Der Gute Hirte und seine Schafe (3)

Johannes 10,7-9

3. Die Tür zur Errettung, zur Freiheit und zur Weide

«Jesus sprach nun wiederum zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: ich bin die Tür der Schafe. Alle, die vor mir gekommen sind, sind Diebe und Räuber; aber die Schafe hörten nicht auf sie. Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich eingeht, so wird er errettet werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden» (Joh 10,7-9).

Nach einem Unterbruch, der am Schluss des 6. Verses dieses Kapitels angedeutet ist, fährt der Herr mit seiner Rede fort und spricht weiter über die Schafe und die neue Beziehung, in die Er mit ihnen treten würde. Im vorangegangenen Abschnitt hatte der Herr in allgemeinen Ausdrücken von seinem Kommen in den Schafhof gesprochen. Nun geht Er dazu über, darzulegen, welch unermesslicher Reichtum in Ihm selbst für die Armen der Herde, die Ihn als ihren Hirten aufnahmen, vorhanden war. Diese Schafe sollten in Ihm ihr Alles finden.

Die Tür der Schafe

In seiner weiteren Offenbarung, die Er von sich selbst gibt, gebraucht der Herr eine neue Illustration. Er war tatsächlich der Hirte der Schafe; aber Er wollte auch klarmachen, dass Er die Tür der Schafe war.

Es muss sorgfältig beachtet werden, dass der Herr in diesem Abschnitt zweimal vermeidet zu sagen, Er sei die Tür des Hofes. In den Versen 1 und 2 spricht Er vom Eingehen durch die Tür in den Hof der Schafe. In Vers 7 ist Er die Tür der Schafe. Und in Vers 9 bezeichnet Er sich als die Tür, ohne weitere Angabe.

Was ist die Bedeutung dieser Auslassung?

Es ist nicht nötig, hierüber willkürliche Vermutungen anzustellen. Der Zusammenhang zeigt, dass der israelitische Hof mit seinem gesetzlichen System vom Herrn tatsächlich verlassen worden war. Der Gute Hirte hatte sich dem Hof vorgestellt, war aber als solcher nicht aufgenommen worden. Als Folge davon führte der Hirte seine Schafe aus dem Hof heraus, und zu diesem Zweck der Befreiung würde Er eine Tür für sie sein – eine Tür der Hoffnung (Hosea 2,15).

Die Wahrheit war und ist, dass eine Neuordnung zum Segen des Menschen aufgerichtet werden sollte, in die die Schafe durch die Tür, das ist Christus selbst, eingehen können. Von einer Einführung eines «Konkurrenzhofes» zum Judentum wird kein Wort gesagt; und anderseits war die Stunde noch nicht gekommen, um die bevorstehende Abkehr von den Anordnungen des Gesetzes zu erklären. Die Zuhörer des Herrn waren zu jenem Zeitpunkt nicht fähig, solch eine Ankündigung zu ertragen. Darum benützt der Herr bei dieser Gelegenheit allgemeine Ausdrücke, die Raum lassen für die zukünftige Offenbarung der weitreichenden Gnade Gottes, sowohl gegenüber Juden wie Nichtjuden, die auf seine Kreuzigung und das Herabkommen des Heiligen Geistes an Pfingsten folgen würde.

Doch selbst in diesem Zusammenhang können wir sehen, dass in den Ausdrücken dieser Rede Vorsorge getroffen ist für das vollere Ausfliessen der Gnade, das nahe bevorstand. In Vers 9 wird angedeutet, dass der durch den Hirten eingeführte Segen nicht auf Israel beschränkt bleiben sollte. Zuerst kündigt sich der Herr als die Tür der Schafe an, d.h. der jüdischen Schafe, aber dann wiederholt Er diese Wahrheit ohne begrenzende Bedingungen, so dass Schafe aus den Nationen miteingeschlossen sein würden. Er sagte: «Ich hin die Tür; wenn jemand durch mich eingeht, so wird er errettet werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden.» «Jemand» ist ein Ausdruck von weitreichendster Anwendung, und kein Fremder aus den Nationen ist ausserhalb dieses Bereichs.

So lenkte der Herr durch diese Illustration die Aufmerksamkeit ausschliesslich auf sich und rief die Gläubigen in Israel und an jedem Ort auf, alles, was «Hirte» und «Tür» für eine abhängige und wehrlose Herde bedeuten würde, von Ihm zu erwarten. In Ihm würden sie alles vorhanden finden. Er bot sich unmissverständlich als Ersatz für den früheren irdischen Hof an. Er erklärte sich nicht als die Tür zu einem anderen irdischen System, sondern sagte einfach: «Ich bin die Tür». Und wenn die Neugierde uns dazu führt, uns zu erkundigen, wovon Er «die Tür» sei, so wird unsere Liebe richtig vermuten, dass es hinter der Tür nichts als Ihn selbst und die Reichtümer seiner Gnade gibt.

Es mag bekannt sein, dass in den Versen 7 und 9 nicht wenige Ausleger sich erkühnt haben, den Worten unseres Herrn «Hof» hinzuzufügen. Sie taten es in ihrem Übereifer, eine übereinstimmende Illustration zu bekommen. Aber in den nachfolgenden Versen wird die Tatsache klar, dass der Herr in deutlicher Sprache verhiess, beide, die jüdischen und nichtjüdischen Schafe, nicht in einen Hof, sondern in «eine Herde» zu bringen, wovon Er der «eine Hirte» sein würde (siehe Vers 16).

Errettung, Freiheit und Weide

Der Herr gab seiner Zuhörerschaft seine eigene Zusicherung, dass «jemand», der durch die Tür einging, d.h. durch Ihn selbst,

  • errettet würde
  • ein- und ausgehen würde
  • Weide finden würde

In erster Linie sollten die Schafe also in Christus ihre notwendige Errettung finden. Der Herr erinnert sie in diesen Versen daran, dass sie in der vergangenen Zeit gelitten hatten:

  1. von treulosen und falschen Hirten;
  2. vom Dieb, der nur zu ihnen kam, um zu stehlen, zu schlachten und zu verderben; und
  3. vom Wolf der raubte und die Herde zerstreute.

Die Schafe hatten wahrhaftig nötig, aus der Hand ihrer Feinde gerettet zu werden; aber sie mussten von mehr als nur äusseren Gefahren errettet werden.

Die Schafe hatten sowohl innere Fehler als auch äussere Feinde. Sie hatten sich alle verirrt. Jedes hatte sich auf seinen eigenwilligen bösen Weg gewandt. Und wenn die Zeit da war, würde der HERR alle ihre Ungerechtigkeit auf den Einen legen, der jetzt zu ihnen redete, so wie der Prophet Jesaja es vorausgesagt hatte (Jes 53,6). Auch Sacharja hatte vom Hirten gesprochen und von der Nacht des Gerichts, durch die Er gehen müsse, bevor seine kleine Herde errettet werden könne: «Schwert, erwache gegen meinen Hirten und gegen den Mann, der mein Genosse ist!, spricht der HERR der Heerscharen. Schlage den Hirten, und die Herde wird sich zerstreuen. Und ich werde meine Hand den Kleinen zuwenden» (Sach 13,7).

Ferner sollten die Schafe, im Gegensatz zur Knechtschaft, die ihren Ursprung am Sinai hatte, in die Freiheit gebracht werden, zu der Christus die Gläubigen frei macht (Gal 4,24-26; Joh 8,31-36; Gal 5,1). Sünde und Satan hielten die Menschen in harter, bitterer Sklaverei fest, und das Gesetz Moses konnte das unbarmherzige Joch weder des einen noch des anderen Sklavenhalters beseitigen. Doch der Herr Jesus hat durch seinen Tod nicht nur die Macht des einen, sondern die Macht beider zunichtegemacht (Röm 6,6; Heb 2,14.15).

Diese befreiende Tatsache wurde nach ihrer Erfüllung verkündigt und ist durch den Heiligen Geist in den Briefen des Neuen Testaments voll entfaltet worden. Doch zu jenem Zeitpunkt sagte der Herr nur, dass seine Schafe «ein- und ausgehen» würden. Es sollte die Aufgabe des Geistes Gottes sein, die Auswirkungen der Erlösung aufzuzeichnen, so wie es der Auftrag des Sohnes Gottes war, das Werk der Gnade auszuführen.

Überdies versprach der Hirte den Schafen, die durch die Tür eingingen, dass sie Weide finden würden. Ein besonderer Anklagepunkt, den Gott gegen jene erhob, die in früheren Zeiten vorgaben, Hirten Israels zu sein, war, dass sie sich selbst weideten und nicht die Herde (Hes 34,1-10). Aber beim Guten Hirten war das anders. Nun, da Er gekommen war, sollten die Schafe nicht länger Mangel leiden. Er würde sie auf grünen Auen lagern und sie zu stillen Wassern führen (Ps 23,2).

Gemäss der Prophezeiung Hesekiels war Er selbst diese «Pflanzung zum Ruhm», die ihnen von ihrem Gott versprochen worden war, dass Er sie ihnen erwecken werde, damit sie im Land nicht mehr durch Hunger weggerafft würden (Hes 34,29). So werden wir durch das Wort Gottes belehrt, dass der Herr Jesus der Hirte und die Tür und die Weide und unser ein und alles ist.