Beim flüchtigen Lesen des kurzen Berichtes über den Botenlauf des Achimaaz und des Kuschiten fällt uns im Tun der zwei Männer kein besonderer Unterschied auf. Beide waren Knechte Davids. Keiner von ihnen war zu Absalom übergelaufen, dem es durch List geglückt war, die grosse Masse des Volkes auf seine Seite zu ziehen. Beide hielten zum flüchtenden König oder doch wenigstens zum kleinen Heer seiner Getreuen.
Und doch gab es einen Unterschied, einen wesentlichen sogar: Achimaaz diente der Person seines geliebten Königs, und auch dieser kannte ihn persönlich. Der Kuschit aber diente der Sache des Königs; sein Dienst war unpersönlich.
Achimaaz war einer der beiden jungen Männer, die mit Hingabe und unter Lebensgefahr den Nachrichtendienst zwischen den in Jerusalem verbliebenen wenigen Freunden Husai, Zadok, Abjathar und dem geflohenen König aufrechterhielten. Es war ihm und seinem Begleiter dabei gelungen, dem König Kunde über die Absichten Absaloms zu überbringen, die ihm das Leben rettete. Die Boten selbst aber hätten dabei beinahe ihr Leben eingebüßt (vgl. 2. Sam 17,17-22).
Vom Kuschiten hören wir hier das erste Mal. Er hatte keine direkte Beziehung zum König. Als er von Joab, seinem Vorgesetzten, den Befehl empfing: «Geh hin, berichte dem König, was du gesehen hast», da beugte er sich vor ihm nieder und lief hin, wie ein Bote es tut, der eine Botschaft zu überbringen hat.
Achimaaz aber empfing den Impuls zum Handeln nicht von Joab. Er hatte alles mit angesehen, was im Schlachtfeld vorgegangen war, und wusste um den grossen Steinhaufen, den die Leute Joabs über dem toten Absalom errichtet hatten. Er dachte an David, seinen Herrn. «Welch ein Schmerz wird das Herz des alternden Königs durchzucken, wenn er die Kunde vom schmachvollen Ende seines ungeratenen Sohnes vernimmt! Ob er das wohl überlebt? Er hängt ja so sehr an ihm! – Ich muss es ihm selbst sagen, möglichst schonend!» so denkt er bei sich.
Joab, der dem Gebot Davids zuwidergehandelt und dem unglücklichen Absalom die Speere durchs Herz gestossen hatte, willigte nur zögernd ein. Der hängt mir zu sehr am König, der soll nicht Bote sein, der wird mich verklagen. Er fragt ihn: «Warum willst du denn laufen, mein Sohn, da für dich keine einträgliche Botschaft da ist?» Auch wir sind vielleicht versucht zu fragen: Achimaaz, lohnt es sich denn wirklich, hinter dem Kuschiten herzulaufen und die grosse Mühe dieses langen, anstrengenden Laufes auf dich zu nehmen? Der wird seinen Auftrag doch schlecht und recht ausrichten können! Du könntest doch nur dasselbe sagen, wenn vielleicht auch mit andern Worten!
Achimaaz genügte das nicht! Er dachte an David. Er musste ihn vorbereiten. Er kannte ihn und fühlte mit ihm. Für seinen König war ihm nichts zu viel.
Er lief hin, so gut und so schnell, wie die Liebe ihn schon einmal getrieben hatte, so dass der Wächter im Lager des Königs ihn wieder erkannte und sagen konnte: «Ich sehe den Lauf des ersten an für den Lauf des Achimaaz, des Sohnes Zadoks.» Und der König antwortete: «Das ist ein guter Mann, und er kommt zu guter Botschaft.» Er spürte aus dem ganzen Verhalten dieses treuen Mannes die Zuneigung für ihn, den König, heraus, und das tat ihm so wohl!
Wie Achimaaz folgen auch wir Christen einem in dieser Welt verworfenen Herrn nach. Wir stehen auf der Seite von Jesus Christus. «Er ist für alle gestorben, damit die, die leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferweckt worden ist» (2. Kor 5,15). Ob wir also jung oder alt sind, ob wir noch in der Ausbildung oder schon im Erwerbsleben stehen, ob wir Schuhe zu putzen oder einem Betrieb vorzustehen haben – es soll für uns eine Selbstverständlichkeit sein, darin dem Herrn Jesus zu dienen. Und so, wie der Herr uns Gaben und Möglichkeiten gibt, sollen wir auch in seinem Werk allezeit «überströmend» sein (1. Kor 15,58).
Da müssen wir uns aber die ernste Frage stellen: «Erledige» ich meine Arbeit und meinen Dienst nach der Art des Kuschiten oder diene ich nach der Weise eines Achimaaz? Arbeite ich, weil die Arbeit getan werden muss, oder habe ich dabei den Herrn Jesus vor meinem Herzen und meinen Augen?
Söhnen und Töchtern zum Beispiel, die noch im Haushalt ihrer Eltern leben, mag es manchmal schwerfallen, ihnen «in allem» zu gehorchen. Sind es doch auch schwache Menschen, die irren können. Aber der Apostel sagt: «Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern im Herrn, denn das ist recht» (Eph 6,1). Mit andern Worten: Ihr gehorcht ja eigentlich dem Herrn! Wie löst das so manches Problem! Jesus ist ihnen darin ein unvergleichliches Vorbild. Er, der buchstäblich «himmelhoch» erhaben war über Maria und Joseph, «war seinen Eltern untertan» (Lk 2,51), denn das war «Gott wohlgefällig» (Joh 8,29).
Auch bei der Verrichtung unserer täglichen Arbeit kommt uns dieser Grundsatz zu Hilfe. Obwohl wir das Verhältnis von Herren und Knechten nur noch vom Hörensagen kennen, so haben doch die meisten von uns Vorgesetzte über sich, nach deren Weisungen sie sich zu richten haben. Wohl uns, wenn daher auch wir das Wort, das den Knechten galt, in entsprechendem Sinn auf uns anwenden: «Gehorcht in allem euren Herren … nicht in Augendienerei, als Menschengefällige, sondern in Einfalt des Herzens, den Herrn fürchtend. Was irgend ihr tut, arbeitet von Herzen, als dem Herrn und nicht den Menschen, da ihr wisst, dass ihr vom Herrn die Vergeltung des Erbes empfangen werdet; ihr dient dem Herrn Christus» (Kol 3,22-24).
Aber auch in dem weiten Gebiet des Werkes des Herrn, in welchem wir alle «Gottes Mitarbeiter» sind und sein dürfen, gilt dieser Grundsatz. Die Missionsreisen des Apostels Paulus und seiner Begleiter begannen in Antiochien, wo sie «dem Herrn dienten» (Apg 13,2). Wo er auch hinkam, wohin er auch schrieb, an jedem Ort lehrte er die Geschwister, dem Herrn zu dienen. In Milet stellte er den Ältesten von Ephesus sich selbst als das Beispiel eines Knechtes des Herrn hin, der dem Herrn mit aller Demut und mit Tränen und Versuchungen diente (Apg 20,19).
Macht es denn wirklich einen so grossen Unterschied aus, ob ich bewusst dem Herrn oder einfach seiner Sache diene? fragt vielleicht jemand. Hauptsache ist doch, dass das Evangelium verkündigt wird und die verschiedenen Werke getan werden, die Gott zuvor bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen!
So mögen wir fragen, wenn wir gewohnt sind, im Blickfeld der Menschen zu dienen. Sobald wir aber unser Auge zu Ihm erheben, wird uns alles klar. An einem Dienst nach «Art des Kuschiten» fehlt Ihm der Wohlgeruch der Hingabe und der Zuneigung. Auch tritt da so leicht die Person des Dieners in den Vordergrund, sein eigenes Ansehen, seine eigene Ehre. Ein solcher Dienst bewegt sich gerne in sogenannten grossen Dingen, die bei den Menschen Anerkennung und Beifall finden, und lässt das Unscheinbare und Verborgene liegen.
Der Dienst eines «Achimaaz» aber ist dem Herrn Jesus wohlgefällig. Ein solcher läuft um seinetwillen, achtet weder die Mühen noch den Beifall und die Geringschätzung der Menschen. Die Wünsche seines Meisters zu erfüllen ist ihm Beweggrund genug, ob es sich dabei um Dinge handle, die der Mensch «gross» oder «klein» nennt. Es genügt ihm, dass sein Herr, «der im Verborgenen sieht», alles wahrnimmt und bewertet. Er ist es, der sich einst auf den Richterstuhl setzen wird, um unser Leben in seinem Licht zu offenbaren. Er belohnt das, was wir in Übereinstimmung mit seinem Herzen und seinen Gedanken, in Abhängigkeit von Ihm und seinem Willen vor Ihm und für Ihn getan haben.
Zeigt uns nicht auch das Sendschreiben an die Versammlung in Ephesus (Off 2,1-7), nach welchen Massstäben der Herr misst? Er kannte ihre Werke, ihre Arbeit, ihr Ausharren und ihre energische Stellungnahme gegen das Böse; Er wusste, was sie alles getragen hatten um seines Namens willen, und wie sie darin nicht müde geworden waren. Doch hob Er warnend den Finger empor. Was fehlte denn noch? Das, was für Ihn das Wichtigste und Kostbarste ist: «Ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast.» Die «erste Liebe», diese frische, ungeteilte Zuneigung zu Ihm, die die ersten Jahre der Versammlung Gottes auf der Erde gekennzeichnet hatte, war verblasst!
Wie die Versammlung in Ephesus, so ruft der Herr heute auch die einzelnen Gläubigen auf, über den Mangel an voller Herzenshingabe an Ihn Buße zu tun. Er erwartet von uns die «ersten Werke», die aus der «ersten Liebe» hervorkommen. Er gebe uns Gnade, dass auch wir, wie die Christen in Mazedonien, uns zuerst dem Herrn geben (2. Kor 8,5) und erst dann den Menschen und den Aufgaben. Dann werden auch unsere Tätigkeit und unser Dienst Ihm wohlgefällig sein.