Bis dahin haben wir der Reihe nach einige Zitate aus dem Alten Testament bezüglich der ewigen Vergangenheit und des Kommens des Sohnes Gottes als Mensch in diese Welt an uns vorüberziehen lassen. Nun seien hier weitere Stellen angefügt, die sich auf die Zeit zwischen seiner Geburt und seinem öffentlichen Auftreten unter seinem Volk beziehen.
IV.
Dieses einzigartige Kind, geboren von einer Frau, dem sie den Namen «Jesus» geben sollten und das sie auch «Immanuel» nannten, war der von Gott gesandte, eigene Sohn und zugleich der Sohn Davids (Gal 4,4; Mt 1,1). Er sollte daher in Davids Stadt, die Bethlehem heisst, geboren werden (Lk 2,4). Als die Magier vom Morgenland nach Jerusalem kamen und sich erkundigten: «Wo ist der König der Juden, der geboren worden ist? Denn wir haben seinen Stern im Morgenland gesehen,» da konnten ihnen die Schriftgelehrten genaue Auskunft geben. Denn schon der Prophet Micha hatte mehr als 700 Jahre zuvor geweissagt:
- «Und du, Bethlehem-Ephrata, zu klein, um unter den Tausenden von Juda zu sein, aus dir wird mir hervorkommen, der Herrscher über Israel sein soll; und seine Ursprünge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her» (Micha 5,1).
Schon Bileam hatte den Stern ankündigen müssen, der durch die Himmelserscheinung angedeutet wurde, die die Magier sahen:
- «Ich sehe ihn, aber nicht jetzt, ich schaue ihn, aber nicht nahe; ein Stern tritt hervor aus Jakob, und ein Zepter erhebt sich aus Israel (4. Mo 24,17)
Damit sich diese Prophezeiungen bezüglich des Geburtsortes des Kindes Jesus erfüllten, geriet der ganze Erdkreis in Bewegung: Auf Veranlassung des Kaisers Augustus musste jeder in seine eigene Stadt gehen, um sich einschreiben zu lassen. So zog auch Joseph mit Maria, «seiner verlobten Frau», den weiten Weg von Nazareth nach Bethlehem.
V.
Wir wissen aus den Evangelien, welcher Empfang dem menschgewordenen Sohne Gottes auf der Erde zuteilwurde. Gott sandte uns sein Herrlichstes, um den Menschen durch Ihn das Kostbarste zu geben, den, der «die Ausstrahlung seiner Herrlichkeit und der Abdruck seines Wesens» – also seine volle Offenbarung ist –, aber die Menschen haben Ihn, somit Gott selbst, gehasst und verworfen. «Er war in der Welt, und die Welt wurde durch ihn, und die Welt kannte ihn nicht. Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht an» (Joh 1,10.11). Schon bei seiner Geburt fand Er keinen Raum in der Herberge; seine Mutter musste das Kind in eine Krippe legen. Nicht in imponierender äusserer Herrlichkeit war Er zu seinem Volk gekommen. Jesaja sagt:
- «Er hatte keine Gestalt und keine Pracht; und als wir ihn sahen, da hatte er kein Aussehen, dass wir ihn begehrt hätten» (Jes 53,2).
Er war armer Leute Kind. Als seine Mutter nach der Geburt, am Tag ihrer Reinigung, das vorgeschriebene Brand- und das Sündopfer bringen musste, da
- «konnte ihre Hand das zu einem Schaf Erforderliche nicht aufbringen» (3. Mo 12,8).
Sie vermochte nur zwei Tauben zu opfern (Lk 2,24).
Auf die frohe Kunde der Magier hin, der verheissene König sei geboren worden, wurde ganz Jerusalem «bestürzt». Herodes fasste sogar den Plan, das Kind zu töten. Und als Gott Joseph befahl, mit dem Kind und seiner Mutter nach Ägypten zu fliehen, liess Herodes in Bethlehem alle Knaben im Alter bis zu zwei Jahren umbringen, weil er seinen Thron behalten wollte. Da erfüllte sich die traurige Weissagung:
- «Eine Stimme wird in Rama gehört, Wehklage, bitteres Weinen. Rahel beweint ihre Kinder; sie will sich nicht trösten lassen über ihre Kinder, weil sie nicht mehr sind» (Jer 31,15).
Der Prophet bringt dieses Wort hier in Verbindung mit den Kindern Israel, die um ihrer Untreue willen vom Feind umgebracht oder in sein Land weggeführt wurden. Aber er darf die gute Botschaft verkünden: «Deine Kinder werden in ihr Gebiet zurückkehren.» Wie ist das möglich? Weil das Kind Jesus mit den Eltern nach Ägypten entfliehen konnte und sich dann Gottes Wort verwirklicht hat:
- «Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen» (Hos 11,1).
Er ist ins Land Israel zurückgekehrt, um dort der Heiland und Erlöser der Kinder Israel und ihr zukünftiger König zu werden, der den gläubigen Überrest sammeln und sein Reich der Gerechtigkeit aufrichten wird. Schon einmal hatte der HERR seinen «Sohn» – aber das war Israel – aus Ägypten gerufen, doch jener Sohn hatte sich im verheissenen Land verdorben. Sie opferten den Baalim und den geschnitzten Bildern (Hosea 11,2). Aber in diesem Sohn, in Christus, wird auch für Israel alles neu werden.
VI.
Über die Kindeszeit, die Jugendjahre und das weitere Leben Jesu der ersten drei Jahrzehnte berichten die Evangelien wenig. Einzig in Lukas 2,41-52, wird uns von einer der alljährlichen Reisen der Eltern zum Passahfest nach Jerusalem erzählt, zu der sie den zwölfjährigen Knaben Jesus mitnahmen.
Weshalb diese grosse Lücke in seiner Lebensbeschreibung? Der Geist Gottes weiss, warum Er die Schreiber so leitete. Er will unser Augenmerk vor allem auf die Jahre des Dienstes und auf das Werk richten, das Christus vollbracht hat. Wenn wir über sein Jugendalter nachdenken, wollen wir uns hüten, über das hinauszugehen, was das Wort uns sagt. Menschliche Fantasie verunehrt ihn nur.
Aber ein Ausspruch Christi in Psalm 22,10.11 zeigt uns das Wesen seines Lebens als Mensch von Geburt an in hellem Licht:
- «Doch du bist es, der mich aus dem Mutterleib gezogen hat, der mich vertrauen liess an meiner Mutter Brüsten. Auf dich bin ich geworfen von Mutterschoss an, von meiner Mutter Leib an bist du mein Gott.»
Das lässt uns wichtige Schlüsse ziehen.
Verschiedene treue Männer Gottes bezeugten schon: Er ist «mein Gott». Sie meinten damit: Ich kenne Ihn und habe Ihn in meinem Leben ganz persönlich erfahren dürfen. Besonders David hat in seinen Psalmen seiner lebendigen Glaubensbeziehung zu Gott immer wieder Ausdruck gegeben. Aber in der Praxis des Lebens wurde bei ihm diese glückliche Gemeinschaft immer wieder getrübt und gestört, wie das leider auch bei uns der Fall ist.
Doch der Weg Jesu, des «zweiten Menschen vom Himmel», ist vollkommen. Wenn sein Mund sagt: «Auf dich bin ich geworfen von Mutterschoss an, von meiner Mutter Leib an bist du mein Gott,» dann war dies schon von seiner Geburt an bis zum Ende eine ununterbrochene Wirklichkeit. Auch als Mensch, unter den Sündern dieser Welt, lebte Er, selbst in den widrigsten Umständen, fortwährend mit seinem Gott, in völliger Gemeinschaft mit Ihm, … bis Er um unserer Sünde willen von Ihm verlassen werden musste. Bis dahin «gingen sie beide miteinander».
Dieses unaufhörliche Wandeln mit seinem Gott, von den ersten Tagen an, zeigte sich bei Ihm in verschiedener Hinsicht:
Er vertraute auf Gott in allen Dingen
Gottes Gedanken und Worte, Gottes Wille, Wege und Ziele waren es, auf die Er baute und denen Er sich von Herzen unterordnete. Nicht nur das, Er war darin auch völlig eins mit Ihm und hielt Ihm nicht eine andere Meinung oder einen eigenen Willen entgegen. Auch in Bezug auf seine eigene Person ruhte Er in den Händen Gottes, rechnete auf Ihn, dass Er Ihn bewahre und alle seine Bedürfnisse stille. Schon als Säugling war dieses Vertrauen in Ihm
Dass Er sich so auf Gott stützte, war sogar seinen Feinden bekannt. Sie sagten von Ihm:
«Vertraue auf den HERRN! – Der errette ihn, befreie ihn, weil er Gefallen an ihm hat!» (Ps 22,9; Mt 27,43).
Er hat den Gehorsam gelernt (Heb 5,8)
In Verbindung mit Psalm 40 haben wir uns schon daran erinnert, dass der Sohn Gottes auf die Erde gekommen ist, um hier in Knechtsgestalt in allem das Wohlgefallen Gottes zu tun. Wann fing Er an, diese neue Stellung einzunehmen und den Gehorsam zu lernen, dem Er im Himmel als Sohn Gottes nicht unterstand? Zweifellos schon als Kind, sobald Er mit dem Willen Gottes konfrontiert wurde und sich dieser auch in den Eltern an Ihn richtete (Lk 2,51). Nicht ein einziges Mal hat Er Gott Eigenwillen entgegengesetzt; denn in der Stellung eines Menschen ist Eigenwille gegen Gott Sünde (1. Sam 15,23), und Er hat «keine Sünde getan» (1. Pet 2,22). Er war gehorsam von Anfang an bis zum Tod.
Eng verbunden mit seinem Gehorsam ist seine Abhängigkeit
Abhängigkeit lässt sich nicht daran genügen, vorhandene und klare Gebote zu erfüllen; sie fragt auch im Blick auf den Weg, den Gott den einzelnen führt, nach seinem Willen. Das ist dem Gläubigen nur möglich durch das Gebet und das Sinnen über Gottes Wort, um es auszuleben.
Wie muss der Mensch Jesus Christus, der von seiner Mutter Leib an mit seinem Gott vertrauten Umgang pflegte, von den ersten Jahren an diese beiden Mittel ununterbrochen benützt haben! Was wir in Psalm 109,4 finden, hat sein ganzes Leben gekennzeichnet:
- «Ich aber bin … Gebet»
- (oder: «Ich aber bin stets im Gebet»).
Sinnen über Gottes Wort
Auch das Sinnen über Gottes Wort hat Ihn ständig begleitet. Wie kam es, dass die Lehrer im Tempel zu Jerusalem ausser sich gerieten über das Verständnis und die Antworten des zwölfjährigen Knaben Jesus? (Lk 2,47). Da geben uns unter anderen die Verse 97-100 aus Psalm 119 deutliche Antwort; sie beziehen sich vor allem auf Ihn:
- «Wie liebe ich dein Gesetz! Es ist mein Sinnen den ganzen Tag. Weiser als meine Feinde macht mich dein Gebot, denn immer ist es bei mir. Verständiger bin ich als alle meine Lehrer, denn deine Zeugnisse sind mein Sinnen. Mehr Einsicht habe ich als die Alten, denn deine Vorschriften habe ich bewahrt.»
Alle seine Quellen waren in Gott
Die Völker im kommenden Friedensreich werden sich an dieser Quelle erfrischen (Ps 87,7). Aber das traf in vollkommener Weise schon auf den Menschen Jesus Christus zu, vom Anfang bis zum Ende seines irdischen Weges. In Psalm 16,8.9 sagt Christi Geist in Bezug auf seinen Wandel hier auf der Erde:
- «Ich habe den HERRN stets vor mich gestellt; weil er zu meiner Rechten ist, werde ich nicht wanken. Darum freut sich mein Herz und frohlockt meine Seele.»
Sein Herz war auf Gott gerichtet
Gott sah kein anderes gläubiges Menschenherz auf der Erde, das so völlig auf Ihn gerichtet gewesen wäre, wie das Seine. Seine Zuneigungen wendeten sich nie von Ihm ab und erkalteten keinen Augenblick. Was Christus in dieser Welt der Sünde sah, «schmerzte Ihn in sein Herz hinein». Aber als Anfänger und Vollender des Glaubens richtete Er seinen Blick nach oben und erfreute sich ständig an der Liebe und Herrlichkeit des Vaters, dem Er lebte und diente, auch in den dreissig Jahren, die seinem öffentlichen Dienst vorausgingen. Was David in Psalm 63 aufgrund einer persönlichen Erfahrung niederschrieb, wurde unter der Leitung des Geistes ein Bekenntnis Christi, das für Ihn jeden Tag volle Wirklichkeit war:
- «Gott, du bist mein Gott! Früh suche ich dich. Es dürstet nach dir meine Seele, nach dir schmachtet mein Fleisch in einem dürren und lechzenden Land ohne Wasser – so wie ich dich angeschaut habe im Heiligtum –, um deine Macht und deine Herrlichkeit zu sehen … Wie von Mark und Fett wird gesättigt werden meine Seele, und mit jubelnden Lippen wird loben mein Mund, wenn ich deiner gedenke auf meinem Lager, über dich sinne in den Nachtwachen … Meine Seele hängt an dir, es hält mich aufrecht deine Rechte.»
Wir haben versucht, in Gedanken unseren Herrn zu begleiten, wie Er als Mensch in das Leben auf dieser Erde eintrat und zu Gottes, des Vaters, Wohlgefallen in unwandelbarer Treue voranschritt, in Erwartung der Jahre öffentlichen Dienstes und des Werkes, die Er Ihm aufgetragen hatte.
Oh, da ist es unser Anliegen, dass diese Gesinnung in uns sei, die auch in Christus Jesus war!