Jesus Christus – unser grosser Hoherpriester (1)

Hebräer 1; Hebräer 2

Einführung in den Hebräer-Brief

Anlass des Briefs

Der Hebräer-Brief richtete sich damals an Menschen aus dem Volk Israel, die an den Namen des Herrn Jesus glaubten. Der Anlass dieses Briefs war die Sorge um diese Christen. Der Schreiber hatte die Absicht, sie in der himmlischen Berufung zu befestigen und sie mit einem himmlischen Heiligtum zu verbinden, damit sie sich vom irdischen Heiligtum lösen konnten. Das war keine einfache Aufgabe, denn Gott selbst hatte ja die Anordnungen im Judentum gegeben. Diese Hebräer mussten das Gute, das sie von Gott im Alten Testament bekommen hatten, aufgeben, damit sie das Bessere auf christlichem Boden wirklich besitzen und sich daran freuen konnten.

Einfach gesagt, geht es in diesem Brief darum, die gläubigen Christen aus jüdischer Herkunft mit dem Himmel zu verbinden und sie von der Erde zu lösen, und zwar in dieser Reihenfolge. Das ist ein typisch christlicher Grundsatz: Gott stellt uns zuerst das vor, was wir besitzen, um uns schliesslich das wegzunehmen, was entfernt werden muss. Auch heute möchte Gott uns mit dem Himmel verbinden und unsere Herzen von der Erde lösen. Darum hat alles, was den Hebräern geschrieben wurde, seine volle Gültigkeit auch für uns. Die meisten von uns haben keine jüdische Herkunft. Aber wir besitzen dasselbe Teil, wie die gläubigen Christen damals. Wir sind wie sie Genossen der himmlischen Berufung.

Thema des Briefs

Mit der Absicht, die Glaubenden in schwierigen Umständen im Blick auf die himmlische Berufung zu befestigen, stellt der Geist Gottes den Herrn Jesus Christus als unseren Hohenpriester vor. Das ist das eigentliche grosse Thema des Hebräer-Briefs.

Er ist der einzige Brief des Neuen Testaments, der uns diese Wahrheit ausführlich vorstellt. Nur noch zwei Verse aus dem Römer-Brief weisen auf den Herrn Jesus als Hohenpriester hin. «So werden wir viel mehr, da wir versöhnt sind, durch sein Leben gerettet werden.» «Christus, der auch zur Rechten Gottes ist, der sich auch für uns verwendet» (Röm 5,10; 8,34). Beide Bibelstellen zeigen uns, dass Er im Himmel lebt, um uns als Hoherpriester in den Schwierigkeiten zu helfen.

Weiter gibt es im Alten und im Neuen Testament Illustrationen, die auf das Hohepriestertum des Herrn Jesus hinweisen. Als Josua mit den Israeliten gegen die Amalekiter kämpfte, war Mose auf dem Berg und betete. Da ist er ein Hinweis auf die Tätigkeit des Herrn als Hoherpriester im Himmel. In Matthäus 14 stieg der Herr auf den Berg, um zu beten. Die Jünger überquerten den See und gerieten in einen Sturm. Da kam Jesus auf dem Wasser gehend zu ihnen. Auch diese Geschichte illustriert die Tatsache, dass der Herr sich im Himmel als Hoherpriester für uns verwendet. Aber die ausführliche Lehre davon finden wir im Hebräer-Brief.

Einteilung des Briefs

  • Kapitel 1 und 2: Grossartige Einleitung: Jesus Christus, der Apostel und Hohepriester
  • Kapitel 3 – 10,22: Der Herr Jesus als unser Hoherpriester in zwei Funktionen:
    1. Kapitel 3 – 6: Der Hohepriester, der sich um uns kümmert, damit wir hier auf der Erde nicht verzweifeln.
    2. Kapitel 7 – 10,22: Der Hohepriester, der uns als Anbeter zu Gott führt.
  • Kapitel 10,23 – 13: Ermutigungen und Ermahnungen auf dem Glaubensweg

1. Jesus Christus – Apostel und Hoherpriester

Kapitel 1 und 2

In den ersten beiden Kapiteln des Hebräer-Briefs stellt der Schreiber uns den Herrn Jesus als Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses vor.

Eine Begebenheit aus der Geschichte von Jakob erklärt uns, was diese beiden Titel aussagen. Weil er seinen Vater betrogen hatte, musste er das Elternhaus verlassen. Auf der Reise nach Haran übernachtete er auf freiem Feld, mit einem Stein als Kopfkissen. Da hatte er einen Traum: «Siehe, eine Leiter war auf die Erde gestellt, und ihre Spitze rührte an den Himmel; und siehe, Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und siehe, der HERR stand über ihr» (1. Mo 28,12.13).

Als der Herr Jesus hier lebte, nahm Er Bezug auf diesen Traum. Er sagte zu Nathanael: «Ihr werdet den Himmel geöffnet sehen und die Engel Gottes auf- und niedersteigen auf den Sohn des Menschen» (Joh 1,51). Jetzt war der Herr nicht mehr oben, sondern unten an der Leiter. Beide Bibelstellen zeigen eine Verbindung zwischen dem Himmel und der Erde, zwischen Gott und Menschen. In 1. Mose 28 befand sich der Herr im Himmel und in Johannes 1 auf der Erde. Wir wollen das auf die beiden Titel des Herrn Jesus übertragen:

  • Als Apostel brachte Er Gott zu uns Menschen. Dazu ist Er vom Himmel auf die Erde gekommen.
  • Als Hoherpriester bringt Er uns Glaubende zu Gott. Darum ist Er als Mensch in den Himmel gegangen.

Das sind die beiden grossen Bewegungen in den ersten zwei Kapiteln des Hebräer-Briefs: sein Herabkommen und sein Hinaufgehen.

1.1. Die Seite seiner Gottheit

Hebräer 1,1-4. Nachdem Gott vielfältig und auf vielerlei Weise ehemals zu den Vätern geredet hat in den Propheten, hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn, den er gesetzt hat zum Erben aller Dinge, durch den er auch die Welten gemacht hat; welcher, die Ausstrahlung seiner Herrlichkeit und der Abdruck seines Wesens seiend und alle Dinge durch das Wort seiner Macht tragend, nachdem er durch sich selbst die Reinigung von den Sünden bewirkt, sich gesetzt hat zur Rechten der Majestät in der Höhe.

Gott redet im Sohn (V. 1.2)

Es ist eine unermessliche Gnade, dass Gott zu uns Menschen spricht. Er tat dies zur Zeit des Alten Testaments vielfältig oder oft. Da hat Er zu den Menschen aus dem Volk Israel geredet. Es ist auch für uns ein Segen, von klein auf die Schriften des Alten Testaments zu kennen und darin zu sehen, wie oft Gott von Mose bis Maleachi uns Menschen Mitteilungen gemacht hat.

Er tat dies auf vielerlei Weise: z.B. durch einen «Evangelisten» wie Jesaja, durch einen leidenden Mann wie Jeremia, durch einen Staatsmann wie Daniel oder durch einen Schafhirten wie Amos.

Am Ende der Tage der Propheten des Alten Testaments hat Gott in der Person des Sohnes geredet. Das ist der Höhepunkt seiner Rede zu uns Menschen. Nach der Botschaft durch Maleachi hat Er 400 Jahre geschwiegen, weil der geistliche Zustand der Juden so tief war. Er musste sein Volk züchtigen, darum schwieg Er. Aber bei Zacharias hat Gott in Gnade sein Schweigen durchbrochen (Lk 1,11-20). Wundern wir uns da, dass Zacharias bestürzt wurde, als der Engel Gabriel erschien und Gott nach 400 Jahren des Schweigens jetzt seinen Sohn ankündigte, um in Ihm zu reden?

Der Schreiber des Hebräer-Briefs geht beim Gedanken an den Sohn zu den Schriften des Alten Testaments zurück: «Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt» (Ps 2,7). Hier wird uns die Menschwerdung des ewigen Sohnes Gottes vorgestellt und der Gedanke, dass der Herr Jesus auch durch göttliche Zeugung Sohn Gottes ist. In Jesaja 9,5 heisst es: «Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter.» Herrschaft und Autorität ist der grosse Gedanke, den der Hebräer-Brief mit dem Sohn verbindet, der Mensch geworden ist. Einige Beispiele unterstreichen dies:

  • «Christus aber als Sohn über sein Haus» (Kap. 3,6). Da geht es um seinen Herrschaftsanspruch einerseits über die Schöpfung und anderseits über die Erlösten.
  • «Obwohl er Sohn war, an dem, was er litt, den Gehorsam lernte» (Kap. 5,8). Als Sohn besass Er Autorität, trotzdem lernte Er in seinem Leben zu gehorchen.
  • «Das Wort des Eidschwurs aber, der nach dem Gesetz gekommen ist, einen Sohn, vollendet in Ewigkeit» (Kap. 7,28). Im Gegensatz zu schwachen Menschen im Alten Testament ist der Herr Jesus als Sohn Hoherpriester geworden.

Gott hat in der Person seines Sohnes zu uns geredet, d.h. durch sein Kommen, durch seine Menschwerdung, durch sein Reden, durch seine Werke und durch sein Verhalten. In der ganzen Kapazität seiner Person vernehmen wir das Reden Gottes zu uns.

In Kapitel 1,1 – 2,4 entfaltet der Hebräer-Brief die göttliche Herrlichkeit des Sohnes, der als Mensch hier auf der Erde lebte. Die göttliche Seite seiner Person steht in Verbindung mit seinem Wort, wie uns Kapitel 2,1-4 zeigt.

In Kapitel 2,5-18 finden wir die herrliche Menschheit von Jesus Christus. Die menschliche Seite seiner Person ist von Leiden gekennzeichnet.

Sein Herabsteigen und sein Hinaufsteigen (V. 2.3)

Zuerst wird uns in sieben Tatsachen die göttliche Herrlichkeit des Mensch gewordenen Sohnes vorgestellt:

  1. «Er ist der Erbe aller Dinge.» Als Sohn Gottes hat Er Anspruch auf die ganze Schöpfung. In Kolosser 1,16 heisst es diesbezüglich: «Alle Dinge sind … für ihn (d.h. für den Sohn) geschaffen.»
  2. «Durch den er auch die Welten gemacht hat.» Die Welt der Sterne, die Welt der Engel, die Welt der Menschen, die Tierwelt – alles wurde durch den Sohn geschaffen. In der Kraft seiner Person ist alles ins Dasein gerufen worden (siehe auch die Fussnote zu Kolosser 1,16).
  3. «Welcher die Ausstrahlung seiner Herrlichkeit ist.» Als der Sohn auf der Erde lebte, strahlte bei gewissen Gelegenheiten seine Schöpferherrlichkeit hervor. In Markus 4,39 heisst es: «Er schalt den Wind und sprach zu dem See: Schweig, verstumme! Und der Wind legte sich, und es trat eine grosse Stille ein.» Johannes 11,43.44 berichtet uns: «Er rief mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Und der Verstorbene kam heraus.» Das ist seine Göttlichkeit im Blick auf die Schöpfung (Röm 1,20). Da sahen die Menschen, dass Er allmächtig, allgegenwärtig und allwissend ist. So war Er die Ausstrahlung der Herrlichkeit Gottes.
  4. «Welcher der Abdruck seines Wesens ist.» Das ist seine Gottheit, die in seiner Person offenbar wurde. Der Sohn wurde Mensch und in Ihm wurde Gott in seinem Wesen als Licht und Liebe gesehen. In Kolosser 2,9 heisst es: «In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.»
  5. «Alle Dinge durch das Wort seiner Macht tragend.» Die Schöpfung ist nicht nur für Ihn und durch Ihn geschaffen worden, sondern Er trägt auch im jetzigen Moment alles durch das Wort seiner Macht. Er gibt uns Kraft, zu stehen, zu sitzen und zu gehen. Er ist der Erhalter des ganzen Universums.
  6. «Er hat durch sich selbst die Reinigung von den Sünden bewirkt.» Es heisst hier nicht: von «unseren» Sünden. Natürlich sind es unsere Sünden. Aber der Schreiber will jetzt nicht unsere Gewissen entlasten – das tut er später –, sondern uns die Herrlichkeit des Erlösers zeigen. Der Herr Jesus hat in göttlicher Kraft durch sein Sterben am Kreuz, durch seine Selbsthingabe in den Tod die Reinigung von den Sünden bewirkt.
  7. «Er hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe.» Nachdem der Herr seine Aufgabe als Apostel beendet hat, ist Er in den Himmel gegangen und hat sich in eigener, göttlicher Würde auf den höchsten Platz gesetzt.

Wir fassen zusammen: Er ist herabgestiegen, um uns Gott zu offenbaren. Aber Er ist als Sohn auch hinaufgestiegen und sitzt jetzt zur Rechten Gottes.

1.2. Die Seite seiner Menschheit

Hebräer 2,9-18. Wir sehen aber Jesus, der ein wenig unter die Engel wegen des Leidens des Todes erniedrigt war, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt – so dass er durch Gottes Gnade für alles den Tod schmeckte.

Denn es geziemte ihm, um dessentwillen alle Dinge und durch den alle Dinge sind, indem er viele Söhne zur Herrlichkeit brachte, den Urheber ihrer Errettung durch Leiden vollkommen zu machen. Denn sowohl der, der heiligt, als auch die, die geheiligt werden, sind alle von einem; um welcher Ursache willen er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen, indem er spricht:

«Ich will deinen Namen meinen Brüdern kundtun; inmitten der Versammlung will ich dir lobsingen.» Und wiederum: «Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen.» Und wiederum: «Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat.»

Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch er in gleicher Weise daran teilgenommen, damit er durch den Tod den zunichtemachte, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel, und alle die befreite, die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren. Denn er nimmt sich fürwahr nicht der Engel an, sondern der Nachkommen Abrahams nimmt er sich an.

Daher musste er in allem den Brüdern gleich werden, damit er in den Sachen mit Gott ein barmherziger und treuer Hoherpriester werde, um die Sünden des Volkes zu sühnen; denn worin er selbst gelitten hat, als er versucht wurde, vermag er denen zu helfen, die versucht werden.

Seine Erniedrigung und seine Erhöhung (V. 9)

Auch in Kapitel 2 sehen wir dieselbe Bewegung: hinab und hinauf. Aber es wird jetzt mit anderen Worten ausgedrückt: erniedrigt und erhöht, weil seine menschliche Seite vor uns steht.

«Wir sehen aber Jesus.» Glaubende Menschen haben nicht nur Augen im Kopf, sondern auch am Herzen (Eph 1,18). Mit diesen sehen wir Jesus, den Sohn des Menschen. Als solcher hat Er sich erniedrigt und ist Er erhöht worden, wie uns schon Psalm 8 mitteilt.

«Der ein wenig unter die Engel wegen des Leidens des Todes erniedrigt war.» Er musste Mensch werden, damit Er sterben konnte. Engel können nicht sterben, aber Er wollte am Kreuz sein Leben geben. Darum war Er ein wenig unter die Engel erniedrigt.

«Wegen des Leidens des Todes.» Als unser Heiland über diese Erde schritt, lag das Leiden des Todes von Anfang an auf seiner heiligen Seele. Wenn wir beim Lesen der Evangelien offene Ohren und Augen haben, sehen wir das. Je näher Er dem Geschehen auf Golgatha kam, desto deutlicher erkennen wir, wie Er im Voraus gelitten hat. Im Garten Gethsemane kommt das besonders deutlich zum Ausdruck.

«Er hat durch Gottes Gnade für alles den Tod geschmeckt.» Jetzt geht es um seinen Opfertod am Kreuz. Erstens hat Er in seinem Sterben das ganze Mass der Gnade Gottes offenbart. Zweitens ist der Ausdruck «für alles» sehr umfassend. Er starb für alles, was durch die Sünde dem Tod und der Vergänglichkeit unterworfen worden ist. Drittens hat Er am Kreuz den Tod «geschmeckt». Während den drei Stunden der Finsternis war Er von Gott verlassen. Was Er in dieser Zeit erduldet hat, können wir nicht ergründen. Er hat die ganze Bitterkeit des Todes erfahren, als Er auf dem Zenit des Lebens starb (Ps 102,25).

So sehen wir Jesus einerseits in seiner tiefen Erniedrigung bis zum Tod am Kreuz. Anderseits betrachten wir Ihn im Himmel, wo Er «mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt» ist. Auf diesem ehrenvollen Platz hat Gott Ihm als Mensch die Herrschaft über das ganze Universum gegeben.

Auch andere Bibelstellen zeigen sowohl seine Erniedrigung als auch seine Erhöhung. Wir denken an den Abschnitt in Jesaja 52,13 – 53,12. Er beginnt mit der Erhöhung des Knechtes Gottes, spricht zwischendurch von seiner tiefen Erniedrigung und endet wieder mit der Ehre, die Ihm einmal zuteilwerden wird. Weiter kennen wir den eindrucksvollen Satz in Offenbarung 5: «Ich sah inmitten des Thrones … ein Lamm stehen wie geschlachtet.» Dort im Zentrum göttlicher Macht befindet sich Jesus Christus, der am Kreuz als das Lamm Gottes sein Leben gab! Auch hier ist seine Erhöhung mit seiner Erniedrigung verbunden. Beides gehört zusammen. Wenn wir ans Kreuz von Golgatha blicken, wird unser Herz voller Dank. Wenn wir zum Himmel blicken, füllt sich unser Herz mit Freude.

Gott bringt viele Söhne zur Herrlichkeit (V. 10)

Wir sind seine Söhne und Gott selbst bringt uns in die Herrlichkeit. Das ist absolut sicher, darum steht es hier in Vergangenheitsform: «… viele Söhne zur Herrlichkeit brachte …». Es ist zwar noch kein einziger Sohn in der Herrlichkeit. Das wird erst geschehen, wenn der Herr zur Entrückung kommt. Aber Gott beschreibt es so, wie wenn es schon Tatsache wäre, um unsere schwachen Herzen zu befestigen. Es wird mit Sicherheit eintreffen! Wir werden das Ziel, die Herrlichkeit im Himmel, erreichen! Die Formulierung unserer Zukunft in Vergangenheitsform ist ein Juwel in der Heiligen Schrift, das mich immer tief beglückt. Wir denken auch an Römer 8,30: «Diese hat er auch verherrlicht.» Kein Einziger ist schon verherrlicht. Die Heimgegangenen sind bei Christus in einer vollkommenen Gemeinschaft mit Ihm, aber sie sind noch nicht verherrlicht. Das wird aber bestimmt Wirklichkeit werden, darum hat der Geist es in Vergangenheitsform niederschreiben lassen.

Gott bringt die Söhne durch den Urheber ihrer Errettung zur Herrlichkeit. Wer ist dieser «Urheber ihrer Errettung» und was haben wir darunter zu verstehen? Es ist Jesus Christus, der als unser Anführer in die Welt gekommen ist, am Kreuz das Erlösungswerk vollbracht hat und in den Himmel aufgefahren ist. Er ist uns ans Ziel vorangegangen und bringt auch uns dorthin. Dort in der Herrlichkeit wird unsere Errettung zum Abschluss gekommen sein.

Unser Gott, der uns durch den Herrn Jesus ganz bestimmt ans himmlische Ziel bringt, ist gross. Er ist der Schöpfer und Erhalter des Universums. Und als solcher musste Er etwas tun, was seiner Grösse und Herrlichkeit geziemt oder entspricht. Nun, was hat Er getan? Er hat «den Urheber ihrer Errettung durch Leiden vollkommen» gemacht. Das sind die Leiden des Herrn Jesus in seinem Leben bis in den Tod. Er hat sie durch Erfahrung kennengelernt. Weil Er in allem, was das menschliche Leben betrifft, versucht oder erprobt wurde, ist Er jetzt vollkommen fähig, uns zu verstehen und uns zu helfen. Um die sühnenden Leiden erdulden zu können, musste Er vollkommen sein. Er war es in seiner Person. Doch hier geht es um die Leiden des menschlichen Lebens auf der Erde. Und in diesen Leiden wurde Er vollkommen gemacht, indem Er alles aus Erfahrung kennenlernte.

Die Stellung der Geheiligten (V. 11)

Vers 11 korrespondiert mit Kapitel 3,1. Dort werden wir, die Glaubenden, «Genossen der himmlischen Berufung» genannt, weil unser Herr im Himmel ist. 1. Korinther 15,48 drückt diesen Gedanken wie folgt aus: «Wie der Himmlische so sind auch die Himmlischen.» Unsere Stellung entspricht also der Stellung des Herrn Jesus. Er ist auferstanden und als Mensch in den Himmel aufgefahren. Durch seinen Aufenthalt dort heiligt Er uns (Joh 17,19). Er sondert uns zu Gott im Himmel hin ab. So werden wir geheiligt, damit wir uns auf der Erde lebend als himmlische Menschen verhalten. «Der, der heiligt, als auch die, die geheiligt werden, sind alle von einem.» Der Herr Jesus und die Erlösten auf der Erde bilden eine Genossenschaft. Wir sind von der gleichen Art. Er ist als Mensch im Himmel, und wir sind himmlische Menschen auf der Erde.

«Um welcher Ursache willen er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen.» Das ist einer der Sätze im Hebräer-Brief, der uns zeigt, dass der Schreiber mehr wusste, als er mitteilte. Er nähert sich hier gedanklich den Schriften des Johannes, in denen wir als Familie Gottes gesehen werden. Wann hat der Herr Jesus sie «Brüder» genannt? Nachdem Er auferstanden war. Da sagte Er zu Maria: «Geh hin zu meinen Brüdern» (Joh 20,17). Wir nennen Ihn nie unseren Bruder. Er ist unser Herr. Aber welch eine Gnade! Wir gehören zur Familie Gottes, und Er nennt uns seine Brüder.

Die Vorrechte seiner Brüder (V. 12.13)

Die Verse 12 und 13 zeigen uns vier Vorrechte der Glaubenden, die der Herr seine Brüder nennt. In der praktischen Verwirklichung dieser Privilegien übernimmt Er die führende Rolle.

  1. «Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern.» Das ist ein Zitat aus Psalm 22, den die Hebräer gut kannten. Was ist das für ein Name? Es ist der Name des Vaters, wie wir aus Johannes 20,17 erkennen. Aber wir bleiben im Hebräer-Brief und sagen: Das erste Vorrecht der Glaubenden, die Er seine Brüder nennt, ist die Tatsache, dass Gott sich ihnen im Herrn Jesus offenbart. Es ist eine wunderbare Gnade, dass wir Gott in Ihm immer besser kennenlernen dürfen.
  2. «Inmitten der Versammlung will ich dir lobsingen.» Anbetung ist das zweite Vorrecht der Erlösten. Durch den Herrn Jesus, der das Lob anstimmt, dürfen wir Gott anbeten und Ihm als heilige Priester dienen.
    Das erste Vorrecht ist eine Bewegung von oben nach unten und das zweite eine Bewegung von unten nach oben. Anbetung ist unsere Antwort auf die Offenbarung Gottes, die der Herr in den Herzen bewirkt.
  3. «Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen.» Das dritte Vorrecht ist Gottvertrauen. Der Herr Jesus hat in seinem Leben hier sein ganzes Vertrauen auf Gott gesetzt. In Psalm 16,1 spricht Er prophetisch: «Ich suche Zuflucht bei dir» oder wie es in der älteren Version hiess: «Ich traue auf dich.» Das hat unser Herr Jesus bis zum letzten Atemzug völlig gelebt. So hat auch in den schwersten Momenten seines Lebens – in den drei Stunden der Finsternis – sein Vertrauen in Gott nicht gewankt. Am Ende rief Er aus der tiefsten Not seiner Seele: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» Obwohl Er zutiefst litt – wir werden nie verstehen, wie schrecklich Er da gelitten hat –, hielt Er an seinem Gott fest. Sein Vertrauen in diesen Stunden kommt auch in Psalm 22,10.11 zum Ausdruck: «Doch du bist es, der mich aus dem Mutterleib gezogen hat, der mich vertrauen liess an meiner Mutter Brüsten. Auf dich bin ich geworfen von Mutterschoss an, von meiner Mutter Leib an bist du mein Gott.»
    Dieses dritte Vorrecht nimmt Bezug auf Jesaja 8,17: «Ich will auf den HERRN harren, der sein Angesicht verbirgt vor dem Haus Jakob, und ich will auf ihn hoffen.» Das ist eine Aussage des glaubenden Überrests aus Israel. Was den Herrn Jesus in seinem Leben vollkommen gekennzeichnet hat, wird einmal diese Glaubenden prägen. Doch es gilt auch uns, die wir wie die Hebräer die himmlische Berufung besitzen. In hellen und dunklen Tagen dürfen wir unser Vertrauen auf Gott setzen. Aber wir können es nur in engster Gemeinschaft mit Dem verwirklichen, der Gott völlig vertraut hat. Wenn wir uns auf uns selbst abstützen, dann nimmt unser Gottvertrauen oft schnell ab. Nur mit der Hilfe des Herrn und in seiner Gemeinschaft können wir in den Wechselfällen unseres Lebens Gott vertrauen.

    Und wenn ich gar nicht sähe,
    wie alles werden soll,
    ich bleib in deiner Nähe
    und harre glaubensvoll.

     
  4. «Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat.» Das vierte Vorrecht ist das Zeugen von Gott. Wir kommen zu diesem Schluss, wenn wir den genauen Wortlaut des Zitats aus Jesaja 8,18 lesen: «Siehe, ich und die Kinder, die der HERR mir gegeben hat, wir sind zu Zeichen und zu Wundern in Israel.» Da hatte der Prophet Jesaja Kinder bekommen. Und mit seinen Kindern zusammen war er zu Zeichen und Wundern in Israel, d.h. zu einem Zeugnis für Gott. Diesen Gedanken nimmt der Schreiber des Hebräer-Briefs hier auf und zeigt, dass wir auf dem Weg zu unserem himmlischen Ziel das Vorrecht haben, von Gott zu zeugen. Auch das können wir nur in Verbindung mit Dem praktizieren, der vollkommen von Gott gezeugt hat. «Siehe, ich» – das ist jetzt der Herr – «und die Kinder, die du mir gegeben hast» – das sind wir die Glaubenden. Wir sind in eine enge Verbindung mit dem Herrn Jesus gebracht. In dieser Gemeinschaft mit Ihm sind wir zum Zeugnis hier gelassen. In allen Altersstufen – als Kinder, als junge Menschen, als solche, die mitten im Leben stehen, als solche, die alt geworden sind – dürfen wir mit der Hilfe des Herrn von unserem grossen Gott zeugen.

Die Befreiung der Kinder (V. 14.15)

Die Verse 14 und 15 beschreiben, was der Herr Jesus vollbringen musste, um uns zu befreiten Kindern zu machen.

«Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind.» Das spricht von unserer Stellung und unserem Zustand als natürliche Menschen. In unserer Stellung sind wir Menschen, und in unserem Zustand waren wir Sünder. Als solche stehen wir unter der Macht des Todes.

Der Herr Jesus hat in nahe kommender Weise an Fleisch und Blut teilgenommen. Das bedeutet, dass Er zwar in unsere Stellung aber nicht in unseren Zustand gekommen ist. Das ist sehr wichtig. Er wurde Mensch, war aber ohne Sünde. Mit Bestimmtheit und grosser Freude sagen wir: «Sünde ist nicht in ihm» (1. Joh 3,5). Weil Er ohne Sünde war, konnte Er uns aus der Macht des Todes befreien.

«Damit er durch den Tod den zunichtemachte, der die Macht das Todes hat, das ist den Teufel und alle die befreite, die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren.» Durch seinen Tod hat Er uns von der Macht Satans und der Macht des Todes befreit. Wir denken an David, der ein treffendes alttestamentliches Bild von dieser Tatsache ist. Als er gegen Goliath kämpfte, hat er zuerst mit einem Stein aus der Schleuder diesen Riesen gefällt. Aber getötet hat David ihn mit Goliaths eigenem Schwert. «Er nahm dessen Schwert und zog es aus seiner Scheide und tötete ihn und hieb ihm den Kopf damit ab» (1. Sam 17,51). Er besiegte diesen Feind Israels mit dessen eigener Waffe!

So starb der Herr Jesus am Kreuz, um in seinem Tod den Teufel zunichtezumachen. Er hat ihn dort besiegt und seine Waffe (den Tod) für die Glaubenden unwirksam gemacht. Denn der Teufel hält den Sünder im toten Zustand und führt ihn in den ewigen Tod. Doch der Herr hat alle, die an Ihn glauben, von der Macht Satans befreit und den Tod für sie unwirksam gemacht. Das hat zwei Aspekte. Einerseits sind wir von unserem toten Zustand befreit und fähig gemacht, für Gott zu leben. Anderseits ist der leibliche Tod für uns kein Schrecken mehr. Zwar sterben Gläubige auch. Aber es ist ein Heimgehen, ein Hinübergehen zu Christus, wo sie es viel besser haben. Der Tod ist für uns besiegt durch Den, der in den Tod gegangen ist. Gepriesen sei der Name unseres Herrn!

Alle Glaubenden sind Priester (V. 16-18)

Die Nachkommen Abrahams sind hier alle Glaubenden, nicht nur solche aus dem Volk Israel. Abraham wird in Römer 4 generell der Vater der Glaubenden genannt. So ist jeder Glaubende dem Charakter nach ein Nachkomme Abrahams. Der Herr Jesus hat sich nicht der Engel angenommen, sondern aller Glaubenden, um sie alle zu Priestern zu machen. Im Volk Israel durfte nur die Familie Aarons Priesterdienst verrichten. Aber in der Zeit der Gnade sind alle Erlösten Priester. Das ist die Stossrichtung, die uns in den Versen 17 und 18 vorgestellt wird.

In Vers 17 finden wir den Ausdruck «in den Sachen mit Gott» (siehe auch Kap. 5,1). Das weist auf den Priesterdienst hin. Der Schreiber möchte uns hier zeigen, dass wir zu Priestern gemacht sind. Er führt diesen Gedanken in den Kapiteln 7 – 10 sehr ausführlich aus. Aber hier zeigt er uns schon die Anfänge. Vers 17 stellt uns das grundsätzliche Problem vor, warum wir Menschen Gott nicht nahen können. Unsere Sünden hindern uns daran. Doch der Herr Jesus ist als Mensch auf die Erde gekommen und den Brüdern gleich geworden, um uns als Priester vor Gott stellen zu können. Er ist ein barmherziger und treuer Hoherpriester: Barmherzig war Er mit uns, weil wir wegen unseren Sünden Gott nicht nahen konnten. Seine Treue richtete sich zu Gott (siehe Kap. 3,2). Er hat in seinem Tod der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes entsprochen. So ist Er gekommen, um die Sünden des Volkes zu sühnen. Er sah unsere Sünden und die Heiligkeit Gottes, die Sühnung forderte. Darum starb Er als Mensch, um für unsere Sünden vor Gott Sühnung zu tun. Er hat das Problem unserer Sünden in Barmherzigkeit zu uns Menschen und in Treue zu Gott gelöst.

Vers 18 behandelt schliesslich das Problem unserer Schwachheiten im Blick auf den Priesterdienst. In den Schwierigkeiten des Lebens werden wir versucht. Wie schnell sind wir niedergedrückt oder mutlos und unsere Anbetung verstummt. Doch der Herr hilft uns in den Nöten, damit wir trotz Schwachheiten Gott als Priester dienen. «Denn worin er selbst gelitten hat, als er versucht wurde, vermag er denen zu helfen, die versucht werden.» In seinem Leben hier auf der Erde hat Er gelitten, damit Er uns jetzt verstehen und helfen kann. Selbst in den grössten Schwierigkeiten befähigt uns unser Hoherpriester zur Anbetung.