Diesmal stellen wir Abraham und Lot, also zwei Gläubige, einander gegenüber. Auch da entdecken wir grosse Unterschiede, die uns viel zu sagen haben. Wir greifen zu diesem Zweck aus den Kapiteln 12 bis 19 des ersten Buches Mose nur einige Einzelheiten heraus.
«Geh aus!»
Abraham war ein Mensch wie du und ich. Die Sünde des ersten Menschen war auch zu ihm durchgedrungen; auch er hatte gesündigt (Röm 5,12) und mit seiner elterlichen Familie vermutlich auch selbst andern Göttern gedient (Jos 24,2).
Er wohnte in Ur. Diese Stadt in Chaldäa war ein Mittelpunkt der Gelehrsamkeit und Kultur, der Künste und Wissenschaften, sowie auch ein Ort des Reichtums und des Luxus, wie man es aufgrund der heutigen Ausgrabungen feststellen kann. Wie unsere heutige Umgebung, in der wir alle leben, konnte also auch der Herkunftsort Abrahams dem natürlichen Menschen alles bieten, worin er sein Glück zu finden meint.
Ob sich Abraham in diesem Lebenssystem, das im Wort «Welt» genannt wird, wohlfühlte? Bestimmt nicht! Wie könnte irgendein Mensch in dieser von Satan regierten Welt heimisch sein und den Frieden des Herzens geniessen? Unmöglich! Der Teufel sinnt ja nur darüber nach, wie er die Untertanen seines Reiches mit der Sünde umstricken und ins ewige Verderben ziehen kann! Freilich, er verwendet dazu nicht nur grobe Ketten, sondern auch feine Bande, deren Sinn man nicht sogleich erkennt. Aber welcherlei Art die Bande auch sein mögen – jeder, der die Sünde tut, ist der Sünde Knecht (Joh 8,34).
«Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit», hat an Abraham gedacht, um ihn aus dieser Knechtschaft zu befreien und ihn mit seiner eigenen Herrlichkeit in Verbindung zu bringen. Er machte ihn sogar zu einem Gegenstand seiner ewigen Ratschlüsse! Und als «der Gott der Herrlichkeit», der dem Menschen unendlich Besseres und Herrlicheres zu bieten hat, als die sündige und verdorbene Welt es zu tun vermag, erschien Er ihm eines Tages (Apg 7,2).
Das erste Wort, das Gott Abraham zurief, war dieses: Geh aus! «Geh aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters!» (1. Mo 12,1).
Ein wichtiger Grundsatz Gottes! Wer seiner Rettung und seiner unendlichen Segnungen teilhaftig werden will, muss endgültig das verlassen, was bisher den Boden, den Rahmen und den Inhalt seines Lebens in der Welt ausmachte. Einer der ersten Verse in der Bibel lautet: «Gott schied das Licht von der Finsternis», und in einer der letzten Schriften des Neuen Testaments lesen wir von Ihm: «Gott ist Licht und gar keine Finsternis ist in ihm» (1. Joh 1,5). Wie also könnte ein Mensch mit der geistlichen Finsternis dieser Welt in Verbindung bleiben und gleichzeitig mit Gott Gemeinschaft haben! Wenn ein Christ der fleischlichen Neigung seines Herzens nachgibt und nach einem «Mittelweg» sucht, so begibt er sich auf einen Weg, der in die Dürre und in die Kraftlosigkeit führt. Denn, «wer nun irgend ein Freund der Welt sein will, erweist sich als Feind Gottes» (Jak 4,4). Und «wenn jemand die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm» (1. Joh 2,15).
Abraham sollte die Aufforderung Gottes: «Geh aus!» dadurch befolgen, dass er sein bisheriges Land verliess. Wir aber haben uns dem Herzen nach von der Welt abzuwenden und sorgfältig darüber zu wachen, dass wir in der Kraft des Heiligen Geistes auf unserem ganzen Weg in dieser Welt von der Lust des Fleisches, der Lust der Augen und dem Hochmut des Lebens (1. Joh 2,16) abgesondert bleiben. Das ist hier auf der Erde unsere ständige Übung. Was hat ein Kind Gottes mit der Welt gemeinsam, die den Herrn Jesus ans Kreuz schlug?
«Komm!»
Das war das zweite Leitwort, das Gott Abraham zurief. «Komm in das Land, das ich dir zeigen werde» (Apg 7,3). Abraham konnte daraus entnehmen, dass er mit Gott in dem neuen, für ihn noch unbekannten Land sein werde. Das war ihm neben all den anderen herrlichen Verheissungen (vgl. 1. Mo 12,2.3) wohl das Grösste.
So gipfeln auch die den Christen gegebenen Verheissungen in der wunderbaren Tatsache, dass «unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus» ist. Darin besteht unsere «völlige Freude» (1. Joh 1,3.4).
Abraham «ging hin» (1. Mose 12,4)
«Durch Glauben war Abraham, als er gerufen wurde, gehorsam, auszuziehen an den Ort, den er zum Erbteil empfangen sollte; und er zog aus, ohne zu wissen, wohin er komme» (Heb 11,8). Sein Tun trägt also das Kennzeichen wahren Glaubens: Er handelt, wie Gottes Wort ihn tun heisst, ohne zu sehen, was dabei herauskommt. Abraham gab alles aus den Händen, was in Ur sein Leben ausgemacht hatte, obwohl er erst die Verheissungen Gottes besass; aber er vertraute Gott und seinem Wort – und empfing unendlich mehr, als er erwarten konnte. Er zog nach Haran und von da nach Kanaan, ins verheissene Land. Dort durfte er sich überall der Gemeinschaft mit Gott erfreuen und Ihn aufgrund der Opfer anbeten, die er Ihm auf dem Altar darbrachte und die auf das Opfer Jesu Christi hindeuteten.
Glücklich auch heute die Seele, die im Glauben dem Ruf Gottes gehorcht und zu seinem Anbeter wird! Die Erlösung, die Offenbarung und Herrlichkeit Gottes in Christus Jesus zu betrachten, ist für ein Menschenherz das Kostbarste, wovon es erfüllt sein kann, und es wird dabei Lob und Dank aus ihm hervorströmen. Das beweist, dass es von der Welt gelöst ist.
Bis dahin war Lot der Begleiter Abrahams. Auch er hatte Ur in Chaldäa verlassen, hatte mit seinem Onkel das Wagnis des Glaubens unternommen und lebte wie er als Fremdling in Kanaan. Gott zählte auch ihn zu den «Gerechten», zu denen, die durch lebendigen Glauben an Ihn gerechtfertigt sind (Röm 4,5).
Aber die weitere Geschichte Lots zeigt, dass er zu den Gläubigen gehörte, von denen jemand gesagt hat: «Viele, die die Welt bei ihrer Bekehrung ‹en gros› verlassen haben, nehmen sie später ‹im Detail› wieder auf.» Bei ihm ging es sogar so weit, dass in seinem Verhalten der Unterschied gegenüber einem Menschen dieser Welt weitgehend verwischt wurde. Das Wort stellt ihn uns als warnendes Beispiel hin.
Lot «wählte» (1. Mose 13)
Die Herden Abrahams und die Herden Lots waren gross geworden, und das Land ertrug es nicht, dass sie beieinander wohnten. Die Weideplätze für das viele Vieh wurden immer rarer; es gab Zank unter den Hirten der beiden Männer. Wenn die irdischen Interessen bedroht sind, dann zeigt es sich, ob der Gläubige reich ist in Gott. Bei Abraham war es so. Er vertraute auf Gott und liess den Neffen den besten Landstrich für sich auswählen.
Lot brauchte man das nicht zweimal zu sagen. Er hob seine Augen auf – aber nicht zu Gott empor – und wählte sich die bewässerten und grünen Ebenen des Jordan, die sich bis nach Sodom erstreckten. Der Geist Gottes jedoch fügt bei: «Die Leute von Sodom waren sehr böse und grosse Sünder vor dem HERRN» (Vers 13).
Man möchte Lot fragen: Hast du vergessen, dass du die Welt in Ur und Haran verlassen hast? Willst du jetzt zu der schrecklichen Welt in Sodom zurückkehren? Lot, sieh dich vor! Solltest du nicht Gott gefallen? Denkst du denn gar nicht an das Wohl deiner eigenen Seele, an das Heil deiner Frau und deiner Kinder? Geht es dir nur um materielle Interessen und um das Futter für deine Ochsen und Schafe? Willst du wirklich deine Familie und alle Menschen, für die du verantwortlich bist, dem Einfluss dieser gottlosen Stadt aussetzen?
Es ist wohl möglich, dass ihm Abraham in dieser Weise ins Gewissen geredet hat, sofern er voraussah, dass der Weg Lots zur Endstation Sodom führte. Aber wenn die Liebe zur Welt das Herz eines Gläubigen ergriffen und erfüllt hat, dann zeigt er sich meist wie taub für alle Vorhaltungen und findet tausend Gründe, seinen eigenen Weg zu rechtfertigen. Schon die Erfahrungen gottesfürchtiger Eltern oder Freunde in den Wind zu schlagen, ist sehr bedenklich. Wie ernst aber, wenn einer die Belehrungen und Warnungen der Bibel nicht mehr hören will und damit seine eigene Klugheit über die Weisheit und Wahrheit Gottes setzt! Das kann nur mit einer Katastrophe enden. Im besten Fall lernt ein solcher dann durch bittere Erfahrungen, was er schon am Anfang seines Weges im Wort Gottes hätte lesen können. «Wer Unterweisung liebt, liebt Erkenntnis; und wer Zucht hasst, ist dumm» (Spr 12,1).
Wer war für die Menschen nützlicher, Lot oder Abraham?
Lot schlug seine Zelte auf «bis nach Sodom» (1. Mo 13,12), und später sass er sogar «im Tor Sodoms» (Kap. 19,1), wo die Gerichtsverhandlungen stattfanden, königliche Befehle ausgerufen wurden, wo man Verträge abschloss, wo sich das geschäftliche und politische Leben der Stadt abwickelte. Lot muss wohl gedacht haben, wenn er in der Verwaltung Sodoms mithelfe, so habe er mehr Einfluss, um dem Bösen zu wehren, dem Guten zum Durchbruch zu verhelfen und bessere Zustände herbeizuführen.
So denken ja viele Christen. Sie meinen, sich vom Tun und Treiben der Menschen abzusondern, sei verkehrt. Man müsse sich mit ihnen eins machen, mit ihnen leben; nur so könne man sie kennen lernen und ihnen helfen. Gebe sich eine Möglichkeit, sich am öffentlichen Leben zu beteiligen, so sei das eine freudig zu ergreifende Gelegenheit, dem christlichen Einfluss auf das Volk Geltung zu verschaffen.
Was war denn das Ergebnis der Anwesenheit und der Bemühungen Lots in Sodom? Wurden dadurch Seelen vor dem kommenden Gericht gerettet? Keine einzige! Die Männer dieser gottlosen Stadt nahmen seinen Zuspruch nicht an, und selbst seine beiden Schwiegersöhne wollten nicht auf ihn hören. «Er war in den Augen seiner Schwiegersöhne wie einer, der Scherz treibt» (1. Mo 19,7.9.14). So wirkungslos war sein Einfluss. Wer selber im Sumpf steht, kann andere, die darin versinken, nicht retten. Lot besass keinerlei geistliche Kraft, weil er sich an diesem selbstgewählten, sittenlosen Ort der Gemeinschaft mit Gott nicht erfreuen konnte. Sein Gewissen klagte ihn unaufhörlich an: «Der unter ihnen wohnende Gerechte quälte durch das, was er sah und hörte, Tag für Tag seine gerechte Seele mit ihren gesetzlosen Werken» (2. Pet 2,8). Leer musste er die Stadt verlassen, auf die das Feuer niederfiel; seine Frau wurde zur Salzsäule, weil sie sich von dem, was sie zurückliess, nicht trennen konnte; und seine beiden Töchter hatten im verderblichen Einfluss Sodoms grossen Schaden genommen. Welch trauriges Ende eines Gläubigen, der vielleicht mit guten Vorsätzen einen Platz in der Welt einnehmen wollte!
Bei Abraham jedoch ging die göttliche Verheissung: «Ich will dich segnen … und du sollst ein Segen sein» voll in Erfüllung. Als sich Lot von ihm trennte, da freute er sich des ihm verheissenen Landes, durchwandelte es nach seiner Länge und Breite und wohnte unter den Terebinthen Mamres. Dabei genoss er die ungestörte Beziehung zu Gott: «Er baute dort dem HERRN einen Altar» (13,18). Da konnte er Kraft schöpfen für die Aufgaben, die Gott ihm stellte. Denn diese Aufgaben kamen.
Einerseits sind wir Christen durch unseren Herrn Jesus Christus aus der gegenwärtigen bösen Welt herausgenommen (Gal 1,4) – völlige Absonderung von diesem bösen System in jeder Form –; wir sind nicht von der Welt, wie Er nicht von der Welt ist. Anderseits aber hat Er uns auch in die Welt gesandt (Joh 17,14.16.18), damit wir hier, sozusagen als Abgesandte vom Herrn im Himmel, seine Zeugen seien und Ihm in seinem Werk der Liebe unter den Menschen – unter den Seinen und unter den Kindern dieser Welt – täglich zur Verfügung stehen. Wir sind in Christus Jesus zu guten Werken geschaffen, «die Gott zuvor bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen» (Eph 2,10). Wir werden ermahnt, «allezeit überströmend» zu sein «in dem Werk des Herrn» (1. Kor 15,58).
Als daher ein Bote zu Abraham kam und ihm die böse Kunde brachte, es habe eine Schlacht gegen Sodom und Gomorra stattgefunden (1. Mo 14), und Lot sei mit den Sodomitern – «denn er wohnte in Sodom» – gefangen weggeführt worden, da war Abraham bereit, einzugreifen und «für die Brüder das Leben hinzugeben» (1. Joh 3,16). Mit seinen Knechten und Verbündeten befreite er aber nicht nur Lot und seine Familie, sondern auch das ganze Volk dieser Städte! Welch ein Dienst gegenüber «Brüdern» und solchen, die «draussen» waren!
Und später, als der HERR Abraham mitteilte, Er werde jetzt Sodom und Gomorra wegen ihrer Gottlosigkeit heimsuchen und verderben (1. Mo 18), befand sich Abraham auch da in Gemeinschaft mit Ihm und konnte daher «heilige Hände» aufheben, um sich für diese Städte im Gebet einzusetzen. Wie wichtig und wirkungsvoll ist auch dieser Dienst der Fürbitte! Gott ist gern bereit, darauf zu hören! Hätte die in der letzten Bitte Abrahams als Voraussetzung für die Erhöhung fixierte Zahl von «zehn Gerechten» bestanden, so hätte Gott den beiden Städten eine weitere Gnadenfrist gewährt.
Abraham, der Fremdling
Unter den in Hebräer 11 erwähnten Glaubenszeugen nimmt Abraham einen Ehrenplatz ein. Dort wird ganz besonders hervorgehoben, dass er durch Glauben seinen Charakter als Fremdling bis zum Ende festgehalten habe. Während seines langen Lebens band er sich in keiner Weise an die Welt und an die irdischen, materiellen Dinge. Im Land der (irdischen) Verheissung Gottes hielt er sich auf wie in einem fremden und wohnte mit Isaak und Jakob in Zelten, die jederzeit abgebrochen werden konnten (Vers 9). Mit vielen andern bekannte er, dass er ein Fremder und ohne Bürgerrecht auf der Erde sei (Vers 13).
Wohl fehlte es nicht an Anstrengungen Satans, um ihn wieder an die Welt zu ketten und ihn der Welt dienstbar zu machen. Denken wir nur an den kritischen Augenblick, wo der König von Sodom ihm entgegen zog, um ihm die ganze Habe Sodoms als Lohn für sein tapferes Eingreifen anzubieten (1. Mo 14,17-24). Doch auch Gott ist da und lässt dem Gläubigen, der im Vertrauen auf Ihn den Weg in Treue gehen möchte, zur rechten Zeit die erforderliche Glaubensstärkung zukommen. Vor der Begegnung mit dem König von Sodom schon brachte Melchisedek, der König von Salem, Brot und Wein heraus, segnete ihn und sprach: «Gesegnet sei Abram von Gott, dem Höchsten, der Himmel und Erde besitzt!» Und so konnte Abraham mit den gleichen Worten dem Versucher antworten: «Ich hebe meine Hand auf zu dem HERRN, zu Gott, dem Höchsten, der Himmel und Erde besitzt: Wenn vom Faden bis zum Schuhriemen, ja, wenn ich irgendetwas nehme von dem, was dein ist! damit du nicht sagst: Ich habe Abram reich gemacht.»
Was war denn das Geheimnis der Treue Abrahams in seinem Verhalten als Fremdling? So fragen wir vielleicht, die wir uns nur allzu leicht vom Fremdlingspfad abbringen lassen. Das Wort Gottes gibt uns eine einfache Antwort: «Denn er erwartete die Stadt, die Grundlagen hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist» (Heb 11,10). Oh, so wollen auch wir den Blick nach oben und nach vorn gerichtet halten! Im Licht der Ewigkeit erscheint die grosssprecherische Welt in ihren wahren Proportionen, in unverhüllter Eitelkeit, Vergänglichkeit und – Sünde. Ja, «lasst uns das Bekenntnis der Hoffnung unbeweglich festhalten!» (Heb 10,23).