und alle die befreite, die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren.» Der Herr Jesus hat den Teufel mit seiner eigenen Waffe besiegt, nämlich durch den Tod. Das wird im Kampf zwischen David und Goliath ebenfalls deutlich. Der Riese ist nicht durch den Stein umgekommen, den David geschleudert hat. Vom Stein an der Stirn getroffen, fiel er zu Boden. Doch dann ist David hingegangen und hat das Schwert Goliaths genommen und ihm damit den Kopf abgehauen. Er hat ihn mit seiner eigenen Waffe besiegt. So war es auch am Kreuz. Der Herr hat durch den Tod den Teufel besiegt, der die Macht des Todes hat.
Schon als der Mensch in Sünde fiel, sagte Gott zur Schlange: «Ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zermalmen, und du wirst ihm die Ferse zermalmen» (1. Mo 3,15). Das erfüllte sich am Kreuz, als Jesus Christus in den Tod gehen musste, um den Teufel zu besiegen.
Die Drohungen des Feindes
«Rette mich aus dem Rachen des Löwen!» (V. 22).
Der Löwe weist wie der Hund auf den Teufel hin. Er zeigt den Feind, wie er durch Drohungen einschüchtern will. Das finden wir bei Paulus, als er sich vor dem Kaiser verantworten musste. Wir lesen in 2. Timotheus 4,17: «Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich, damit durch mich die Predigt vollbracht würde und alle die aus den Nationen hören möchten; und ich bin gerettet worden aus dem Rachen des Löwen.» Der Feind stellte sich gegen diesen treuen Diener und drohte ihm mit dem Tod. Er wollte, dass Paulus einknickte und seinen Glauben widerrief. Doch es gelang ihm nicht. Der Apostel konnte sagen: «Ich bin gerettet worden aus dem Rachen des Löwen.» Weil der Herr ihm beistand, verleugnete er seinen Glauben nicht.
In Verfolgungszeiten ist das eine reale Versuchung. Im Nachbardorf meines Wohnorts waren zur Zeit der Reformation zwei Männer wegen ihres Glaubens eingesperrt und wurden mit dem Tod bedroht. Wenn sie widerrufen hätten, wären sie freigekommen. Da besuchten zwei Glaubensbrüder aus Zürich die Gefangenen, um ihnen Mut zu machen, bis in den Tod treu zu sein. Sie blieben tatsächlich standhaft – und wurden getötet. Kurze Zeit später traf es die beiden Gläubigen aus Zürich: Sie wurden eingesperrt und ebenfalls mit dem Tod bedroht. Da verleugneten sie ihren Glauben und kamen frei. So ist der Mensch!
Doch unser Herr Jesus blieb in der Todesdrohung standhaft. Bis zuletzt war Er der treue Zeuge! Wir lesen dazu in Offenbarung 1,5: «Jesus Christus, der der treue Zeuge ist, der Erstgeborene der Toten.» Er blieb in seinem Zeugnis für Gott trotz Drohung treu und ging dafür in den Tod. Er ist nicht der Einzige, der für seine Treue zu Gott das Leben lassen musste. Schon im Alten Testament blieben treue Glaubende fest und erlitten dafür den Märtyrertod. Auch in der christlichen Zeit sind viele dem Zeugnis des Glaubens treu geblieben und dafür umgebracht worden.
Der Herr Jesus war nicht nur der treue Zeuge, Er ist auch der «Erstgeborene der Toten». Da müssen wir noch nicht an seine Auferstehung denken. Die Bedeutung dieses Titels unseres Herrn ist, dass Er der Vornehmste von allen ist, die wegen ihres treuen Zeugnisses den Tod erlitten haben. Er ist der Erstgeborene oder der Ranghöchste von allen, die aufgrund ihres Glaubens an Gott gestorben sind.