Der König von Tyrus
Der zweite Teil des Buches Hesekiel (Kap. 25-32) richtet sich an die Nationen. Der Prophet verkündigt nacheinander sieben verschiedenen Völkern das Gericht Gottes: Ammon (25,1-7), Moab (25,8-11), Edom (25,12-14), den Philistern (25,15-17). Dann wendet er sich in den Kapiteln 26 bis 28,19 an Tyrus und fügt einige Worte an Sidon hinzu (28,20-24). Vier Kapitel gegen Ägypten (29-32) beschliessen diesen Teil.
Die Prophezeiung schliesst mit dem sogenannten «Gesang der Toten» (32,17-32), einem Klagelied (Vers 16) voller Grösse. Es ist der Mühe wert, dieses laut zu lesen. Es beschreibt die Vernichtung all derer, die sich im Lauf der Zeitalter gegen das Volk Gottes erhoben haben.
Im Bild des Königs von Tyrus spricht Hesekiel, wie Jesaja durch den König von Babel (Jes 14,12-17), von Satan, von seinem Ursprung und von seinem Fall. Es ist nicht erstaunlich, dass ein heidnischer König das Bild des Teufels sein soll. Viele andere Könige dagegen sind ein Vorbild auf Christus, wie etwa David oder Salomo.
Wer war Satan?
Hesekiel stellt ihn uns in allen seinen Vorrechten vor Augen. Er war «das Bild der Vollendung», im Innern voll von Weisheit und nach aussen vollkommen an Schönheit (Vers 12). Seit dem Tag, an dem er geschaffen wurde, waren alle Vorzüge, die durch die hier genannten Edelsteine vorgebildet sind, zu seinen Gunsten bereitet worden: er hat sie nicht selbst erworben. Er hatte eine erhabene Stellung, war «ein schirmender, gesalbter Cherub», stand ohne Zweifel über jenen so gewaltigen Engeln, die Hesekiel in seinem Gesicht am Anfang gesehen hatte. Er war ein Geschöpf höchster Stufe, aber gleichwohl ein Geschöpf (Verse 13 und 15). Jesaja nennt ihn «Glanzstern, Sohn der Morgenröte» (Jes 14,12).
Sein Fall
Wie konnte ein so vollkommenes und hochgestelltes Wesen fallen? Nicht durch die Begierde oder einen äusseren Anlass, aber zu einem bestimmten Zeitpunkt wurde an ihm «Unrecht gefunden». Aber wodurch? Durch Hochmut. Die empfangenen Vorrechte, Schönheit, Weisheit und Glanz (Vers 17) haben ihn dahin geführt, sich in seinen Gedanken zu überheben und sich einen Platz anzumassen, den ihm Gott nicht gegeben hatte. Jesaja spricht es noch deutlicher aus: «Und du sprachst in deinem Herzen: ‹Zum Himmel will ich hinaufsteigen, hoch über die Sterne Gottes meinen Thron erheben und mich niedersetzen auf den Versammlungsberg im äussersten Norden. Ich will hinauffahren auf Wolkenhöhen, mich gleichmachen dem Höchsten›» (Jes 14,13-14). Wie es uns der Apostel in 1. Timotheus 3,6 mitteilt, bestand das Vergehen des Teufels darin, dass der Hochmut ihn aufblähte. Er erhob sich in seinem Herzen sogar so weit, dass er sich Gott gleichmachen wollte.
Welch ein Gegensatz zum Weg des Herrn Jesu: «Der, da er in Gestalt Gottes war, es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem er in Gleichheit der Menschen geworden ist, und, in seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden, sich selbst erniedrigte, indem er gehorsam wurde bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz» (Phil 2,6-8).
Sein Gericht
Einem solchen Vergehen gegenüber spricht Gott sein Gericht aus: «Ich habe dich entweiht vom Berg Gottes weg und habe dich, du schirmender Cherub, vertilgt aus der Mitte der feurigen Steine … Ich habe dich zu Boden geworfen … ein Schrecken bist du geworden und bist dahin in Ewigkeit!» (Verse 16,17 und 19). Jesaja sagt es noch deutlicher: «Wie bist du vom Himmel gefallen … zur Erde gefällt… in den Scheol wirst du hinabgestürzt, in die tiefste Grube» (Jes 14,12-15). Aber dieses Gericht ist bis heute nur teilweise ausgeführt worden. Noch hat Satan Zugang zur Gegenwart Gottes, wie Hiob 1,6 und Offenbarung 12,10 bezeugen, und dort verklagt er die Brüder, sein Aufenthalt ist noch in den himmlischen Örtern (Eph 6,12). Auch ist seine Macht auf der Erde und in der Welt, deren Fürst er ist, noch gross.
Der Sieg Christi
Seit dem Sturz Satans sind alle seine Anstrengungen darauf gerichtet, andere Geschöpfe mit sich ins Verderben hineinzuziehen: Zuerst einen Teil der Engel, über die das Wort nur wenig Auskunft gibt, dann den Menschen im Paradies und das ganze Menschengeschlecht. Durch die Lust der Augen, die Lust des Fleisches und den Hochmut des Lebens erreicht er, dass der Mensch in die Sünde fällt und das Gericht Gottes auf sich zieht. Wie könnte die göttliche Gerechtigkeit jemals solche Sünder aufnehmen? Ihnen ihre Übertretungen einfach zu verzeihen, wäre keine Gerechtigkeit mehr. Es muss daher ein anderer, ein vollkommener und sündloser Stellvertreter den Platz der Schuldigen einnehmen, um an ihrer Stelle das Gericht zu erleiden, das sie verdienen. Das hat der Herr Jesus getan. In 1. Mose 3,15 war angekündigt worden, dass der Same der Frau der Schlange den Kopf zermalmen würde. Hebräer 2,14 sagt deutlich: «Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch er in gleicher Weise daran teilgenommen.» Um unser Retter zu sein, musste Er Mensch, der Same der Frau, werden. Satan wird sich bemühen, Ihn zu Fall zu bringen, Ihn ungeeignet zu machen, um sein Werk auszuführen. Er wird die Kinder von Bethlehem ermorden lassen und Ihn da und dort umzubringen suchen. Er wird Ihn in der Wüste, auf der Zinne des Tempels, auf einem sehr hohen Berg versuchen. In Gethsemane wird er vor Ihm den ganzen Schrecken des Todes am Kreuz ausbreiten, doch am Ende seiner Laufbahn konnte der Herr Jesus sagen: «Der Fürst der Welt kommt und hat nichts in mir» (Joh 14,30). Als das wahre Passahlamm hat Er sich als vollkommen, ohne Fehl und Flecken erwiesen, so dass Er sich zum Opfer darbringen konnte, Er «der Gerechte für die Ungerechten, damit er uns zu Gott führe» (1. Pet 3,18). Nachdem Er unsere Sünden gesühnt, hat Er den Tod erlitten. Aber Gott hat Ihn auferweckt und Ihm Herrlichkeit und Ehre gegeben. «Durch den Tod hat er den zunichtegemacht, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel.» «Er hat die Gefangenschaft gefangen geführt» und alle die der Macht des Feindes entrissen, die ihr Vertrauen auf Ihn setzen: «Er hat alle die befreit, die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren» (Heb 2,15).
In der heutigen Zeit
Das Gericht ist über Satan ausgesprochen worden, jedoch wurde es bis jetzt nur teilweise ausgeführt. Er ist heute noch der Fürst dieser Welt (Joh 14,30; 16,11), der Fürst der Gewalt der Luft (Eph 2,2) und der Gott dieser Welt (2. Kor 4,4). Vor Gott verklagt er die Brüder, in der Welt versucht und verblendet er die Menschen.
Die Ergebnisse des Sieges Christi sind noch nicht alle offenbar. Die an Ihn glauben, sind gerettet, was ihre Seelen anbetrifft, und sie besitzen jetzt schon das ewige Leben, aber ihr Leib bleibt allen Folgen der Sünde unterworfen. Das Fleisch ist noch in uns und «wir alle straucheln oft» (Jak 3,2). Christus ist in der Welt noch nicht anerkannt, Er bleibt weiterhin der Verachtete und der Verworfene. Er wird seinen Sieg vollenden, wenn Er kommt, um die Seinen zu sich zu nehmen und sein Reich aufzurichten. Dann wird Er die neuen Himmel und die neue Erde einführen.
Welches ist nun, in der Zwischenzeit, der Weg des Gläubigen? Es gibt nur ein Mittel, um den Sieg über die Welt und ihren Fürsten praktisch zu geniessen: der Glaube. «Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt; und dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube. Wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, der glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist?» (1. Joh 5,4-5). Die, die Christus im Glauben aufnehmen, «denen gibt er das Recht, Kinder Gottes zu werden» (Joh 1,12). Weil der Gläubige nun ein neues Leben besitzt, so hat er seine Interessen nicht mehr in der Welt. Der Glaube erhebt ihn über den ihn umgebenden Schauplatz und gibt seinen Zuneigungen und Hoffnungen einen besseren Gegenstand. Es handelt sich nicht darum, gegen die Welt zu kämpfen, sie zu verbessern oder sie zu ändern, sondern sein Teil anderswo zu haben, im Bewusstsein, jetzt schon durch Glauben mit Christus gestorben und auferweckt zu sein (Kol 2,20 – 3,4).
Doch was tut der Feind jetzt? Weil er weiss, dass ihm die Seelen entwischen, wenn sie mit dem Wort Gottes in Berührung kommen und es im Glauben aufnehmen, setzt er alles daran, die Menschen für dieses Wort blind zu machen. Er hat versucht, die Bibel mit Gewalt zu zerstören, sie durch den Rationalismus, also durch Vernunftgründe zu verstümmeln, sie durch die Psychologie und andere Mittel zu entkräften und zu versüssen. «Der Same ist das Wort Gottes.» Wenn er in ein Herz aufgenommen wird, bringt er Leben hervor. Aber bevor er darin Wurzel fassen kann, «kommt der Teufel und nimmt das Wort von ihren Herzen weg, damit sie nicht glauben und errettet werden» (Lk 8,12). Oder wenn das Wort begonnen hat, eine gewisse Wirkung zu entfalten, sorgt er für steinigen Boden, so dass es sich in der Seele nicht befestigen kann, oder für Dornen, die es ersticken. «Unser Evangelium ist … in denen verdeckt, die verloren gehen, in denen der Gott dieser Welt den Sinn der Ungläubigen verblendet hat, damit ihnen nicht ausstrahle der Lichtglanz des Evangeliums der Herrlichkeit des Christus» (2. Kor 4,3-4).
Satan lässt die Menschen ihr Leben nach ihrem Gutdünken einrichten, damit es ihnen in der Welt gefalle, wenn sie nur für das Evangelium blind bleiben. Er lässt sogar zu, dass Gläubige sich religiös organisieren, Zeremonien und Bräuche beachten, oder er treibt sie in die Vergnügungen der Welt, wenn sie nur dem Wort Gottes nicht den Platz geben, der ihm zukommt. Wie viele Hindernisse weiss er auf den Weg zu legen, um die Verkündigung des Evangeliums zu hemmen (Mk 10,13-14)! Wie viele Kämpfe erforderte es durch die Zeitalter hindurch, um die Bibel in jedermanns Hand zu legen, um frei darüber sprechen zu können, an allen Orten, zu jeder Zeit, unter allen Umständen! (2. Tim 4,2).
Das Gericht wird ausgeführt werden
In Römer 16,20 wird angekündigt, dass «der Gott des Friedens in kurzem den Satan unter eure Füsse zertreten wird». Offenbarung 12 zeigt uns, wie er vom Himmel herabgestürzt wird. Auf der Erde hat er dann eine grosse Wut, da er weiss, dass er wenig Zeit hat, und wird seine Macht dem «Tier» geben (Off 13) für einen Zeitabschnitt, den Gott auf dreieinhalb Jahre beschränkt hat. Am Ende dieser schrecklichen Zeit wird er für tausend Jahre gebunden in den Abgrund eingeschlossen werden (Off 20,2). Am Ende des Tausendjährigen Reiches wird er, aus seinem Gefängnis losgelassen, ausgehen um die Nationen zu verführen und sie zum Krieg gegen die Heiligen zu versammeln (Verse 7-9). Nach der Vernichtung der Empörer wird «der Teufel, der sie verführte, den Feuer- und Schwefelsee geworfen, wo sowohl das Tier ist als auch der falsche Prophet; und sie werden Tag und Nacht gepeinigt werden von Ewigkeit zu Ewigkeit» (Vers 10). So wird das Wort Hesekiels erfüllt werden: «Du bist dahin in Ewigkeit» (Hes 28,19). Wohl wird die Existenz Satans nicht aufhören, aber seine ganze Macht, sein ganzer Einfluss sind zunichtegeworden.