Gottes letzter Ruf zur Besinnung (1)

Maleachi

(Gedanken zum Buch des Propheten Maleachi)

Einleitung

Das Nachdenken über den Propheten Maleachi ist eine anspruchsvolle Herausforderung. Seine Prophetie stellt Gottes letzten Ruf zur Besinnung an sein Volk Israel dar. Zugleich ist es eine Mahnung an uns Christen. Wir wollen versuchen, in den einzelnen Abschnitten jeweils den Sinn dessen anzugeben, was Maleachi damals sagen wollte, und dann aufzeigen, was der Herr uns heute mit diesen Worten sagen möchte.

Der Schreiber und sein Schreibstil

Maleachi scheint ein Prophet zu sein, der eine sehr negative Sprache spricht – so ist der erste, oberflächliche Eindruck. Allerdings entspricht dies nicht der Realität. Denn man kann das ganze Buch unter der Überschrift sehen, die wir im zweiten Vers des ersten Kapitels finden: «Ich habe euch geliebt, spricht der HERR.» Wenn man jemand liebt – das wissen Eltern zur Genüge –, muss man manchmal auch ernst handeln. Das ist es, was Maleachi antreibt, auch wenn die Menschen ihn vielleicht anders verstanden haben und auch heute verstehen.

Der Name Maleachi bedeutet: «Mein Bote» oder «Bote des HERRN». Der Prophet trägt einen Namen, der für seine Botschaft spricht. Das ist besonders klar, wenn man daran denkt, dass er der letzte in der Reihe von 16 Schriftpropheten ist und das Alte Testament abschliesst. Dann kommen 400 Jahre des «Schweigens», d.h. eine Zeit, in der es keine Schriftpropheten mehr gab. Gott hat nie völlig geschwiegen, aber Er hat in diesem Sinn keine Propheten mehr gesandt. Schliesslich kam der Herr Jesus, und wir wissen, dass sein Kommen durch einen Grösseren als diese alttestamentlichen Propheten angekündigt wurde: durch Johannes den Täufer.

Wenn man bedenkt, dass Gott das Alte Testament durch Maleachi zum Abschluss brachte, dann haben seine Worte ein besonderes Gewicht. Wenn ein Mensch etwas Letztes in seinem Leben tut, z.B. sein Testament aufsetzt, dann haben diese Worte ein besonderes Gewicht. Das finden wir auch im Alten Testament, etwa wenn Jakob seine Söhne segnet, oder wenn wir an das denken, was Mose in 5. Mose 32 und 33 sagt, oder wenn wir die letzten Worte Davids lesen.

Ein Prophet der Endzeit und des Niedergangs

Was Gott seinem Volk durch Maleachi sagt, ist gewissermassen sein letztes Wort vor dem Kommen des Herrn Jesus. Er hat vielfach durch die Propheten geredet, zum Schluss dann im Sohn (Heb 1). Es ist schön für uns, dass wir uns unter diesem Vorzeichen Gedanken über diesen Propheten machen können. Maleachi ist der Prophet einer Endzeit. Wir leben heute in der Endzeit. Weil er am Ende einer Periode gewirkt hat, wie auch wir am Ende einer Periode – nämlich der Gnadenzeit – leben, ist diese Botschaft für uns so interessant. Darum wollen wir unsere Herzen öffnen, damit wir ein Empfinden dafür bekommen, was der Herr seinem Volk in einer Endzeit sagt, zu einem Volk, das wirklich am Boden liegt. Auf der ganzen Linie ist Niedergang zu verzeichnen.

Maleachi ist der Prophet, der sich mit dem Überrest aus Israel, genau genommen mit den Übriggebliebenen aus den beiden Stämmen Juda und Benjamin, befasst. Das sind jene Israeliten, die nach der 70-jährigen Gefangenschaft des Südreichs Juda aus Babel zurückkehrten. Aus dem Alten Testament wissen wir, dass Gott nach der Zerstörung Jerusalems und der Wegführung des Volkes durch Nebukadnezar den gefangenen Juden unter dem Perserkönig Kores eine Rückkehr ermöglichte. Nach den Gedanken Gottes sollten eigentlich alle zurückkehren. Tatsächlich kehrten jedoch nur fünfzig- bis sechzigtausend Menschen zurück.

Sie kamen an einen Platz, wo Gott etwas Neues errichten wollte, doch um gleichzeitig das zu verwirklichen, was immer in seinem Herzen und damit gewissermassen «uralt» war. Es wurde ein neuer Tempel gebaut. Und doch war es das Haus, das Gott schon immer in seinem Herzen hatte! Das steinerne Haus des HERRN von Salomo war zerstört, und Gott beauftragte Serubbabel und andere, ein neues Haus zu bauen. Doch blieb es in seinem Herzen immer das eine Haus. Die Idee des Tempels hat sich vonseiten Gottes nie geändert, auch wenn der Mensch noch so untreu war. In der Zeit Serubbabels gab es gewiss nicht wenige, die mit einem glücklichen Herzen zurückkehrten, um das Haus Gottes wieder aufzubauen.

Dann aber setzte der Niedergang sehr schnell ein. Das ist leider immer so. Zuerst kommt Eifer und Energie, dann kommen Feinde und Schwierigkeiten, und schliesslich geht es bergab. Dadurch kam die Arbeit am Haus Gottes zum Erliegen, wie es in der Zeit Serubbabels war. Im Propheten Haggai heisst es, dass die Menschen ihren eigenen Interessen nachgingen, anstatt das Haus Gottes als Priorität ihres Lebens anzusehen.

Es folgte ein neuer Impuls. Fünfzig- bis sechzigtausend Juden waren schon in Jerusalem, aber sie brauchten einen neuen Impuls. Gott konnte dazu keinen Mann aus ihrer Mitte nehmen, sondern berief jemand aus Babel, um jene, die am Ort der Anbetung waren, wieder aufzuwecken. Das war der jüdische Schriftgelehrte Esra. Bei Nehemia war dies später ähnlich. Belebung kommt nicht selten aus einer Quelle oder von einer Seite, von der wir es überhaupt nicht erwarten.

Esra kam etwa 78 Jahre nach den ersten Rückkehrern, die die Absicht hatten, den Tempel zu bauen, nach Jerusalem. Doch auch nach Esra ging es wieder bergab. Rund 100 Jahre nachdem die ersten treuen Zeugen gekommen waren, war das Volk satt und zufrieden, sodass es Gott schlimme Vorwürfe machte. Genau das wird vom Propheten Maleachi thematisiert. Trotz dieser bösen Haltung des Volkes liebte Gott sein Volk immer noch!

Die Treue Gottes und der Überrest

So ist unser Herr und Gott. Wir wollen das festhalten und immer wieder in unseren Herzen bewegen: Trotz unserer Untreue steht Er zu seinen Zusagen, aber Er möchte uns durch die verschiedenen Züchtigungen dahin zurückbringen, woher wir gekommen sind und was wir verlassen haben.

Die damals Zurückgekehrten waren kein bekehrtes Volk. Natürlich gab es dort einzelne Bekehrte. Doch die Mehrzahl jener Menschen kannten nur eine äussere Zugehörigkeit zu Gott, keine innere Herzenszugehörigkeit. Auch davon redet Maleachi. In Kapitel 3,16 ist von einem «Überrest des Geistes» die Rede, von Leuten also, die zutiefst zu Gott gehörten und in ihrem Herzen und Gewissen, nicht nur äusserlich, dem HERRN zugetan waren.

Wir leiden auch heute darunter, dass wir manches nur äusserlich tun. Doch das hat für Gott keinen Wert! Er wünscht, unsere Herzen zu bewegen und uns neu zu beleben. Und das können wir durch Maleachi lernen. Wie aktuell ist diese Botschaft!

Man kann regelmässig in die Sonntagsschule oder in die Zusammenkünfte gehen und trotzdem verloren gehen, weil man sich nie bekehrt hat. Das ist besonders ernst für Kinder gläubiger Eltern. Es ist notwendig, dass sie sich entschieden zum Herrn hin bekehren. Nur dann ist man ein Glied des Volkes Gottes. Damals genügte äussere Zugehörigkeit, um zum Volk Gottes zu gehören. Heute nicht mehr! Wenn man nur äusserlich, dem Namen nach Christ ist, geht man verloren, ohne Gnade und Barmherzigkeit! Das ist sehr ernst. Auch das ist die Botschaft des Propheten Maleachi.

Die Zeit, in der Maleachi lebte

Was sagt uns der Prophet Maleachi nun bezüglich der damaligen Zeit? Äusserlich lebten die Juden unter persischer Oberhoheit. Sie hatten nichts oder nur wenig zu sagen. Darüber hinaus gab es wirtschaftliche Not und politische Unterdrückung. Hinzu kam eine religiöse Oberflächlichkeit auf der ganzen Linie. Wir lesen in diesem Propheten, wie die Juden Gott Vorwürfe machten. Wir hören von einem verdorbenen Priestertum, von korrupten Familien. Man liebte es, seine Frau durch eine Ehescheidung laufen zu lassen und sich neue Frauen aus den heidnischen Nationen zu nehmen. So kennen wir es auch heute.

Dann waren die sozialen Verhältnisse sehr schlecht. Witwen und Waisen wurden unterdrückt. In Kapitel 3 lesen wir, dass man Gott Hebopfer und den Zehnten vorenthielt. Man beraubte Gott! Es gab Leute, die im materiellen Denken aufgingen und Gott aus Gewinnsucht dienten. So sah es damals im Volk Gottes aus: Satt bis dort hinaus, ohne eine wahre Beziehung zum lebendigen Gott!

Glücklicherweise lesen wir auch von einem Überrest, der für den HERRN da war.

Einteilung

Kapitel 1 beginnt damit, dass Gott sagt: «Ich habe euch geliebt.» Das Motiv für diesen Satz findet man kurz danach, dass Er nämlich Jakob geliebt und Esau gehasst hat. Dann lesen wir weiter, dass der Priesterdienst in Verfall geraten war, dass man so schlechte Opfertiere brachte, die man nicht einmal dem Statthalter zu bringen wagte.

In Kapitel 2 finden sich ernste Androhungen an die Priester. Anschliessend befasst sich dieses Kapitel mit den Ehescheidungen im Volk und den Ehen mit heidnischen Frauen.

In Kapitel 3 tadelt Gott das Verhalten der Juden gegenüber Witwen und Waisen und in Bezug auf die Hebopfer. Schliesslich gibt Er Verheissungen für den Überrest, kündigt das Gericht über die Gottlosen an und spricht vom Tag des HERRN.

Es fällt auf, dass das ganze prophetische Buch ein einziger Ausspruch ist. Nirgends findet man einen Schluss. Der Prophet spricht – und hört erst am Ende auf.

Bei anderen Propheten finden wir meistens das Jahr eines Königs genannt, in dem der Prophet auftrat und wirkte. Danach hatte er zu schweigen, bis er erneut gerufen wurde. Das ist bei Maleachi anders. Er spricht seine Botschaft – ohne anscheinend je noch einmal gerufen worden zu sein – und tritt ab. Ein treuer Diener!

Merkmale des Buches

Der Prophet Maleachi ist gekennzeichnet durch zehn rebellische Fragen gottloser Menschen. Eine erste Frage finden wir in Kapitel 1,2: «Worin hast du uns geliebt?» In den Versen 6 und 7 folgen die nächsten Fragen: «Womit haben wir deinen Namen verachtet?», und: «Womit haben wir dich verunreinigt?» Der Mensch erdreistet sich, rebellische Fragen an Gott zu richten!

Zum Glück dürfen wir Menschen Gott Fragen stellen. Aber das muss in der richtigen Einstellung geschehen. Wenn wir jedoch meinen, dies in einer provozierenden Art ohne Gottesfurcht tun zu können, gleichen wir den Zeitgenossen Maleachis. Die zehn im Buch vorkommenden Fragen sind ein gewisses Charakteristikum des von Gott abgefallenen Menschen.

Wir Gläubigen haben oft eine einseitige Vorstellung von der Bibel. Wir verlieren leicht das Gespür dafür, wie Gott etwas sagt. Es ist nicht nur wichtig, dass Gott etwas sagt, und was Er sagt, sondern auch, wie Er es sagt.

Gott spricht nicht in einer monotonen Form, sondern auf hochinteressante Art und Weise. So finden wir oft Zwiegespräche. Gott sagt etwas, und der rebellische Mensch erdreistet sich zu antworten. Diese Dialogform tritt hier immer wieder auf. Auch das gehört zu den Besonderheiten dieses Propheten. Gott will uns mit all diesem deutlich machen, wie schlimm der Zustand in seinem Volk aussah. Das sollte uns sehr berühren und uns dahin führen, dass auch wir unsere Herzen prüfen. Er hat dadurch auch uns etwas zu sagen.