Die Herrlichkeit des HERRN entfernt sich
Im sechsten Jahr der Wegführung, ungefähr ein Jahr nach dem ersten Gesicht, wird Hesekiel eine neue Offenbarung gegeben.
Die Herrlichkeit des Herrn war, obgleich sie dem Propheten im Gesicht in Chaldäa erschien, tatsächlich immer noch im Tempel in Jerusalem. Jedoch wird sie ihn nun verlassen. Welches sind die Gründe dafür und wie wird dies geschehen?
Warum geht die Herrlichkeit weg? (Hesekiel 8)
Hesekiel, in «Gesichten Gottes» nach Jerusalem gebracht, entdeckt dort, was der Herr darin sah, obwohl die Menschen alles taten, um es zu verbergen.
Für das Gericht, das nun über die heilige Stadt hereinbrechen wird, werden uns nacheinander fünf Gründe angegeben:
- Am Eingang des Tores des inneren Vorhofs, das gegen Norden sieht, befand sich das «Bild der Eifersucht». Und dort war auch die Herrlichkeit des Gottes Israels! Dieses Götzenbild, durch Manasse in den Tempel gestellt (2. Chr 33,7), war durch den König wieder daraus entfernt worden, als er sein Tun bereut hatte (Vers 15). Aber ohne Zweifel wurde es später wieder aufgerichtet, als öffentliche Kundgebung des Götzendienstes in Israel, dessen Herz sich vom HERRN abgewandt hatte.
- Aber es gab noch Schlimmeres: Durch ein Loch in der Mauer des Tempels, die er durchbrochen hat, sieht und öffnet der Prophet eine geheime Tür. Er dringt in eine Bilderkammer ein und sieht an den Wänden ringsumher «allerlei Gebilde von scheusslichem Gewürm und Vieh und allerlei Götzen» gezeichnet (Vers 10). Wenn der Kult des Baal und der Astarte von Syrien gekommen war, so stammte dieser hier von Ägypten. Er wurde von siebzig Männern der Ältesten praktiziert, was an die Zahl derer erinnert, die mit Mose die Herrlichkeit des Gottes Israel betrachtet hatten (2. Mo 24,9). Unter ihnen befand sich «der Sohn Schaphans», jenes Schaphans, der zur Zeit des Königs Josia mit Hilkija das Buch des Gesetzes wieder gefunden hatte (2. Chr 34,15). Mit welcher Freude hatte der Vater dem König daraus vorgelesen … und jetzt liess der Sohn im Finstern den Duft einer Weihrauchwolke vor scheusslichen heidnischen Götzenbildern emporsteigen! Diese Leute sagten sich: «Der HERR sieht uns nicht», nicht wissend, dass da Cherubim waren und Räder voller Augen.
- Am Eingang des Tores des Hauses des HERRN hatte ein anderer, der phönizische Kultus, Platz gefunden, der des Tammus, der dem griechischen Kultus des Adonis entsprach und ebenso verdorben war (Vers 14).
- Endlich standen am Eingang des Tempels des HERRN, zwischen der Halle und dem Altar fünfundzwanzig Männer, die ihre Rücken gegen den Tempel und ihre Angesichter gegen Osten gerichtet hatten. Sie bückten sich gegen Osten hin vor der Sonne (Vers 16). Auch die Anbetung der Sonne war also aus der Gegend von Persien in Jerusalem eingedrungen. Wer anders als die vierundzwanzig Priester – einer für jede Abteilung – mit dem Hohenpriester an ihrer Spitze waren es, die dem Tempel den Rücken kehrten und das Geschaffene verehrten?
- Ein fünfter Grund wird uns im siebzehnten Vers genannt: «Sie füllen das Land mit Gewalttat». Schon seit den Tagen Noahs war die Erde von Gewalttat und Verderben erfüllt.
Sollten wir uns da noch besonders über den Niedergang Israels wundern? – Und wie steht es um so manche der Jungen unter uns? Sie haben die christlichen Vorrechte genossen, sowohl zu Hause als auch bei den Zusammenkünften, aber ihr Herz wurde nicht geändert, die neue Geburt fand nicht statt, sie haben sich mit einer oberflächlichen Kenntnis der Wahrheit zufrieden gegeben. Und dann ist irgendetwas als Götze in das Leben eingedrungen, sei es eine den Gedanken Gottes entgegengesetzte Zuneigung, eine philosophische oder religiöse Anschauung, eine Freundschaft am unrechten Platz oder sonst etwas.
Wie dem auch sei, der Platz, der dem Herrn gehört, ist von etwas anderem eingenommen worden, und nach und nach entfernte sich das Herz von Ihm.
Aber es gibt noch Schlimmeres. Wie viel unreine Gedanken gibt es in einem Herzen, das dem Herrn Jesus nicht den ersten Platz gibt! Nicht nur jene, die gelegentlich im Geist auftauchen, die man sofort von sich weisen muss, indem man sich mit dem Guten beschäftigt (Phil 4,8-9), sondern solche, die man pflegt, die man liebt, mit denen man sich immer wieder beschäftigt. Niemand weiss es, niemand sieht es, alles geht im Geheimen und im Dunkeln vor sich. Ohne Gewissensbisse wiederholt ein solcher Mensch: «Der Herr sieht mich nicht!» Und in dem geheimen Gemach seiner Seele, in der Finsternis, arbeitet die verdorbene Einbildungskraft, «und da sind allerlei scheussliche Gebilde ringsumher an die Wand gezeichnet». Das Verderben bleibt nicht im Inneren verborgen, es zeigt sich auch in Taten und man kann sehr tief fallen, ohne sich selbst darüber Rechenschaft zu geben. Sage mir nicht, solche Dinge kämen nur selten oder gar nicht vor! Wer sein Herz nicht ganz dem Herrn gegeben hat und darüber wacht, kann leicht in einen solchen Weg hineingezogen werden.
Und wie stellen wir uns zu der «Gewalttat», die sich so oft kundgibt? In den Briefen haben wir ja so viele Warnungen: «Die Werke des Fleisches sind Feindschaft, Streit, Eifersucht, Zorn, Zank, Zwietracht» … «Jetzt aber legt auch ihr das alles ab: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung, schändliches Reden aus eurem Mund». Wenn wir nicht darauf achthaben, so können solche Verirrungen selbst unter Gläubigen vorkommen.
Muss man sich dann wundern, besonders wenn niemals wahres Leben aus Gott vorhanden war, dass das Interesse für die göttlichen Dinge nachlässt und verschwindet? Und geht in einem Herzen, das den Herrn niemals wahrhaft aufgenommen hat, nicht etwas Ähnliches vor, das dem Weggang der Herrlichkeit entspricht? Man wird gleichgültig oder widerspruchsvoll. In seiner Gnade bemüht sich Gott, den Verirrten durch Buße wieder zurückzubringen. Aber hört man wohl immer darauf?
Ein Überrest (Hesekiel 9)
In Jerusalem beteiligten sich nicht alle an dem sie umgebenden Verderben. Einige demütigten sich über diesen Zustand und seufzten über alle die Gräuel, die in der Stadt geschehen (Vers 4). Würden auch sie umkommen wie die anderen? Auf diese Frage antwortet das neunte Kapitel.
Hesekiel sieht in seiner Vision, wie sich sechs bewaffnete Männer von Norden her der Stadt nähern, von denen jeder ein Werkzeug zum Zerschlagen in seiner Hand hält. Alles wird zerstört werden. Aber, unendliche Gnade Gottes, es war «ein Mann in ihrer Mitte, in Leinen gekleidet, mit einem Schreibzeug an seiner Hüfte» (Vers 2) ein sehr genaues Bild des Herrn Jesus. Dieser Mann wird an die Stirne der Leute, «die seufzen und jammern über alle Gräuel, die in ihrer Mitte geschehen», ein Zeichen machen, und zwar den Buchstaben T, der eine einfache Form des Kreuzes ist (Vers 4, siehe Fussnote).
Erst danach werden die sechs Bewaffneten ihr Gericht ausführen und niemand verschonen: Greise, Jünglinge, Jungfrauen, Kinder und Frauen, aber sie werden niemandem nahen, «an dem das Zeichen ist» (Vers 6).
In dem Gesicht wird das Gericht ausgeführt, es fängt bei dem Heiligtum an, bei den Ältesten, die vor dem Tempel waren (vgl. 1. Pet 4,17). Aber der Überrest wird verschont.
Der Grundsatz des «Überrestes» findet sich oft im Wort Gottes. Schon beim goldenen Kalb ging «jeder, der den HERRN suchte, hinaus zum Zelt der Zusammenkunft, das ausserhalb des Lagers war» (2. Mo 33,7). Aber von der Mehrzahl des Volkes blieb jeder an dem Eingang seines Zeltes stehen und blickte jenen nach, die sich zu dem Ort begaben, wo sich die Herrlichkeit des HERRN befand: Der treue Überrest ging hinaus, «ausserhalb des Lagers» (vgl. Heb 13,13).
Maleachi beschreibt uns den bösen Zustand, in den das aus der Gefangenschaft zurückgekehrte Volk gefallen war, aber in ihrer Mitte stellt er solche fest, die sich von ihnen unterscheiden: «Da unterredeten sich miteinander, die den HERRN fürchten, und der HERR merkte auf und hörte … Sie werden mir» – sagte Er – «zum Eigentum sein … Ich werde sie verschonen, wie ein Mann seinen Sohn verschont, der ihm dient» (Mal 3,16.17). Einige waren es, die sich gegenseitig ermunterten, trotz des Bösen, das sie umgab, und sie redeten vom Herrn, wie es einige Jahrhunderte später ein Zacharias und eine Elisabeth, eine Anna und ein Simeon taten, als Jesus auf die Erde kam.
Im Verlauf der Geschichte der Kirche, wie sie uns in den vier letzten Sendschreiben der Offenbarung, Kapitel 2 und 3, geschildert wird, sehen wir, dass während der Grossteil der Bekenner sich abwendet, einige treu bleiben: «die übrigen, die in Thyatira sind», die «einigen wenigen Namen» in Sardes, der, der in Laodizea dem Herrn die Türe öffnet und schliesslich der kollektive Überrest in Philadelphia.
Das ist auch die Belehrung von 2. Timotheus 2, die sich auf die jetzigen Tage bezieht, in denen das verantwortliche Haus Gottes auf der Erde zu einem grossen Haus geworden ist, das sowohl Gefässe zur Ehre als auch Gefässe zur Unehre enthält. Um ein geheiligtes Gefäss zur Ehre zu werden, das dem Hausherrn nützlich ist, muss man sich von denen reinigen, die sich abwenden, und mit denen, die den Herrn aus reinem Herzen anrufen, Ihm anhangen, der der Mittelpunkt des Zusammenkommens ist, auch wenn es nur zwei oder drei sind.
Die Herrlichkeit geht weg (Hesekiel 10 und 11)
In Hesekiel 8,4 lesen wir: «Siehe, dort war die Herrlichkeit des Gottes Israels.» In den schönsten Tagen Salomos (2. Chr 5,14) hatte diese Wolke den Tempel bei seiner Einweihung erfüllt. Trotz des Niedergangs des grossen Königs, trotz der Götzendienereien Ahabs, Isebels und Athalias und trotz der schrecklichen Sünden Manasses war die Gegenwart Gottes dageblieben, nun aber war der Kelch voll und die Herrlichkeit begann sich langsam zurückzuziehen. In den Kapiteln 9,3 und 10,4 erhob sie sich von dem Cherub des Heiligtums zu der Schwelle des Hauses hin. Dann, in Kapitel 10,18, begab sie sich von der Schwelle des Hauses weg an den Eingang des östlichen Tores. Aber auch da noch war nur Unheil und Böses (11,2): Die Fürsten des Volkes erteilten bösen Rat und suchten ihre Hilfe fern von Gott Die Herrlichkeit konnte nicht bleiben, nicht einmal auf der Schwelle. In Kapitel 11,23 erhebt sie sich aus der Mitte der Stadt und stellt sich auf den Berg, der gegen Osten der Stadt ist, also auf den Ölberg.
In der Person des Herrn Jesus sollte die Herrlichkeit eines Tages nach Jerusalem zurückkehren. Die Menge wird Ihn begrüssen: «Hosanna dem Sohn Davids! Gepriesen sei der da kommt im Namen des Herrn!» (Mt 21,9). Man wird von den Bäumen Zweige hauen und Kleider auf dem Weg ausbreiten. Aber was wird Jesus tun? «Und als er sich näherte und die Stadt sah, weinte er über sie und sprach: Wenn du doch erkannt hättest – und wenigstens an diesem deinem Tag –, was zu deinem Frieden dient! Jetzt aber ist es vor deinen Augen verborgen» (Lk 19,41.42).
Er war die Ausstrahlung der Herrlichkeit Gottes und der Abdruck seines Wesens, aber als Er in sein Haus trat, in den Tempel selbst, «und über alles umhergeblickt hatte, ging er, da es schon spät an der Zeit war … hinaus» (Mk 11,11). Kein Herz war geneigt, Ihn zu empfangen, kein Haus wollte Ihn aufnehmen. Er ging nach Bethanien, zu dem «kleinen Überrest» hinter dem Ölberg, wo einige Herzen Ihn liebten. Von diesem Ort aus ist Er, nachdem Er seine Jünger gesegnet hat, in den Himmel aufgefahren. Auf diesen Berg wird Er am Tag seines Triumphes herabkommen (Sach 14,4), und die Herrlichkeit, die so lange abwesend war, wird in den neuen Tempel zurückkehren (Hes 43,1-6).
Die Zerstörung Jerusalems
Im neunten Jahre der Wegführung, am Zehnten des Monats, kündigt der HERR dem Propheten an, dass der König von Babylon an eben diesem Tag gegen Jerusalem heranrücken würde (Hes 24,1.2). Der Prophet gibt die Nachricht an das Volk weiter, doch ohne grossen Erfolg. Um denen, die Hesekiel umgeben, mehr Eindruck zu machen, kündet ihm der HERR an, dass seine Frau sterben werde, aber er dürfe nicht klagen und sie beweinen. Das Volk ist darüber erstaunt und der Prophet muss ihnen erklären, dass so, wie er nach dem Gebot des Herrn nicht über seine Frau weine, auch sie nicht über das trauern könnten, was jetzt noch «der Stolz ihrer Stärke, die Lust ihrer Augen und das Verlangen ihrer Seele war», nämlich der Tempel in Jerusalem, dessen sie sich rühmten. Auch sie sollten ihre im Land zurückgelassenen Söhne und Töchter nicht mehr sehen, die Kinder werden durchs Schwert fallen, aber ihre Eltern werden sie nicht beweinen können, denn sie werden hinschwinden in ihren Missetaten und einer gegen den anderen seufzen.
Drei Jahre später kam ein Entronnener aus Jerusalem zum Propheten (Hes 33,21), im zwölften Jahr der Wegführung, und kündigte ihm an: «die Stadt ist geschlagen». Nun war es Schluss. Das sechs Jahre zuvor in so lebhafter Weise angekündigte Gericht war jetzt ausgeführt. Der Tempel war zerstört, die Stadt verbrannt und die Mauern niedergerissen.
Zurückkommend auf die soeben auf die Jungen unter uns gemachte Anwendung – ist es nicht schmerzlich, an das Los derer denken zu müssen, die, nachdem sie viel empfangen, sich abgewandt und den Weg des Herrn aufgegeben haben? Wenn sie nicht Buße tun, wird die Strafe über sie kommen. Die Herrlichkeit geht weg, Gott wartet noch, Er klopft, Er ruft. Verhärtet sich aber der Widerstand, will man nicht zu Christus kommen, um Leben zu haben, so bleibt nur noch der Tod übrig, «danach aber das Gericht». Wir kennen tragische Beispiele!