III. Die ersten Schritte in der Wüste
Der Hirte
Der letzte Vers des 77. Psalms sagt uns: «Du hast dein Volk wie eine Herde durch die Hand Moses und Aarons geleitet.» Mose trägt nun also beim Durchzug durch das Rote Meer und durch die Wüste den Charakter des Hirten.
Der Psalm unterstreicht: «Im Meer ist dein Weg, und deine Pfade sind in grossen Wassern» (Ps 77,20). Das war von jetzt an die Erfahrung des Volkes; für sie war der Pfad Gottes unverständlich; er führte durch grosse Wasser, nicht nur durch die des Roten Meeres, sondern auch durch aufeinanderfolgende Trübsale, die ihren Glauben prüfen sollten. Aber der Psalmist sagt vorher: «Gott! dein Weg ist im Heiligtum» (Vers 14). In der Tat, die Absichten Gottes mit den Seinen sind immer vor Ihm, in völliger Übereinstimmung mit seiner Weisheit und seiner Liebe, selbst wenn es uns scheint, sein Weg sei in grossen Wassern, ohne vorgezeichnete Spur.
1. Die Befreiung am Roten Meer
(Heb 11,29; 2. Mo 13,17-22; 14)
Von den Sammlungspunkten Raemses und Sukkot aus gelangte das Volk nach Etam, am Rand der Wüste. Der normale und kürzeste Weg hätte gegen Norden, durch das Land der Philister geführt. Aber Gott wollte nicht, dass das Volk von seinen ersten Schritten in der Wüste an schon den Kampf sah; Er führt sie auf einem besonderen Pfad, vorerst bis zum Sinai.
Für den Augenblick leitet die Wolke sie zurück und lässt sie, vom Gesichtspunkt der Sicherheit aus betrachtet, an einem ganz schlecht gewählten Ort lagern: Zwischen dem Berg und dem Meer, ohne anderen Ausgang, als nur der Weg, auf dem sie soeben in diese Art Sackgasse hereingekommen waren.
Wenige Stunden vergehen, und schon ist dieser Ausgang vom Pharao und seinem Heer besetzt: «Da erhoben die Kinder Israel ihre Augen, und siehe, die Ägypter zogen hinter ihnen her» (2. Mo 14,10).
Wird Mose die wunderbare Befreiung, die Gott durch seine Hand bewirkt hat, jetzt wieder verlieren? Nichts scheint ihn zu erschüttern, sein Glaube ist fest: Er hält wiederum standhaft aus, als sähe er den Unsichtbaren.
Bei dem Volk aber ist es nicht so. In grosser Furcht schreien sie zu dem HERRN; sie machen Mose Vorwürfe und sind widerspenstig (Ps 106,7). Schrecken ergreift sie; wie viel besser wäre es gewesen, den Ägyptern zu dienen, als hier in der Wüste zu sterben, meinen sie. Erste Krise in den Beziehungen zwischen Mose und Israel, ein Vorspiel von so manchen anderen!
Mose, der Befreiung des HERRN gewiss, flösst gewissermassen sein Glaubensvertrauen dem Volk ein: «Der HERR wird für euch kämpfen, und ihr werdet still sein.»
Der Feind lässt eine Seele nicht so leicht entwischen. Selbst wenn sie hinsichtlich der Vergebung ihrer Sünden ihr Vertrauen in das Blut Christi gesetzt hat, sucht Satan Zweifel in ihr hervorzurufen, Unsicherheit, ein Auf und Ab im Bewusstsein des Heils; anstatt sich einer völligen Befreiung zu erfreuen, ist sie von Zwiespalt und Furcht erfüllt. Einzig das Wort Gottes vermag die Gewissheit des Heils zu geben. Die Erlösung ist durch das Werk Christi gesichert. Sie ist nicht unsere Sache. Er hat sie bewirkt. Die Gewissheit unseres Heils kommt aus dem Glauben an die Erklärungen des Wortes Gottes. Wir sind berufen, «die Rettung des HERRN» zu sehen und still zu sein, indem wir uns auf die zahlreichen Stellen des Wortes stützen, wie z.B. «Also ist jetzt keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind» (Röm 8,1); oder: «Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben» (Joh 3,36).
Anderseits gehen die Anstrengungen des Feindes dahin, die geretteten Seelen in der Welt, in seinem Machtbereich zurückzuhalten. Wie viele wahre Christen, gewaschen im Blut Christi, lassen sich sittlicherweise von der Welt, von Ägypten einhüllen! Sie entsprechen tatsächlich der Forderung Pharaos: «Opfert eurem Gott in dem Land.»
Aber Gott will die Seinen wirklich für sich haben. In der Nacht und im Sturm öffnet sich ein Weg durch das Meer, und das Volk wagt sich hinein. Hebräer 11,29 sagt es noch genauer: «Durch Glauben gingen sie durch das Rote Meer.» Der Glaube kennzeichnete hier das ganze Volk, während in den vorangegangenen Aussagen dieses Kapitels allein der Glaube Moses in den Vordergrund tritt. Es war keine geringe Sache, sich auf das Wort des HERRN durch Mose zu verlassen und zwischen diesen beiden flüssigen Mauern vorwärts zu eilen, die sie jeden Augenblick bedecken konnten.
«In der Morgenwache» verwirrt der HERR das Heer der Ägypter; beim Anbruch des Morgens kehrt das Meer zu seiner Strömung zurück; die Feinde werden in seiner Mitte verschlungen. «Israel sah die Ägypter tot am Ufer des Meeres. Und Israel sah die grosse Macht, die der HERR an den Ägyptern betätigt hatte… und sie glaubten an den HERRN und an Mose, seinen Knecht.» Am Ufer des Roten Meeres erhebt sich jetzt ein Lobgesang aus dem Mund aller, das erste Lied der Bibel; denn nur Erlöste, die sich ihrer Befreiung bewusst sind, können lobsingen. Der Psalmist und die Propheten werden später nicht aufhören, das denkwürdige Ereignis zu besingen; und der Lobgesang der Erlösten, der hier im 2. Buch Mose aus dem Mund Tausender erschallt, wird forttönen bis zur Offenbarung, und sich dort aufgrund einer noch viel herrlicheren Befreiung an das geschlachtete Lamm richten, den ewigen Mittelpunkt des Lobes all der Seinen.
2. Die Bitterkeit Maras
(2. Mo 15,22-26)
Mose kannte die Wüste (2. Mo 3,1), ihre Trockenheit, ihre Hitze, ihre Ausdehnung. Welche Verantwortung, ein ganzes Volk mit seinen Herden dahin zu führen!
Von Anfang an wird nun der neugewonnene Glaube auf die Probe gestellt. So erlaubt Gott oft, dass im Leben des Gläubigen, schon kurz nach seiner Bekehrung, an den Tag kommt, ob sein Glaube echt ist, ob er auf Gott vertraut oder nicht.
Ein Tag, zwei Tage, drei Tage gehen in der Wüste vorbei, und sie finden kein Wasser. Schliesslich gelangen sie nach Mara, «aber sie konnten das Wasser von Mara nicht trinken, denn es war bitter.» Das Volk murrt gegen Mose, und dieser schreit zu dem HERRN. «Der HERR wies ihm ein Holz; und er warf es in das Wasser, und das Wasser wurde süss.» In den Vorbildern der Bücher Mose redet das Holz im Allgemeinen von der Menschheit des Herrn Jesus, dieser vollkommenen Menschheit, in der Er immer den Willen Gottes getan hat, selbst im feierlichen Augenblick von Gethsemane, wo Er gesagt hat: «Nicht mein Wille, sondern der deine geschehe.»
Wenn auf dem Weg eine Prüfung auftritt, so sollen wir sie als von Gott kommend annehmen. Das ist die erste Lektion, die wir auf dem Pfad des Glaubens zu lernen haben. Sich dem Willen Gottes unterwerfen, der unser Bestes will; suchen, welche Belehrung die eingetretenen Schwierigkeiten für uns haben. Da hat sich jemand um eine Stelle beworben … und ist abgewiesen worden; ein junger Familienvater gibt sich alle Mühe, sein neues Heim auszustatten und die Seinen zu ernähren … da hält ihn eine Krankheit auf; die sehnlich erwartete Einladung kommt nicht; der Freund, auf den du zähltest, enttäuscht dich. Aber der Glaube erhebt sich über die Bitterkeit der Enttäuschung; er findet im vollkommenen Mitgefühl des Herrn Jesus die Möglichkeit, aus der Hand Gottes anzunehmen, was auf seinem Weg so bitter erscheint.
In Mara offenbart sich der HERR unter einem neuen Namen: «Der HERR, der dich heilt»;1 die Wasser werden süss, die Heilung des HERRN stellt wieder her. In Elim findet die Seele dann Erfrischung und Nahrung, die sie nötig hat. Schliesslich wird jeden Morgen – wunderbare Erfahrung – das Manna herabfallen, um den Bedürfnissen des Volkes zu begegnen.
3. Die Lehren Rephidims
(2. Mose 17)
Da wir vor allem zu erfassen suchen, was uns das Wort über die Persönlichkeit Moses sagt, über die Weise, wie ihn Gott sein Leben lang formte und unterwies, können wir nicht in alle Einzelheiten der Wüste eintreten, und daher gehen wir auch nicht auf das Kapitel über das Manna ein.
In Ausführung der Befehle des HERRN war Mose bis dahin alles gelungen. Der anmassende und hochmütige Pharao war vernichtet, das Rote Meer durchschritten und das Manna stillte jetzt das Bedürfnis des Volkes. Aber es war nötig, dass der Knecht Gottes immer von neuem sein Unvermögen kennen lernte.
a) Der Fels (Verse 1-7)
In Rephidim fehlte das Wasser. Das Volk haderte mit Mose und sprach sogar davon, ihn zu steinigen. «Warum doch hast du uns aus Ägypten heraufgeführt, um mich und meine Kinder und mein Vieh vor Durst sterben zu lassen?» Der Pharao wollte die Kinder und das Vieh in Ägypten zurückhalten, und nun warf das Volk Mose vor, dass er sie überhaupt heraufgeführt habe!
Völlig machtlos gegenüber diesem ungerechten Angriff schrie Mose zu dem HERRN: «Was soll ich mit diesem Volk tun?»
Er soll jetzt eine neue Lektion lernen: Die Gegenwart Gottes selbst genügt für alle Bedürfnisse der Seinen: «Siehe, ich will dort vor dir stehen auf dem Felsen.» «Der Fels aber war der Christus», wird uns in 1. Korinther 10,4 gesagt. Wie Mose mit seinem Stab der Autorität und des Gerichts den Felsen schlug, so musste Christus mit dem Gericht Gottes geschlagen werden, damit die Wasser – der Heilige Geist – im Überfluss aus Ihm, dem Felsen, hervorströmen konnten (Joh 7,39).
Mose, der persönlich angegriffen worden war, soll persönlich geehrt werden. In seiner ganzen Würde geht er vor dem Volk an die bezeichnete Stelle, vor den Augen der Ältesten Israels quillt das Wasser aus dem Felsen, und alle können trinken (Vers 6).
b) Amalek (Verse 8-16)
Auf der Reise durch die Wüste zeigte sich ein neues Hindernis: Amalek, das man als ein Vorbild des Fleisches in uns betrachtet. Amalek griff besonders die Nachzügler, die Schwachen an, um sie in der Wüste zu beunruhigen. Man muss kämpfen, aber wie?
Mose lernt wiederum eine Lektion. Josua, ein Bild des auferstandenen Herrn und des Heiligen Geistes, stellt sich an die Spitze des Volkes zum Kampf, («das Fleisch begehrt gegen den Geist, der Geist aber gegen das Fleisch», sagt uns Galater 5,17). Aber der Kampf Josuas allein genügte nicht. Mose steigt auf den Gipfel des Hügels, den Stab Gottes in seiner Hand, und tritt fürbittend für das Volk ein. Er ist sich seiner Schwachheit bewusst. Wenn er die Hand erhob, hatte Israel die Oberhand; wenn er seine Hand ruhen liess, hatte Amalek die Oberhand. Aber die Hände Moses wurden schwer. Geht es uns nicht ähnlich, selbst wenn wir verstanden haben, dass in unserer Schwachheit das einzige Hilfsmittel im ausharrenden Gebet liegt? Man lässt nach, ermüdet darin, und es fehlt oft an Beständigkeit! Aber Aaron und Hur kommen; sie unterstützen die Hände Moses.
In seiner Jugend wollte Mose kämpfen: Er tötete den Ägypter. Jetzt aber, im vorgerückten Alter, legt er mit seinem Bruder und seinem Gefährten für das Volk Gottes Fürbitte ein.
Die Gegenwart Gottes und die Macht der Fürbitte, das waren für Mose die grossen Lektionen in Rephidim.
- 1Jahwe-Ropheka. Siehe Artikel «Gott ist für uns», Halte fest 1996.