Die Rückkehr der Herrlichkeit
Die Vision von der Herrlichkeit Gottes war für Hesekiel die Grundlage für seine Berufung zum Propheten gewesen. Ein Jahr später hatte er in einem anderen Gesicht den Schmerz erlebt zu sehen, wie diese Herrlichkeit den Tempel in Jerusalem verliess und – wie mit bedauerndem Zögern – zur Stadt hinausging, um sich auf den Ölberg zu begeben. Welche Stärkung musste er empfinden, als er im 25. Jahr der Gefangenschaft (Hes 40,1), also zwanzig Jahre nach dem ersten Gesicht, in einer prophetischen Vorausschau die Rückkehr dieser Herrlichkeit in den neuen Tempel betrachten konnte!
Sie hatte dieses durch Salomo errichtete Heiligtum verlassen müssen wegen des darin öffentlich und im Geheimen herrschenden Verderbens (Hes 8-11). In den durch Serubbabel wiederaufgebauten Tempel ist sie nicht zurückgekommen. Dieses Gebäude – zum Teil zerstört, wiederaufgebaut und ausgebessert – hat der Herr der Herrlichkeit selbst betreten, wie uns die Evangelien berichten. Aber Er wurde nicht darin aufgenommen; keine Türe, kein Herz öffnete sich für Ihn. Daher die feierliche Erklärung: «Siehe, euer Haus wird euch öde gelassen; denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: ‹Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!›» (Mt 23,38-39).
Wie viele Jahrhunderte der Prüfung wird es brauchen, bis Israel, seine Abgötterei und den Mord an seinem Messias bereuend, gereinigt und wiederhergestellt in seinem Land wohnen wird, wie wir es in den vorhergehenden Kapiteln gesehen haben! Unter den Segnungen der Wiederherstellung war die eine Verheissung vorherrschend: «Und meine Wohnung wird über ihnen sein» (Hes 37,27). In den Kapiteln 40 – 46 hat Hesekiel die Vision dieses neuen Tempels und seines Dienstes. Doch wozu wäre das Haus nützlich, wenn die Herrlichkeit nicht dorthin zurückkehrte?
Fühlen wir nicht, wie der Prophet vor Freude bebt, wenn er sieht, wie diese Herrlichkeit von Osten kommend und die ganze Erde erleuchtend, das Haus betritt und es erfüllt? Im Osten des Heiligtums hatte er mit Schmerz gesehen, wie fünfundzwanzig Männer die Sonne anbeteten; am östlichen Tor gaben fünfundzwanzig andere Führer des Volkes böse Ratschläge. Jetzt war alles verändert: die Gnade hatte gewirkt, die Herrlichkeit war wieder da. Es ist die Vision einer zukünftigen Zeit, die heute noch nicht erfüllt ist, aber sicher kommen wird. Was konnte er anderes tun als – wie im ersten Kapitel – auf sein Angesicht fallen und anbeten (Hes 43,3)? Die Beziehungen zu Israel, die beim Weggang der Herrlichkeit unterbrochen und während der ganzen «Zeit der Nationen» nie mehr aufgenommen wurden, werden wieder angeknüpft werden, wenn beim Anbruch des Reiches die Herrlichkeit des Gottes Israels aufs Neue das Haus erfüllen wird.
Beim Betrachten der Kapitel 8 – 11 haben wir den Weggang der Herrlichkeit auf den Zustand eines Herzens angewandt, das unter dem Einfluss der göttlichen Dinge stand, aber dann zuliess, dass es nach und nach von «Götzen» erfüllt und so von Ihm abgezogen wurde. Wie die Geschichte Israels uns lehrt, ist es immer möglich darüber Buße zu tun, solange man lebt und der Herr noch nicht gekommen ist. Vielleicht sind viele Prüfungen und Kümmernisse nötig, bis das Herz sich wirklich zum Herrn wendet. Aber welche Freude ist es, wenn jemand, nachdem er durch das Blut Christi gewaschen ist und den Herrn Jesus im Glauben aufgenommen hat, eines Tages die ganze Wonne seiner Gegenwart geniessen kann!
Wahre Kinder Gottes können eine ähnliche Erfahrung machen. Anstatt im Licht zu wandeln, gibt man in seinem Herzen einer oder zwei «geheimen Kammern» Raum, die sich der Wirkung des Heiligen Geistes entziehen. Darüber betrübt, kann Er uns den Herrn nicht in dem Mass geniessen lassen, wie Er es gerne tun möchte. Aber wenn das Hindernis verurteilt und weggetan ist, wenn die fremden Götter begraben sind (siehe 1. Mose 35,2-4 und 2. Kor 7,1), kann dann der Genuss der Gegenwart des Herrn nicht aufs Neue die Seele erfüllen?
Hesekiel 43,9.10 gibt uns hinsichtlich des zukünftigen Tempels eine besondere Belehrung. Der Prophet sollte die damit verbundenen hauptsächlichen Anordnungen dem Haus Israel zeigen, sowohl den ihn in der Gefangenschaft umgebenden Juden als auch, mittels seiner Schriften, dem zukünftigen Volk Israels. Was wird die Wirkung dieser Darstellung der grossen Linien des Hauses sein? Nicht Bewunderung, sondern Beschämung! Nur wenn sich die Israeliten über all ihr Tun demütigen werden, nur dann wird er ihnen die Form des Hauses und seine Einrichtung, seine Ausgänge und seine Eingänge und alle seine Formen und alle seine Satzungen zeigen können (Vers 11).
Finden wir hier nicht einen wichtigen Grundsatz in der Offenbarung der Gedanken Gottes hinsichtlich seines Hauses? Heute handelt es sich nicht um einen von Menschenhand erbauten Tempel, sondern um ein geistliches Haus, bestehend aus lebendigen Steinen (1. Pet 2,5). Die die Versammlung betreffenden Wahrheiten können nur durch demütige Herzen erfasst werden, die gebeugt sind über den gegenwärtigen Zustand der Dinge und alles dessen, was damit zusammenhängt. Nur wenn diese Demütigung echt ist, wird der Herr in der Erkenntnis seiner Gedanken weiterführen und zeigen können, wie es noch heute möglich ist, sich in Einfachheit um Ihn zu versammeln. Der Prophet hatte dem Volk die Satzungen bezüglich des Hauses dargelegt, «um sie zu tun». Sucht man demütig und bescheiden sich nach den Belehrungen des Wortes zu richten und verlässt man sich auf die Verheissung des Herrn, wonach Er da, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, in ihrer Mitte ist, so führt dies zu einer Freude, die durch nichts auf dieser Erde ersetzt werden kann: «Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen» (Joh 20,20).